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Einen Beweis dieser Art gedenke ich aus einer vor fünfzig Jahren in Hamburg gedruckten, und nachher von Königs Erben neu aufgelegten Schrift zu liefern, die den Titel führt:

Die zwölf Testamente der Erzväter *), und noch vor dreißig Jahren ein Schulbuch der hamburgischen Kinderlehrer abgab, aus welchem sie der Jugend in der Fastenzeit besonders Mitleiden gegen den leidenden Jesum und Hass gegen die Juden einzuflößen suchten. Das war in der Tat ein böser Fastnachtsstreich, der noch jetzt eine Rüge verdient, weil die Generation der auf diese Art in Hamburg unterrichteten Jugend noch nicht ausgestorben, und es wahrscheinlich ist, dass dergleichen Grundsätze bei vielen der niedern Volksklasse zu tiefe Wurzel geschlagen haben, als dass sie gänzlich ausgerottet sein sollten. Unterdessen sind die Fortschritte der Aufklärung **), wenigstens der helleren Ideen in Religionssachen, bei dem gemeinen Manne unverkennbar, und nur Obscuranten [Gegenaufklärerische, konservative und antirevolutionäre Publizisten im späten 18. Jahrhundert] können sich über Verfeinerung theologischer Begriffe und verscheuchten Nebel des Aberglaubens beklagen.

*) Diese Schrift ist, glaube ich, unter dem Titel: Der ewige Jude, fast in allen Städten Deutschlands gedruckt, und wird noch jetzt von den Liedertrödlern herumgetragen; ist also in dieser Rücksicht gar nicht so merkwürdig. Der Gebrauch aber, welcher nach des Verfassers Behauptung davon in Hamburg gemacht sein soll, ist desto merkwürdiger.

**) Diese Fortschritte der Aufklärung bei dem gemeinen, d. h. rohen und ungebildeten Manne, er sei übrigens reich oder arm, möchte ich mir wohl einmal beweisen lassen.


Diese in Hamburg frei öffentlich gedruckte Lehre, welche die jüdische Nation den Christen zum Abscheu und zum Schrecken darstellt, und ein Schul- und Erbauungsbuch abgeben sollte *), ist in der Tat so einzig in ihrer Art, dass es der Mühe wert wäre, diese zwölf Testamente kennen zu lernen; wenn es nicht zu weitläufig sein würde, die Weissagungen der Erzväter mit anzuhören, die sie auf ihren Todbetten zurückgelassen haben. Wirklich ist die Erfindung dieser Testamente so jämmerlich geraten, dass ich solche ganz übergehe, und dagegen die Leser mit dem Auszuge des Aufsatzes unterhalten will, der die abscheulichen Plagen erzählt, mit welchen jeder besondre Stamm Israels bis auf den heutigen Tag belegt sein soll. Es verlohnt sich der Mühe, diese Tollheiten nach der Reihe kurz aber wörtlich darzustellen.

*) Ist dies denn wirklich erwiesen? Wenn ein unverständiger hamburgischer Schulhalter seinen Zöglingen erzählt, dass vor 300 Jahren wilde Menschen im Eichholze gewohnt haben; ist dies deswegen eine Behauptung der hamburgischen Geographen?

1.) Die Juden vom Stamm Ruben haben Christum gefangen genommen. — Dafür ruhet der Fluch auf ihnen, dass alles Grüne, was sie anrühren, in drei Tagen vertrocknet; was sie säen und pflanzen, hat kein Gedeihen, und auf ihren Gräbern wächst kein Gras.

2) Die vom Stamm Simeon haben Jesum gekreuzigt, dafür haben sie jährlich vier große Plagen an Händen und Füßen, woraus ihnen Blut rinnt vom Morgen bis auf den Abend.

3) Die vom Stamm Levi haben Christum ins Angesicht gespieen. Zur Strafe können sie bis an den jüngsten Tag nicht über den Bart spucken.

4) Die vom Stamm Juda haben Jesum verraten. Dafür, werden jährlich dreißig hingerichtet um Verräterei willen.

5) Die vom Stamme Sebulon haben über Jesu Rok das Los geworfen, und deshalb müssen sie jährlich den 25sten März Blut speien vom Morgen an bis auf den Abend.

6) Die vom Stamm Isaschar haben Jesum gegeißelt, und dafür bekommen sie jährlich viel hundert Striemen an ihrem, Leibe.

7) Die vom Stamm Dan haben geschrieen: sein Blut komm' über uns, und deshalb fließen monatlich Blutstropfen von ihrem Leibe, welche so lange stinken, bis sie sich durch Christenblut wieder wohlriechend machen.

