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Ungleich mehr, obgleich im Verhältnis zu anderen Orten noch immerhin wenig genug, ist über sie gesprochen und geschrieben worden und ungleich öfter pflegen sie aufgesucht zu werden. Bot doch erst vor drei Jahren die XV. Wanderversammlung deutscher Architekten und Ingenieure einer größeren Zahl deutscher Fachgenossen die willkommene Gelegenheit sie aus eigener Anschauung kennen und würdigen zu lernen, und hat der Verfasser es damals in diesen Blättern versucht eine Schilderung ihres Gesamteindrucks zu geben, die zwar kurz und mangelhaft genug ausgefallen ist, auf die er sich jedoch trotz alledem auch gegenwärtig beziehen muss, da der Rahmen des vorliegenden Berichtes ihm eine noch knappere Kürze zur Pflicht macht.

 

Lübeck, wohin am Morgen des 28. August von Schwerin aus die Fahrt sich richtete, ist der Sitz eines „Technischen Vereins“, der zwar klein an Mitgliederzahl, aber desto rühriger und tätiger in seiner Arbeit, stets unter den ersten zu sein pflegt, wenn es gemeinsamen Fragen und Angelegenheiten des Faches gilt. Die mannigfaltigen Beziehungen, die sich hieraus zwischen ihm und dem Berliner Verein ergeben haben, und im weiteren Sinne jenes Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, welchem die Bestrebungen auf Gründung eines engeren Verbandes unter allen deutschen Fachvereinen entsprungen sind, hatten es selbstverständlich gemacht, dass derselbe bereits im vorigen Jahre, wo eine ähnliche Reise beabsichtigt, jedoch durch den plötzlichen Ausbruch des Krieges vereitelt wurde, um seine gastfreundliche Fürsorge für die Exkursionsgesellschaft angegangen worden war und auch in diesem Jahre um Gleiches ersucht wurde. Wie gern die Lübecker Fachgenossen dieser Bitte entsprachen, das hatte im vorigen Jahre das ehrende Gastgeschenk gezeigt, welches für unseren Besuch vorbereitet worden war und uns demnächst übersandt wurde: die schöne von Herrn Grube angefertigte Kopie der großen gravierten Metall-Grabplatte im Dom, die gegenwärtig der Bibliothek des Berliner Architektenvereins angehört. Nicht minder bewies es diesmal die an Herzlichkeit mit Schwerin wetteifernde Aufnahme, die den nunmehr wirklich erschienenen Gästen zu Teil wurde. Bereits in Kleinen begrüßte sie einer der Vorsteher des Technischen Vereins, der Programme, Stadtpläne und Notizblätter unter sie verteilte, und auf dem Bahnhofe der Stadt fanden dieselben eine größere Zahl seiner Mitglieder bereit, unter deren Führung sofort mit den Exkursionen zur Besichtigung der Sehenswürdigkeiten begonnen wurde.

 

Das architektonische Interesse Lübecks wurzelt fast ausschließlich in seiner Vergangenheit, vor Allem in der verhältnismäßig großen Zahl kirchlicher und profaner Monumentalbauten des Mittelalters, die sich, zumeist des reichen Farbenschmuckes beraubt, aber doch im Wesentlichen unversehrt und sogar zum großen Teil mit ihrer alten Ausstattung versehen, als stolze Zeugen früherer Macht und Größe erhalten haben. Der Privatbau, der diesen öffentlichen Gebäuden gegenüber anscheinend niemals eine ähnliche Bedeutung gewonnen hat, wie in anderen Handelsstädten, deren Blüte einer späteren Periode angehört, bietet hingegen auffallend weniger Bemerkenswertes; denn obwohl die Gesamtphysiognomie der Stadt und die Art ihrer Bebauung noch durchaus die mittelalterliche ist, so zeigt doch der größere Teil der Giebelhäuser die Spuren einer späteren Erneuerung und Modernisierung im Sinne eines ärmlichen Zopfstils, und selbst wo die alten Formen, zumeist in ziemlich einfachen Beispielen, noch vorhanden sind, bleiben sie unbemerkt unter der unbarmherzigen Tünche, mit welcher der nüchterne Geschmack der letzten Jahrhunderte sie bedeckt hat. — Von einer bedeutenden neueren Bautätigkeit kann unter den lokalen Verhältnissen einer Stadt, die auf dem Räume, den ehemals mehr als 100.000 Menschen bevölkerten, gegenwärtig noch nicht ganz 40.000 Einwohner zählt, nicht wohl die Rede sein; während die Stadtviertel damals allerdings von einer noch größeren Zahl jener auch in Hamburg vorhandenen engen Gänge und Höfe, in denen die Wohnungen der ärmeren Volksklasse liegen, durchsetzt gewesen sein müssen und die Häuser vermutlich bis herab zu den Kellern bewohnt waren, bieten dieselben der gegenwärtigen Einwohnerzahl eine reichliche Unterkunft Neubauten aus Laune oder Modesucht sind bei dem konservativen Sinne einer Handelsstadt nicht eben allzu häufig und so fließen die Aufgaben, die der Bautechnik in Lübeck neben den notwendigsten Reparatur- und Veränderungsbauten gestellt werden, anscheinend spärlicher als dies anderwärts so' leicht der Fall sein dürfte. Es gilt dies übrigens nicht allein für die Privatbauten, sondern ebenso für die öffentlichen Bauunternehmungen, bei welchen neue Aufgaben fast nur in Betreff solcher Anlagen, welche spezifisch modernen Zwecken dienen — zuletzt die Bahnhofsbauten, das Wasserwerk, die Siel-Anlage und ein großes Kasernement — gestellt werden, während es sich sonst wesentlich darum handelt, das Vorhandene zu erhalten oder dem veränderten Bedürfnisse anzupassen.

