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Man hat von jener ersten Revolution große Dinge gerühmt, man hat sie fast über Reformation und Christentum gesetzt, man hat über sie Meinungen und Ansichten verbreitet, die an das Überschwängliche grenzen. Hier kann ich vielleicht eine Idee anbringen, allein es ist die des Widerspruchs und der Verneinung. Für Hamburg hat die Revolution früher oder zuerst nur Unglück gebracht, und ist später auch ohne Nachwirkung, ohne Heilkraft für die geschlagenen Wunden geblieben. Der Grund davon ist nicht in der Stärke, sondern in der Schwäche Hamburgs, teils aber auch in dem republikanischen Charakter, am meisten wohl in dem Mangel an politischem Sinn und in der sinnlichen Sorglosigkeit zu suchen. Hamburg hat Opfer gebracht, es hat Schritte zu seiner Selbsterhaltung getan, die die Bewunderung und die Wertschätzung eines Jeden verdienen, der die Freiheit liebt, aber es ruhte zu früh auf seinen Lorbeeren, es war zufrieden mit der äußeren Freiheit, und hat darüber die innere verloren, wenigstens nicht erreicht und ergriffen, als der günstige Moment da war. Hamburg kann in dieser Hinsicht ein ebenso erhabenes, als lehrreiches und wehwütiges Beispiel geben. Hamburg ruhte, es freute sich der nach schweren, kummervollen Tagen wiedergewonnenen Freiheit, aber es wusste von seiner Errungenschaft keinen Gebrauch zu machen. Darum ist die Revolution für Hamburg doppelt unselig gewesen; sie hatte ihm so Vieles genommen, sie hatte es gedemütigt bis zur Verzweiflung, und als die reifen Früchte am, Baume der Erkenntnis hingen, als die Zeit der Ernte da war, da blickten die Bürger nicht vor, sondern rückwärts, sie hatten für nichts weiter Sinn als für den Status quo. Die Erniedrigung war ihnen zu tief in die Glieder gefahren, sie hatten unter Napoleons Gewaltstreichen geduldet und geblutet und daher nicht gleich so viel Mut und Bewusstsein, zu ihrem Senat zu sprechen und den gerechten Lohn für die Opfer und Leistungen zu verlangen. Der Senat setzte sich voll Freude wieder zum Regieren zurecht und die Verfassung, welche schon hundert Jahre gehalten, musste noch länger halten. Zwar hatte Abendroth Manches angedeutet, was zu verändern und zu verbessern sei, doch waren es eben nur Andeutungen; denn von einer Repräsentation Aller, welche gefochten und dem Tode mit Freuden ins Antlitz geschaut hatten, war keine Rede. Ich tadle nicht so sehr die Stimmung der Bürger; ich begreife, dass denen, die eben zentnerschwere Fesseln getragen, andere von weit geringerem Gewicht federleicht erscheinen mussten; aber ich verdenke es dem Senat, dass er nicht dankbarer war und das Werk vollendete. So ist Alles wieder eingeschlafen oder vielmehr eingeschläfert worden, und Niemand hat darauf gehört, wie sehr auch der Zeitgeist durch das Maschinenwerk der hundert Jahre gerade alten Verfassung fuhr und die Zeit selbst an dem eisernen Fachwerk rüttelte! Ich muss auch einleitend von Solchen reden, die das Ende des achtzehnten und den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gerne als ihr goldenes Zeitalter betrachten, und von der Zeit der sogenannten Emigranten als von der guten, alten Zeit reden. Es war allerdings damals in neuen Kanälen viel Geld in Umlauf, es hatten die, welche nicht Handel trieben, keinen grenzenlosen Schaden und Verlust Preis gegeben waren, viele frohe fruchtbare Tage. Es wurde der zweiten Klasse die Aussicht zum Genuss eröffnet, während die erstere schon gelebt und ausgelebt hatte. Ja, das war die Herrlichkeit, das viel gelebt wurde! Die Jugend vor Allen stürzte sich in den Strudel der Leidenschaft hinein, sie war höchst leichtsinnig aufgewachsen und erzögen, sann nur aus Abenteuer und mutwillige, ausgelassene Streiche, und warf sich darauf mit demselben Leichtsinn, mit derselben Lust, Alles mitzumachen, in die Heere der Befreier hinein. Wenn die Kampfeslust bei Vielen auch patriotisches Gefühl war, bei Manchen war es Tollkühnheit, der Rausch, welcher sich von dem Einen auf das Andere stürzte; doch, muss ich hinzusetzen, nur bei der Jugend aus den höheren Ständen, denn diese hatte die ganze schöne Zeit durchgekostet und sehnte sich nach Abwechselung. Als auch dieses Spiel vorüber war — Mancher hatte in seiner Tollkühnheit eine ehrende Wunde erhalten —, als das Geld ausging, die Augen offen gingen, da trat bei vielen Zerfallenheit, Unlust, Missvergnügen, Verzweiflung am Leben ein. Das ist die Jugend jener Zeit, die gerast hat, und nun an der ganzen einsilbigen Welt kein Vergnügen mehr findet, die jetzt wie verlassen umherwandert und in ihrem Alter mit wehmütiger Zerknirschung, mit einstigen Kumpanen der guten alten Zeit spricht, dem geängstigten, gebrochenen Herzen Luft zu machen.

Das ist der Charakter des Anfangs des neunzehnten Jahrhunderts für Hamburg, dessen Details und Geschichte ich jetzt weiter erzählen will. Ein Gemälde voll Farbe, voll Draperie und Staffage, wenn auch nicht voll Himmel und Licht. Um aber das Charakter- und Sittengemälde zu vollenden, muss ich, gleichsam durch einen Gewaltstreich, mit einer Tat anfangen, die das Kainszeichen auf der Stirn trägt, die lange wie ein Mährchen von Mund zu Mund, nicht ohne Schaudern und Kreuzungen, erzählt worden ist, und mit den grellsten Farben zeigt, was Allen mehr oder weniger in der Seele lag. Es ist die Tat Rüsaus! —