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- Category: Vermischtes
- Published: 15 September 2012
In einem einzigen Falle ist denn auch das Hineingreifen der staatlichen Gewalt in diese freien wirtschaftlichen Vereine zur Sprache gekommen und mit einem ausdrücklichen Tadelsvotum belegt worden. Dagegen kam das Verhältnis der Staatsgewalt zu den Genossenschaften überhaupt nicht in Frage, vielleicht weil man diesen delikaten Punkt überhaupt nicht berühren wollte, wahrscheinlicher jedoch weil die Gewöhnungen und die Einrichtungen in der überwiegenden Zahl der deutschen Staaten das Oberaufsichts- und Eingreifungsrecht der Staatsgewalt in die Bildung von Vereinen als zweifellos voraussetzen ließen. Es ist zwar auch der Versuch gemacht worden, das gesamte Konzessionswesen mit in die Debatte hineinzuziehen; diese Frage jedoch vertagt und vielleicht hat man dabei auch noch nicht an jene von deutschen Regierungen behauptete Prärogative gedacht.
Es gibt wohl nur wenige deutsche Staaten, in denen die von Vereinen aller Art ohne Einmischung des Staats oder der Behörden vor sich geht, wenn wir nicht irren nur Hamburg und Bremen. Gerade aber das Hamburgische Vereinswesen verdient eine um so größere Aufmerksamkeit, weil neben der Freiheit in Bildung und Bestand von Genossenschaften und Vereinen aller Art dort ein so reiches Verkehrsleben besteht, getragen von einer zahlreichen an reichlichen Lebensgenuss gewöhnten und durchgängig geschäftsmäßig gebildeten Bevölkerung.
Das ist klar, dass unter solchen Umständen die Kraft und die Fähigkeit der deutschen Art, sich genossenschaftlich zusammen zu tun viel unmittelbarer hervortreten muss, als sonstwo auf deutschem Boden. Und in der Tat ist das Vereinsleben in Hamburg ein so überaus reiches und üppig wucherndes, dass jeder Versuch zu einer Statistik Hamburgischer Vereine unvollständig bleiben muss. In allen Ständen, in allen Berufen, zu Zwecken jeder Art, in jeglicher Form, entstehen und vergehen fortwährend in Hamburg Vereine, ohne dass in der Öffentlichkeit von ihnen oft nur Notiz genommen werden kann. Wo immer das Bedürfnis nach Vereinigungen sich geltend macht, da treten die Betreffenden ohne Weiteres zusammen, entwerfen ihre Statuten, setzen ihre Beitragsgelder fest und damit haben sie sich als Verein konstituiert. Es gibt sogar Vereine, von denen man nicht einmal sagen kann, ob sie mehr auf privatrechtlichem als öffentlichem Boden wurzeln, so z. B. das Commercium, die höchste kaufmännische Behörde und doch wesentlich nur die selbst konstituierte Vereinigung der Börsenkaufleute. Mit Eifersucht haben sie auch noch in neuerer Zeit den Versuch des Staates, sich in ihre Organisation einzumengen, zurückgewiesen und unter den 5 Verfassungspunkten des Jahres 1818 fand keiner energischer, Widerspruch bei der Börse, als der Versuch, einige Senatoren in die Commerzdeputation hineinzubringen, selbst mit der späteren Abschwächung, dass die innern Angelegenheiten der Börse bei der bisherigen Behörde bleiben sollten. Umgekehrt hat man es in Hamburg erlebt, dass der Senat das Anerbieten der Gründer der Norddeutschen Bank, dieselbe unter staatliche Oberaufsicht zu stellen (freilich um den Preis zur Ausgabe von Papiergeld) mit der Bemerkung zurückwies, er wolle mit der Oberaufsicht nicht auch die Mitverantwortlichkeit übernehmen. Es ist dies gewiss ein Zug von Selbstbeschränkung und gesunder Auffassung der Dinge, wie sie bei deutschen Regierungen nicht leicht wieder vorkommen. Beide Banken haben sich ohne Staatsgenehmigung gebildet und bestehen ohne Oberaufsicht des Staats; es ist Sache der Aktionäre selbst, ihr eigenes Interesse wahrzunehmen.
