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- Category: Geschichte
- Published: 26 February 2011
Mit dem sich vermehrenden und vergrößernden Feuer hatten natürlich auch Flucht und Rettung und die dadurch hervorgebrachte allgemeine Bestürzung und Verwirrung nach und nach, doch in schneller Folge, eine andere erschreckendere und wehmütigere Gestalt angenommen. Der Abend des ersten Tages gewährte zuerst das Bild einer ungeheueren Angst, einer schaudervollen Flucht. Der Morgen des zweiten Tages das einer allgemeinen Auswanderung unter Angst, Not und Verzagung. An diesem Morgen des 6. Mai teilte sich die Bewegung der Flucht nämlich in drei große Züge nach dem Stein-, Damm- und Millerntore. Am Jungfernstieg wurden die Sperrketten gesprengt, Wagen fuhren in der Promenade und luden dort ihre Mobilien zu großen Haufen ab, während ungeheure Dampfmassen, mit Aschenschwall und Sprühfunken untermischt, sich über den Neuenwall und die Alster, ja bis über St. Georg hinwälzten. Vornehm und Gering, Arm und Reich, Damen und Herren, Blockwagen und Leichenwagen mit Pferden und ohne Pferde, von Menschen gezogen, Alles rannte, rettete, flüchtete wild und ängstlich durch einander. Der Jungfernstieg war bald überfüllt, auf den Plätzen und Wällen mehrten und vergrößerten sich die Haufen der geborgenen Sachen. Weiber, Greise und Kinder kauerten sich daneben nieder, unter Weinen und Seufzen. Not und Verwirrung, die Szenen des Unglücks und Verzagens wurden so vielseitig und mannigfaltig, dass die Feder verzagt und verzweifelt, das Ganze in wenigen Worten wieder zu geben, wenn der Obige seine Darstellung von 400 Seiten noch einen Versuch nennt. — Sollen doch über 60.000 Menschen Rettung für sich und das Ihrige gesucht haben! Bald war für Geld kein Wagen mehr zu haben. Unverschämte forderten 100 Mark für eine Fuhre, und ein Schutenführer sogar 400 Thaler für eine Fahrt nach Altona. Nun wurden Bauern mit ihren Wagenkarren aufgetrieben und es muss ehrenvoll erwähnt werden, dass Viele aus der Umgegend selbst bereitwillig herbeieilten, Manche mit dem redlichen warmen Herzen auch wohl gar keine Bezahlung nehmen wollten. An den Wegen bis nach Eppendorf und dem Lübschen Baum lagerten schon die Geflüchteten mit ihren Sachen und fingen gleichsam an, sich Notdächer und Zelte daraus zu bilden.
Andere Seiten und Partien boten wieder die sogenannten Zimmerleute, die Brandstifter und Polizeibürger dar. Unter die Ersteren hatte sich viel Gesindel aus der Hefe des Volks eingeschlichen, welches das Zeichen der Hilfe mit frecher Stirne bei dieser traurigen und verhängnisvollen Lage der Stadt zum Vorwand nahm, um desto sicherer und unangefochtener, desto dreister und ergiebiger rauben und stehlen zu können. Die Bürgerpolizei wurde bei dem Gerüchte errichtet, dass es so boshafte, ruchlose Menschen gäbe, welche das Unglück durch Feueranlegen an den unversehrten Teilen und Enden der Stadt noch vermehren wollten, als fanatische Rotten gegen ehrenwerte Helfer englischer Nation sich misshandelnd vergangen, hatten. Diese, durch eine weiße Binde um den rechten Arm bezeichneten Polizeibürger erinnerten, wie so manches Andere an ähnliche Einrichtungen während der Belagerung, und man hat sich nicht der unwillkürlichen Vergleichung enthalten können, welche sich überhaupt zwischen jener und dieser Katastrophe aufdrängte.
Bekanntmachungen und Anschläge an den Straßenecken meldeten fast von Stunde zu Stunde die Tröstungen, Leitungen und Hoffnungen, die Bestrebungen und Ermahnungen des vom gesprengten Rathause, in welchem der präsidierende Bürgermeister Benecke, gewiss mit tiefer Bewegung von der gleich tief ergriffenen Ratsversammlung die letzten Worte des Abschieds und Aufbruchs aus diesem ihrem alten, durch so manche Erinnerung geheiligten Gebäude, sprach, nach dem Stadthause geflüchteten Senates. Mit Begierde wurden jene Proklamationen gelesen, doch am meisten nur von den müßigen Zuschauern, denn die, welche es eigentlich anging, waren allzu sehr mit sich und ihrer Rettung beschäftigt.
