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- Category: Vermischtes
- Published: 19 August 2011
"Die vorhergehenden beiden Abschnitte haben dem Leser die in diesem Jahre 1824 statt gefundenen Ereignisse, welche insbesondere auf das Assekuranz - Fach Bezug haben, vorgeführt, und es ist wenigstens ein Versuch von mir gemacht worden, durch diese Mitteilungen heilsame Resultate zu bewirken. Es gibt aber noch so manche andere Gegenstände, die in jene Andeutungen nicht mit eingeflochten werden konnten, aber doch von nicht geringerer Wichtigkeit sind, so dass ihnen eine Stelle in dieser Schrift wohl eingeräumt werden darf. Es sind dies nämlich die Assekuranz-Kriminal-Vorfälle, welche seit mehreren Jahren, wie an Zahl so an Keckheit und Kunstfertigkeit in den Tatsachen selbst, in so hohem Grade zugenommen haben, dass es tadelhaft sein würde, länger darüber zu schweigen. Nur die lauteste Rüge bleibt noch, als das einzige Mittel, übrig, dieses große Übel, wenn auch nicht ganz zu vertilgen, doch in engere Schranken zurückzuweisen.
Jeder, der nur einigermaßen mit den Handlungs-Verhältnissen bekannt ist, weiß, dass das Assekuranz-Geschäft mit der größten Umsicht betrieben werden sollte, und dass die Vorsicht eine der Haupteigenschaften sei, welche den Assecuradeur auf den Weg des Glückes führen können. Kein anderer Zweig des Handelswesens aber ist größeren Anfeindungen, Überlistungen und Bestrickungen ausgesetzt, als gerade das Assekuranz-Fach; auch ist dieses seit ein paar Jahren von Mehreren vielfach und nicht ohne Erfolg gerügt worden, so dass man hoffen darf, dass, wenn erst die Kunde dieses so bösartig gewordenen Übels weiter verbreitet ist, diese Öffentlichkeit zu einer Verteidigungs-Waffe gegen dasselbe dienen werde. Der Verfasser selbst kann keinen Anstand nehmen, laut zu erklären, dass kriminelle Versicherungen, mit Betrug angefangen, mit Betrug fortgesetzt und vollendet, in unserer Zeit Schrecken erregende und wahrhaft empörende Fortschritte gemacht haben, ja selbst die raffiniertesten Havarie-Groß-Missbräuche weit hinter sich zurück lassen. Wie in Räuberhöhlen, werden jetzt in, übrigens sehr angesehenen und geachteten, Handels-Städten die verruchtesten Pläne geschmiedet, wie man mit Hilfe der Versicherungs- Anstalten in Hamburg, Bremen, Antwerpen und London gleichsam im Galopp zum Fortune gelangen könne. Ist der Assekuranz- Betrüger, er sei nun mit Amt und Würden bekleidet oder nicht, nur erst mit dem Kapitän und den übrigen Konsorten über den Anteil des eigenen Gewinnes einig, so werden Fakturen geschmiedet, die in Qualitäten und Quantitäten mitunter zehnfach den Wert übersteigen, Connoissemente über verladene und nicht verladene Waaren werden unterzeichnet, nach obigen Plätzen zur weitern Verfügung: befördert, unter Aufgabe dieses Assekuranz-Auftrages zwei Dritteile darauf trassiert, und derselbe Gegenstand mehrere Male an verschiedenen, von, einander entfernten Plätzen unter Assekuranz gebrach, so dass statt des wirklichen Wertes von kaum 10.000 Mark vielleicht 100.000 Mark assekuriert werden. Sobald nun das ganze Gewebe der Spitzbüberei gehörig ausgesponnen ist, segelt das zum Opfer auserlesene Schiff ab, sucht etwa in Norwegen wegen Havarie einen Nothafen, und der Super-Cargo, wie der Schiffer, verkaufen dort, was von der Ladung an Wert geladen sein mochte. Steine ersetzen nun die Lücke, und das Schilf segelt wieder aus; aber bald vollendet ein guter Bohrer an der gegenüberliegenden Küste das teuflische Spiel. Das Schiff wird in den Abgrund versenkt, die Mannschaft rettet sich, wie natürlich, mit dem großen Boot, welches man zu diesem menschenfreundlichen Dienst in Norwegen express gekauft hatte, ans Land. Dort wird nun die Verklarung in optima forma fabriziert, beeidigt, gerichtlich attestiert, und dieses wohl ausgestattete Dokument, unter Eskorte eines Schrecken und Mitleid erregenden Berichts und Kondolenz-Briefes, an die Assecuradeure [Versicherer] nach Hamburg, London, Amsterdam u. s. w. befördert. Nun wird der Gegenstand legaliter vom Dispacheur aufgemacht, und dem Assecuradeur zur Bezahlung vorgelegt. Sollte dieser auch Argwohn hegen, oder Verdacht schöpfen, so sind doch die Beweise eines diebischen Unternehmens gemeiniglich mit so vielen Schwierigkeiten verknüpft, dass der Versicherer, der Ruhe und des Friedens halber, die Sache lieber auf ihrem Werte oder Unwerte beruhen lässt, und überall bezahlt. Dies ist der schnelle Weg, auf welchem der Versicherte zum Geld- Erwerb gelangt, der aber noch schneller zum Ruin des Assecuradeurs führt.