In ganz ähnlicher Weise bestehen innerhalb der Börse und für einzelne Zwecke engere und weitere Vereinigungen aller Art, jede von ihnen allein durch die Bedürfnisse selbst hervorgerufen und gehalten, natürlich sie alle auf eigene Verantwortlichkeit gebildet. Der interessanteste unter ihnen ist unstreitig der sogenannte Verein von Manufakturisten en gros. Er entstand zunächst, weil die betreffenden Geschäftsleute in dem Commercium eine ihren Interessen nicht genügende Vertretung zu finden glaubten, weshalb sie sich veranlasst sahen, ihre Sache selber in die Hand zu nehmen; namentlich bei auswärtigen Konkursen hat es der Verein allmählich dahin gebracht, seinen Mitgliedern durch gemeinsame Vertretung die wesentlichsten Dienste zu leisten. Ebenso war bei der Krisis der Garantie-Diskontoverein eine bloße Schöpfung von Privaten und hat man es damals in Hamburg nicht ohne Genugtuung hervorgehoben, wie rasch man sich selber helfen könne, wenn der Staat bei Bildung eines solchen Vereins nicht erst angegangen würde. Ebenso bestehen in Hamburg eine Unzahl von Aktiengesellschaften, die bei ihrer Bildung nichts weiter zu thun haben, als sich beim Firmen-Bureau des Handelsgerichts zu melden, eine Meldung, die jedoch nur eine Kontrolle der Teilnehmer im Interesse des Publikums, nicht aber eine Genehmigung der neugebildeten Gesellschaft in sich schließt, denn diese besteht schon durch den bloßen mündlichen oder schriftlichen Gesellschaftsvertrag. Es fällt in Hamburg Niemandem ein, diesen Zustand der Dinge zu beklagen, und etwa, wie dies in andern deutschen Staaten üblich ist, die Einmischung des Staates herbei zu wünschen.
Reiche Leute, und vor allen Hamburger Börsenleute, würden am Ende auch anderswo und unter anderen Verhältnissen ihre Interessen wahrnehmen können; viel interessanter ist deshalb die Wahrnehmung, wie man sich in den untern, den weniger vermögenden Klassen der Bevölkerung die Sache zurecht legt. Hier hat man nun Gelegenheit sehr eigentümliche und wie wir gleich hinzusetzen wollen, sehr befriedigende Resultate des freien Vereinswesens in Hamburg wahrzunehmen. Wir wollen hier nicht von den vielen Kranken-, Verpflegungs- und ähnlichen mildtätigen Vereinen reden, von denen namentlich im mittleren Bürgerstand eine wahre Unzahl zum Teil unter höchst merkwürdigen Formen, die meisten mit sehr geringer Beitragspflichtigkeit bestehen; nur einige wenige Züge wollen wir hervorheben. Wir nennen zuerst die sehr eigentümliche und in Hamburg sehr alte Einrichtung der sogenannten Quartieren: vier Leute, die jeder für sich, aber in Gesamtbürgschaft und für gemeinschaftliche Rechnung arbeiten. Die Quartiersleute nehmen einen höheren Rang in der Hamburger Arbeiterwelt ein und jedes größere Geschäft hat seinen eigenen Quartiersmann, dem es ganz regelmäßig im Comptoir und im Speicher das vollste Vertrauen schenkt, eine Folge der gesamten Verantwortlichkeit der Vier. Auch hat man kaum je einen Beweis vom Missbrauche dieses Vertrauens. Jedenfalls ist diese Art vereinter Tätigkeit eine sehr bemerkenswerte. Neben solchen uralten Einrichtungen bestehen aber auch ganz moderne, z. B. Vereine zur billigen Herbeischaffung von Lebensmitteln, Vereine von Zigarrenarbeitern, verschiedene Vereine von Tischlern und andern Gewerbetreibenden u. s. w. Dagegen scheint z. B für Vorschuss-Vereine, nach dem Schulzeschen Muster kein Bedürfnis in Hamburg zu sein, man muss dieses mindestens daraus schließen, dass sie dort, wo ihrer Bildung kein äußeres Hindernis entgegensteht, noch keinen Eingang gefunden haben. Bemerkenswert ist auch noch der Bildungsverein für Arbeiter, der in der Mitte der Vierziger Jahre gegründet, durch alle Stürme der Zeit hindurch sich als ein wahres Muster für ähnliche Anstalten aufrecht erhalten hat.
