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Das Schießpulver, die Buchdruckerkunst, das Porzellan, der Dampfkessel zur Reinigung der Wasserleitungsröhren etc. benutzt, die Vaccination, der Luftballon (als Spielzeug), der Kompass, das Glas, die Öl- und Lackmalerei, das Email und eine Reihe anderer Gegenstände kennen die Chinesen seit länger, als unsere christliche Zeitrechnung zurückweist. Die Zeit des geistigen Stillstandes und der gedankenlosen Nachahmung und Benutzung des Erfundenen muss gegen die geistige Regsamkeit, aus welcher jene Erfindungen hervorgingen, als mit toter Nacht bedeckt erscheinen.

Zu den uralten Erfindungen der Chinesen gehört auch der Blitzableiter. Seit fünf Jahrhunderten trug der Turm von Nanking einen Blitzableiter auf seiner Spitze und wurde niemals von dem zermalmenden Feuer des Himmels berührt. Es ist ein für die Beobachtungsgabe der Europäer keineswegs schmeichelhafter Umstand, dass wir erst seit einigen Dezennien in den Spitzen der chinesischen Türme etwas mehr sahen, als eine bizarre Spielerei. Man verwunderte sich über den ungeheuren Mast, der oben auf dem nun zerstörten Porzellanturm von Nanking stand, fand die Spirale von vergoldeten Drähten, die sich um den Mast in einem bestimmten Abstände herum wand, sehr zierlich und die Ketten, die von dem goldenen Fichtenapfel auf der Mastspitze bis zu den Dachschnäbeln der obersten Stockwerke herabliefen gar nicht ohne Geschmack. Dass diese zierliche Spitze aber ein wirklicher Blitzableiter sei und zwar ein solcher, der nicht bloß zufällig diesen Dienst versehe, sondern eigens zu solchem Zwecke konstruiert worden war, — daran dachte man erst dann, als man ähnliche Spitzen auf Häusern und hervorragenden Terrainpunkten als Blitzableiter erkannt hatte.

 

Wir geben hier die Abbildung eines Blitzableiters, der in der Nähe von Amop sich befindet. Oben auf einem starken Mäste befindet sich eine eiserne, vergoldete Kugel mit einem ebenfalls vergoldeten Pinienapfel auf derselben. Um den Mast laufen in horizontaler Lage eiserne Ringe, die nach oben hin immer kleiner werden. Das breite Eisenblech ist an der äußern Seite vergoldet. Oben über die Kugel herab laufen vier eiserne Ketten, die an jedem der Räder befestigt sind und an ihren unteren Endpunkten die Spitzen des Daches des säulenförmigen Unterbaus berühren. Der Knopf des Daches ist vergoldet.

 

Es ist eine verwickelte Aufgabe, zu bestimmen, welche Wirkung ein solcher Blitzableiter nach unserer Theorie von der Elektrizität – die freilich noch sehr unvollkommen ist – ausüben kann. Wir sind auf den ersten Blick geneigt, die Ringe, die außen vergoldeten, innen die Eisenstäbe zeigenden Radkränze als außerordentlich überflüssig zu halten und nur den Ketten eine Wirkung als Leiter zu vindizieren. Aber wo bleibt der Blitz, wenn er an den Ketten herabfährt? Es müsste wahrscheinlich das Gebäude selbst treffen. Das ist jedoch seit Jahrhunderten ohne Beispiel.

 

Die Behauptung der Chinesen, dass der Blitz sich zunächst an den Rädern müde laufe und zuletzt von der Spitze des Fichtenapfels aus wieder dahin fahre, woher er gekommen sei, ist zwar originell genug, schwerlich aber ist diese Meinung bei einer Untersuchung der Konstruktion des Blitzableiters von Gewicht. So viel steht aber fest: diese chinesischen Blitzableiter erfüllen ihren Zweck. Damit sind die Chinesen zufrieden und überlassen es gern Anderen, sich über das Wie und Weshalb? die Köpfe zu zerbrechen

 

Aus: anonym, Illustriertes Familien-Journal. Band 8. 1857