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*) Eigentlich ist die Kirche den beiden Hauptaposteln Petrus und Paulus geweihet. Allein des letztern wird, wenigstens im gewöhnlichen Sprechen, nicht gedacht. Aus der Lage der Kirche gegen den freien Norden ist das auch in Holstein nicht unbekannte wetterdeutende Sprichwort entstanden: Et klaart up achter St. Peter; d. h. der Norden klart sich auf, das Wetter wird gut. Man gebraucht es auch figürlich, wenn ein Schmollender wieder freundlich zu werden anfängt.

Die Kirche bildet ein längliches Viereck von 225 Fuß Länge und 135 Fuß Breite. Der Turm ist 416 Fuß hoch. Über seine vierspitzigen Giebelzinnen erhebt sich die schlanke, nach sehr richtigen Verhältnissen gebaute Pyramide, welche unstreitig zu den schönsten in Deutschland gehört. In dem Turme ist ein ziemlich vollständiges, in der Ferne besonders sehr harmonisch klingendes Glockenspiel. Es wird täglich Mittags um 12 Uhr, in den Sommermonaten auch in der Frühstunde um 6 Uhr gespielt. Außerdem kann auch ein jeder es, gegen baare Bezahlung, bei Hochzeiten, Begräbnissen und andern Feierlichkeiten ertönen lassen. Ein anderes kleineres, von einem Uhrwerk getriebenes Glockenspiel hängt außerhalb des Turms an der Südseite unter einem Schirmdache und lässt sich alle halbe Stunde mit einem Gesangverse hören, ehe die Stundenzahl geschlagen wird. Oft ist es jedoch schwer, aus diesem Geklingel die Melodie herauszubringen und obendrein eine Geduldprobe, das Ende des Verses abzuwarten, bis man erfährt, wie viel es an der Zeit ist.

Bei Wiederherstellung der Kirche nach der schon erwähnten Verwüstung durch die Franzosen wurde das messingene Gitter mit dem darüber befindlichen Chorlector, welches den Altar von der übrigen Kirche trennte, weggenommen, so dass man nun einen freien Anblick von der Turmtüre auf den Hochaltar hat. Diesen ließ ein hamburgischer Bürger, Johann Hanker, im Jahr 1725 erbauen. Sein Sohn Christian vermachte nachmals der Kirche, zur Erhaltung desselben, ein Kapital von tausend Talern. Das Altargemälde stellte die Einsetzung des Abendmahles vor. 1814 ward es mit einem andern von der Hand unsers rühmlichst bekannten Künstlers, des Herrn Bendixen, vertauscht. Der Gegenstand desselben ist die Zusammenkunft des Apostels Petrus mit dem auferstandenen Erlöser *). Man hat, und wohl nicht mit Unrecht, diesen Auftritt zu einem Altarblatt nicht ganz passend gefunden. Die wenigsten Anschauer möchten doch wohl wissen, was das Gemälde bedeutet und noch weniger die Messiade gelesen haben. Die Einsetzung des heiligen Mahles, das Fußwaschen oder eine Abnahme vom Kreuz scheinen sich mehr für ein Altarblatt zu eignen.

*) Messiade XIV. 385 fgg.

Diese Kirche enthält einige Gemälde, die, wenn ihr Kunstwert auch nicht bedeutend ist, doch einige historische Wichtigkeit für Hamburg haben. Bei dem Taufstein ist die Stadt abgebildet, wie sie sich im Jahr 1250 gestaltete, mit drei Kirchen, zwei Klöstern und dem Hospital St. Jürgen über der Alster. An der Norderwand ist eine andere Abbildung aus dem funfzehnten Jahrhundert mit Saftfarben gemalt und in späteren Zeiten mit Ölfarben nachgeholfen. Die Stadt ist nur ein Teil des sehr großen Gemäldes und zeigt sich im Hintergrunde. Leider aber kann man keine dieser beiden Abbildungen ganz sehen, weil der einen ein Beichtstuhl und der andern eine Kirchenloge und eine Emporkirche *) vorgebaut ist.