8) Die vom Stamm Gad haben die Dornenkrone geflochten, und dafür werden sie jährlich mit 15 Wunden an ihren Häuptern bezahlt, aus welchen Blut fließt, vom Morgen an bis auf den Abend.

9) Die vom Stamm Assur haben Jesum geschlagen. Zur Strafe haben alle ihre Nachkommen den rechten Arm um eine Handbreit kürzer als den linken.

10) Die vom Stamm Naphtali haben sich mit Jesu einen leichtfertigen Spaß gemacht, als er von Hannas zum Caiphas geführt wurde. In einem Stall, wo er vorbeigehen musste, hatten sie ihre Kinder gesteckt, die wie natürliche Schweine kreischen mußten. Nun fragten sie: weissage uns, wer ist in dem Stall? Der Heiland antwortete: eure Kinder sind’s. Da sagten die Juden wieder: es ist gelogen, Schweine sind darin. Meinetwegen, sagte Jesus, wenn’s denn Schweine sein sollen, so mögen es Schweine sein und bleiben. Kaum hatte er diese Sentenz gesprochen, so wurden die Kinder augenblicklich Schweine. Diese Leichtfertigkeit zu büßen, haben alle Juden aus diesem Stamme vier ächte Schweinszähne und Ohren wie die Schweine.

11) Die aus dem Stamm Ephraim haben die Nägel zur Kreuzigung geschmiedet. Eine jüdische Dame, Namens Beatria, hat den Rat gegeben, sie recht stumpf zu machen, damit sie mehr Schmerzen verursachten. Aus diesem Grunde haben alle jüdische Damen aus diesem Stamme, wenn sie über 33 Jahre alt sind, des Nachts den Mund voller Würmer.

12) Die aus dem Stamm Benjamin haben Christum mit Galle und Essig getränkt. Nun haben diese zur Strafe beständig Durst und Speichel im Munde, so dass es ihnen heraussprudelt wie Würmer.

Die Nachkommen der übrigen Juden, die sich bei der Kreuzigung nicht haben finden lassen, haben bis diesen Tag so lange Arme, dass ihre Hände und Finger, wenn sie aufgerichtet stehen, bis an die Kniescheibe reichen, zum Unterschied der übrigen gottlosen Juden.

So lautete das christliche Erbauungsbuch, dessen sich ehemals Hamburger Jagendlehrer in der Fastenzeit besonders bei ihrem Unterrichte bedienten, und, dessen man sich zu den Zeiten des finsteren Papsttums würde geschämt haben. Es ist in der Tat bemerkungswert, dass Hamburg in alten Stücken und so auch in der Jugend - Erziehung so schnelle Fortschritte gemacht hat, dass eine solche Schrift, in Hamburg gedruckt und ehemals in Schulen gebräuchlich, jetzt nicht nur ganz vergessen worden, sondern höchst wahrscheinlich von keinem mehr gebilligt, noch viel weniger der fabelhafte Inhalt geglaubt wird, obgleich der Herausgeber dieses skandalösen Buches die Verwegenheit gehabt hat, seinen gottlosen Fabeleien dadurch einen Anstrich von Wahrheit zu geben, und den gemeinen Mann zu blenden, dass er heilig versichert, das Original aller dieser von einem sehr berühmten Arzte gemachten Entdeckung werde noch immer in der vortrefflichen Bibliothek zu Augsburg sehr sorgfältig aufbewahret.

Unterdessen veranlasst mich diese Schrift, besonders, da sie ein ehemaliges Schulbuch der hamburgischen Kinderlehrer war, zu einer Bemerkung, die ich meinen Lesern nicht vorenthalten kann. Es lassen sich aus den Lokal-Religionslehren eines jeden Orts manche Gewohnheiten, Gebräuche und Sitten erklären, wodurch sich eine Stadt von mancher andern unterscheidet; und aus diesen den lieben Hamburgern gemachten fürchterlichen und ekelhaften Gemälden, unter welchen ihnen die Juden sind vorgestellt worden, lässt sich manches begreifen, wovon man sonst schwerlich vernünftige Gründe angeben könnte.

