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- Category: Kultur
- Published: 13 March 2011
Mittags, wenn das holländische Glockenspiel der Kirchtürme über die ganze Stadt ertönt, wenn die Börsenhalle das wechselnde Bild der Flut und Ebbe bildet, wenn sich Alles regt und drängt in der winkeligen Straße, die jenes weltberühmte Hoßtrup'sche Institut umschließt und man gewissermaßen auf dem Zenit des Hamburger Volksverkehrs steht, im hellen blanken Sonnenschein, und wie ich das voraussetze, müßig, höchstens beobachtend, so wird man, die bunte Häuserreihe musternd, gar bald jenes Haus gewahren, das weder von dorischen, noch koryntischen Säulen getragen wird, auch nicht mit Basreliefs geschmückt ist, sondern mit Büchern vor den Fenstern, mit schönen glänzenden Büchern, die, mit ihren goldenen Namen, in Reihe und Glied gestellt, den Beschauer anziehen. Es ist die Buchhandlung von Hoffmann und Campe. Heine und Börne, die nur in dieser Form sich Deutschland präsentieren dürfen, bilden unter den mancherlei englischen, spanischen, französischen und deutschen Romanciers und Klassikern die beiden Tragiker, die ihr eigenes Leid dichteten, in dem sie den großartigsten Stoff, das Leid der Welt, besangen, der Erstere spielend, auf dem Sopha liegend, unter Lyrik und Langweile, Politik und Pantheismus, der Zweite auf dem schwarzen, nachtumflossenenTotenrosseVerzweiflung nach Paris reitend, und dort ohne Ruhe umherschweifend durch die Gassen und Boulevards, die Gerichtshöfe und Deputaten-Kammern, die deutschen Zeitungen u. s. w.; bis er sich am Ende am Schreibtische einigermaßen sammelt und jene Briefe schreibt, die außer dem Hamburger „Freischützen“ halb Deutschland in die Schranken riefen. Heine und Börne stehen zur Zeit noch vor den Fenstern des Herrn Campe ruhig und einträchtig neben einander, friedlich schauen sie auf die Gasse hernieder, auf das Leben, das sie wenig zu kümmern scheint, wenn Börne in Paris bereits einen scharfen Schuss gegen Heine getan hat, den Schuss eines ergrimmten Feindes, und wenn Herr Professor O. L. B. Wolf, der Heine in Paris sprach, bereits erklärte, Heine habe ihm aufgetragen, Deutschland zu benachrichtigen, dass er, (Heine,) Börne desavouire. In der Tat hat sich denn auch Herr O. L. B. Wolf rücksichtlich dieses Auftrags in dem „Phönix“ bereits Luft gemacht, und Herr Wolf bemerkt noch dazu, dass es eine Ehre sei, von Börne getadelt zu werden. Dergleichen Exklamationen, wie sie etwa ein Schauspieler, dem der Theater-Referent in irgend einem Blatte für Geist und Magen übel mitgespielt hat, die Welt hören lassen würde, werden nun freilich wenig dazu dienen, die gute Meinung, die man hie und da von Börne gefasst hat, zu vernichten. Aber das Missverhältnis zwischen den beiden poetisch-publizistischen Elementen der heutigen Literatur, welches Börne selbst in dem „Reformateur“ offenkundig gemacht hat, gibt der Gegenpartie Stoff zu Deutungen — Meinungen — Hoffnungen. Sie sieht es gern, dass Heine und Börne die Lanzen gegeneinander gekehrt haben, dass der erste Ritt bereits gewagt ist; sie kann nun von der Hauptsache zu Nebendingen übergehen und sich der Schadenfreude, beim Kampfe dieser feindlichen Brüder, überlassen, der nur zu sehr auf Vernichtung zielen wird. Börne hat Alles an Heine angegriffen, seine politische Gesinnung nicht nur, sondern auch seine moralische, sein positives Wissen und sein Urteil. Er will ihn verderben. Heine aber ist eitel und übermütig; er sagt, ich will nichts von Börne wissen. Die Gegner aber meinen, Börne habe nicht Unrecht gegen Heine; und wiederum, sie haben Recht, wenn sie Börne für den unverträglichsten Menschen erklärt haben, für lauter Leidenschaft und Gereizteit, die des eigenen Fleisches und Blutes nicht schone. Der Unbefangene aber wird eingestehen müssen, dass Börnes Einseitigkeit das Kind mit dem Bade ausschütte.