 

Unter diesen Verhältnissen hatte das Programm, welches Seitens des technischen Vereins für den Besuch der Berliner Gäste aufgestellt worden war, auch fast ausschliesslich die Besichtigung der alten Baudenkmale und Kunstschätze ins Auge gefasst. Nach jener erprobten, nicht genug zu empfehlenden Reisesitte, die vor Allem darauf Werth legt, sich von irgend einem erhöhten Punkte aus über die Gesamtphysiognomie einer fremden Stadt und die Lage ihrer Hauptmonumente zu orientieren, wurde zunächst einer der dem Bahnhofe zunächst belegenen Stadtwälle und das auf diesem angebrachte Aussichtsgerüst, der sogenannte „Chimborasso“ erstiegen, von dessen Höhe man ein ebenso übersichtliches wie malerisches Bild der Stadt gewinnt. Alsdann ging es nach einer Überfahrt über die schmale, von dem Binnenländer in ihrer Bedeutung kaum gewürdigte Trave, am Hafen und seinen alten Speichern entlang bis zu dem malerischen Burgtor, von dort zurück in die Stadt gewendet in das Burgkloster, wo das zierliche Ziegelmosaik besichtigt wurde, und demnächst zur Rast und leiblicher Erfrischung in die ebenso originelle, wie interessante und behagliche Kneipe der früheren Schiffergesellschaft, die sich bekanntlich noch die Einrichtung des 16. Jahrhunderts, sowie sämmtliche Schaustücke und Reliquien der Folgezeit bewahrt hat. In kleineren Gruppen wurde während dieser Rast das benachbarte Hans der Kaufleute-Kompagnie mit dem berühmten Fredenhagen'schen Zimmer und den nicht so zierlichen und reichen, aber nicht minder effektvollen (restaurierten) Sitzungssaale, die Jakobikirche mit ihren alten Denkmalen, das Heilige-Geist-Hospital mit seiner Kojen-Einrichtung und die Katharinenkirche mit der an Altertumsschätzen reichen Stadtbibliothek besucht.

 

Den Vereinigungspunkt für die Gesellschaft und wohl den Höhepunkt des Interesses bildete sodann der Besuch des städtischen Hauptbauwerks, der herrlichen Marienkirche. Obgleich derselbe bis zu längerer Dauer ausgedehnt wurde, so ward es Vielen doch ersichtlich schwer, sich von diesen Räumen zu trennen, denen an architektonischer wie malerischer Wirkung in der Tat nur Weniges an die Seite gestellt werden kann, trotzdem die weiße Tünche sie leider noch immer in störender Weise entstellt; verstärkt wurde der mächtige Eindruck derselben noch durch die Klänge der Orgel, welche zu Ehren der Gäste gespielt wurde, während der verehrte Senior der Lübecker Kunst- und Altertumsfreunde, Maler C. J. Milde, in freundlicher Bereitwilligkeit die Erklärung der zahlreichen Kunstwerke übernahm, mit denen die Kirche in so reicher Weise ausgestattet ist. Nächst der Marienkirche wurde das Hauptwerk städtischer Profanarchitektur, das Rathhaus — der Markt mit der glücklich geretteten und nunmehr restaurierten Butterbude, den demnächst noch der nach dem preisgekrönten Schneider'schen Konkurrenz-Entwürfe auszuführende neue Monumentalbrunnen schmücken soll — die Petrikirche, mit ihrer schönen Orgelfassade, — endlich der Dom mit seinen mannigfaltigen Kunstschätzen, die für den Mangel eines befriedigenden architektonischen Eindrucks entschädigen müssen, sowie das mit demselben in Verbindung stehende Krankenhaus besichtigt.