Zwischen diesen beiden Stufen der Gesellschaft, dem reichen Kaufmann und dem von seiner Hände Arbeit lebenden Arbeiter, liegt eine große Reihe von unterschiedlichen Ständen und Berufen, wo wir auf Tritt und Schritt dem Verein begegnen. So hat sich namentlich der ärztliche Stand in Hamburg sehr reichlich mit Vereinen bedacht, es gibt dort einen ärztlichen Verein, einen wundärztlichen Verein, einen zahnärztlichen Verein, einen Apotheker-Verein; ferner bestehen in Hamburg ein juristischer Verein, ein naturwissenschaftlicher Verein und andere dergl. m. Neben einem Verein zur Arbeitnachweisung gibt es einen eignen von Comptoiristen gebildeten, um sich das Aufsuchen von Stellen zu erleichtern. Auf dem Hamburgischen Landgebiet geht das Vereinswesen selbst so weit, dass man mehrfach in Ermangelung städtischer Fürsorge, sich selbst auf gemeinschaftliche Kosten die Nachtwächter hält, eine Ausdehnung des Vereinswesens, die Vielen bedenklich, Andern vielleicht als eine Zukunfts-Andeutung erscheinen möchte, wenn man sich schon mehr und mehr gewöhnt haben wird des Staates zu entbehren.
Wir haben hier natürlich nur eine außerordentlich lose Andeutung des Hamburgischen Vereinswesens geben können, wie es sich frei von aller staatlichen Bevormundung durch alle Klassen der Bevölkerung hindurch zieht, mit Resultaten, die, wenn auch vielleicht nicht groß in ihren Zahlen und äußerlichen Wirkungen, doch gewiss zur verhältnismäßigen Gesundheit und Kraft der Hamburgischen Bevölkerung sehr bedeutend beitragen. An dem einen Orte wird durch die Vereinstätigkeit die wirtschaftliche oder geistige Selbstständigkeit, an dem andern der Gemeinsinn, wieder an einem andern die Vorsorge für die Zukunft belebt oder befördert. Bei all dieser Vereinstätigkeit ist, das wird keiner bezweifeln der die betreffenden Zustände kennt, eben das freie Walten jeder Kraft die erste Vorbedingung. Würde wie anderswo die staatliche Genehmigung bei jeder Bildung von geschäftlichen oder andern Vereinen erforderlich sein, so würde gar manche Vereinigung bloß wegen der dabei erforderlichen Weitläufigkeit unterbleiben, abgesehen davon, dass die Polizei in Hamburg die allerletzte Behörde ist, der man geneigt wäre sein Tun oder Lassen zur Genehmigung zu unterbreiten; man würde lieber die Vereine auch trotz des Staates und ohne den Staat bilden.
Nur an einem einzigen Punkte hat die Gesetzgebung das Vereinswesen eingeschränkt und es der staatlichen Bevormundung unterworfen, in Bezug nämlich auf die politischen Vereine und Versammlungen und zwar vor etwa 10 Jahren in Folge der allgemeinen deutschen Reaktion. Das ist indessen wesentlich ein mehr äußerliches Anpassen an die Zeitverhältnisse, als ein Eingreifen in die gewohnten Verhältnisse geblieben. Trotzdem haben die Vereine und die öffentlichen Versammlungen in diesem Jahre die alten Verfassungszustände gesprengt und am allerwenigsten hätte der bei den Versammlungen von Staatswegen anwesende Polizist sich es einfallen lassen können, die Redner, seien es Kaufleute oder Arbeiter, in ihren Expektorationen zu stören.
Schaden hat die freie Vereinstätigkeit an keiner einzigen Stelle gebracht, und wenn man sich an andern Orten nur gewöhnen wollte, dem Leben und den Menschen etwas freieren Lauf zu lassen und nicht allenthalben Gefahr zu wittern, wo die Obrigkeit nicht unmittelbar tätig ist, der Schaden würde auch anderswo nicht aufzufinden sein.
Aus: Bremer Handelsblatt. Bremen, den 7. Juli 1860. Nr. 456