Ich kaun es nicht glauben, dass Heines Anstreben gegen die sozialen Zustände und die sogenannten guten Sitten eine bloße frivole Spielerei ist. Wer kann das auch darin wahrnehmen? Wer mag das nach dem Allem glauben, was Heine dem Publikum geboten hat? Ein frommes, stilles, reines Gemüt, das bei dem Gedanken an eine deutsche Nachtigall, jenseits des Rheins, in die traurigste Stimmung gerät, das sich so gern in alte Erinnerungen vertieft, das sich oft nicht einmal Vorurteilen entringen kann, weil es einen kindlichen Glauben bewahrt, wie sollte dcrs nur dazu kommen, sich auf einmal aller dieser Wesentlichkeiten zu entäußern und aus bloßer Affektation gegen Dinge zu Feld zu ziehen, über die es nicht im Klaren ist?
In Heine ist nicht so viel Widerspruch, als man hie und da glaubt. Es wäre ungerecht, ihn der moralischen Gleichgültigkeit zu zeihen. Er fürchtet nur die Folge einer Kugel, die, einmal abgeschossen, nicht mehr zu lenken ist; er meint, die Frage der Freiheit sei, ohne Berücksichtigung der sozialen und moralischen Verhältnisse unserer Zeit, unmöglich zu erörtern, man dürfe nicht stets auf ein Ziel schießen, man habe nicht einen Feind, sondern mehre zu bekämpfen. Die Berichtigung von nur einer aus dem Zusammenhange gerissenen Idee sei unheilbringend. Kam nicht Semele in den Flammen um, weil sie ihren Liebhaber, den Jupiter tonans in seiner ganzen Herrlichkeit sehen wollte? Was würde aus der Zivilisation werden, wenn die Politik und der Fürstenhass allein die Völker beschäftigten? Was würde aus dem deutschen Volke werden, wenn es der einen unerheblichen Frage Kunst, Literatur, Poesie, das Jahrhundert aufopferte? Was hätte es von einer Republik, ohne geistige Organisation? Würde dieselbe nicht der Donnergott des deutschen Volks werden, in dessen Flammen es umkäme, wie jene Jovisvermählte, als ihr Geliebter, wie ein deus ex machina, zu ihr kam. Uns der Gotteit näher bringen, ohne uns in den Stand zu setzen, ihren Glanz zu ertragen, heißt, uns der Vernichtung Preis geben. Man diskutiere über die sozialen Zustände; sie liegen uns zunächst; aus ihnen werden weitere Resultate hervorgehen. Ich will nicht mit Gutzkow behaupten, Heine sei ein Prometeus, denn es ist heut zu Tage leichter, den Göttern zu fluchen als den Menschen. Wegen seines Pantheismus ist Heine nicht an Paris geschmiedet worden. Ich glaube nicht einmal, dass ihm jener von Jupiter gesandte Geyer an der Leber frisst. Heine hat zu jugendliches leichtes Blut dazu. Aber Heine ist auch kein Epimetheus, wie ihm Börne vorwirft. Pandorens Büchse hat er nicht geöffnet, Vernunft und Torheit kämpfen nicht in seinen Schriften. Er behandelt Dinge, die man ernster nehmen sollte, zu leicht. Das ist seine eigentliche Schwache. Er ennuyirt sich in dieser langweiligen Welt nicht weniger, als er an ihr leidet. Er will sich amüsieren, sich und die Welt heilen. Deshalb jene überweiche Zarteit und wilde Kraft, jene Tiefe und jener Leichtsinn, jene Lyrik und jene Handlung in seinen Schriften; deshalb jene Satyre gegen einen eingebildeten Gott und die Philister.