 

Eine Schilderung dieser Werke, die leider noch immer einer würdigen Aufnahme und Publikation entbehren, wird an dieser Stelle Niemand erwarten. Wohl aber erscheint es dem Verfasser als eine Pflicht, an deren Erfüllung er sich durch die naheliegenden persönlichen Rücksichten gastlicher Dankbarkeit nicht hindern lassen kann, hier ein Wort über die Restaurations-Arbeiten zu sagen, welche in neuerer Zeit an mehren der Monumentalbauten Lübecks ausgeführt worden sind und anscheinend in bescheidenen Grenzen, aber mit einer gewissen Stetigkeit und Ausdauer bis zur Erreichung des Endziels fortgesetzt werden sollen. Dieselben erstrecken sich vorläufig ausschliesslich auf das Äußere der Bauten und haben, nachdem das Holsten- und Burgtor gerettet sind, sowohl die Erneuerung einzelner Teile an den Hauptkirchen, wie vor allem die Wiederherstellung der Rathausfassaden ins Auge gefasst.

 

Es ist gewiss erfreulich, dass der Sinn für derartige Arbeiten vorhanden ist, und dass in der verhältnismäßig nicht eben reichen Stadt die hierzu erforderlichen Geldmittel flüssig gemacht werden können, ebenso ist durchaus nicht zu verkennen, dass bei Erneuerung der alten Teile mit liebevoller Pietät und Sorgfalt darauf gesehen wird, dass die alten Formen treu und streng gewahrt werden; es könnte in letzter Beziehung vielleicht sogar nicht schaden, wenn die mit Ausnahme der Turmfassaden durchweg unfertigen, einer einheitlichen und organischen architektonischen Durchbildung entbehrenden Kirchen unter der Hand eines zu solchen Aufgaben befähigten Künstlers einer Restauration unterworfen würden, die sich etwas weiter gehende Ziele steckte. Was wir hingegen rügen müssen und gegen was wir im Interesse Lübecks einen warnenden Mahnruf erheben wollen, ehe es zu spät ist, das ist die geringe Sorgfalt oder das geringe Verständnis, mit welchem die Technik der gegenwärtigen Restaurationsarbeiten gehandhabt zu werden scheint.

 

Fallen schon bei den Kirchen die einer Erneuerung unterlegenen Teile durch ihren modernen Charakter auf, der sich in der aus glatten, gleichmäßigen und gleichfarbigen Ziegeln mit engen Fugen ausgeführten Verblendung im vollen Gegensatz zu den alten Teilen des Mauerwerks ausspricht, so wird man durch den Eindruck, den der am Markte liegende Westgiebel vom Südbau des Rathauses nach seiner neuerdings vollendeten Restauration macht, geradezu erschreckt. Bekanntlich ist diese Seite des Rathauses durchweg mit dunkel glasierten Steinen verblendet, die an der Giebelfassade noch in tieferen Tönen erscheinen, als über den Arkaden des Verbindungsbaues, die jedoch in sattem Braun- und Grünschwarz und belebt durch das helle Muster der breiten vollen Fugen immerhin noch durchaus nicht der Farbe und einer gewissen Wärme des Tones entbehrten. War eine Erneuerung dieser Glasuren erforderlich, so lag es nahe die alte Technik beizubehalten, in den Tönen jedoch womöglich etwas heller zu gehen und sich die Farbe jener Arkadenwand, die aus einer einfachen Braunsteinglasur auf dunkelrotem Stein zu bestehen scheint, zum Muster zu nehmen. Statt dessen hat man die neue Verblendung mit völlig gleichfarbigen Steinen im dunkelsten Blauschwarz und mit engen, dunkel gefärbten Fugen ausgeführt, so dass der Verfasser für den gegenwärtigen Zustand dieses Fassadenteils kein anderes Bild findet, als die Vorstellung, derselbe sei mit schwarzer Wichse blank geputzt worden, wenn nicht der Unterschied zwischen einer soeben gepflückten, mit dem duftigen Hauch natürlicher Frische versehenen Pflaume und einer solchen, die durch verschiedene jugendliche Hände und Taschen gewandert ist, noch treuer den Abstand zwischen Vormals und Jetzt angibt. Natürlich ist damit ein nicht unwesentlicher Teil des poetischen Reizes, welchen der alte Bau in so hohem Grade besaß und der wahrlich nicht allein in seiner originellen Form begründet ist, unwiederbringlich verwischt. Es ist ein solches Verfahren um so unerklärlicher, als an den beiden Toren, wo allerdings anscheinend keine so großen zusammenhängenden Flächen neu verblendet worden sind, Ähnliches nicht auffällt; eine für jeden Kunst- und Altertumsfreund traurige Aussicht wäre es jedoch, wenn sämtlichen übrigen alten Bauten Lübecks ein gleiches Schicksal bevorstände.