Mancher wird bei dieser Schilderung staunen, und sie vielleicht für übertrieben achten, und doch kann man mit Zuversicht behaupten, dass nur die rein faktische Wahrheit mitgeteilt, und von derselben nicht um ein Haar breit abgewichen sei. Mehrere vollständig dokumentierte Fälle der schwierigsten Art haben sich seit Jahren, und besonders Eine ausgezeichnete in dem jetzigen Jahre zugetragen, die nur noch des Siegels in letzter Instanz bedarf, bis sie mit allen dazu gehörigen Beweis-Akten dem handelnden Publikum öffentlich vorgelegt werden kann, welcher Mühe ich mich zu seiner Zeit in einem Anhange zu dieser Schrift mit Vergnügen unterziehen werde.
Dass diese immer häufiger gewordenen Kriminal-Vorfälle seit vielen Jahren stille und laute Klagen erzeugen mussten, ist natürlich, so wie dass man sehnlichst wünschte, dass diesen stets wachsenden Assekuranz-Übeln des Betruges auf irgend eine Weise mit Kraft Einhalt getan würde.
Den Einsichten, dem Mute und der mühsamsten Tätigkeit eines hiesigen Geschäftsmannes im Assekuranz-Fache war es vorbehalten, der bisherigen Passivität bei Versicherungsfällen, in denen krimineller Betrug zu vermuten war, engere Schranken zu ziehen, und dagegen ein System der Nach- und Ausforschung zu befolgen, welches jenen seit so vielen Jahren auf solche Weise erlittenen Verlusten einen hoffentlich abschreckenden Damm entgegensetzen wird. Alle, die sich mit der Handlung beschäftigen, Alle, denen Recht und Billigkeit am Herzen liegt, werden daher mit Freude vernehmen, dass diese Tätigkeit und dieses System einer tätigen Aufmerksamkeit die ersprießlichsten Erfolge im Auslande gehabt habe, und sie werden in den allgemeinen Dank mit einstimmen, welcher jenen Bestrebungen gebührt.
Man wird freilich fragen: Warum ist man von Seiten der Assecuradeure hier und auswärts so fahrlässig gewesen? Warum ist man nicht überall mit den zu Gebote stehenden Waffen aufgetreten, um die gefährlichsten aller Seeräuber schon am Lande aus ihren Schlupfwinkeln aufzujagen und zu bekämpfen?
Die Antwort dürfte nicht schwer zu finden sein. Vorfalle solcher Spitzbübereien bei Assekuranz, als zwei- und dreifache Versicherungen desselben Gegenstandes, — Überschätzung des Wertes, selbst bis aufs Zehnfache, — Wegsetzung und Versenkung der Schiffe, gehörten vormals zu den seltenen Ereignissen. Da nun gerichtliche Beweise in Kriminal - Sachen nicht immer leicht zu bewirken sind, und kostspielige, zeitraubende und oft doch nutzlose Bemühungen veranlassen: so verhielt der Assecuradeur sich lieber passiv, und schaffte in sofern dadurch Nutzen, dass er dem Lichte des Tages entzog, was der gefährlichen Nachahmung halber im Dunkel zu verbleiben, am geratensten sein mochte. Durch Bezahlung auch verdächtiger Gegenstände ward Zeitverlust erspart, und ein trauriges Andenken an obwaltende schmutzige Veruntreuung getilgt; man fand einigen Trost in dem Entschluss, „durch zweckdienliche Maßregeln sich vor solchen Raubvögeln in Zukunft zu hüten.“ So dachten und verfuhren hiesige und auswärtige Assecuradeure aus alten und in neueren Zeiten, und unverändert würde es so geblieben sein, wenn nicht in den jüngst verflossenen Jahren die Zahl der kriminellen Vorfälle bei Versicherungen sich so furchtbar vermehrt, und die Fertigkeit, das Gewebe niederträchtiger Assekuranz-Hintergehungen mit aller Kunst recht auszuspinnen, sich mehr und mehr entwickelt hätte. Kecker und unverhohlner trat man jetzt dem Assecuradeur unter die Augen, das Übel stieg vom Argen zum Ärgeren, mit Zerstörung drohte es dem ganzen Assekuranz-Geschäft, so dass ein wahrer Unmut sich aller Beteiligten bemeisterte. Da belebte die Hoffnung eines günstigen Erfolgs einen der hiesigen Herren Assecuradeure; mit Einsicht und Mut griff er, wie bemerkt, die verpallisadierten Verschanzungen der auswärtigen Assekuranz-Betrüger an, und, so weit die Umstände es haben gestatten wollen, sind bereits die unerwartetsten Erfolge errungen. Nicht genug kann es hierbei mit den Gefühlen des Dankes erkannt werden, wie sowohl der Hochweise Senat unsere Freistaates, als auch die auswärtigen Hochpreislichen Königlich Preussische, Königlich Dänische, Königlich Schwedische und Großherzoglich Mecklenburgische Regierungen die Wünsche und Bemühungen der Hamburgischen Assecuradeure in einer höchst gerechten Sache auf alle nur mögliche Weise unterstützt, und so zum Wohl eines wichtigen Zweiges des Deutschen Handels-Betriebes beigetragen haben.
So erblickt der Assecuradeur wieder eine frohe Aussicht; denn die Erfolge jener diebischen Assekuranzen werden für die Zukunft nicht mehr so siegreich sich erhalten, da sie mit zu vielen persönlichen Gefahren verknüpft sind, als dass man diesem Raub-System nicht lieber entsagen, und den freilich mühevolleren Weg des rechtlichen Betriebes mit innerer Gemütsruhe zum Fortkommen einschlagen sollte."
Chronik des Hamburger See-Assekuranz-Geschäftes im Jahre 1824 von L. D. W. Tonnies, Mit-Direktor und Bevollmächtigtem der Versicherungs-Gesellschaft von 1823.