Freien Umgang zwischen gesitteten, der Abstammung nach verschiedenen Nationen, ist sonst an gesitteten Orten Regel und Gebrauch. In sehr vielen, gewiss den meisten Städten Deutschlands findet man diesen Umgang zwischen wohlgezogenen Juden und zwischen Christen, die Erziehung haben. Jeder Fremde kann sich davon überzeugen, wenn er die besten Kaffeehäuser besucht, und dort zwischen Juden und Christen nicht, den mindesten Unterschied antrifft. Nur der niedrigste christliche Pöbel *) nährt noch dort den alten christlichen Abscheu gegen Menschen, die an den Bund Gottes mit Abraham fest halten. Jeder vernünftige Reisende bewundert in Berlin zum Beispiel die treffliche jüdische Kultur, wodurch sich ganze jüdische Familien bis zur edelsten Menschenwürde erheben. Hamburg gibt in diesem Stücke andern Städten Deutschlands nichts nach. Auch hier zeigen sich viele israelitische Abkömmlinge von der achtungswürdigsten Seite durch wissenschaftliche Kenntnisse und feine Sitten. Demohngeachtet findet man sie abgesondert von Christen, und es sind wahrscheinlich noch die Früchte solcher Erbauungsbücher, wie ich hier im Auszuge geliefert habe, dass man auf den altgläubigen Kaffeehäusern in Hamburg die Juden nicht annimmt, und die Töchter Israels in keine christliche Pensions-Anstalten untergebracht werden können.

*) Und der niedrigste jüdische Pöbel, ist der weniger Pöbel als der christliche? Nur die möglichst ausgebildete Vernunft erhebt sich der religiöse und rationelle Vorurteile.

Es ist ja wohl nichts natürlicher, als dass orthodoxe Christen — wenigstens in den Jahren, da solche Bücher noch in Hamburg existierten — sich fürchten mussten, mit Menschen umzugehen, die für ihre Übeltaten mit Blutausflüssen, mit Würmern im Munde und mit Schweinsohren büßen müssen.

Auf der andern Seite konnte man den Hamburger Juden auch nicht verdenken, wenn sie sich scheuten, den orthodoxen Christen sich zu nähern, weil ihnen die ächten Schweinslehren mit Recht anekelten. -

Auf jeden Fall gehört dieser Unsinn zu den Beiträgen der hamburgischen Religionsgeschichte, nicht deswegen, weil er hier gedruckt ist, sondern weil — wie ich schon erinnert habe — er noch vor dreißig und wenigern Jahren zum Religionsunterricht der armen verwahrlosten gemeinen Jugend in hamburgischen Schulen gebraucht wurde *).

*) Ich begreift denn doch aber immer noch nicht, wie die gemeinen Leute (der Ausdruck gemein ist mir in Hamburg höchst widerlich) es haben bewirken können, dass die Juden von den Zirkeln der Vornehmen, d. h. Reichen, noch immer ausgeschlossen werden?


Wahr ist es, Dom und andre Menschenfreunde haben sich in neuern Zeiten zur Ehre der Vernunft bemühe das unselige Vorurteil gegen die Juden, und den Christenhass gegen dieses Volk auszurotten; aber der besser denkende Teil des Publikums ist immer der kleinste, und dem Pöbel sind Doms Schriften unbekannt; folglich ist es sehr erklärbar, dass er an dem hängen bleibt, was er neben der Katechismusmilch mit eingesogen hat, und gewiss ist es ja wohl, dass Menschen, die durch Lügen und Fabeln angeführt werden, den Hass gegen eine Nation fortzuführen, sich selbst im Alter äußerst mühsam von dergleichen ihnen schon in Schulen eingepflanzten Vorurteilen losreißen können.

Erst vor wenigen Jahren wurde, wie bekannt, in Hamburg von zwei gemeinen Weibspersonen eine grausame Mordtat an einem Juden begangen, und - es wäre die Frage gewesen, wenn man sich Mühe gegeben hätte, die Sache näher zu untersuchen — ob nicht der Grund dieses Verbrechens in der Erziehung dieser Mörderinnen gelegen habe? Die Obrigkeit kann freilich nur bestrafen, aber Volkslehrern besonders kommt es zu, die Quellen aufzusuchen, und, wenn es möglich ist, sie zu verstopfen*).

*) Diese Bemerkung des Verfassers ist sehr wahr und richtig, so wie überhaupt sein Aufsatz eine vortreffliche Tendenz hat. Er wird mir meine unzeitigen Bemerkungen, gütigst verzeihen.

Es ist nichts gewisser, als dass der Grund so mancher Bosheiten in dem Religionsunterrichte anzutreffen ist, und der Beweis davon würde nicht schwer zu finden sein, wenn es gewöhnlich wäre, mit Inquisitionen weiter zu gehen, als auf die Tat des Mörders. Vielleicht würde sich’s dann finden, dass mancher Schulmeister eher verdiente, bestraft zu werden, als der durch falsche Religionsbegriffe verwahrloste Übeltäter *).