 

Doch zurück von dieser Abschweifung, die hoffentlich eine Antwort und Aufklärung hervorrufen wird, zu unserem Berichte, der nunmehr desto kürzer sich fassen kann. Nach Besichtigung der Monumente und nach einem Spaziergange längs der Teiche, welche die Ostseite der Stadt umgürten, vereinigte zunächst ein Mittagsmahl in den Räumen des Tivoli-Theaters die Berliner und Lübecker Fachgenossen. Ein Besuch der neuen (in der Ztschr. f. Bauw. publizierten) Stadt-Wasserkunst gab sodann noch Gelegenheit, auch ein modernes, allerdings vorzugsweise technisch interessantes Werk kennen zu lernen. Der Rest des Tages, leider nur ein verhältnismäßig kleiner Rest, war ausschließlich dem Vergnügen gewidmet. In einer langen Wagenreihe wurde zunächst eine genussreiche Umfahrt auf der Höhe der alten Festungswälle veranstaltet, die in herrliche Promenaden verwandelt einen nicht hoch genug anzuschlagenden Schmuck der Stadt bilden; am Holstentore, das in der durch einige Gewitterwolken gefärbten Beleuchtung des Abendhimmels in einer durch Glanzlinien flüssigen Goldes belebten Pracht erschien und dessen glückliche Rettung vor drohendem Untergange in der Tat den gerechten Stolz der Lübecker Kunstfreunde bilden darf, wurde ausgestiegen, um als würdigen Abschluss des Ganzen, die Räume des Ratskellers aufzusuchen. Unter den Klängen fröhlicher Musik, behaglichem Weingenuss und dem Austausch herzlicher Wechselrede, in der noch einmal Gruß und Dank, Abschied und Gegeneinladung sich zusammendrängten, verrann die kurze Zeit, welche diesem Teile des Programms vergönnt werden konnte, noch um so schneller. Im festlichen Zuge, Wirte und Gäste Arm in Arm und unter Vortritt der Musik, wurde mit Nichtbeachtung der solchem Unterfangen drohenden Polizeistrafe schließlich der Gang nach dem Bahnhofe angetreten.

 

Einen wesentlich veränderten Schauplatz, dessen Charakter zu dem der vorher besuchten Städte, namentlich zu dem Lübecks, einen Gegensatz bildet, wie er kaum starker gedacht werden kann, betrat die Reisegesellschaft zum Schlusse ihres Ausflugs in Hamburg.