In Zwischenräumen hörte man wieder den Donner eines gesprengten Hauses, unter dem Fortrasen der Flammenwut, und fast wunderbar ist die Erhaltung der neuen Börse, wenn auch, die treffliche Smith'sche Wasserkunst und die Bestrebung edler Bürger die ehrenvollste Erwähnung der Erhaltung verdienen. Als an Etwas Unglaubliches aber darf hier wohl erinnert werden, dass man am ersten Morgen den Wasservorrat jener Smith'schen Einrichtung verschmähte, dass man lieber weit herholte, was man doch in der Nähe durch das liberale Anerbieten eines wackeren patriotischen Mannes schon im Übermaße haben konnte!
Über die Rettung der Börse mag noch folgendes Aktenstück aus der schon mehrfach erwähnten Geschichte beigebracht werden, zugleich zur Bezeugung des Charakters eines braven Mannes, als ein herrlicher Zug aus manchen anderen dieser Tage.
Theodor Dill, der Zeit Commerz-Bürger, war, wie alle Anderen, bei den Löschversuchen behilflich gewesen, ohne dass er glaubte, irgend wie anordnend oder leitend sich ein besonderes Verdienst erwerben zu können. Im Keller mit Wegpackung von Büchern beschäftigt, hatte er den Tumult bei Räumung der Börse überhört. Als er hinauf kam in die weite Halle, war sie leer. Er glaubte sich allein: „Gott! auch die Börse, unser aller Stolz, unser Aller Freude, verlassen, verloren, hineingerissen in das allgemeine Verderben!“ Diese Vorstellungen brannten in seiner Seele und Wehmut, Bitterkeit und Zorn kämpften ihn ihm. Da durchzuckte ihn der Gedanke: „Wie wenn Gott dich zum Werkzeug auserlesen hätte, dieses Gebäude zu retten!“ Sein ganzes Gefühl war ein brünstiges Gebet und dessen Wirkung der Entschluss: Du bleibst. Mit dieser Entscheidung war alle Verwirrung, alle Unsicherheit und Unklarheit, alle Erschöpfung vorüber. Mit jugendlicher Kraft eilte er fort, um nachzusehen, wo Hilfe nöthig sei. Da begegnete ihm ein Lieutenant der Garnison, der ihn dringend aufforderte, dem Beispiel der Anderen zu folgen und nicht absichtlich sich dem Verderben Preis zu geben. Er erklärte seinen festen Entschluss, bleiben zu wollen und zur Rettung der Börse zu versuchen, was in seinen Kräften stehe, worauf ihm jener alles Glück wünschte und forteilte. Oben traf Dill noch zwei Männer, welche ihn gesucht hatten, um mit ihm, aber auch nicht ohne ihn die Börse zu verlassen. Sobald er seine Absicht ihnen zu erkennen gegeben hatte, erklärten sie, bei ihm aushalten zu wollen, koste es denn, was es wolle. Es waren E. F. Denicke und H. Hasse. Sogleich wurde Hand ans Werk gelegt.“ — Und die Börse wurde erhalten! Das Beispiel des braven Dill und derer, die mit ihm gleiche Gesinnung hegten, mag ewig in der Geschichte leben. Denn die Gesinnung macht den Mann und Bürger, die Erinnerung an jene Tat mag kommenden Geschlechtern noch eine Aufmunterung zur reinsten Bürgertugend sein. Mehr, viele solche Männer im Staate, und er kann nie verloren und verlassen sein! Hoch klingt das Lied vom braven Mann! —
Auch die Maßregeln, wenigstens den Petriturm durch hinlängliche Sprengungen zu schützen und zu erhalten, waren zu spät ins Wert gerichtet worden. Der Stolz und die Freude Hamburgs sank gegen 10 Uhr Morgens, am 7. Mai, in Flammen nieder, und mit ihm stürzte und brannte die Kirche aus. Die Pyramide schlug beim Fallen über 10 Fuß in die Erde hinein. Den Knopf fand man später auf dem Berge, und drei Kapseln mit Inschriften darin wohl erhalten.
Endlich, am 8. Mai, Morgens, hatte das Feuer den Wall gegen Nordosten erreicht, ihm ward sein Ziel gesetzt durch die alte Mutter Erde, was Menschenhände nicht vermocht hatten.
Hundert und zwanzig Menschen waren während der drei Tage zu Schaden gekommen; ein und fünfzig hatten ihr Leben eingebüßt. Die Summe des Wertes der abgebrannten Erben betrug 32.000.000; die der verbrannten Kaufmannsgüter 28.000.000; die der Mobilien, nicht versicherten öffentlichen Gebäude, Brücken u.s.w. 30.000.000. Niedergebrannte Feuerstellen sind aufgezählt worden 4.219, und obdachlos geworden 19.995 Personen.