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- Category: Geschichte
- Published: 01 March 2011
In demselben Jahre 1377 fassten die Hansestädte zu Lübeck den Beschluss, s. g. Friedenskoggen auszurüsten. Die Kosten sollten durch das Pfundgeld bestritten werden, bekanntlich eine Art von Handelszoll.
Ähnliche Beschlüsse ergingen in den Jahren 1378 und 1380; allein teils waren die Städte selbst nicht einig, teils schützte Margaretha von Norwegen aus Politik — um dem hansischen Handel zu schaden — die Piraten selbst und gewährte ihnen Zufluchtsorte an den dänischen Küsten. Die Schlösser Seelands bargen Raub und Räuber, die dort ihre Orgien feiern mochten.
So begreift man, wie sich die Städte im Jahre 1382 sogar herablassen konnten, mit einigen Hauptleuten der Seeräuber einen Seefrieden auf ein Jahr zu schließen. Es geschah dies auf einer Tagfahrt zu Wismar, auf der von hamburgischer Seite die Ratmannen Christian Militis (Riddere) und Hinrich Ybing erschienen, die auf derselben Reise zu Oldeslo einen Landfrieden abgeschlossen hatten. Die ganze Reise kostete freilich nur 52 M 8 ß: aber das ist nicht wenig für jene Zeiten.
Bemerkenswert ist, dass in dem ebenerwähnten Seefrieden dänische Große für die einzelnen Piratenhäuptlinge bürgten. Die Aufsagebriefe der Städte wollte der dänische Drost Henning von Pudbus in Empfang nehmen.
Der Friede wurde nun wirklich gehalten: erst im Frühling 1383 erschien das Raubvolk wieder auf der See, und hauste, wie besonders die Lübecker klagten, ärger als je. Um Michaelis dieses Jahres versammelten sich nämlich zu Lübeck aufs Neue die Hansestädte. Hamburg schickte drei Bürgermeister in Person dahin. Sie gebrauchten 50 Pfund (62 Mark 8 ß)
Im folgenden Jahre 1384 gingen zu demselben Zwecke zwei Bürgermeister ebendahin; sie verzehrten 41 Pfund 11 ß. Auf diesem Kongresse schlossen sich die preußischen Städte und selbst Dänemark dem Bunde gegen die Piraten an. Lübeck und Stralsund wurden beauftragt, auf Kosten des Bundes 2 große und 2 kleine Schiffe auszurüsten.
Das half schon und forderte dadurch zu noch kräftigeren Maßregeln auf.
Im Jahre 1385 sandte Hamburg die Herren L. Holdenstede, Chrn. Ridder und A. Hoyers zum Hansatage nach Lübeck. Sie blieben dort nicht lange: sie gebrauchten nur 21 Pfund 4 ß, während das Jahr vorher nur zwei Ratssendboten auf derselben Reise 41 Pfund 11 ß verzehrt hatten. Auf dieser Tagefahrt wurde der Hauptmann und nachmalige Bürgermeister von Stralsund, Wulf Wulflam, mit einem Gehalte von 5.000 Mark angestellt, die Seeräuber zu vertilgen. Diese Summe ist sehr groß: allein er musste dafür auch die Schiffe und die Mannschaft unterhalten.
Wulf Wulflam kämpfte nun zwei Jahre lang — die Winterzeit ausgenommen — tüchtig gegen das Raubgesindel; ich sage, zwei Jahre lang, denn auch für das Jahr 1386 nahm ihn die Hansa auf einer Versammlung zu Lübeck in ihre Dienste. Hamburg ward daselbst durch die Ratmannen Chr. Ridder und L. Holdenstede vertreten.
Immer schlimmer erging es den Piraten. Schon beschützte auch König Olav von Dänemark oder vielmehr seine Mutter und Vormünderin, die große Margaretha von Norwegen, die Räuber nicht mehr, wie sonst; sie war jetzt den Hansestädten gewogen. Erschien sie doch im Jahre 1386 selbst in Hamburg. Die beiden Ratmannen Johann und Albert Hoyers holten sie ein, und geleiteten sie nach Stade und Lübeck. Man regalirte die Königin von Seiten der Stadt mit einem Steinbutt und Hecht zu 6 Mark 14 ß.
Dennoch verband sich König Olav in demselben Jahre 1386 auf einer Tagefahrt zu Werdingborg unter Teilnahme der Hansestädte wieder mit den Piraten. Die Tagefahrt zu Lübeck, auf der Margarethe erschienen zu sein scheint, hatte wohl diesen Frieden vorbereitet.
Die Jahre 1386 bis 89 waren ziemlich ruhig: wenig Klagen wurden gehört, da brach 1389 das Unwetter wieder los, und heftiger, als sonst.
