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Doch ein vergangnes Übel, sagt man, ist nur ein Traum und wir wollen unsern Blick auf die Aussicht besserer Tage richten, wozu uns der Friede auf dem festen Lande die erste Hoffnung gab. Das tiefgebeugte deutsche Vaterland, an dem alle Furien dieses höchstverderblichen Krieges ihre Wut gezeigt hatten, erhob nun wieder nach einem so langen Hinsterben sein sonst so mächtiges Haupt; allein es sah, daß dieser Friede noch gar nicht hinlänglich war, alle Übel zu entfernen, so lange die Meere von umherschweifenden Räubern bedeckt waren, die unter jedem nichtigen Vorwande die Handlung der Neutralen störten, welche zu seiner Erholung so wesentlich nötig war: die ungeheueren Assekuranzen dauerten fort; die Spekulation des Kornwuchers erhielt sich in seinem Unwesen; die Vorräche blieben aufgehäuft liegen, weil die Spekulation ihre ganze Hoffnung wegen Fortsetzung dieses Krieges auf das fester bestimmte England richtete und der in Armut schmachtende große Haufe konnte der ungeheueren Preise wegen kaum so viel erwerben, als hinreichend war, sein kummervolles Leben zu fristen.

Da erscholl über die Meere die heilvolle Botschaft des allgemeinen Friedens. Die Spekulation des Kornwuchers wurde bis in ihr Innerstes erschüttert. Man las die Hoffnung besserer Zeiten auf jedem Gesicht. Wirklich rechtfertigte der Erfolg auch diese frohen Erwartungen. Als man an der Gewissheit der zwischen Frankreich und England abgeschlossenen Konvention nicht Mehr zweifeln konnte, fiel (und wird aller Wahrscheinlichkeit nach, in kurzem noch weit mehr fallen) der Getreidepreis zusehends, den nichts als die Fortdauer des Krieges bisher so hoch erhalten hatte, da aus allen Ländern von Europa die glücklichsten Nachrichten von gesegneten Ernten eingelaufen waren und das fruchtbare Amerika bei Menschengedenken keine reichere Getreideernte gehabt haben soll. Man rechnete daher allgemein auf wohlfeileres Brot — aber vergebens! Unser Hamburger Publikum ist seit der großen Teuerung der Willkür der Bäcker in dieser Hinsicht überlassen, da während derselben die Polizei ermüdete, den von schädlichen Wucher Beseelten Taxen zu setzen, die mit dem Getreidepreis in richtigem Verhältnis stehen. Von diesem Zeitpunkte an hielt sich der gewinnsüchtige, (ich spreche nur von diesem, nicht von den bessern dieser Zunft,) Bäcker von jeder Verbindlichkeit losgesprochen, die er der Billigkeit und guten Ordnung schuldig ist. Man darf aber mit Recht von unserer weisen Regierung hoffen, sie werde die Grundsätze solcher Menschen leiten, die bloß von der Sucht sich zu bereichern, geleitet werden, die selten Gefühl für die Not des Nächsten äußern und fähig sind, eine ganze Volksmasse bis zur Verzweiflung und daher zu den fürchterlichsten Ausschweifungen zu verleiten, wovon Paris und London die traurigsten Beispiele liefern.*)

