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Herr V. Hess in seiner Beschreibung von Hamburg *) will den Namen Twiete von dem lateinischen tuitio, ein Schirmdach, herleiten. Dann aber würde dieser Name, welcher doch rein niedersächsisch ist, allgemeiner in Deutschland sein, da es solcher engen Zugänge in der Nähe der Kirchen überall gibt. Ich wage es nicht, eine andere Etymologie dieser Benennung zu geben. Es scheint mir aber der Begriff des Engen, der Zusammenpressung darin zu liegen und das Tw die Wurzel zu sein **).

*) Th. 1.S. 160. fgg. 2. Aufl.
**) S. Fulda germaniche Wurzelwörter. S. 257


Gänge sind, wie von Hess sie beschreibt, Schlupfgässchen, worin Leute von geringer Handtierung wohnen, vorzüglich im Michaeliskirchspiel. Ihrer sind sehr oft viele neben und aneinander gereiht, und sie dienen gleichfalls sehr zur Abkürzung der Wege. Der Name schreibt sich noch von den Zeiten vor dem Anbau der Neustadt her, wo die Anwohner der Stadt, den Unebenheiten des Bodens auszuweichen, sich, wie überall, eigene Gänge machten. Beim Anwuchs der Bevölkerung wurden diese allmählig mit kleinen Wohnungen für Handwerker bebauet und gewissermaßen Vorstädte, bis sie endlich mit Beibehaltung des Namens, der Stadt einverleibt wurden. Daher der Rademacher-, Bäcker-, Amidammacher gang u. a. m.

Merkwürdig und selbst interessant ist das große Labyrint von solchen Gängen in der Neustadt, welches auf dem alten Steinwege anfängt und seine Ausgänge an mehr als fünf verschiedenen Stellen hat. Dieses Viereck entält mehr Einwohner als manche deutsche Residenz. Viele Hamburger kennen diesen Teil ihres Wohnorts nicht, und wer nicht durch sein Gewerbe oder durch Amtsverpflichtungen, als Arzt, Armenpfleger, Geistlicher dahin geführt wird, der weiß nicht, dass hier gleichsam eine Stadt in der andern eingeschachtelt ist. Ein Fremder sollte es indessen nicht versäumen, mit einem kundigen Führer eine Wanderung durch dieses weitläufige Viereck zu tun. Es würde ihm dann begreiflicher werden, wie doch der mäßige Umfang von Hamburg eine so große Menschenmasse fassen kann. Wundern würde er sich, dass in diesen engen, finstern, zum Teil nie von der Sonne erwärmten und erleuchteten, mit vier und fünf Stockwerk hohen Wohnungen bebauten Gassen, nicht beständig ansteckende Krankheiten herrschen. Ein Schauder würde ihn ergreifen, bei dem Gedanken an eine Feuersbrunst, besonders in der Nacht, wo all diese Wohnstellen mit ihren Bewohnern angefüllt sind. Aber er würde sich auch auf eine nicht unangenehme Art getäuscht finden. Er hatte vielleicht erwartet, hier nichts als Armut und Elend anzutreffen und von Bettlern umringt und verfolgt zu werden. Nichts weniger. Freilich ist der Armut und der Not genug in den Dachwohnungen und Nebengängen. Aber in den einigermaßen breiteren Gassen, welche gewöhnlich näher an den Ausgängen liegen, gibt es sehr stattliche Gebäude und bedeutende Zuckersiedereien und Branntweinbrennereien. Manche dieser Häuser haben sogar ganz hübsche Gärtchen. Eine so bedeutende Volksmasse hat ihre täglichen Bedürfnisse, welche aus der Nähe befriedigt werden müssen. Daher fehlt es hier nicht an Bäckern, Fleischern, Krämern und Kleinhändlern aller Art, welche ihren Ort vielleicht mit keinem andern in der Stadt vertauschen würden. Schmutz und Unreinlichkeit sind hier auch lange so groß nicht, als man gewöhnlich glaubt. Die Gassenreinigungspolizei vernachlässigt dieses Quartier keineswegs. Die wohlhabenden Einwohner fühlen selbst das Bedürfnis der Reinlichkeit. Wind und ein tüchtiger in Hamburg nicht seltener Regen tun denn auch das Ihrige.

