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- Category: Kultur
- Published: 22 February 2011
Sie sind prächtige Dokumente unserer Zeit und unserer Kunst geworden. Mit starkem Griff hat sich hier ein Künstler von gesunder Beherztheit den Bezirk untertan gemacht, in dem sich die neue Schönheit des modernen Lebens wie nirgends sonst offenbart. Hier stößt alles aufeinander: rastlose Arbeit, schrille soziale Kontraste, kühner Wagemut des Unternehmertums, das Maschinelle, Technische, Ingenieurhafte der Gegenwart, ihre Hast und ihre Grausamkeit, ihre Gier nach Erfolg und Gold und ihre wilde Lust, die Natur zu zähmen, sich dienstbar zu machen. Und aus all diesen Elementen, die unter der Oberfläche mitwirken, und dem überwältigenden Gewirr von Linien und Farben, von breiten Wassermassen mit tanzenden grünen Wellen, von drohenden Schiffsleibern und schlankem Takelwerk, von finstern Speichern und ragenden Schloten, von Nebel und Wolken, Rauch und Dampf und Dunst und Ruß baut sich eine „Landschaft“ zusammen, wie sie keine frühere Epoche kannte, und wie sie malerisch nur das Zeitalter des Impressionismus bezwingen konnte.
Hier mussten die letzten Reste des Erzählenden fallen. Denn der Eindruck dieses Riesengetriebes ist nur dann wahrhaft erfasst, wenn der ungeheure Organismus, der darin waltet, als ein Ganzes sichtbar gemacht, wenn jedes Stückchen dem Gesamtbilde eingeordnet wird. Wie Kallmorgen das in immer neuer Form verstanden hat, ohne die Sachlichkeit der Einzeldarstellung zu verlieren, wie er mit außerordentlichem Takt die richtige Mitte zwischen bestimmter Detailcharakteristik und souveränem Zusammenfassen hält, wie er Schildern und Malen verbindet, in zahllosen Variationen Dampfer und Segler, Pinassen und Ruderboote, Kutter und Jollen durcheinander schiebt, mit kluger Kompositionskunst seine Flottille über die Wasserfläche verteilt, alles in die graue Hafenatmosphäre badet, Ruhe und Bewegung wechseln lässt, allen Tagesbeleuchtungen und Witterungseinflüssen nachspürt und, bald näher, bald ferner, im Fond den Silhouettenfries der Häuser Hamburgs aufbaut — das ist das feinste und beste Geheimnis seiner Kunst. Gelegentlich zieht Kallmorgen dann hinaus, die Elbe weiter hinab, wo der brausende Lärm des Hafens, das Heulen der Sirenen, das Geratter der Baggermaschinen, das Stampfen und Hämmern der Docks und der Werften am Ufer schweigen. . . . (Die Kunst XXV. Jahrg. 1910, Max Osborn (1870-1946) deutscher Journalist und Schriftsteller)