 

Es ist etwas Eigenes um das Leben und Treiben eines Welthandelsplatzes von diesem Range, des bedeutendsten bekanntlich auf dem europäischen Kontinente, das einen jeden Fremden, und nicht in letzter Linie den Fachgenossen, auch bei wiederholtem Besuche fesselt und anzieht. Das unruhige Wogen und Fluten des Verkehrs, das Hasten und Drängen nach Erfolg und Gewinn, das Rechnen und Wägen, unter dessen Einfluss fast jede Berufsarbeit den Charakter des Geschäfts annehmen muss: sie sind einer stillen Pflege der Wissenschaft, der sinnigen Arbeit des Künstlers verhältnismäßig allerdings nicht allzu günstig und die Erinnerungen der Vergangenheit, an denen Lübeck so reich ist, haben sich vor den gebieterischen Forderungen der Gegenwart hier nur in geringem Maße zu behaupten vermocht. Aber andererseits liegt doch etwas Gewaltiges und Großartiges in dieser rastlosen Tätigkeit und die stolzen Erscheinungen, die sie in ununterbrochener Folge ins Leben ruft, werden stets zur Bewunderung und Anerkennung herausfordern. Gilt dies zunächst von der Technik, der unter solchen Verhältnissen ein Feld sich bietet, auf dem sie in glänzendster Weise sich entfalten konnte, und tritt ihr gegenüber die Kunst in die zweite Stelle zurück, so ermangelt doch diese ebensowenig der Aufgaben, und mit herzlicher Freude muss es anerkannt werden, dass unter ihren Vertretern sich auch Männer finden, die wider die Ungunst der Strömung für eine ideale Auffassung derselben, für ihr Recht gegen die Laune und Mode kämpfen.

 

Bei einer solchen Fülle von Aufgaben und bei einer so regen Bautätigkeit ist die Zahl der Architekten und Ingenieure Hamburgs selbstverständlich eine sehr bedeutende und keinem der Leser wird es unbekannt sein, dass unter denselben ein „Architektonischer Verein“ besteht, der in voller Blüte sich befindet und seinen Leistungen nach Anspruch auf eine der ersten Stellen in Deutschland erheben darf. Seine Beziehungen zu unserm Berliner Vereine sind trotz der erbitterten Fehde, die sich um das Normalziegel-Format zwischen ihnen entsponnen hat und die noch immer des Vergleiches harrt, die freundlichsten und besten und werden hoffentlich noch engere und nähere werden; denn in der Tat sind kaum zwei andere fachgenossenschaftliche Vereine Deutschlands so darauf angewiesen in den wichtigsten und entscheidensten Fragen Hand in Hand mit einander zu arbeiten, als diejenigen der beiden größten Städte des Reiches. Es war daher auch hier eine einfache Konsequenz der Verhältnisse, dass der Architektonische Verein um die in Hamburg geradezu unentbehrliche Leitung und Führung der Berliner Reisegesellschaft ersucht worden war und diese Fürsorge in freundlichster Weise übernommen hatte. Die wertvolle und im hohen Grade erwünschte Gabe, mit welchem er seine Gäste begrüßte, bestand in einem eigens für diesen Zweck gefertigten, in 3 Farben gedruckten Plane von Hamburg und seiner Umgebung, in welchem die neuesten baulichen Veränderungen und Schöpfungen, mit besonderer Berücksichtigung derjenigen, welchen ein Besuch bevorstand, Aufnahme gefunden hatten.

 

Das Programm für die Exkursionen, welche am Morgen des 29. August unter Teilnahme einer großen, während des Tags in ihrer Zusammensetzung vielfach wechselnden Zahl der Hamburger Fachgenossen begannen, war mit bewunderungswürdiger Berücksichtigung der Verhältnisse aufgestellt worden. Denn da vorauszusehen war, dass nicht wenige der Besucher, einem höheren Zwange folgend, nur einen Tag auf den Aufenthalt in Hamburg würden verwenden können, da ferner die geringe Gesamtzahl und die Rücksicht auf die Bedeutung der Reise als einer Vereinsreise eine Teilung der Gesellschaft nach ihren Spezial - Interessen für diesen Tag nicht wünschenswert machte, so war unseren freundlichen Führern die schwierige Aufgabe geworden, in den Rahmen eines einzigen Tages und in die Reihenfolge einer zusammenhängenden Wanderung eine möglichst große Zahl von Sehenswürdigkeiten zusammenzudrängen, die in ihrer Gesamtheit vorzugsweise sich eigneten ein Bild der Stadt und ihrer Umgebung, ein Bild ihres Handels und Wandels, ein Bild endlich von dem Umfange und den charakteristischen Eigentümlichkeiten ihres technischen und architektonischen Schaffens zu geben. Sie haben diese Aufgabe in einer Weise gelöst, für welche ihre Gäste, denen der Eindruck dieses Bildes dauerndes Besitztum bleiben wird, ihnen nicht dankbar genug sein können.