*) Foulon, ehemaliger Generalproviantkommissair der französischen Armee während des siebenjährigen Krieges, erpresste ungeheure Summen von dem mit Krieg überzogenen Deutschland; er kam mit großen Schätzen bereichert zurück nach Frankreich. Allein anstatt dankbar gegen sein Vaterland zu handeln, welches ihn zu diesen Reichtümern verhalf, kehrte er die nämlichen Waffen, durch die er Deutschland geplündert hatte, nun gegen Frankreich. Jetzt war es ihm möglich, durch ein ungeheures Vermögen einen allgemeinen Fruchtaufkauf zu veranstalten, den er auch so meisterhaft bewerkstelligte, dass er eine allgemeine Hungersnot in Paris voraussehen konnte, die die Schatzkammer dieses Krösus ungeheuer füllen musste. Zu dieser Zeit, sagt man, habe ein weiser Patriot seines Vaterlandes, dem das Murren des Volks über die projektierte Teuerung bereits zu Ohren gekommen war, ihm bei einem schwelgerischen Gastmahle mit aller Freimütigkeit die Worte Solons zugerufen: Nemo ante mortem felix! (Niemand darf sagen ich sterbe glücklich) Beim Ausbruch der Revolution im Jahr 1789, als das zu sehr gedrückte Volk mit Erstürmung der Bastille die Fesseln des Sklavenzustandes abwarf, fiel es unaufhaltsam auch über den drei Zentner schweren Kornwucherer Foulon her, schleppte ihn unter den schrecklichsten Verwünschungen als den ersten Missetäter, des Verbrechens gegen die Nation angeklagt, an den Laternenpfahl, wo es augenblicklich Standrecht über ihn hielt. Hier wurde der wohlgemästete, gewissenlose, gegen Gott und die Menschheit verschworne Verräter zum Strange verurteilt und dieses Urteil an ihm auf der Stelle vollzogen. Der Strang, der ihn erdrosseln sollte, brach: „Gnade!“ riefen einige weiche Herzen. „Keine Gnade!“ entgegnete donnernd der empörte Haufe. — Der Strang, der ihn erdrosseln sollte, brach zum zweiten Mal. „Erbarmen! Erbarmen für den Elenden!“, schrieen abermals mehrere Stimmen voll göttlichen Mitleids, das für den anerkannten Verbrecher wie für den unschuldig Leidenden in Tränen schwimmt. „Und wenn der Strang noch zehnmal bricht, raste der in Gährung gebrachte Pöbel wütend, so soll der mehr als schändliche Bösewicht dennoch sterben, weil er sich gegen unser Leben verschwor!“ — Hierauf wurde der Kornwucherer Foulon zum dritten Mal den Laternenpfahl hinangezogen, an dem der nichtswürdige Egoist fürchterliche entstellt seinen nur von niedrigen Eigennutz erfüllten Geist von sich röchelte, der stets eine Geißel für die Menschheit war. — Man erinnre sich hierbei des tumultvollen Gedränges vor den Bäckerladen zu Paris und London, wo man dieser Menschenklasse zu viel Willkür gelassen hatte, die aber in der Folge ein Gegenstand der Polizei wurde, weil sie mit dem ersten Bedürfnis des Menschen Brot ihr Geschäft treibt. Hängt nicht oft von dem Missbrauch einer solchen Willkür nur allzu schnell die Störung der öffentlichen Ruhe ab?

Was soll man nun aber zu dem Betragen unsrer Bäcker bei dem abermaligen beträchtlichen Fallen der Getreidepreise sagen? Sind sie durch die ihnen zur Zeit der Teuerung gelassne Freiheit nicht im Besitz eines unbedingten Rechtes, den mühsamen Erwerb der arbeitenden Menge widerrechtlich an sich reißen zu dürfen? Werden sie von Privatpersonen deshalb zur Rede gesetzt, so würdigen sie (ich mache den patriotisch denkenden Bäcker immer zur Ausnahme) entweder dieselben gar keiner Antwort oder nehmen zu jenem unter ihnen seit undenklichen Zeiten schon verabredeten und bekannten Handwerkskunstgriff ihre Zuflucht, der folgendermaßen lautet: wir haben noch eine zu große Menge teuer eingekaufter Vorräte liegen, die müssen wir erst verbacken, eher ist an größeres Brot nicht zu denken.