Mangel an Treue hat man Heine vorgeworfen, und Börne unterstützt diesen Vorwurf. Ich meine, dieser Vorwurf rührt daher, weil Heine eine ewige Beweglichkeit, eine Rapidität bekundet, die den Anschein erhält, als interessiere ihn nichts absonderlich, als benutze er Alles nur als Folie seines Genius, als liege ihm kein eigentliches Ziel vor, weder ein ideelles, noch ein reelles. Aber wer möchte dieses Alles für mehr als Schein nehmen? Heine hat sich nicht aus der Welt exiliert, wie Börne, er lebt in ihren Genüssen, in den Pariser Salons, in der Mode, den Ereignissen des Tages, über welche Dinge Börne längst hinweg ist. Dieser benutzt die Welt nur zu Reflexionen, die sein Tema unterstützen; er durchirrt sie mit dem düsteren Blick eines Verzweifelten, er sieht mehr Gespenster, als Menschen; er liebt die Menschheit und hasst die Menschen. Das Leben übt keinen Einfluss aus auf ihn; eine deutsche Nachtigall würde ihn mit Grimm erfüllen, obwohl sein Herz sonst ganz Liebe ist. Heine hat eine Träne für sie. Vielleicht würde er von blondem Haar und blauen Augen gerührt werden und die Welt und die Menschheit über solchen Anblick vergessen. Vielleicht würde Sauerkraut und Schweinefleisch ihn mit wehmütigen Erinnerungen an Deutschland erfüllen. Vielleicht isst er eben jetzt in Paris nur Sauerkraut aus dem Grunde, weil es ein deutsches National-Gericht ist. Behauptet er doch, es nie in Deutschland zuvor gegessen zu haben. Ich glaube, seine Sehnsucht nach dem Vaterlands wird es noch dahin bringen, dass sie ihn rauchen und Bier trinken lehrt. Heine kann selten Jemanden von sich stoßen, wenn er ihn auch bekämpfen muss. Er ist zu kindlich, zu lebensfroh, um mit der Gegenpartei nie ein Glas Wein zu trinken; er ist zu sehr Entusiast, um die Größe des Feindes nicht anzuerkennen. Dem ärgsten Despoten würde er eine Lobrede weihen, fände er in ihm edle, großartige Elemente vereint. Napoleon hat ihn begeistert; Casimir Perier hätte er eingeführt in das Panteon. Das ist aber eine Sache, die ihm Börne nicht verzeihen kann. „Wer nicht wider mich ist, der ist für mich“, heißt's bei ihm. Börne ist auch Partei im sozialen Leben, Heine nur in seinen Schriften. Wenn Heine der Welt anhängt, aus welcher Börne geschieden ist, der nun einmal nur zwei Pole: Hass und Liebe anerkennt; beweiset es denn auch, dass Heine treulos sei? Woran ist er treulos? An der guten Sache? Es ist nur eine Idee in seinen Schriften, die der politischen und sozialen Reformation, also ein reelles und ideelles Ziel. Ist diese Idee bloße Affektation? Dann hätte er ihr nicht Alles das geopfert, was ihm so sehr am Herzen liegt, nicht Deutschland, nicht die deutschen Nachtigallen, die er seit vier Jahren nicht gehört hat. Er muss seinen Brief an Chasles schließen, wie er an diese deutsche Nachtigall denkt; er wird traurig. Ist das Affektation? Heine kann Gott aufgeben, aber nicht die Welt, nicht die Menschheit, nicht Deutschland. Das ist vielleicht Mangel an Treue und Pietät? Ja wohl, so werden es diejenigen taufen, die an das Wort glauben. Heine glaubt an die sittliche Natur des Menschen und meint, Gott werde sich schon finden, wenn jene nur feststehe und der Staat nicht ewig mit ihr in Widerspruch gerate und sie bekämpfe. Was soll der Gott im Staate, wenn in der Menschheit kein Gott ist? Ist die Kirche, als Dienerin des Staats, auch Dienerin Gottes? Dieser Zweifel ist nur zu sehr begründet. Der Gott — wie man ihn uns zeigt, von den Publizisten und den Kirchenvätern, statt von der Natur im Menschen verherrlicht — ist nicht der Gott Heines. Aber er glaubt an den Gott über uns, nie hat er seine pantheistischen Sympatieen verleugnet. Wo ist hier Treulosigkeit?
Dass Heine Börne verleugnet ist eine Ungerechtigkeit. Dass Börne Heine mit schwerer Anklage belastet ist eine Einseitigkeit. Börne wird, ist er zum Ziele gelangt, die sozialen Verhältnisse nicht unberührt lassen; denn er sagt in der Vorrede der Gesamt-Ausgabe seiner Werke: „Wo ich die göttliche Natur nicht fand, da fand ich elende Stümperei.“ Wird er denn in den sozialen Verhältnissen eine göttliche Natur finden, wenn er dem Staat einen äußeren göttlichen Anstrich gegeben hat? Es muss uns betrüben, diese beiden großartigen Elemente unserer Literatur im Kampfe mit einander zu sehen, in einem Kampfe, welcher der guten Sache so wenig fördersam ist, wie er die Finsterlinge in ihrem Streben begünstigt.