*) Diese Emporkirchen nennt man in Hamburg gewöhnlich Lector, wahrscheinlich weil der Kantor oder Schulkollege von denselben in den Vespern das Evangelium und die Epistel ablesen musste. In andern Gegenden nennt man sie Priechen. Sehr wahrscheinlich sind sie erst nach der Reformation entstanden oder allgemein in den protestantischen Kirchen geworden. Bei dem römisch - katolischen Gottesdienste, wo die Predigt, wenigstens damals, Nebensache war, bedurfte man ihrer nicht. Es war Raum genug für die Gläubigen. Aber nach der Reformation war das Schiff der Kirche nicht groß genug, um die Zuhörer zu fassen, oder auch vielleicht zu groß, im in weiter Entfernung den Redner hören zu können. Daher denn wohl diese Art von Aufbau, welcher den Gebäuden selten zur Zierde gereicht.

Viele der alten, durch den Zahn der Zeit zernagten Malereien und Schnitzwerke, von längst ausgestorbenen Familien verehrt, sind mit Recht entfernt worden. An ihre Stellen sind zum Teil andere und bessere aufgestellt; Denkmäler merkwürdiger Ereignisse unserer Zeit und Zeugnisse dankbarer Wertschätzung und öffentlicher Anerkennung ausgezeichneter Verdienste.

Am Abend vor dem heil. Weihnachtsfest 1813, an dem Abend, welcher vorzüglich in Hamburg der Familienfreude gewidmet ist, auf welche Mütter und Kinder, ungewiss, wer am mehrsten, sich lange voraus freuen, ließ Davoust eine sehr beträchtliche Anzahl der unglücklichen Einwohner, welche nicht hinlänglich mit Proviant versehen waren, aufheben, selbst aus den Betten reißen und ohne Unterschied des Alters und Geschlechts und Gesundheitzustandes, wie eine Heerde Vieh in diese öde, kalte Kirche ein- und bei Anbruch des Tages zur Stadt hinaustreiben. Welch ein Christfest! Und welch ein Gottesdienst nach einer solchen Nacht und nach einem solchen, die Menschheit empörenden Auftritte! Ich lebte damals nicht in Hamburg. Aber ich weiß von Augenzeugen, dass jeder Anwesende von dem tiefsten Entsetzen ergriffen und von der innigsten Wehmut durchdrungen war, und dass sich auch keiner der Tränen bei dem Eingangsgebete des Predigers, des jetzigen Herrn Seniors Willerding, erwehren konnte.

Jene Schreckensnacht ist in einem sehr wohl geratenen Gemälde des Herrn Bendixen verewigt. Es hängt an dem vierten südlichen Pfeiler über dem Gestühle des löblichen Amtes der Müller, welches bereitwillig die Kosten zu diesem Denkmal des an heiliger Stätte verübten Gräuels hergegeben hat *). Es hat noch besonders den, freilich für die Nachkommenschaft schwindenden, Reitz der großen Ähnlichkeit mancher Gesichter solcher Personen, welche jene Schreckensperiode glücklich überstanden haben und in ihre Vaterstadt oder in ihren Wohnort zurückgekehrt sind.

*) Über dem Gemälde steht die Jahrszahl 1818, und die Namen der Alterleute und Ladenmeister des Gewerks. H. Böhrs, J. H. Hallier, J. P. H. S chröder und C. H. Schröder. — Unter dem Gemälde die Legende: Zur Zierde der Kirche und zur Erinnerung der unglücklichen Nacht des 24. Dezembers 1813 ist dieses Epitaphium von dem löblichen Amte der Müller, der St. Martens - Brüderschaft, errichtet worden, zur Zeit der obengenannten Alten- und Ladenmeister.