Was man auch als Gründe angeben will, warum sich in dem Umgange der Christen mit jüdischen Glaubensgenossen in Hamburg noch immer eine Scheidewand befindet, die auch diejenigen Bürger nicht wegzunehmen vermögend sind, die sich mit zu der hellen Klasse zahlen wollen, und so sehr diese Gründe einigen Schein von Wichtigkeit haben, so sind sie doch nicht stark genug, alle Vorwürfe wegzuräumen, die man Hamburgern deshalb zu machen Ursache hat **); denn im Fall auch einige Israeliten durch Pedanterie in Religionsgebräuchen oder durch ihre Sitten selbst sich von christlichen Einwohnern zu weit entfernt halten sollten, so kann doch dieses nicht von allen gelten, und es ist gewiss, dass ein großer Teil jüdischer Kaufleute manchem christlichen Hanse, was Feinheit der Sitten, äußere und innere Bildung betrifft, zum Muster dienen könnte. Diese machen Ausnahme von der Regel, sagen ihre Gegner, und man kann mit Recht die Frage aufwerfen: warum also lassen wir nicht ebenfalls eine Ausnahme statt finden? Ich kann mich von dem Gedanken nicht losmachen, dass die Quelle fast oller Vorurteile in dem fehlerhaften und oft erbärmlichen Jugendunterrichte zu finden ist, weil die frühern Jugendlehren einen zu tiefen Eindruck auf den Menschen machen, um sie im Alter auf die Waagschale der Vernunft zu legen. Geschieht dieses auch zuweilen, so scheinen dem ohngeachtet Vernunftgründe selten so mächtig zu sein, dass diese Schale den Ausschlag bekommt, und gewöhnlich pflegt dem Menschen im Alter von dem noch etwas anzuhängen, was er in der Jugend von seinen Erziehern empfing, daher auch schon bei den Alten das Spruchwort: wie der Gärtner, so die Pflanze, einen besondern Wert hatte.

*) Ihr Bürger Hamburgs! nie ist etwas wahrer und treffender gesagt, und Ihr beharrt dennoch in Eurer Gleichgültigkeit gegen eine reelle Verbesserung der Schulen? Nie sollte eine Obrigkeit ein Todesurteil aussprechen, wenn sie sich bewusst wäre, dass für den Unterricht noch nicht alles geschehen sei.

**) Es ist höchst lächerlich, dass wir Christen die bessern sein wollen, und dies doch nicht durch die Tat zeigen. Der bessere und edlere muss den andern bilden.


Am übelsten ist es mit religiösen Vorurteilen beschaffen, die zu tiefe Wurzel fassen, als dass man solche mit einmal auszurotten vermögend wäre. Was irgend auf Religion oder Religions-Gebräuche auch nur den entferntesten Bezug hat, ist am schwersten umzuwandeln, und selbst in politischen Meinungen sind die Menschen weit nachgiebiger als in Religionssachen.

Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit einer Anekdote, die hier grade am rechten Orte angeführt werden kann, um meine Behauptung zu bestätigen. Es wird gewiss den meisten Lesern lächerlich vorkommen, dass der Verfasser der oben gedachten Schrift von jedem jüdischen Stamme die Verrichtung, die er bei Christi Kreuzigung übernommen, so hergefabelt hat, als ob er selbst dabei gewesen wäre, oder das alles in sichern Urkunden gefunden habe, und doch behauptet man noch heut zu Tage unter dem christlichen Adel ein ähnliches Fabelwerk mit der Zuversicht, als ob es aus der achten Quelle der deutschen Geschichte herrühre. Man sagt nämlich: der Westphälinger Adel oder vielmehr seine Ahnherren wären diejenigen Kriegsknechte gewesen, die die Kreuzigung verrichtet haben, und der ganze christliche Reichsadel, vom Kaiser an, agnoscirt, dass der Stammvater der Dahlbergischen Familie als Hauptmann von der deutschen Legion bei der Exekution auf Golgatha kommandiert hat. Daher der Kaiser, nach hergebrachter Observanz, keinen zum Ritter schlägt, bevor er laut ausgerufen: ist auch kein Dahlberg da? Der Grund ist, weil kein Edelmann in Deutschland seine Ahnen bis auf Golgatha zurückführen kann, folglich der Älteste Adel bei den Dahlbergs befindlich ist *).

*) Der vortreffliche Coadjutor von Dahlberg, der so viele Beweise seines hellen Kopfes und seines edeln Herzens gegeben hat, wir das Alter seines Adels schwerlich auf diese Fabel stützen.

Rechnet man ein solches Vorgeben unter die Märchen, warum wird es noch immer, selbst von den Vornehmsten im deutschen Reiche, beibehalten? Es muss doch wahrlich Mühe kosten, sich von Fabeln loszureißen, und der Aufklärung ein so geringes Opfer zu bringen! —