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- Category: Stadt & Leute
- Published: 13 March 2011
Sie war sittig, gebildet, und — sittlich. Man huldigte ihr, man drängte sich zu dem Büffet, wo sie in eigener Person das Amt eines weiblichen Ganymed verwaltete, man überhäufte sie mit Zuvorkommenheit und Auszeichnung; ja selbst der Herzog Karl von Braunschweig zog ihretwegen Eimsbüttel Hamburg vor, und verweilte ganze Tage in ihrem Gasthause, hier dejeunierend, dinierend, soupierend. Marianne war liebenswürdig , aufmerksam, wie es einer schmucken Wirtin gegen ihre Gäste zustand, indes mit jener Zurückhaltung und Bestimmteit, die Achtung einflößt und jede Zudringlichkeit abhält. Sie schien sogar, ohne indifferent zu sein, kein Auge für Männer zu haben; und doch, wenn man ihr in das Antlitz sah, das sich stets mehr zu Tränen, als zum Lächeln neigte und zur Genüge bewies, wie wenigen Anteil sie eigentlich an dem Geschäfte nahm, sondern dasselbe vielmehr in mechanischer Einförmigkeit betrieb, man konnte nicht umhin, auf den Gedanken zu kommen, die Liebe sei nicht spurlos an diesem Mädchen vorübergegangen, es sei Resignation, und Selbstbeherrschung, dass sie sich mit aller Grazie, mit allem Savoir faire einer Gastwirtin, so zuvorkommend, wie gleichgültig, hinter dem Büffetttisch bewege. In der Tat, man mochte Recht haben zu jener Vermutung. Marianne litt nicht an unglücklicher Liebe, die so häufig in den Novellen vorkommt und nirgends im Leben; denn die Liebe ist nie unglücklich. Ja es ist nichts unsinniger, als unglückliche Liebe. Das hat uns Kleist in seinem „Käthchen von Heilbronn“ veranschaulicht. Wetter von Strahl greift nach der Peitsche, allein die Liebe des Mädchens von Heilbronn wird über diese Peitsche nicht unglücklich, sie legt sich auf dem steinigen Boden, vor der Burgtür, unter dem Hollunder-Busche, schlafen und träumt von sich selbst.
Marianne war eine glücklich Liebende, wie jenes Käthchen, aber sie liebte - ein Bild, die Phantasie irgend eines beredten Malers, der ihr lange Zeit, ohne Hoffnung der Erhörung, gehuldigt hatte, ja ohne dass sie seine Huldigung bemerkt hatte. Er war von Hamburg geschieden, hatte ihr geschrieben, ohne seinen Namen zu nennen, hatte ihr jenes Gemälde übersandt, welches das Brustbild eines Jünglings vorstellte, dessen Angesicht sie im Leben nicht gesehen. Er schrieb ihr, es soll ein Zeichen seiner Verehrung sein, ein Beweis seiner Kunst, die er, neben ihr, einzig und allein auf dieser Welt liebe. Das Bild war ein veni, vide vici für Mariannen. Sie lebte mit unendlicher Liebe in diesem Bilde, welches die Götter nie und nimmer beleben zu wollen schienen, in diesem Bilde, ohne welches sie kein Glück auf Erden kannte. Ob jener Maler sich mit diesem Bilde an Mariannen hatte rächen wollen? Ich weiß es nicht. Aber seinen Zweck hatte er bis hahin in solchen Falle nich erreicht; denn die Liebende kannte keinen Wunsch, den jenes nicht erfüllt hätte. Sehnsüchtig lächelnd blickte es sie von Morgen bis zum Abend an; sie fand sich im Anschauen des Bildes beglückt, wie sich jene Jungfrau Jules Janin's im Anschauen der Sonne beglückt fand, jene Jungfrau, die erst von einer Sonnenfinsternis den Tod hatte. Nachts zündete Marianne zwei Wachskerzen auf dem Tische an, über welchem das Gemälde hing. Sie wollte zu keiner Zeit den Anblick des Geliebten entbehren. Alles das war seltsam, aber wahr. Es gibt eine rein ideelle Liebe, ein buntes Reich der Imagination und Phantasie. Marianne war klüger, als Pygmalion, sie hat nie um Fleisch und Blut jenes Bildes, das ihr so ganz untertan war, das ihr Keiner streitig machte, das sie nie zur Eifersucht reizte; ihr bangte vor dem Leben des Bildes; nie könnte sie ohne Grauen daran denken, dasselbe sei mehr, als Phantasie.
