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Allein dem ist nicht so; es herrscht in Hamburg wissenschaftlicher und Kunstsinn. Der reiche Hamburger fühlt ein gewisses Bedürfnis nach geistiger Unterhaltung, wie er das Bedürfnis nach einem Whistspiele empfindet, den Robber zu einem Dukaten gerechnet. Er ist nicht nur über Hamburg hinaus gekommen, er hat so ziemlich Deutschland, England und Frankreich gesehen, oft auch ein Stück der neuen Welt, und da er sozial ist, so hat er sich dort, wenigstens zum Desert, wenn die Geschäfte beendet waren, um die Literatur bekümmert. In dem gesellschaftlichen Leben Hamburgs ist geistige Bildung vorherrschend. Man kann den soliden Kunstsinn der Hamburger schon daraus entnehmen, dass sie lange Zeit an die Einfachheit der Schröder'schen Schule im Schauspielhause hielten. Schröder entzückte, bezauberte sie; sie waren stolz auf ihn. Aber nicht blos Schröder fand in Hamburg wahrhafte Anerkennung; jeder Künstler — es sei in welchem Fache es wolle — wird sich daselbst heimisch fühlen. Mit warmer, weltbürgerlicher Hingebung feiert ihn der Hamburger, mit eben so vielem Entusiasmus, wie mit Einsicht. Beispiele würden hier überflüssig sein; die Sache ist notorisch. Seitdem die Hamburger Bühne von ihrem hohen Standpunkte herabgestiegen ist und sich der Mode akkommodirt hat, findet man nun freilich keine Auswahl im Repertoire mehr, aber der gebildete Hamburger wird sich nie von Frau Birch-Pfeiffer angezogen fühlen. Indes, als Goethes „Faust“ in die Szene gesetzt wurde, konnte man zur Genüge den Sinn der Hamburger für höhere Poesie und die Würde der Bühne erkennen. In welcher der freien Städte würde ein Schauspieldirektor, ein Mann ohne Kamille, Schwiegervater eines Senators geworden sein? Schmidt hat es, wie schon früher bemerkt wurde, in Hamburg dahin gebracht. Ein Beweis, wie sehr man hier dem Künstler auch die Achtung im bürgerlichen Leben zollt. Das Alles gilt aber nur von dem zivilisierten Hamburger, der in jeder Hinsicht von dem großen Publikum zu trennen ist, von dem oft feinen Pöbel der Pavillons, der nicht weniger, wie der Bremer, auf sein Bürgerrecht stolz ist und mit dem Worte „Borger“ dasselbe Gewicht verbindet, was jener. In dieser Hinsicht widerspreche ich mir nicht, wenn ich in der „Einleitung“ behauptete, dem eigentlichen Hamburger gehe sein materielles Hamburg über Alles. Er zeigt Einem jene Rohheit, die dem in viele Teile zersplitterten Deutschen so eigentümlich ist, der sich selten über sein Territorium zu Deutschland erhebt. Eine geistige Richtung des Volks, wie in Paris und London, wo wenigstens die Masse sich der Journalistik hingibt, wird man in Hamburg vergebens suchen. Hier existiert nur jene tote, ganz materielle Menge, die, im Schweiße ihres Angesichts, ihr tägliches Brod verdient. Ein Umstand, der unangenehm auf den ruhigen Beobachter einwirkt, der aber nicht in Deutschland zu heben sein wird, so lange dem Volke nicht geistige Interessen an die Hand gegeben werden, sondern dasselbe lediglich für den Lebenserwerb abgerichtet wird.