Schon dieses mindert die Besorgnis vor Entwickelung epidemischer Stoffe. Dazu kommt aber noch, dass das Publikum dieses Viertels sich den größten Teil des Tages außerhalb Hauses befindet. Hier sind nicht, wie in den abgelegenen Gegenden Berlins und anderer großen Fabrikstädte, die Wohnungen solcher Menschen, welche durch ihr Gewerbe an ihr Zimmer und ihren Stuhl gebunden sind, keine Weber, Spinner und dergleichen. Fischhändler, Obsthöker, hausierende Kleinhändler aller Art, Lumpensammler, Krahnträger und Arbeitsleute verlassen mit und vor Anbruch des Tages ihre Häuser, gehen ihrer Nahrung nach, bringen die meinste Zeit im Freien zu, werden abgehärtet und sind für Ansteckung weniger empfänglich. Auch dürfen wir keineswegs die wohltätigen Folgen der Armenanstalt übersehen. Denn es ist nicht nötig tabellisierter Armer zu sein, um ärztliche Hilfe und freie Arzenei zu bekommen, welche denn auch gerne gesucht und angenommen wird. Sollte auch der Missbrauch nicht ganz zu vermeiden sein, so ist es doch ein großer Gewinn für das Ganze, dass bedenkliche Umstände und Vorzeichen nicht lange versteckt bleiben können und dass bei unserer sehr zweckmäßigen Medizinalanstalt es gewiss nicht an kräftigen Maßregeln fehlen würde, dem Übel im Entstehen zu wehren, so weit menschliche Kräfte das vermögen. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts richtete die Pest grade in diesem Quartier die größten Verwüstungen an. Vielleicht wäre das Übel so groß nicht geworden, hätte man es beim ersten Entstehen wahrgenommen und der erste Kranke sogleich seine Zuflucht zu einem Armenarzte nehmen können.

In Absicht der Feuersgefahr lassen sich freilich die Besorgnisse nicht so leicht und so gänzlich heben. Umstände und Zufalle, welche außer aller Berechnung liegen, können auch die vortrefflichsten Löschanstalten vergeblich machen. Es gibt eine Grenze, über welche diese nicht hinaus können. Selbst die Örtlichkeit setzet hier der Hilfe große Schwierigkeiten entgegen. Indessen die Feuersbrünste in dieser Gegend sind, wie die Erfahrung lehrt, doch sehr selten. Sehr begreiflich. Der größte Teil der Einwohner treibt kein feuergefährliches Handwerk; er ist den größten Teil des Tages von Hause abwesend, folglich ist kein Feuer im Hause; nicht sehr wohlhabend, hält er seine Feurung zu Rat. Alles wohnt sich nahe, fast dicht auf einander gepackt, in sehr undichten Gebäuden. Der Rauch und brandige Geruch warnt und zieht den Nachbarn herbei und so mag wohl manches Feuer in seiner ersten Entstehung gedämpft sein, ohne alle fremde Hilfe. In sehr gefährlichen Fällen kann man jedoch durch die Gärten der Neustraße in dieses Viereck eindringen und der Verbreitung des furchtbaren Elements wehren, welches vor einigen Jahren der Fall war, als bei einem Schreiner ein Brand entstand. Dennoch sollte die Anlegung von Branntweinbrennereien nicht so unbedingt in diesem Quartier erlaubt sein. Wer kann für den Zufall stehen, oder für die Wachsamkeit seiner Arbeiter haften? Auch macht nicht das Gebäude selbst, sondern der Inhalt, große Vorräte von geistigen Getränken, die Gefahr so groß.

Höfe sind Meine Gäßchen ohne Durchgang, eigentlich die mit kleinen Wohnungen bebaueten Hofplätze der ander Gasse stehenden Häuser, daher sie auch mit diesen ein Ganzes, oder nach Hamburgischem Sprachgebrauche, ein Erbe, d. h. ein ganzes Grundstück ausmachen und nie abgesondert verkauft werden. Sie haben einen überbauten Eingang von der Gasse her und sind gewöhnlich stark, oft von zwanzig bis dreißig Familien bewohnt.