 

Das Haus der Patriotischen Gesellschaft, in welchem der Architektonische Verein nicht allein ein höchst behagliches Versammlungslokal, sondern zugleich Anteil an einer Kneipe besitzt, um welche wir ihn billig beneiden dürfen, gab einen passenden Ausgangspunkt ab; für die rechtzeitig erschienenen Reisegefährten fand sich während der Sammelzeit erwünschte Gelegenheit, unter der Führung Ortskundiger die nächstliegenden Stadtviertel zu durchstreifen und sich an den malerischen Bildern des alten Hamburg, welche dieselben in so reicher Zahl gewähren, zu erfreuen. Die zu voller Zahl angewachsene Gesellschaft besuchte sodann zunächst die Brandstwieten, ehemals eine schmale Passage, die als eine Hauptlebensader des Verkehrs vom Hafen nach der Oberstadt, welcher namentlich nach der Eröffnung des Venlo-Hamburger Bahnhofes eine immense Bedeutung bevorsteht, neuerdings zu ansehnlicher Breite erweitert ist. Es hat dieses Unternehmen zu einer Anzahl bemerkenswerter Neubauten Veranlassung gegeben, unter welchen eine von F. Andr. Meyer ausgeführte Fleetbrücke, vor Allem aber eine Häusergruppe interessant ist, bei welcher vier verschiedene Hamburger Architekten, die Hrn. Hallier, Hauers, Hugo Stammann und Stuhlmann ihre Kräfte neben einander an Aufgaben gemessen haben, die sowohl nach der Bestimmung und nach dem Maßstabe der Gebäude, wie nach der Technik ihrer Ausführung (im Backsteinrohbau) parallel sind und daher eine bequeme Gelegenheit zu Vergleichen bieten; den Preis unter denselben muss wohl Jeder dem von Hauers erbauten Eckhause zuerkennen, das die für eine deutsche Handelsstadt historische Kombination von Wohnhaus und Speicher in neuer und anziehender Weise gelöst hat.

 

Doch der dem Verfasser zugemessene Raum erlaubt es leider nicht, auf Details einzugehen. So sei denn in aller Kürze referiert, dass zunächst das Obertor der neuen Brooktorschleuse, alsdann die Drehbrücke des Venloer Bahnhofes besehen wurden, welche beide zu Ehren der Gäste und zu glänzender Erprobung ihres leichten Ganges in Bewegung gesetzt wurden. Am Ufer des künftigen Magdeburger Hafens wurde die Fundierung des Quais, welche nach der vom Wasserbaudirektor Dalmann angegebenen, nun schon seit Jahren erprobten und bewährten Methode durch Senkung viereckiger Brunnen erfolgt, sodann das im Rohbau fast vollendete Empfangsgebäude des Bahnhofes, eine im Maasstabe und der Disposition den neuen Berliner Bauten derselben Art verwandte Anlage, besichtigt. Nach einer Wanderung über das der Elbe abgerungene Terrain des Außenbahnhofes — eine Leistung, deren Bedeutung man erst würdigt, wenn man die neugeschaffene Situation mit einem älteren Plane vergleicht, bildete endlich der Besuch der Brücke über die Norderelbe den instruktivsten und effektvollsten Abschluss dieses ersten Teils der Exkursionen, instruktiv namentlich auch dadurch, dass die drei Hauptfelder der Brücke drei verschiedene Baustadien zeigten, da eines derselben vollendet, bei dem zweiten die Eisenkonstruktion, bei dem dritten das hölzerne Hilfsgerüst in Aufstellung begriffen war. Zu einem Urteile über den konstruktiven Wert des Brücken-Systems, das hier durch den Regierungs- und Baurat Lohse, den Schöpfer der zuletzt genannten großartigen Anlagen, zur Anwendung gebracht ist und unseres Wissens von manchen Seiten angegriffen wird, ist der Verfasser nicht kompetent; um ein Urtheil über die ästhetische Wirkung der Brücke in der Landschaft zu gewinnen, worauf ja neuerdings in erfreulicher Weise ein immer größerer Wert gelegt wird, ist die Bauausführung noch nicht weit genug vorgeschritten. Wenn dieselbe in dieser Beziehung das berühmte Meisterwerk Lohses, die Koblenzer Rheinbrücke, auch wohl nicht erreichen kann, so ist indessen wohl nicht zu bezweifeln, dass sie derjenigen anderer Systeme weitaus überlegen sein wird.