Olav war 17 Jahr alt gestorben. Margarethe nannte sich Königin von Dänemark und Norwegen, bald auch von Schweden. Vergebens kämpfte Albrecht von Mecklenburg, seit 1363 König von Schweden, für seine Krone: 1389 musste er bei Falköping gefangen, die Narrenkappe auf dem Haupte, vor der höhnenden Frau erscheinen. Aber noch war Stockholm sein, noch konnten seine Stammesvettern, vor Allen Herzog Johann von Mecklenburg ihm helfen; noch hielten Rostock und Wismar es für eine Ehrensache, ihm Reich und Krone wieder zu gewinnen. Darum griffen sie denn zu einem Mittel, das die Umstände entschuldigen mochte. Sie gaben s. g. Stehlbriefe aus an Freibeuter, gegen die Reiche Dänemark und Norwegen auf eigne Gefahr und Kosten zu abenteuern, besonders aber Stockholm — vor dem Margarethens Truppen lagen — mit Lebensmitteln zu versehn. Dafür sollten sie dann in die Häfen beider Städte einlaufen und daselbst ihre Beute verkaufen dürfen.
In ungeheuren Scharen strömten sofort die Raubgesellen heran. Sie bildeten bald unter einem neuen Namen eine politisch anerkannte Macht. Man nannte sie Vitalienbrüder (fratres Vitalienses, vitaliorum, Vitaligenbrodere ) weil sie, wie gesagt, besonders Viktualien nach Stockholm brachten; Likendeeler oder Gleichteiler, weil sie die Beute unter sich zu gleichen Teilen teilten; Hattebröder, Hutbrüder, vielleicht in Erinnerung an König Albrechts Gelübde: „er wolle seinen Hut nicht eher aufsetzen, als bis er Margaretha überwunden habe.“
Ein Teil der Vitalier hielt sich nun wohl an die eingegangenen Bedingungen; es fanden sich unter ihnen wohl ordentliche, nur kampflustige Kriegsleute — stifteten doch zehn Hauptleute der Vitalienbrüder, darunter zwei Ritter, in einer Kirche zu Stockholm eine Messe zu ihrer und Albrechts Ehre —: bald aber galt ihnen die Losung: „Gottes Freund, aller Welt Feind!“ Selbst Stralsunder und Rostocker Schiffe wurden aufgebracht. Von Gothland, besonders Wisby aus beherrschten sie 1392 fast unumschränkt die offne See. Die Folge war, dass der Handel fast ganz darnieder lag, dass manche Städte das Befahren der offnen See, besonders des Sundes, ganz verboten. Wie unsäglich musste der Handel unter solchen Verhältnissen leiden!
Im Jahre 1394 hören wir unter diesen Piratenführern zuerst die in der hamburgischen Geschichte so bekannten Namen Godeke Michelsen und Klaus Störtebeker besonders nennen. Sie bringen in diesem und dem folgenden, sowie im Jahre 1398 englische Schiffe und Güter auf, und zwar in Verbindung mit denen von Wismar und Rostock. Als ihre Genossen werden genannt: Heinrich von Pommern, Clays Sheld, Hans und Peter Howfoote, Clays Boniface, Rainbek, Hans van Wethemonkule, Johann von Derlow, Hans von Geldern, Wilmer, Eberhard Pilgrimson u. a. Hanseaten.
Was taten unter diesen Umständen die Hamburger?
In den Jahren 1389 und 1390 gingen Chrn. Ridder, Joh. Hoyers und Markward Schreie zum Hansatag nach Lübeck.“
1393 begaben sich zwei Rathmannen nach Lübeck, um dort mit den Abgeordneten von Rostock und Wismar zusammen zu verhandeln. Vorher war der Rathschreiber Diedrich Beringh bereits nach Wismar gereist. Man verlangte nämlich von den Mecklenburgern Entschädigung für die erlittenen Verluste. Freilich vergebens, denn diese erklärten, weder Ersatz noch Wandel schaffen zu können.
Auch im Jahre 1394 lesen wir von einer Versammlung der Seestädte zu Lübeck, „wegen der Ostsee,“ wobei dieselben Namen vorkommen. Auch hier erschienen Abgeordnete von Wismar und Rostock. Aber ihre Erklärungen befriedigten so wenig, wie im vorigen Jahre, und immer frecher wurden die Räuber, immer lauter die Klagen aller Nachbar- und Seestaaten, welche, wie die Engländer, der ganzen Hansa Schuld gaben, was doch nur Wismar und Rostock verbrochen hatten.
Deshalb beschloss man denn in diesem Jahre 1394, eine gewaltige Rüstung von vielen Schiffen und 3.500 Mann gegen die Freibeuter vorzunehmen. Die Kosten sollte das Pfundgeld decken, das nun genau reguliert ward. Von diesem Pfundgelde ward nur Hamburg befreiet wegen der Kosten, die es gehabt und noch habe, um die Elbe von dem Raubgesindel zu säubern.
