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Es ist nie so viel über die bürgerlichen und städtischen Angelegenheiten gesprochen und geschrieben worden, wie in diesen Tagen. Der Stoff hatte seit dreißig Jahren in den Gemütern geruhet, und sich in dieser Zeit des Harrens auf Erlösung wo möglich noch gehäuft. Was die Befreiung aus der Napoleonischen Gewaltherrschaft nicht zu erwirken vermocht, was die Julirevolution nicht aus dem langen und tiefen Schlafe wachgerüttelt hatte, das wurde jetzt auf ein Mal begriffen und gefordert. Es hatte im Verlauf der Feuertage an administrativer Energie gefehlt, das war die Veranlassung zu allen Einsichten, welche nun plötzlich wie durch einen Zauberschlag in den Herzen der Bürger lebendig zu werden schienen. Die nächsten Burgerversammlungen waren unerhört zahlreich besucht, und der wackere Oberalte Herr Röding trat hervor durch wackere Opposition. Man sah es an der fortwährenden Bewegung, an den leuchtenden Augen, dass Jeder die Sache der Bürgerschaft zu seiner eigenen machte. Hätte man statt der Aufloderung in Wünschen und Manen mehr Ruhe und Überlegung, mehr Kraft und Ernst bewiesen, es wäre vielleicht Manches schon anders eingeleitet und fortgeführt worden.

In diesem Wellenschlag der reformatorischen Bewegung bildete die patriotische Gesellschaft, mit Lob ist es zu erwähnen, den festen Konzentrationspunkt; wenn Wurms Wort „an seine Mitbürger“ auch lange nicht Alles enthielt, was man wollte, wenn es die Wünsche auch mehr irre leitete als befriedigte. Mit dem regen Eifer der Masse richtete sie sogleich eine Petition, mit einer ansehnlichen Reihe von Unterschriften an den Senat, wiederholte dieselbe, und erhielt beide Male keine Erhörung. Ein solches Benehmen des Senates gegen eine ganze wohlgesinnte Corporation eines Freistaates möchte schwerlich zu rechtfertigen sein. Doch vielleicht ist die Entschuldigung in einer höheren Fügung zu suchen. Der Begriff einer Reform war lange nicht bestimmt und durchgreifend genug aufgefasst worden. Erst später wurde es ausgesprochen, was den Bürgern abgeht, nämlich die positive Gemeinschaftlichkeit, die Initiative der Gesetze! —

Hamburg steht am Vorabende der Erwartung, zu sehen, was die patriotische Gesellschaft noch ausführen wird. Rücksicht muss vor allen Dingen auf die neu zu erweiternde Macht der Bürgerschaft genommen werden. Dass den Juden bewilligt worden ist, Erben und Grundstücke zu kaufen, ist ein verfängliches Gesetz, gegen welches die Bürger nicht genug auf ihrer Hut gewesen sind. Man denke nur, dass bei den erweiterten Raumverhältnissen auch etwa 500 Erben weniger erstehen!

Nach dem Plane und Entwurfe des trefflichen Ingenieur Lindley wird die Stadt sich so glänzend und großartig, wie nur irgend eine in Deutschland, ausbilden. Für das Äußere ist somit gesorgt. Möge man aber auch die Reform mit der Erbauung des neuen Rathauses in Verbindung bringen! Nicht bloß die gesammten Stadtbürger, sondern auch die Landbürger müssen in Form persönlichen Rechtes vertreten werden. Nur unter einer konstitutionell - republikanischen Kammerverfassung, worin jeder Bürger zur Beförderung des Gemeinwesens selbstständig berufen wird; nur bei einem neuen Codex oder Stadtbuch, in welches alle seit hundert Jahren gegebenen Verordnungen und Bürgerbeschlüsse vollständig klar und bestimmt zusammengetragen sind, worin Jeder sein Recht findet; nur bei einer wirklichen, nicht diplomatisch imaginären Gemeinschaftlichkeit kann Hamburgs Glück und Größe im vollen Glanze erblühen! —

Der Senat muss sich durch Gewissenhaftigkeit gegen sich selbst und das Gesetz, des Vertrauens, welches jetzt so gut wie gänzlich fehlt, immer würdiger machen. Die Polizeiherrschaft ist zu weitgreifend und mächtig geworden; und was will sie sagen, wenn sie dennoch den Betrug und die Verachtung der Gesetze im bürgerlichen Verkehr und Detailhandel nicht überwacht! — Der Senat muss vor Allem das alte Wort Lügen strafen, dass er zu schroff und abgeschlossen gegen die gehorsame Bürgerschaft stehe. Er ist um der Bürgerschaft willen, nicht die Bürgerschaft um des Senates willen da! Eine Umgestaltung, nicht bloß der Zustände, sondern auch der Ansichten, eine nach englischem Beispiel durchgeführte Verschmelzung von Sitte und Gesetz, eine Vereinbarung des bürgerlichen und politischen, des privaten und öffentlichen Lebens, das ist eine Reform!