Von Heine und Börne, vor den Fenstern des Campeschen Hauses, treten wir in den ringsum mit Büchern besetzten Saal. Hier findet eine seltene Industrie Statt. Alles funkelt und glänzt von schönen Einbänden, wie in einem Galanterie-Laden. Der Bücherhandel, das Sortiments-Geschäft, wird hier en gros getrieben; Engländer kaufen ganze Bibliotheken, Klassiker und Romantiker, Tragiker nnd Lyriker auf Treu und Glauben, in Bausch und Bogen, nach der Elle.
Campe ist unermüdlich in Spekulationen, die das Volk interessieren. Nicht nur Heine und Börne gingen aus seinem Verlage hervor; er ließ auch, zur Zeit des südamerikanischen Befreiungskrieges, die spanische Konstitution in seiner Officin drucken und versandte sie an die deutschen Konsuln nach Mexiko und anderen Städten. Da erkennt man den umsichtigen Buchhändler einer Seestadt. Nicht Leipzig ist sein Konzentrationspunkt; nicht Deutschland, nicht Frankreich, nicht die Julius-Revolution lenken seine Interessen. Sein Geist führt ihn hinaus über den atlantischen Ocean; er unterstützt die Sache der Freiheit durch die Presse in einem Lande, wo man nichts von Buchhändlern und ihren Prozenten weiß. Aber Campe weiß Alles zu benutzen.
Der jetzt verwittweten Gemahlin Don Pedros musste Campe deutsche Lektüre verschaffen. Ganze Ballen literarischer Notabilitäten wurden ihr zugesandt. Sie aber verlangte nur Sachen von Fürst in Nordhausen und von Basse in Quedlinburg; Schiller, Goethe, Uhland, die schwäbischen Lyriker, sie Alle seien nichts für Brasilien. Herr Campe staunte, und ein ganzes Heer von Räubern und Banditen, Vehmrichtern und Pilgern zog ein in Rio-Janeiro, sorgfältig verassecurirt und von den heißesten Segenswünschen Campes begleitet.
Es ist also zwölf Uhr Mittags, und wir befinden uns in der Campe'schen Buchhandlung. Nicht Heine, der blonde, blauäugige, schüchterne Verfasser der Reisebilder, nicht Lewald, nicht Maltitz, der ewig Demonstrierende und den Anschein eines die Pariser Ouvriers haranguirenden Revolutionärs Bietende treten uns hier mehr entgegen. Aber wir bemerken daselbst eine lang aufgeschossene Figur, mit dünnem, blonden Haar, gläsernen Augen, einem nonchalanten, aber doch literarischen Pli, eine Mischung von Student und Professor mit holsteinischem Anstrich. Er reckt die Arme, als stehe er auf der Mensur und sei im Begriff, den Schläger in die Hand zu nehmen, er krämpt den Rockärmel auf, als wolle er an der Tafel, mit Hilfe der Kreide, dozieren. Seine Rede ist kurz und aphoristisch, aber an geistigen Blitzen reich. Wenn er in Eifer gerat,so erhebt er sich zu hinreißender Suada, in ciceronischer Eleganz. Es ist Ludolf Wienbarg. Er unterhält sich mit Alexander Simon junior, dem eingefleischten Allopathen, einem kleinen Mann mit hoher Stirn und starker Nase, der kaustisch und mit vielem Witz die Interessen seiner Schule verteidigt und stets mit klassischen Zitaten bei der Hand ist, die seine Rede spicken. Als die Unterhaltung lebhafter wird, schleicht eine kurze stämmige Person, in schwarzen Überrock, schwarze Weste, schwarze Beinkleider gekleidet, hinter dem Schreibpulte zu den Streitenden heran. Die bedächtig über einander gelegten Hände, das gescheitelte Haar, der Jesuitismus, der auf dem Angesichte thront, lassen uns in ihr nicht einen ehemaligen Husaren aus Lützows wilder, verwegener Jagd erkennen. Wir erblicken Herrn Campe, einen abgesagten Feind aller Homöopathie — wie man sich leicht denken kann — denn er ist der Verleger der Börne'schen Werke, derselbe, welcher, als er der Briefe wegen, vor Gericht stand, so geschickt die Merkzeichen, welche der Richter zwischen die gravierenden Blätter gelegt hatte, auf den Boden zu fallen lassen wusste. Hahnemann, der von Wienbarg verteidigt wird, zieht ihn ins Gespräch. Er schlägt sich auf Simons Seite und spricht kalt, freundlich und abgemessen, anscheinend ohne große Teilnahme. Aber ein Vulkan glühet unter dieser glatten Miene, dieser gescheitelten Freundlichkeit. Denn wir sehen ein brandtweingedunsenes Gesicht in den Saal treten und sich nach Herrn Campe erkundigen. Herr Campe misst die sich ihm vorstellende Gestalt mit der Miene eines Kenners. Sie bittet um privatives Gehör; und Beide begeben sich in einen entfernten Winkel des Zimmers.