Leider kam diese große Rüstung nicht zu Stande, weil die preußischen Städte zurücktraten.
1395 verweilten die Herren Ridder und Hoyers längere Zeit auf der Tagsatzung zu Lübeck: sie verbrauchten über 85 Mark. Man beriet über neue Rüstungen. Die Städte Preußens erklärten aber: erst müsse Albrecht von den Städten befreit sein, ehe an eine andere gemeinsame Unternehmung gedacht werden könne. Darauf ging man ein, und der Hochmeister von Preußen erlangte im Bunde mit der Hansa von Margarethen die Freiheit Albrechts. Stockholm ward für alle gehabten Unkosten den Städten als Pfand übergeben; die Dänen zogen ab. So hatten denn jetzt die Vitalier auch den letzten Schein eines Rechtes verloren. Sie mussten nun entweder die Waffen niederlegen, oder auf Tod und Leben kämpfen.
Überall wurden sie jetzt angegriffen. Die Stralsunder fingen einmal 30, dann 100 Vitalienbrüder, (unter Andern auch einen Hauptmann Moltke,) und enthaupteten sie alle.
Nun wendeten sich viele Raubgesellen nach andern Weltgegenden: selbst nach Russland, nach Spanien kamen sie.
Rein war freilich die See noch keineswegs: im Gegenteil, wahrscheinlich unterhandelte Hamburg noch im Jahre 1396 mit ihnen. Denn verschiedene Boten, darunter namentlich zwei Kapuziner, kommen von den Freibeutern her nach Hamburg, und werden daselbst ordentlich und auf längere Zeit bewirtet.
Im folgenden Jahre 1397 werden, verstehe ich die Worte des Ratsschreibers recht, hier gar zwei Vitalienbrüder selbst empfangen.
Im Jahre 1398 wurde die bedeutende Summe von 2.500 Mark zur Ausrüstung von Schiffen gegen die Piraten, in der Ostsee und auf der Weser verwandt: die Seeräuber mussten sich also wieder sehr lästig machen.
In der Kammerrechnung des Jahres 1399 finden wir gegen 140 Mark für Sold, ausgegeben im Seekriege in der Ostsee, angeschrieben.
Alle kleineren Unternehmungen aber konnten Nichts helfen: man musste vor Allem die Seeräuber des mächtigen Schutzes der ostfriesischen Häuptlinge berauben. Denn in den ostfriesischen Häfen lagen die Piratenschiffe, und Edle, wie Edo Wimeken von Rüstringen, Keno then Broek, Folkmar Allena und viele andere, unterstützten sie in jeder Weise, wofür sie denn ihren Teil von der Beute bekamen. In Emden unter dem Schutze des Propstes Hisko und zu Marienhcwe, unter dem Kenos then Broek, hielten sich die meisten Vitalier auf. In Marienhave befestigten sie die Einfahrt, und ließen 4 große gewölbte Pforten mit einer hohen Mauer erbauen. Ein jetzt verschlammtes Tief ging bis an Marienhave, wohin sie die ausgeladenen Waaren mit kleinen Schiffen hinbringen konnten. Noch jetzt wird diese Niederung „Störtebekers Tief“ genannt. Auch soll von diesen Seeräubern der ansehnliche Marienhaver Turm erbaut, oder doch erhöht sein.“
Keno then Broek verband sich, wie es heißt, sogar durch Bande des Blutes mit Klaus Störtebeker: er gab ihm seine Tochter zur Gemalin; und er brauchte sich, was den Adel der Geburt anbetraf, seines Schwiegersohnes nicht zu schämen: denn Störtebeker war ein Edelmann; sein Wohnsitz war zu Halsmühlen unweit Verden.
Im Jahre 1400 traten die Abgeordneten der Hansestädte zu Lübeck zusammen, und fassten den Beschluss, mit vereinter Kraft die Seeräuber überall anzugreifen und zu vernichten. So ernsten Maßregeln fühlten sich die Friesen nicht gewachsen. Der mächtigste der ostfriesischen Edeln war der eben erwähnte Keno, der Sohn Ockos then Brock und der klugen, aber grausamen Foelke. Ihn hatten im vorigen Jahre die Städte aufgefordert, den Freibeutern seinen Schutz zu entziehen: er hatte Ausflüchte gemacht. Jetzt aber bat er um eine Gesandtschaft zur Wiederanknüpfung der Unterhandlungen, und seine Bitte wurde ihm gewährt.