 

Für den zweiten Teil der Exkursionen, welcher die Gäste in die volle Mitte des für Hamburg in erster Linie charakteristischen und für den Binnenländer interessanten Strom- und Hafenlebens führen sollte, lag unterhalb der Elbbrücke ein Dampfer bereit, dem die Gesellschaft nunmehr durch volle 5 Stunden sich anvertraute und dessen Benutzung allein es ermöglichte, so Vieles und verhältnismäßig mit so geringen Anstrengungen zu sehen. Das erste Ziel der Fahrt war der durch die Dalmann'sche Publikation in der Z. f. Bws. und zahlreiche frühere Berichte wohl jedem Techniker bekannt gewordene Sandtorhafen, dessen Einrichtungen allerdings wie nichts Anderes geeignet sind, die Großartigkeit des Hamburger Hafenverkehrs und die Vollendung der Hilfsmittel, welche demselben gegenwärtig Seitens der Technik geboten werden, zu zeigen. Am Sandtorquai, der seit mehren Jahren vollendeten Stadtseite des Hafens, dessen Stromseite (der Kaiserquai) noch im Bau begriffen ist, wurde ausgestiegen und der Quaibetrieb, den die eleganten Dampfkrähne zu einem anscheinenden Spielwerk machen, in Augenschein genommen. Dann ging die Fahrt vom Unterhaupt der Broocktorschleuse nach dem gegenüberliegenden Elbufer zum kleinen Grasbrook, wo die Godefroy'sche Reiherstieg-Schiffswerft mit ihrem Riesenkrahn und das Dry-Dock der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Aktien-Gesellschaft, samt der in demselben gedockten Cimbria, einem der größten und schönsten Boote der Gesellschaft, besehen und bewundert wurden; — letzteres übrigens zufälliger Weise dasselbe Fahrzeug, das auch 1868 den Besuchern der großen Wanderversammlung gastlich seine Räume geöffnet hatte.

 

Wurde die Fülle des bisher Gesehenen und die Anstrengung, die eine auch noch so flüchtige Würdigung desselben in seiner technischen Bedeutung erforderte, schließlich doch wohl etwas ermüdend, so gab die Elbfahrt durch den Niederhafen, die sich demnächst anschloss, eine desto willkommenere Gelegenheit zu ruhiger Erholung. Wie unsere Reisegesellschaft fast in jeder Beziehung vom Glück begünstigt wurde, so wurde ihr es auch hier zu Theil, den Hafen von einer so großen Zahl von Schiffen belebt und daher so glänzend zu sehen, wie dies sonst wohl selten der Fall, bei dem Aufschwünge Hamburgs nach dem letzten Kriege hoffentlich aber nur die Verkündigung einer noch glänzenderen Zukunft ist. An St. Pauli, Altona und den hohen, schönbewaldeten, villenbesäten Nordufern der Elbe vorüber ging die Fahrt bis Blankenese, wo auf der Höhe des Fährhauses eine kurze Rast und der entzückende Blick über die weite Elbniederung genossen wurde, von dort zurück nach St. Pauli.

 

Auf einem anderen Wege, der wiederum andere und charakteristische Teile Hamburgs erschloss, zunächst durch den bei Gelegenheit der Gartenbau-Ausstellung von 1869 im Terrain der alten Umwallung geschaffenen Park, wurde die Gesellschaft noch zu den beiden bedeutendsten Monumentalbauten des neueren Hamburgs, der Scott'schen Nikolaikirche und der Börse geführt, ehe sie an der Glanzstelle des Hamburger Gebiets, am Jungfernstieg auf einem der kleinen Alster-Dampfer sich einschiffte, um nächst einer Kenntnis des arbeitenden und schaffenden Hamburgs auch Kenntnis von den Stätten seiner Müsse und seiner Erholung zu gewinnen. Der Verfasser verzichtet darauf, auf jene beiden Bauten des Näheren einzugehen, obwohl er — um dem Herrn Hauptpastor Hirsch eine verdiente Aufmerksamkeit zu erweisen — das Bekenntnis nicht zurückhalten darf, dass ihm die Nikolaikirche bei aller Tüchtigkeit und Kostbarkeit, noch heut wie schon 1868, doch als ein ziemlich poesieloses aber trotzdem als kein protestantisches Gotteshaus erscheint. Ebenso muss er darauf verzichten der Villenanlagen in Harvestehude, die in dem Typus ihrer Gesamtheit bemerkenswerter sind, als die einzelnen meist ziemlich einfachen Exemplare, spezielle Erwähnung zu tun, oder dem behaglichen Frieden, der an den grünen Ufern des Alsterbeckens regiert, ein begeistertes Loblied zu singen.