Campe. Was ist Ihr Verlangen?
Das Brandtweingesicht. Ich habe ein aritmetisches Werk vollendet.
Campe, (in die Tasche greifend). Wollen Sie eine Mark?
Das Brandtweingesicht. Ich wünschte —
Campe, (schon unruhig und mit Gereizteit). Eine Mark steht zu Diensten.
Das Brandtweingesicht. Ich wünschte, Sie verlegten —
Campe. Herr! Eine Mark. (Sein Gesicht glüht, er ergreift den Fremden beim Arm, lässt ihn aber wieder fahren).
Das Brandtweingesicht. Ich bitte — ich wollte nur — meine Logaritmen — (Sich zurückziehend und die Hand hinhaltend).
Campe. Da! Eine Mark (Er führt den Schriftsteller eilig an die Tür. Dieser verlässt demütig, stets den Rücken sichernd, das Zimmer).
Dieses kleine Intermezzo belustigt die Anwesenden. Herr Campe beschwert sich mit hochrotem Gesicht über die Lumpe, die ihm keine Ruhe lassen. Nach und nach zieht sich der Grimm von seinem Antlitz zurück und er begibt sich wieder an die Arbeit.
Ein Mann von mittlerer Größe tritt in den Saal. Er ist nicht ohne Embonpoint; sein Haar ist blond und gelockt; sein Auge ist sanft und mild, wie der italienische Himmel. Will man die Humanität personifizieren, so muss man ihr dieses Antlitz geben. Gabriel Riesser, der Verfechter des greisen Knechts Israel, konnte von der Natur nicht besser zu dem Kampfe ausgestattet werden, den er so rühmlich fortkämpft. Dieses so ganz und gar germanische Aussehen straft alle diejenigen Lügen, die im Juden den Juden sogleich erkennen wollen, die nie geneigt sind, an den Deutschen im Juden zu glauben. Gott hat ihn zum Vertreter der Freiheit seines Volks erkoren. Er kommt aus der Börsenhalle; denn er ist Redakteur des englischen und französischen Teils der politischen Abendzeitung jenes Instituts. Welch' ein Mann! Ausgezeichnet als Jurist, eine Wissenschaft, die er, als Israelit, in Hamburg nicht ausüben darf, ist ihm nichts auf dem Felde der Literatur fremd. Er spricht mit Wienbarg über Ästetik, Philosophie und Raupach, über Heine und Börne mit aller der Gründlichkeit, die man nur von einem Eingeweihten verlangen kann, und mit einer Ruhe, die von seinem Selbstbewusstsein zeugt. Nicht eine Spur von Anmaßung, lauter Sanftmut und Bescheidenheit, selbst da, wo sich die Unterhaltung auf seine Lieblings-Idee hinzieht, die Leidenschaft seines Lebens, auf die Emanzipation Israels. Ohne Partei - Eifer widerlegt er Wienbarg, der hin und wieder die Nationalität geltend zu machen sucht. Hört man in seinen Schriften eine andere Sprache? Scheinbar, ja! Hier redet er mit Donnerworten gegen Paulus, jene gelehrte Ungerechtigkeit in Heidelberg; er schleudert der Dummheit Blitze ins Antlitz; wir sehen ihn im Harnisch, mit dem Schwert in der Hand, ihr gegenüber. Parteigänger ist er nirgends; denn die Sache der Humanität ist Gottes Sache, bei welcher er nicht einmal das Volk zur Seite hat; die Idee der Juden-Emanzipation ist nie in unsere hochgerühmte Liberalität übergegangen. Die badische Stände-Versammlung hat davon nicht nur den Beweis geliefert; auch Sachsen, Darmstadt, Württemberg können sich nicht zu jener Idee erheben. Kurhessen aber gab ihr aus Prunksucht und deshalb nach, weil in Kassel viele Juden wohnen, die die Stände gewannen, und weil Rotschild einige Ansprüche auf Erkenntlichkeit an das hessische Fürstenhaus zu machen hatte. Die Emanzipation der Juden ist hier nur anscheinend von dem Volke ausgegangen. In der Tat war sie das Werk Einzelner. — Aber Riesser hat auch nicht einmal Israel zur Seite. Man ist stolz auf ihn und ehrt ihn dann und wann durch besondere Auszeichnungen; aber man tritt ihm nicht tätig bei. Die Reichen in Israel sind zu lässig in Betreff der Emanzipation. Sie unterstützen den Juden, aber sie unterstützen nicht die Sache der Freiheit. Hier konnte nur ein Schutz - und Trutzbündnis zu dem einen Zwecke Etwas fördern. Die Interessen des Papierhandels müssten ihm nachgesetzt werden, denn dieser Papierhandel ist das fressende Gift am Herzen Israels.