Die hamburgischen Rathmannen Albert Schreie und Johann Nanne schlossen mit Keno then Broek einen Vertrag, dessen Urkunde noch erhalten ist. Er gelobt in demselben den Bürgermeistern und Rathmannen der Stadt Hamburg und ihren Nachkommen, als Mitgliedern der Hansa, alle Vitalienbrüder von sich lassen und sie durchaus nicht weiter schützen zu wollen. Diese Urkunde ist mit unterschrieben von Haro Ayldisna von Faldern, Imel Edzardsna von Edelsum, Haro Edzardsna von Greetsyhl, Enno von Norden und Haro von Dornum. Sie ist ausgestellt im Jahre 1400 „in Sante Mathies Daghe, des hilligen Apostels“ (d. i. also am 24. Febr. oder am 21. Sept.)
Keno von Brote hatte, geht die Sage, mit den Hamburgern in Gegenwart seines Schwiegersohnes Klaus Störtebeker verhandelt. Wahrscheinlicher ist, dass der Korsar im Nebenzimmer war. Kaum waren nun die Fremden abgetreten, so warf Störtebeker seinem Schwiegervater in bitteren Ausdrücken sein liebloses Benehmen gegen ihn und die Seinen vor. Keno dagegen erklärte, er sei nicht gewillt, das Geringste von Dem zu erfüllen, was er gelobt; eine Erklärung, mit der er es wohl ehrlich meinte, denn er hatte es schon zu oft so gemacht.
Alles wäre nun gut gegangen, Keno wenigstens wäre vorläufig nicht angegriffen, wenn nicht ein Zufall ihm das Spiel verdorben hätte. Einer der hamburgischen Gesandten hatte beim Weggehen seine Handschuhe mitzunehmen vergessen: er kehrte wieder um, und vernahm nun, vor der Tür des Gemaches stehend, Kenos Äußerung.
Sofort kehrten die Gesandten heim, und bald erschien die Hansaflotte in der See und auf der Ems. Dort, auf der Osterems, ward eine blutige Schlacht geliefert, in welcher Keno und die Korsaren besiegt, 80 der Letzteren erlegt und 30 gefangen genommen wurden. Diese 30 wurden noch in demselben Jahre in Hamburg hingerichtet; eine Blutarbeit, die dem Büttel 12 Pfund Pfenninge, also für den Kopf 8 ß, seinem Gehilfen Knoker aber für die Grube, die er für alle grub, 20 ß einbrachte.
Die Seeräuber zogen sich nach solchen Verlusten nach Helgoland hin, und wurden dort noch in demselben Jahre, wie es scheint, wieder angegriffen.
Das also waren die bemerkenswerten Begebenheiten des Jahres 1400. Das folgende Jahr 1401 war, wie Voigt gefunden hat, sehr ruhig; „nie hatte man, sagt er, auf der See solche Sicherheit und Ruhe gesehen, wie in dem Jahre.“ Unsere Quellen geben eine andere Vorstellung. Sie weisen auf folgende wichtige Tatsachen hin.
In diesem Jahre 1401 bekam der Henkersknecht Knoker 3 Pfund Pfennige für das Einscharren von 73 Vitalianern, der Büttel (von Buxtehude) 5 Pfund für die Enthauptung dieser 73 oder einer geringeren Anzahl von Freibeutern; denn vielleicht enthauptete er nur 12, was daraus geschlossen werden dürfte, dass er gewöhnlich nur 8 ß für den Kopf empfing. Sind aber nur 12 hingerichtet, so waren die übrigen 61 wahrscheinlich an ihren Wunden im Gefängnis gestorben, und so dem Henkerbeil, entgangen. Dass Seeräuber in diesem Jahre auf der Büttelei gesessen, bezeugen die Kammerrechnungen.
Wo waren diese zu Gefangenen gemacht? Auf der Weser. Denn dorthin waren, und zwar, wie unsere Dokumente ausdrücklich besagen, zu einem Zuge „gegen die Vitalienser“ der Bürgermeister Nik. Schoke und der Rathmann Hinrich Yenevelt gegangen, wofür die große Summe von fast 290 Mark angeschrieben ist.
In der Rechnung der Kämmerei von diesem Jahre finden wir auch eine interessante Notiz vom Baue der Schiffe des Simon von Utrecht und besonders „der bunten Kuh.“ So hieß das Hauptschiff desselben. Jedoch ist diese Notiz wohl erst mit den Begebenheiten des folgenden Jahres in Verbindung zu bringen, und deshalb weiter unten noch spezieller zu betrachten.
Denn das Jahr 1402 ist für den Gegenstand unserer Erwägung das wichtigste: es ist dasjenige, in welchem die furchtbaren Korsaren Godeke Michelsen, Klaus Störtebeker und ihre Genossen der Tapferkeit unserer Vorfahren erlagen, und die Erde des Grasbrooks mit ihrem Blute netzten.
Sehen wir das Einzelne.