 

Der in Bezug auf Schwerin und Hamburg befolgten Praxis getreu darf er auch dem Festessen, das den materiell genussreichen Abend dieses im Übrigen vorzugsweise durch geistigen Gewinn ausgezeichneten Tages bildete, nur wenige 'Worte widmen. Wenn zu berichten ist, wie auch hier herzlich gemeinte und herzlich ausgesprochene Versicherungen des Dankes und der freundschaftlichen Gesinnung ausgetauscht wurden, so ist vielleicht noch anzuführen, dass den Verhältnissen entsprechend hier vor allen Dingen der Boden des Vereinslebens sich geltend machte und es zu entschiedenem Ausdruck kam, dass es Genossen zweier großer verwandter und gleichstrebender Körperschaften waren, die in fröhlicher, anregender Geselligkeit verkehrten. Ein Gegenbesuch der Hamburger in Berlin wurde in erfreuliche, hoffentlich nahe Aussicht gestellt.

 

Es wäre damit der Schluss dieses Reiseberichts gewonnen. Denn was an den beiden nächsten Tagen die in Hamburg verbliebenen Mitglieder des Berliner Vereins auf ihren durch die opferwillige Freundlichkeit der Hamburger Fachgenossen geleiteten Spezial-Exkursionen gesehen und studiert haben — die Architekten besuchten das Abendroth'sche Haus und den Union-Klub am Jungfernstieg, die Villen vor dem Dammtore, die Norderkirche in Altona, die Zollvereins-Niederlage, den Zoologischen Garten, die Kunsthalle u. s. w. — die Ingenieure kehrten noch einmal nach dem Venloer Bahnhof zurück und suchten vor allen Dingen die Wasserkunst in Rothenburgsort auf — das würde an dieser Stelle erzählt doch wohl zu weit führen und den Erlebnissen Einzelner einen Raum gewähren, der vielleicht schon für die vorangegangenen Schilderungen missbraucht ist. Einzelnes und Wichtiges wird besser eine besondere, sachgemäß eingehende Würdigung finden.

 

So bliebe dem Verfasser nur übrig das Resultat des Ganzen zu ziehen. Er will dies nicht sowohl in Bezug auf diese Reise tun, von der er sicherlich im Namen aller seiner Gefährten versichern kann, dass sie in einer seltenen Weise gelungen ist, und für die er nochmals allen denen aus vollem Herzen dankt, die zu diesem Gelingen beigetragen haben: er möchte vielmehr vor allen Dingen den Wert derartiger Ausflüge betont wissen. Den Wert nicht bloß, den sie in ihrem Gewinn für den Einzelnen, als Erholung von den Arbeiten des Berufs, als Anregung und Bildungsmittel besitzen, sondern noch mehr den Werth, den sie als Vereins-Unternehmungen, als Mittel einer Annäherung zwischen den Fachgenossen der einzelnen Städte und Vereine des Vaterlandes beanspruchen dürfen. Auf allen Seiten, bei den Berliner Teilnehmern dieser Reise, wie von den Mitgliedern der Vereine, welchen ihr Besuch galt, ist es aufs Lebhafteste empfunden und vielfach ausgesprochen worden, wie hoch eine derartige persönliche Annäherung anzuschlagen sei, wie sie als eine notwendige Ergänzung und beste Förderung der Bestrebungen, welchen unser demnächst zu gründender Verband dienen soll, betrachtet werden müsse. Und als ein künftig zu erstrebendes Ziel ist es bereits bezeichnet worden, dass ein jeder Verein alljährlich mindestens eine solche Besuchsreise veranstalten, mindestens einen derartigen Besuch empfangen müsse.

 

Gewiss kann man nicht lebhaft genug wünschen, dass dieses Ziel erreicht werden möge. — F. —

 

Aus: Deutsche Bauzeitung. Wochenblatt herausgegeben von Mitgliedern des Architekten-Vereins zu Berlin. Redakteur K. E. O. Fritsch. Berlin, den 7. September 1871