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Ein hannöverscher Postbeamter, welcher um halb ein Uhr in der Frühe des beginnenden 5. Mai in seine Wohnung an der Ostseite der Deichstraße zurückkehrte, soll zuerst eine beängstigende, erstickende Luft, und als er deshalb auf die Straße eilte, mit den Nachtwächtern zugleich einen sich vermehrenden Dampf und Rauch wahrgenommen haben. Sie setzten ihre Untersuchung fort und erblickten gegen 1 Uhr, wie eine dicke Rauchwolke aus dem Speicher des Erbes No. 44 in der Deichstraße, welcher von Eduard Cohen zur Tabak- und Zigarrenfabrik, von Philipp Seligmann zum Eisen- und Lumpenhandel benutzt wurde, emporstieg und sich bald in einen rötlichen Schwall verwandelte, so dass daran zu erkennen war, dort müsse der Sitz des Feuers sein und dessen Ursprung stattgefunden haben. Jetzt gingen und tobten die gewöhnlichen Feuersignale durch die Stadt, wie man sich erinnert, mit einer besonderen Hast. Die Bewohner des Hauses, hinter welchem das Feuer entstanden, erwachten am spätesten, und da sie zu retten und herauszubringen suchten, was möglich war, so störte sie Niemand, um die schon mächtig gewordene Flamme zu löschen. Der Spritzenmeister Repsold, welcher, als er in seiner nicht sehr entfernt liegenden Wohnung geweckt wurde, noch keinen Feuerschein bemerken konnte, wurde, als er auf die Straße kam, schon von der leuchtenden Glut nach der rechten Stelle geführt. Er fand eine Spritze bereits vor dem Hause und die Spritzenleute beschäftigt, dieselbe in Tätigkeit zu setzen. Der Rohrführer suchte in den brennenden Speicher einzudringen, aber vergebens. Hanseaten, welche mit Wegschaffung von Zigarrenkisten beschäftigt waren, wurden vor dem bald einstürzenden Giebel gewarnt; er fiel und erschlug oder verwundete Mehre. Um die Unglücklichen wegzuschaffen, musste man die Spritzenleute in ihrer Tätigkeit stören. Außerdem verbreitete sich von den brennenden Lumpen ringsum ein so erstickender Qualm, dass man weder sehen noch ausdauern konnte. Inzwischen waren schon viele andere Spritzen herbeigekommen, welche die anstehenden Gebäude, namentlich aber die nur durch ein schmales Fleet von dem brennenden Speicher geschiedenen Häuser des Rödingsmarktes zu schützen suchten. Man arbeitete mit der größten Beharrlichkeit, aber man weiß leider, wie wenig man der immer mehr um sich greifenden Flamme, den auf andere Gebäude herabstürzenden Giebel- und Sparrenwerken zu wehren vermochte, obwohl einige Erben durch die größte Anstrengung der Spritzenleute wie freiwilliger Privatpersonen auch erhalten, und mit Hilfe des Windes dem Fortschreiten des Feuers nach Süden und Osten Einhalt getan wurde.

Weniger vermochte man an der Deichstraße selbst zu wirken. Eine Rohrleiter mit 14 Mann arbeitete sich in den Bostelmann'schen Speicher hinein; als sie aber ihre Schlangen eben in Ordnung hatten, da sahen sie plötzlich von allen Seiten sich von Flammen umlodern und mussten eilen, sich an Taue mit Mühe nur wieder herabzulassen. Der, neben diesem liegende Speicher enthielt Arrack, Schellack und Kamphor; er fing alsbald Feuer und vergrößerte die Glut auf eine Weise, dass auch für alle zunächst liegenden Speicher die Hilfe und Erhaltung unmöglich wurde. Dies die eigentliche Ursache, warum der Brand so ungeheuer geworden, worüber so viele Gerüchte hin- und hergelaufen sind, zu geschweigen, dass der auf zwei Häuserbreiten im Fleet brennende Sprit, den man hatte laufen lassen, die Spritzenleute nötigte, ihre Posten zu verlassen. Nun wurden schon vergeblich alle Spritzen der General-Feuerkasse und die, welche sich außerhalb der Stadt befinden, herangezogen. Das Feuer hatte die Übermacht bekommen und die Sorge, wo es enden würde, wurde schon groß.