Die Korsaren lagen, nach Rache und Beute lechzend, bei Helgoland. Die Fahrt nach England ward den Hamburgern aufs Empfindlichste erschwert. Man rüstete sich zu einem neuen Zuge. Unter den Befehlshabern der nunmehr auslaufenden Flotte hatte ohne Zweifel der Bürgermeister Nik. Schoke den Oberbefehl, dann folgte im Range der Ratmann Hinr. Yenevelt; „die bunte Kuh aus Flandern“ aber, das größte der Schiffe, führte der Schiffshauptmann Simon von Utrecht.
Mit dunkelndem Abend erreichten sie das Geschwader der Seeräuber.
Beim Anbruche des Morgens wollte Störtebeker sein Schiff wenden: es war nicht möglich. Denn in der Nacht war in die Angelöhre des Steuerruders geschmolzenes Blei gegossen. Wer hatte die Tat vollbracht? — Vielleicht einer der Seinen, getrieben von Reue, von Hoffnung auf Straflosigkeit oder von Habsucht; vielleicht auch wirklich der Steuermann der bunten Kuh, der in der Nacht in einem Bote sich ans feindliche Schiff hinanschlich.
Der Kampf begann; mannhaft wehrten sich die Korsaren: sie erlagen doch. Nach einem Verluste von 40 Todten und 70 Gefangenen suchten sie das Weite. Unter den Letzteren war Störtebeker selbst und Wichmann, ein anderer Hauptmann. Alle wurden nach Hamburg geführt und auf dem Grasbroote am Tage nach St. Feliciani enthauptet. Bürgerliches Gericht gewährte man den Räubern nicht.
Gleich darauf oder mindestens in demselben Jahre erfolgte ein zweites Treffen. Auch hier kommandierte Nikolaus Schote: aber den Sieg errang vor allen Simons von Utrecht Admiralschiff, die „durch die See brausende bunte Kuh aus Flandern mit ihren starken Hörnern“ wie es im Liede heißt. 80 Gefangene sah die jubelnde Volksmenge in die Tore unserer Stadt einbringen; unter ihnen ragte besonders hervor Godeke Michelsen, ein Adliger aus Daulsen, einem Dorfe im Kirchspiel Walle, Amt Verden, oder aus Michaelsdorf bei Barth in Pommern. *)
*) Nach Aussage eines in der Nähe des Dorfes Michaelsdorf bei Barth in Pommern ansässigen Arztes lebt in Michaelsdorf eine Familie Borgwardt, welche erzählt, Godeke Michelsen sei ihr Vorfahr, und habe seinen Namen Borgwardt gegen den seines Geburtsorts vertauscht. Diese Familie soll auch noch Münzen aufbewahren, die ihre Voreltern von ihm erhalten hätten.
In Eißel im Verdenschen stand seine Burg. Auch sah man Wigbald, einen Magister der Weltweisheit, zu Rostock promoviert, der „seinen Stand auf dem Katheder mit dem auf dem Schiffskastell vertauscht hatte.“
Die 80 Missetäter wurden, wie ihre 70 Vorgänger, von dem Scharfrichter Rosenfeld auf dem Grasbrooke vom Leben zum Tode gebracht. „Er stand mit seinen geschnürten Schuhen bis zu den Enkeln in dem Blute,**) ja, das auf dem Grasbrook vergossene Blut verschwemmte selbst die gefährlichen Sandbänke in der Elbe, auf denen zuvor „manch stolzes Schiff“ (so sagt das Lied) gestrandet war.
Der Scharfrichter Rosenfeld war ein gar trotziger Mann. Als ihn nach getaner Blutarbeit der jüngste Ratmann fragte: „er sei wohl müde?“ erwiderte er übermütig: „O nein, er könnte wohl noch an dem ganzen Rate sein Amt verrichten!“ Dafür ward er dann sogleich selbst vom jüngsten Ratsherrn enthauptet. Wie rasch doch die Sage Justiz übt! Nur Schade, dass — wenngleich der Henker damals noch gar nicht ehrlos war — ein Rathmann in Hamburg niemals dies Amt geübt hat.***) Die Häupter der Hingerichteten wurden auf Pfählen längs dem Elbstrande hin aufgesteckt.
**) Herr Dr. Trümmer teilt mir mit, dass in einer Handschrift der „Chronologia oder des Verzeichnisses derer Delinquenten,“ unter dem Jahre 1573 den 12. (18.) Sept. bemerkt ist:“ Die Exekution (der 29 Missetäter) habe Hartmann Rüter in einer Viertelstunde auf ebener grüner Erde verrichtet und mit seinen Schuhen im Blute der Abgehauenen gestanden. Ist Das eine Reminiszenz an die Worte des Liedes?
***) Ich berufe mich hier auf einen anerkannt kompetenten Gewährsmann, Herrn Dr. Trümmer, der diese seine Ansicht mir gütigst mitteilte und sie im historischen Verein in der juristischen Sektion des Weiteren ausführte.