Mit einem solchen Gewaltspruch sieht man sich dann abgefertigt. Doch Geduld! unsre einsichtsvollen, menschenfreundlichen Vorsteher des Staats, die so oft die Erwartungen, die man von ihnen hegte, edel rechtfertigten, werden, mit ihren bessern Einsichten bei dem allgemeinen Frieden (denn inter arma silent leges) das Ansehen dieses Gesetzes wieder herstellen und dadurch beweisen, dass sie über das Wohl ihrer Mitbürger väterlich wachen und die Polizei unsers wohlgeordneten Staates wird gegen jenen verhassten menschenfeindlichen Handwerkskunstgriff verordnen:

Dass auf ein so nichtiges Vorgeben, als teuer angekaufter Getreidevorräte gar nicht zu achten sei, indem nicht Vorsorge zur Erhaltung wohlfeiler Brotpreise bei dergleichen Vorratseinkäufen zum Grunde liege, sondern dadurch bloß das Privatinteresse befördert werden möchte. Evident einleuchtend sei dieses Letztere, weil bei dem mindesten Steigen der Getreidepreise ein ehrsames Bäckergewerk sogleich um Erhöhung der Brottaxen angehalten habe; mithin wären dergleichen Spekulationen, als Einkauf des Getreides bei wohlfeilern Zeiten nicht in Rücksicht auf das Beste des Publikums geschehen, also sei auch bei einem schnellen Fallen der Getreidepreise das Publikum durch kein Privatinteresse zu beschweren.

Dem gegen eine solche Verordnung Handelnden, müsste nicht allein alles zu leicht wiegende Brot durch die Polizei weggenommen werden, sondern derselbe müsste auch überdies in eine Geldstrafe verfallen, wovon der Denunziant ein Drittteil, der Fiskus ein Drittteil und die Armenanstalt ein Drittteil erhielte.

Was ist der Getreidevorräte einkaufende Bäcker anders als spekulierender Kaufmann? Gelingt seine Spekulation, so gewinnt er; misslingt sie, so verliert er. Viele ansehnliche Handlungshäuser verlieren bei allzu gewagten Spekulationen oft ihr ganzes Vermögen und ziehen durch ihren Fall auch noch schuldlose Freunde, die ihnen ihr Zutrauen schenkten, mit in ihren Ruin. Was kann ein solches Haus in vorliegendem Falle anders tun, als sich die gerechtesten Vorwürfe machen, dass es der Sucht sich zu bereichern allzu großes Gehör verlieh? Es darf aber darum keine Taxen auf das gesamte Publikum legen, zu welchem Verfahren sich indes der gewinnsüchtige Bäcker durch ein altes von unsern Vorfahren aus politischer Blindheit übersehenes Herkommen berechtigt glaubt und mit frecher Stirn die Ausübung dieses verhassten Scheinrechts an seinen ärmern Mitbürgern verrichtet; denn der Wohlhabende bemerkt kaum mit dem besten Herzen an seiner mit ausgesuchten Speisen besetzten Tafel diesen Raub, indes der fleißige Arbeiter, Vater einer zahlreichen Familie, mit besagtem ersten Bedürfnis des Menschen Brot den Hunger von seinen Kleinen mit aller Anstrengung nicht abzuwehren im Stande ist, weil sein Verdienst dazu nicht hinreichen will.

Der allgemeine Friede führt ein allgemeines Fallen aller übrigen Waren und Handwerksprodukte herbei; dieses Fallen erstreckt sich bis auf die niedrigen Klassen der Arbeiter; der gewinnsüchtige Bäcker bleibt auf seinem hartherzigen Eigensinn stehen, den er, wie gesagt, alten Herkommens gemäß (das auf unsere Zeiten, wie viel andere Fälle, gar nicht mehr anwendbar ist) als Gesetz betrachtet und der große Haufe muss also, anstatt sich der wohltätigen Segnungen des allgemeinen Friedens zu erfreuen, vielmehr über denselben, des üblen Einflusses wegen, den er auf ihn hat, seufzen.

Ihr weisen Väter des Staates! in deren Brust echtes Gefühl für die Not eures Nächsten wohnt, die ihr die Mittel zur Hilfe in euren Händen trägt, euch ist es vorbehalten, diesem Übel zu steuern! und diese edle Bemühung wird ein segnender Dankblick der leidenden Menge euch lohnen.