Aber auch jene höchst strafwürdigen Unordnungen, welche während der Tage des Brandes leider noch so oft wiederkehrten, fingen bereits an, sich zu zeigen. In einem Weinlager in der Deichstraße wollte man neue Kräfte sammeln, man wollte auch vielleicht nur die Gelegenheit benutzen; Arbeiter und Soldaten tranken und machten sich größtenteils für den Dienst untauglich, ja mehr als dies, denn sie störten und hielten auch Andere bei der Arbeit auf. Außerdem war ein behaglicher Trotz den Spritzenleuten längst eigen geworden, sie meinten, wenn wir nur da sind, so wird jedes Feuer gelöscht! Im Ganzen genommen, war auch die Bürgerschaft noch bis zum Morgen in dem gewöhnlichen ruhigen Phlegma, man hatte einmal keine Vorstellung von dem großen Trauerspiele, dessen erster Akt sich mit dem Sturze der Nicolaikirche schloss. Als die Kunde, der Turm brennt! durch die Stadt lief, da befiel Angst und Beklommenheit alle Gemüter, und selbst der Senat musste in sich gehen, welcher einigen Bürgern, die sich ihm mit Besorgnissen über Turm und Kirche genaht, und worunter Einer der Ersten der Spritzenmeister war, vorgeworfen hatte, dass es unpatriotisch und gefährlich sei, dergleichen Meinungen und Gerüchte aufkommen zu lassen. Ehe der Turm Feuer zeigte, hatten auch die Wenigsten eine bestimmte Vorstellung davon, wie es eigentlich um den Brand stehe, während es nicht an rechtschaffenen Bürgern fehlte, welche anfangs nur, um das Terrain des Feuers überblicken zu können, den Turm bestiegen und für seine Erhaltung Vorkehrungen zu treffen suchten. Die Sprengung einiger Häuser in der Deichstraße und am Hopfenmarkt, worauf ebenfalls mehrere Bürger antrugen, erhielt nicht die Genehmigung der Behörde, weil es bedenklich sei, ohne Not? — das Eigentum der Bürger zu gefährden, und durch solche außerordentliche Maßregeln, mit denen man auch nicht einmal bekannt sei, die Verwirrung zu vergrößern! Und doch musste sich dem klaren Verstande wohl schon die Überzeugung aufdrängen, dass hier nur noch durch außerordentliche und außergewöhnliche Maßregeln zu helfen sei.

Indessen war Wasser auf den Turm hinauf geschafft worden, allein die Kirchenspritze war nicht in Ordnung. Die beiden Brüder A. und G. Repsold als Spritzenkommandeure waren Morgens 10 Uhr schon bis zum Umsinken erschöpft, des Augenlichtes fast beraubt, und mussten daher auf Verordnung des Polizeiherrn dem Gehilfen Moltrecht den Befehl übergeben, um sich wegbegeben und ausruhen zu können, obgleich ein Befehlshaber der Spritzen im Grunde schon unnötig war, da kein Wassergeben mehr half, man nur sorgen musste, der Flamme die Nahrung möglichenfalls zu vermindern und — zu retten. Die Nicolaikirche, also die erste von den drei Kirchen, sank Nachmittags 4 Uhr mit der Spitze ihres Turmes, welche durch ihren Sturz zugleich das Kirchendach und die Pastorenhäuser anzündete. Schleiden sagt sehr wahr und malerisch: „Hoch schlug nun die Lohe aus dem Turme empor. Ein Geprassel, wie Geheul eines Sturmwindes, begleitete die Flammen, die in immer bunterem Farbenspiel vom Winde getragen, weit, weit hinaus schlugen, und eine wunderschöne Mischung von Rot, Grün und Gelb zeigten. Die Glocken schmolzen, das Kupfer fiel in großen glühenden Fetzen herab!“