(Es findet sich eine ähnliche Nachricht oder Sage von Rostock. In Reutlingen war der jüngste Schöffe, anderwärts der jüngste Ehemann Nachrichter. S. J. Grimm Deutsche Rechtsaltertümer S. 885. L)
Wie viele Schiffe die Hamburger gewannen, ist nicht zu sagen: ihre Zahl wird nicht erwähnt. Sie enthielten reiche Beute, so reich, dass eine goldene Krone zum Andenken aus einem Teile derselben verfertigt sein soll. Es war nämlich, berichtet die schmückende Sage, der Mast des Stortebeckerschen Schiffes inwendig mit reinem Golde angefüllt! Minder dichterisch scheint Folgendes: Den Vitaliern wurde ein mit Wein befrachteter Holk, den sie selbst erobert hatten, nun wieder abgejagt, und zwar von der bunten Kuh, welche dem feindlichen Schiffe das Vorderkasteel zerstieß und zertrümmerte. Dieser Holk gehörte vielleicht dem Rathmanne Hermann Lange und dem Bürgermeister Nikolaus Schoke.
Die erbeuteten Waaren, bestehend namentlich in Tuchen, Wachs und Baumwolle, scheinen laut der Kammerrechnungen gegen 750 Mark eingebracht zu haben.
Dagegen ergaben sich an Ausgaben mindestens 239 Pfund 17 ß oder 299 Mark 13 ß. Unserer Rechnungen zufolge wurden nämlich im Jahre 1402 ausbezahlt:
48 (Talente) an Simon von Utrecht für Arbeit und zerstörtes Schiffsgerät;
6 Talente 4 ß an Denselben für Anker, Lanzen und für die Ausgaben der Zimmerleute;
32 Talente an Hermann Nyenkerke (einen Zimmermann?) für Arbeit und Wiederherstellung des Schiffsgeräts der „bunten Kuh;“
24 Talente an Werner von Ulsen, weil er mit seinen Genossen den Godeke Michahelis mit den Seinen gefangen;
6 ß an die Herren Hinr. Yenevelt und Hinr. von Berghe für Das, was sie mit den Bogenschützen zusammen verzehrt;
12 ß für Gefäße;
14 Talente 12 ß an Simon von Utrecht für Ausbesserung der Schäden, die sein Schiff auf der Fahrt gegen die Vitalienbrüder genommen;
64 Talente an Nik. Schoke für dessen Reise zum H. Jakob von Compostella
32 Talente 15 ß an Ausgaben für das Schiff des Lubbert Overdik und für den Holk der Vitalier, und für Andres; endlich
16 Talente an die Herren Herm. Langhe und Nik. Schoke für Maste u. dgl. aus dem Holke.
Die Reise zum H. Jakob von Compostella unternahm der Bürgermeister Schoke (wofern nicht von einem bloßen Geschenke die Rede ist) vielleicht, um die Gebeine des H. Vincentius, welche die Korsaren bei sich geführt haben sollen, wieder nach Spanien hinzubringen, wo sie von ihnen, wie es heißt, erbeutet waren.
In dem Vorhergehenden beachte man noch den Namen des Seeräubers Lubbert Overdik und mehr noch den des Werner von Ulfen (Uelzen), der einen bedeutenden Anteil an dem Kampfe gegen Godeke Michelsen gehabt zu haben scheint. Werner von Uelzen scheint ein noch junger Mann gewesen zu sein, da er erst in diesem Jahre 1402 Bürger ward.
Störtebeker, der so stark war, dass er Ketten zerreißen konnte, war auch ein gewaltiger Trinker. So fand man denn auch in seiner Kajüte einen großen silbernen Humpen, den ihm ein ritterlicher Zechgenosse geschenkt hatte, der es ihm im Saufen wohl noch zuvortat. Der Humpen führte die stolze Inschrift:
Ik, Jonker Sissinga
Van Groninga,
Dronk dees heusa
In een fleusa
Door myn kraga
In myn maga.
Auf Neuhochdeutsch hieße Das:
Ich, Junker Sissinga
Von Gröningen,
Trank dies Gefäß
In Einem Zuge
Durch meinen Hals
In meinen Magen.
Nicht die Geschichte, wohl aber die Sage weiß noch Manches von Störtebeker zu berichten. Er bot, wenn man ihm das Leben ließe, eine goldne Kette, so lang, dass sie den Dom oder gar ganz Hamburg zu umschlingen vermögen sollte.
Von dem s. g. Störtebekers Tief bei Marienhave haben wir oben gesprochen.
