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Ist nun auch sonder Zweifel eine neue Geldkrise noch für dieses Jahr, spätestens für den Anfang des künftigen zu erwarten, so wird deshalb der von sehr kompetenter Seite erfolgte Vorschlag zur Gründung einer Diskontobank doch nicht mehr berücksichtigt, sondern scheint mit Ende der Verlegenheit in die große Rumpelkammer geworfen, wo so Vieles liegt, Vorschläge zu Staatsreformen und zur Judenemanzipation, Propositionen zu gemeinnützigen Zwecken, zu Ersparnissen und Verbesserungen des Staatshaushaltes, kurz ein bunter Haufen von Wünschen, Hoffnungen, Entwürfen, Aussichten und Versicherungen, welches Alles wir seit Jahren, namentlich aber seit der Brandkatastrophe angehäuft haben. — Mit der Geldkrise waren auch häufige Angriffe wider unsere Bank verbunden, welcher ein tätiges Eingreifen zur Beförderung der Geldzirkulation, bei Verlegenheiten wie die jetzt überstandenen, auch wirklich nicht nachgerühmt werden kann. Die einzige ungewöhnliche Hilfe, die jüngst von der Bank geleistet wurde, bestand darin, daß sie auf Münzsorten Vorschuss leistete, welche sonst von ihr nicht akzeptiert wurden, z. B. auf Species, preußische Thaler, Fünffrankenstücke usw. — In unserer merkantilischen Welt sind jetzt die Fallissements so recht an der Tagesordnung.

Das Bankrottieren scheint hier kaum noch mit dem Begriffe der Unehre verbunden zu sein. Leute, die heute „eingekommen“ sind — wie ein hier besonders im Volksmunde gebräuchlicher Ausdruck lautet — lassen sich morgen schon wieder wohlgemut an der Börse und in der Gesellschaft sehen. Ein unbescholtener Name wird so etwas Gleichgültiges. Mit dem Verlust desselben wird oft der Grund zu einem glänzenderen Leben gelegt, als man bis dahin geführt. Unser Trost ist jedoch, daß der Großhandel sich sehr ehrenfest und wacker hält. Er ist die Säule von Hamburgs mercantilischer Wichtigkeit und Bedeutung.

Eine Kalamität anderer als finanzieller Art war das jähe Aufhören unserer Gasbeleuchtung, verschuldet durch die unpassende Wahl eines moorigen Terrains zur Anlegung der Gasreservoirs, welche allmählich sämtlich gesunken sind. Während man an dem früheren Orte die Gasometer wieder zu heben sucht, sind an einem anderen Punkte zahlreiche Arbeiter beschäftigt, neue Gasreservoirs zu schaffen, doch macht man sich auf Rückkehr der Beleuchtung für das laufende Jahr kaum noch Hoffnung. Die Unternehmer, eine englische Compagnie, erhielten durch dieses malitiöse Ereignis eine Schicksalsohrfeige, welche dafür, dass sie sich das Rammen erspart hatten, um Geld zu sparen, ihren Geldbeutel um, sagt man, mehr als 100.000 Mark leichter macht.

Aus: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur, redigiert von J. Kuranda. Vierter Jahrgang. II. Semester. IV. Band. 1845.