Außer den unglücklichen Opfern jener furchtbaren Nacht wurden allmählig noch Tausende von den unvermögenden Einwohnern Hamburgs vertrieben. Selbst viele von den Hospitaliten des mit unsinniger Eile abgebrannten Krankenhofes, welche bei dem Mangel an hinreichendem Fuhrwerk nicht nach Eppendorf geschafft werden konnten und noch im Stande waren, sich ihrer Füße zu bedienen, wurden ihrem Schicksale an den kurzen Wintertagen, im härtesten Froste, Preis gegeben. Viele davon kamen um. Die Masse wandte sich nach Altona, wo sie menschenfreundlich und liebreich aufgenommen und christlich behandelt wurde. Die löblichen Ortsbehörden trafen zweckmäßige Anstalten, die Unglücklichen unterzubringen, und unterstützten auf eine höchst rühmliche Weise die Anstrengungen der Menschenfreunde, zu retten, zu helfen und zu erquicken. Diejenigen der Ausgetriebenen, welche noch Körperkraft und Hilfsmittel genug besaßen, wandten sich nach Lübeck und Bremen, wo sie gleichfalls Trost und liebreiche Aufnahme fanden. In Altona hatte sich ein Verein von Edlen, sowohl Einwohnern dieser Stadt selbst, als von den freiwillig ausgewanderten wohlhabenden Hamburgern, gebildet, welche für Obdach, Nahrung, Kleidung, Arzenei und Pflege der Kranken sorgten und des Guten viel wirkten. Aber sie vermochten es nicht, die Wut eines furchtbaren Typhus zu besiegen, welcher eine sehr bedeutende Anzahl jener Unglücklichen wegraffte, aber freilich auch ihren Leiden ein Ziel setzte. Aber ach! auch viele jener Edlen wurden das Opfer ihrer Barmherzigkeit. Sie starben den Heldentod der Menschenliebe auf dem wahren Bette der Ehren. Ihrer dreizehn umschließt in Altona, zwei in Bremen, drei in Lübeck und einen in Eppendorf das Grab.

Ihnen zu Ehren und zur dankbaren Anerkennung ihrer großmütigen Hingebung, wurde auf Kosten der Stadtkämmerei in der Petrikirche, in eben dem Gotteshause, wo die Gräuel ihren Anfang genommen hatten, eine schöne eherne, von den Herren Repsold und Helbeling verfertigte Gedächtnistafel aufgehängt und am 25. Dezember 1817, vier Jahre nach jener verhängnisvollen Nacht, bei feierlichem Gottesdienste und mit einer vollständigen Kirchenmusik, eingeweiht. Oben auf der Einfassung der Tafel steht, sehr sinnig gedacht, in einer Glorie ein Kelch, umwunden mit Laubwerk und Dornen; unten das schöne Wort: Matth. 25., 36. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Die Tafel selbst enthält die Namen der Entschlafenen *).

*) Mögen sie auch hier, in diesem unserer Vaterstadt gewidmeten Werke, einen Platz finden. In Altona: J. F. E. Albrecht, Dr. H. C. Bolten, Dr. S. Dehn. G. Demgwolff. J. H. H. Fischer, Dr. Ch. Grübel. H. A. Z. Landes. J. G. Lautensack. H. Mumssen. M. G. Weyer. H. F. Unzer, Dr. H. v. d. Smissen, Dr. Frau Weiss. In Bremen: J. D. Broockmann. J. H. Tiermann. In Eppendorf: F.Carstens. In Lübeck: C. J. Carstens, Dr. J. C. Horning. T. J. Jürgensen.