Putlos, Landgut dicht bei der Stadt Oldenburg, Pachter Hudtwalcker, Eigner Herr von Lewetzow, hat eine Burg, 1828 abgetragen, mit unterirdischen Gängen, umgeben von einem Burggraben. Ein Gang soll von da unter dem Seearm wegführen, der einst das Land Oldenburg von Holstein trennte. Die Burg wird als ein Zufluchtsort Störtebekers bezeichnet, von dem noch im Dorfe Cröß nicht weit davon Nachkommen leben sollen. S. Schröders Topogr. von Holst. II, 247.
Auf Schmoel, einem Hessensteinischen Fideicommißgute an der Ostsee, östlich von der Probstei, war hinter dem Garten des Schlosses ein Erdhügel in einer Wiese, von einem mehr als 12 Fuß breiten Graben umgeben. Viele gehauene Steine haben sich hier im Grunde gefunden. Man denkt auch hier an eine Burg des Korsaren. Schröder II, 322 gibt eine gute Lokalbeschreibung davon. *) S. Zöllners Reise nach Rügen S. 217 L.
Aus Femern in der Nähe der Stadt Burg, in der sogenannten Kammer, bargen die Gleichteiler ihren Raub.
Auf Rügen, wo man sonst schreiende Kinder mit den Worten: „Störtebeker kömmt!“ zum Schweigen brachte, hat sich die Überlieferung erhalten, dass Störtebeker eines Bauern Sohn aus Ruschwitz in der Herrschaft Spyker war. Dort auf Ruschwitz fanden etwa um 1840 beim Umackern einer etwas erhöhten wüsten Stelle die Arbeiter den Grundbau eines Hauses; sie erzählten dann, sie hätten immer gehört, dass hier Störtebekers Eltern einen nachher zum Gute geschlagenen Bauernhof bewohnt hätten.
In der Stubbenkammer, einem Vorgebirge auf der Halbinsel Jasmund an Rügen, befand sich eine Höhle, in der die Vitalianer ihren Raub bargen. Darüber heißt es in Schwarz' Geographie des Nordens Deutschlands Slavischer Nation, insonderheit Pommerns und Rügens, Greifswald 1745:
„In der Mitte der Anhöhe vom Strande auswärts ist ein Absatz, der von oben als eine große Höhle aussieht. Wenn man von unten bis dahin mit großer Mühe und Gefahr hinaufgestiegen, so findet man zwischen zwei großen Kreidepfeilern, die die Natur oder Menschenhände gebildet, einen Eingang zu derselben. Man sagt, dass dies aufsteigende Ufer vor Alters Stufen gehabt, und ich habe von einem rügischen Edelmanne von Ansehen gehört, dass er in seiner Jugend noch einige dieser Stufen und in einem der Pfeiler noch einen starken eisernen Haken gefunden, welches zusammen genommen einen Beweis führen könnte, dass dieser Eingang vordem mit einer Türe verwahret gewesen. Man meint auch, dass neben der großen Höhle noch eine kleinere befindlich gewesen, die zu einem verborgenen Gewölbe des Kreidefelsens geführet, in welchem große Schätze verborgen gehalten.“
So weit Schwarz. Eine handschriftliche Notiz heutiger Zeit überliefert uns Folgendes:
„Außer der Höhle zwischen den Pfeilern des Ufers der Stubbenkammer ist noch links von diesen Pfeilern ein Schlund, der trichterförmig in die Tiefe hinabgeht und keinen Ausgang hat. Auch dort, sagte man von Alters her, lägen Schätze, und zwar die besten, der Seeräuber. Diesen nachzuforschen, ließ man (so geht die Sage) einst einen zum Tode verurteilten Missetäter hinab, der dort unten einen großen goldnen Kelch, dabei aber als Wächter einen bösen schwarzen Hund fand. Doch bemächtigte er sich des Kleinods, ward wieder in die Höhe gezogen, und fand nun, dass das höllische Untier den Strick bereits fast ganz durchnagt hatte, so dass er durch Gottes Gnade nur an wenigen dünnen Fäden emporgezogen war. Der Kelch kann an Störtebekers großen Humpen sehr wohl erinnern.“
„Südlich von Bülk, unweit des Strandes, lag vormals das Schloss in einer Niederung, welches mit ansehnlichen Verteidigungsanlagen in runder Form umgeben war, von denen man noch bedeutende Überreste sieht; der breite Burggraben ist noch mit Wasser angefüllt; auf dem Platze des alten Schlosses liegen noch viele Fundamente und Mauersteine, und auf dem zum Schlossplatze führenden Damme eine unzählige Menge Feldsteine. Westlich von dieser Ruine, in der Nähe des Gutes Eckhof, liegt ein, mit einem starken Wassergraben umgebener, hoher, mit Bäumen bewachsener Berg, der einen Umfang von !2U Ellen hat, und noch jetzt den Namen „die Störtebekerinsel“ führt. Vormals soll auf diesem Berge ein, durch den ehemaligen Holzreichtum der Gegend versteckter Wartturm gestanden haben, von welchem aus der bekannte Seeräuber Störtebeker das Meer beobachtete.“ So Schröder Topogr. von Schleswig. 1837. S. 167.