Bei Campe sah ich auch Dr. Wurm, den früheren Redakteur der „kritischen Blätter der Börsenhalle“ einen unterrichteten, aber gereizten Mann, der, der alten Publizistik von Pütter und Schlözer zugetan, wegen seines Urteils über Börne viel erdulden musste, und am Ende auch von seinen Landsleuten, den Württembergern, desavouirt wurde. Er ist Anglomane im ganzen Sinne des Worts. Hume und Locke sind seine Evangelisten. Als Professor am Gymnasium mochte es ihm, selbst bei dem besten Willen, nicht möglich sein, sein kritisches Urteil mir der Zeit in ein Gleichgewicht zu bringen, ein Umstand, der ihn wohl bewog, von der Veröffentlichung desselben abzustehen.
Amalia Schoppe, Henriette Frese, diese fingerfertigen Schriftstellerinnen, von denen die Erstere sogar in früherer Zeit sich in eine Polemik mit der Hamburger Journalistik einließ, sind gleichfalls in dem Campe'schen Geschäftszimmer zu finden. Wundern wird man sich aber, wenn man daselbst eine Dame, in Begleitung zweier kaum dreizehnjähriger Töchter, eintreten sieht, und diese beiden kleinen Geschöpfe mit seltener Geschwätzigkeit über die Journalistik und den neuesten Messe - Katalog reden hört. Die Dame verlangt nach dem Buche der Rahel, und Herr Campe tritt ihr mit höflicher Verbeugung entgegen, das Verlangte überreichend. Es ist die Frau Doktor Assing, unter dem Namen Rosa Maria als Schriftstellerin bekannt, die Schwester Varnhagens von Ense.
Wer ist denn jener Jude, der sich so angelegentlich nach Heine erkundigt und den ersten Teil seiner „Reisebilder“ verlangt?
Jude. Haben Sie die Reisebilder von dem Musjö Heine?
Campe. Zu dienen.
Jude. Ein schlechtes Buch, ein grundschlechtes Buch!
Campe. Wollen Sie das Buch kaufen?
Jude. Ja! ein schlechtes Buch, ein abscheuliches Buch! Der schändliche Kerl, der Heine! Ich möchte die ganze Auflage von dem Buche kaufen. Was kostet das schlechte Buch?
Campe, (es ihm reichend). Drei Mark.
Jude, (das Buch nehmend und es verächtlich auf den Tisch werfend). Ein gemeines Buch! Ein schmutziges Buch!
Campe. Wollen Sie es kaufen?
Jude. Ja! (Er zieht den Beutel und zahlt). Drei Mark für die Schmiere. (Er nimmt das Buch). Pfui! hat keine Ehre von dem Buche, der Musjö Heine, wahrhaftig! keine Ehre! (Er entfernt sich rasch mit dem Buche).
Wer ist der Jude? fragte ich Herrn Campe. Es ist der schwarze Ungehängte, antwortete dieser. Jetzt wurde mir Alles klar. Wer kennt den schwarzen Ungehängten nicht aus Heines Harzreise, in dem ersten Teil der „Reisebilder“?