Erfreulicher sind die Denkmäler dankbarer Verehrung, welche die Kirchenvorsteher vier Jubelgreisen errichtet haben. Nicht leicht wird eine Gemeine sich so vieler und besonders gleichzeitiger Jubilaren rühmen können, als diese. Schon im sechzehnten und siebenzehnten Jahrhundert hatten die Prediger Joh. Schelhammer und Joach. Dassau, jener 55, dieser 50 Jahre, im Amt gestanden. Am Schlusse des vorigen Jahrhunderts 1800 den 11. Febr. feierte der Archidiaconus T. M. Zornickel Dr. seine funfzigjährige Amtsführung, vier Jahre darauf 1804, den 13. März sein Jubiläum als hamburgischer Prediger und legte erst nach vollendeten sechzig Jahren, 1810 im Januar, sein Amt völlig nieder. Bald nach ihm beging der Lehrer der Kirchenschule, C. D. Westphalen seine fünfzigjährige Amtsfeier und verwaltete sein Amt noch dreizehn Jahre, bis zum drei und sechzigsten, mit fast ungeschwächten Kräften. Im Jahre 1822 hätten zwei der petrinischen Geistlichen ihr Jubiläum fast zu gleicher Zeit begehen können. Der jetzige Senior des geistlichen Ministeriums und Pastor zu St. Petri, Herr Dr. Willerding, feierte das Seinige am 1. Oktober 1822. Sein Kollege, Herr Archidiaconus Dr. Behrmann, verschob seine Feier bis 1823 den 2. September, wo er sein fünfzigstes Amtsjahr an derselben Kirche würde vollendet haben, nachdem er nur ein Jahr voher im Auslande Prediger gewesen war, und er hat diesen erwünschten Tag erlebt und feierlich begangen; die Bildnisse dieser Greise sind jetzt eine Zierde der Kirche. Die beiden ersten sind von der Hand des berühmten, jetzt in Eutin lebenden Tischbein, die beiden letzten ein Werk des hiesigen ausgezeichneten Portraitmalers Herrn Gröger. Alle haben das für die Zeitgenossen wichtige Verdienst, sprechende Ähnlichkeit. Aber auch als echte, sehr gelungene Kunstwerke, welche eines Platzes in der ersten Gallerie wert sind, werden sie den späteren Kenner anziehen und befriedigen, wenn die Ähnlichkeit nicht mehr in Betracht kommen kann. Die Orgel ist vortrefflich und hat einen sehr schönen Ton. Eigentlich sind alle Orgeln der hamburgischen Hauptkirchen ausgezeichnete Kunstwerke und durch die Freigebigkeit der Kirchenvorsteher oder Schenkungen und Vermächtnisse von Privatleuten von Zeit zu Zeit verbessert und vergrößert. Der berühmte Vogler hat sich fast auf allen hören lassen und ihren Wert anerkannt und eingestanden. Nach der Reformation, da der Chor- und Messgesang, die Horen und Vespern allmählig aufhörten und an deren Stelle der gemeinschaftliche Gesang der Gemeine trat, wurden die Orgeln für den öffentlichen Gottesdienst viel bedeutender, als sie wohl vorher sein mochten. Daher waren die Orgelbauer jener Zeit nicht bloße Handwerker, sondern wirkliche Mechaniker, und was fast unentbehrlich scheint, zugleich Musikkenner. Die Organisten dagegen waren nicht bloße Orgelspieler, sondern fast immer wissenschaftlich gebildete Männer, welche die Musik studiert hatten und zugleich mit dem Bau und der Zusammensetzung der Orgel vertraut waren. Die Familie der Prätorius hat in mehreren Generationen große Organisten geliefert, deren Schriften noch jetzt gesucht und in Auctionen als Seltenheiten teuer bezahlt werden. Verschiedene derselben haben an der Petrikirche gestanden. — Ausführliche und sehr ins Einzelne eindringende Nachricht von dieser Kirche erteilt eine Schrift, womit ein Enkel des Herrn Dr. Behrmann seinen Großvater beglückwünschte, welche aber als Gelegenheitsschrift nicht in den Buchhandel gekommen ist, betitelt: Versuch einer Geschichte der Kirche St. Petri und Pauli.