Die Güter Groß- und Klein-Bülk liegen bei Kiel. Das Letztere gehört Herrn Carl Rodde.
Unter dem 1842 eingeäscherten alten Rathhause befanden sich mehrere dunkle Gewölbe, die dem Anscheine nach vormals zu Kerkern gedient hatten. Eins derselben (es befand sich unter der Registratur) ward Störtebekers Loch genannt, und der Tradition zufolge soll er daselbst gefangen gesessen haben.
Bekanntlich gab es ein Störtebekerlied. Aber leider kann ich, obgleich es auf Rügen noch vor einigen Generationen im Munde des Volkes gelebt haben oder noch leben soll, im Niederdeutschen nur noch den Einen Vers nachweisen:
Störtebeck und Götge Micheel
Rofden beyde tho glieker Deel
Tho Water und tho Lande.
Dies ward noch 1708 in Hamburg so gesungen.
Drei neuere Dichter haben Störtebeker in folgenden Dramen verherrlicht; wir nennen 1) Dr. B. C. d'Arien's Claus Storzenbecher. Ein vaterländisches Trauerspiel in 5 Aufzügen. Aus der ersten blühenden Zeit des hanseatischen Bundes. Hamburg. 1783. 2) Herrn Dr. Bärmanns, um 1820, wenn ich nicht irre, im damaligen Steinstraßentheater aufgeführte, noch nicht im Drucke erschienene Tragödie. Endlich: D. Albrechts Klaus Störtebeker. Ein vaterstädtisches Schauspiel in 5 Aufzügen, aufgeführt im Theater der Vorstadt St. Georg den 3. April 1842. Auch in den Hamburger Bildern Heinr. Smidts ist eine Schilderung „die Viktualienbrüder“ Bd. I, S. 56 ff. Hier wird aber Godeke als Schlachter von Emden, Wigbold als ein Engländer (von Oxford) aufgeführt. Noch gedenken wir des Neuesten über unsere Helden erschienenen Romans von Ad. Görling: Die Vitalien-Brüder oder des Störtebekers Leben und Ende. Hannover 1844. Geschichtliches ist daraus nicht zu lernen. Mehr Wert hat, was im Maiheft der hamb. Lesefrüchte über denselben Gegenstand sich findet, und die eben erschienene Novelle: „Die Seeräuber auf Rügen,“ von H. Wilke.
Noch ein Wort von Störtebekers Reliquien, welche mit dem die Sackpfeife blasenden Esel im Dom, dann im Gymnasium, jetzt im Museum (unter der Stadtbibliothek) aufbewahrt, die Wahrzeichen wandernder Handwerker waren. Die Kämmerei soll früherhin seine silberne Halskette mit einer Befehlspfeife daran besessen haben. Seine eiserne, 19 Fuß lange, Feldschlange soll im ehemaligen Zeughause oder auf der Schiffergesellschaft gewesen sein.
Das Schwert, mit dem er hingerichtet worden, war einst auch auf dem Zeughause, jetzt wird es im Arsenal des Bürgermilitairs gezeigt. Ein hölzerner Mohr auf der Schiffergesellschaft, Störtebekers Page genannt, ist auch durch den Brand 1842 abhanden gekommen, so dass von allem Erwähnten nur noch das Richtschwert erhalten sein dürfte. Denn auch der silberne Becher, den man sonst zur Erinnerung an Störtebeker auf der Schiffergesellschaft zeigte, ist seit 1842 nicht mehr vorhanden. Auf demselben standen die Worte:
Den Hansebecher thu ich mich bekennen,
Stürtzebecher und Göde Michael mich nennen,
Manchem ehrlichen Manne fürgetragen,
In fernen Landen von mir Was zu sagen.
Unser Rauben ist uns mißlungen:
Die von Hamburg uns unterdwungen.
Hamburg wollte Das nicht leiden,
Darum lassen sie unser Häupter abschneiden.
Der diesen Becher nicht will austrinken,
Den Armen eine Gabe schenken.
Wer mild der Armuth giebt,
Vielfältig von Gott gesegnet wird.
Anno 1401.
Die Sprache dieser vortrefflichen Verse erweist zur Genüge, dass das Jahr 1401 Nichts mit ihnen gemein hat. Die Bilder, die auf dem Becher waren, verrieten gleichfalls eine viel spätere Zeit.
Die Schiffergesellschaft ward übrigens erst im Jahre 1490 gegründet, gelangte erst 1520 zu einem eigenen Hause, und war nach den älteren Verzeichnissen ihres Silbergeschirres nicht in dem Besitze eines solchen Bechers.