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- Category: Geschichte
- Published: 25 February 2011
Die Auswanderungen hatten seit der ersten Zeit des Unglücks und der Bedrückung zwar niemals ganz aufgehört, nun aber erreichten sie ihren höchsten Grad und ihre kläglichste Gestalt. Dazu kam das schauderhafte Ereignis in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember, wodurch die unglücklichen Hamburger einen Weihnachten erlebten, wie er wohl nie auf der Erde erlebt worden ist. Auf Befehl des Prinzen von Eckmühl nämlich überfielen Polizeidiener und Gensd’armen die Bürger aus den mittleren und niederen Klassen, rissen sie aus ihren Betten, ohne ihnen zu gestatten, auch nur das Geringste mitnehmen zu dürfen, und trieben sie mit Fluchen und Kolbenstößen durch die eisigkalte Nachtluft nach der Petrikirche, um sie dort einzuschließen. Am folgenden Morgen wurden sie alle wieder ausgelassen und mit derselben Härte und Grausamkeit aus der Stadt getrieben. Viele hatten sich in der Nacht kaum bedecken können, auf Greise, Kinder, Schwangere, wurde nicht die geringste Rücksicht genommen, die Meisten zogen weinend, zitternd, erstarrend, ohne Kopf- und Fußbekleidung, mit fliegenden Haaren und den kummervollsten Gesichtern durch den Schnee dahin. Der Himmel selbst schien sich vor Wehmut zu umhüllen, die gänzlich stumme Natur um solches Elend zu trauern. Die, welche ohnmächtig und fast schon erfroren hinsanken, wurden auf Wagen geladen, auf das freie Feld gefahren und dort ihrem Schicksal überlassen. Die Meisten dieser Vertriebenen erlagen unter Hunger, Kummer und Kälte; Seuchen und Fieber rafften Tausende dahin, und Viele nahmen in der Verzweiflung sich selbst das Leben, um diesem Jammer auf ein Mal ein Ende zu machen.
Es muss den Bewohnern Altonas und der Umgegend nachgerühmt werden, dass sie diesen Unglücklichen durch die edelsten Taten der christlichsten Gesinnung zu Hilfe geeilt sind, dass sie es an der reinsten Aufopferung, nicht haben fehlen lassen, zu erquicken, zu speisen, zu schützen und die Schmerzen zu stillen. Es bildete sich eine Comité, welche die zweckmäßigsten Anstalten traf, zunächst einem Jeden das nötige Obdach zu verschaffen; ging dieses in dem bald überfüllten Altona nicht mehr an, so in Lübeck, Bremen und den nahen holsteinischen Orten. Die Comité bat den Grafen Chaban um Auslieferung der Suppenkessel, welche bei der Armenanstalt längst nicht mehr benutzt wurden, — es wurde abgeschlagen! —
In der Stadt, „im Hauptquartiere zu Hamburg“, wurde unterdessen mit dem Erpressen und der tyrannischen Behandlung in gesteigertem Maße fortgefahren. So wurde zuerst jedes Desertieren, jede Anleitung zur Desertion und falsches Werben auf's Neue und Schärfste verboten. — Ferner alles Spionieren, jede aufrührerische Bewegung — was sollten die Zurückgebliebenen und Abgematteten wohl noch viel unternehmen! Jeder Ankauf von Lebensmitteln aus den Staats-Magazinen. Auf ausländische Produkte wurde ein neuer starker Tarif gelegt. Ja, es wurde vom 4. Januar 1814 an sogar geboten, kein Brod mehr von den Bäckern zu kaufen, sondern nunmehr von seinem eigenen Vorrat nur zu leben. Dagegen mussten die Bäcker umsonst für eine Menge Leute backen, die im Dienste des Chefs standen; sie mussten angeben, welche Quantitäten sie noch auf ihren Speichern hätten, und übertrieben diese, wahrscheinlich um dadurch die Pläne der Bedrücker zu vereiteln. Daher gab es neue Vorwürfe und Befehle. In demselben Verhältnis, mit derselben Härte wurde Alles, was Fourage hieß, was zur Casernerie gehörte, beschränkt und von den Bürgern aufgetrieben. Die versprochenen Bezahlungen bestanden regelmäßig nur in Empfangscheinen.
Weiter wurde der lächerliche Befehl ausgeheckt, dass alle freien Plätze der Stadt aufgerissen und in Gemüsegärten verwandelt werden sollten! Die Lazarethe hatten sich längst überfüllt und es starben außerdem so Viele am Typhus, am Lazarettfieber, dass die Gestorbenen kaum Alle in die Erde geschafft werden konnten. Man drang ohne Umstände in alle Häuser ein, dort seine Kranken und Sterbenden unterzubringen. Den Kirchenvorstehern wurde angezeigt, dass innerhalb 24 Stunden alle Kirchen geräumt sein müssten, um sie zu Magazinen und Pferdeställen zu benutzen. Aber noch waren die 24 Stunden nicht abgelaufen, als schon überall Soldaten mit Äxten eindrangen, und eine mehr als vandalische Zerstörung anrichteten. Nur die Michaeliskirche blieb auf vieles Bitten verschont.