Plötzlich, an einem lauen Sommerabend, nachdem alle Gäste heimgekehrt, verlangten mehre Stimmen Einlass in das Gartentor. Es wurde geöffnet. Ein Wagen hielt vor der Pforte, und Diener waren beschäftigt, eine im Mantel gehüllte männliche Gestalt aus demselben zu heben, die — wie es schien — auf den Tod verwundet war. Eine Dame, die in einem von einem Diener geleiteten Kabriolet dem Wagen gefolgt war, bat um ein Asyl für den tötlich Verwundeten. In ängstlicher Hast räumte die gefällige Wirtin demselben ihr Schlafzimmer ein. Er wurde auf das Bett Mariannens gelegt, dem Bilde gegenüber. Marianne trat hinzu, hilfreiche Hand zu leisten, da die unbekannte Dame, (wie es schien die Gemahlin des Unglücklichen), im Nebenzimmer in Ohnmacht lag.
Er schlug die Augen auf, Marianne bebte mit einem Schrei des Entsetzens, elektrisch von seinem starren Blick berührt, zurück. Sie erkannte in jenem Verwundeten das Original ihres Bildes. Ihr Verstand erklärte ihr das Übrige; sie musste sich eilends zurückziehen und die weitere Verpflegung ihren Dienern und denen des, allem Anscheine nach, Sterbenden überlassen, welchen ein zu gleicher Zeit mitgekommener Wundarzt assistierte.
Am Morgen darauf erfuhr sie, die sich bis dahin, in ihrem Zimmer eingeschlossen, von allen weiteren Vergnügen fern gehalten hatte, folgendes: Der Verwundete, ein neapolitanischer Edelmann, war gegen Morgen verschieden. Ein junger Maler hatte ihm, ohnweit Eimsbüttel, im Pistolen-Duell die tödtliche Wunde beigebracht, die seinem Leben ein Ende machte. Die Sekundanten, bekannt mit der Orts - Gelegenheit, hatten den Verwundeten in Mariannens Behausung geleiten lassen; seine Gattin war hierher aus der Stadt geeilt, nachdem sie inzwischen von dem Duelle Kunde erhalten hatte. Er war in ihren Armen verschieden.
Marianne eilte atemlos in ihr Schlafzimmer. Die Leiche war von der trostlosen Gattin bereits in die Stadt geschafft; alle Fremden hatten sich entfernt. „Ein Traum? ein Traum!“ Das waren die einzigen Worte, die die schöne Wirtin hervorbringen konnte. Sie suchte das Bild. Es war verschwunden, und die Kerzen standen ganz herabgebrannt, erloschen auf dem Tische.
Keine Nachforschungen nach dem Bilde führten zu einem weiteren Resultat. Die Dame, die in jener Nacht mit dem Unglücklichen zu Mariannens Wohnung gekommen war, hatte ihren Weg sofort an dem Morgen nach dem Ereignisse nach Italien fortgesetzt. Die Leiche wurde auf dem Begräbnisplatz vor dem Dammtore in Hamburg der Erde übergeben. Die Wittwe des Getöteten hatte dazu die nötigen Gelder hinterlassen. Von dieser, wie von dem Mörder wurde nie etwas Weiteres lautbar. Nur so viel vernahm man, dass der Letztere der Bruder jener Dame, der Schwager des Getöteten und derselbe Maler gewesen sei, der Mariannen das Gemälde übersandt hatte, welches sie zu so mächtiger Liebe entflammte.
Ob Marianne noch glücklich liebte? O gewiss. Sie hatte ein Bild geliebt, und dieses Bild lebte in ihrer Phantasie fort. Das Leben dieses Bildes hatte ihre Liebe, die, wie jede Liebe, eine Egoistin war, nie gewünscht. Ihr Wunsch war erfüllt worden. Sie hatte nichts eingebüßt durch dieses blutige Ereignis, als Leinwand, Farben und einen goldnen Nahmen. Ich sah die schöne Wirtin häufig in dem Büffet ihres Gasthauses; sie hatte nicht einmal an Schönheit verloren und stand der Wirtschaft, nach wie vor, mit demselben Eifer vor. Es mochte süß für sie sein, zu wissen, dass der Gegenstand ihrer Liebe nie und nimmer einer Anderen mehr zufallen könne. Diese Gewissheit mochte sie für die entzogene Wirklichkeit entschädigen. Das Ideelle blieb ihr und stellte sie gegen jede Versuchung sicher. Marianne soll den Herzog Karl von Braunschweig nicht erhört haben, so wenig wie irgend einen Anderen.