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- Category: Vermischtes
- Published: 13 March 2011
Kirche und Geistlichkeit blühen in Hamburg, weil man ihnen tätig zu Hilfe kommt, ohne beiden einen Einfluss einzuräumen, der dem praktischen Leben nicht zuträglich sein möchte. Dass aber der Mystizismus nicht unheildrohend aufwuchert, liegt wohl hauptsächlich daran, dass in Hamburg Weltverkehr herrscht, welcher der in sich Gelehrteit, dem patriarchalischen Leben der Familien und der Abgeschlossenheit keine Einwirkungen auf den Staat gestattet. Mag auch hie und da sich eine mystische Gemeinde zeigen, sie wird sich an dem großen Tagesgewirre brechen, an der Öffentlichkeit, an den Interessen des Handels, der hier mit allem Gepränge auftritt, an dem Zufluss von Ideen aus Deutschland, Europa und der neuen Welt, die durch die Fremden und die Journalistik eingeführt werden. Eine Welt-Stadt kann sich nie und nimmer einer Gefühls - Schwärmerei hingeben, die Praxis und die gesunde Vernunft müssen hier die Oberhand behalten. Hamburg hat auch in kirchlicher Hinsicht ein heiteres, unbefangenes Angesicht. Die dortige Geistlichkeit vergräbt sich nicht in das Wort. Sie hält es mit dem Staate und dem Leben. Im Ganzen kann man die hamburgischen Prediger mit Fug und Recht Welt-Geistliche heißen; auch sie haben den kosmopolitischen Einfluss ihrer Umgebung empfunden und treten mit jener Unbefangenheit auf, die sich eben so sehr zur Toleranz hinneigt, wie zum Lichte, ohne das Christentum zu beeinträchtigen.
Wie in Lübeck, so ist auch in Hamburg die Lutherische Kirche die herrschende und zugleich die größere Gemeinde umschließende. Ich meine, die reformierte Gemeinde werde hier nicht über 2.000 Köpfe zählen. Die Senats-Mitglieder können aus beiden Konfessionen genommen werden.
Es lässt sich zwar nicht beweisen, aber ich glaube es immer, die reformierte Kirche gibt Bremen das rigoristische Ansehen. Man verkriecht sich mit ihr in die Häuser und Familien, und sie steht so schroff und abgeschlossen von aller Poesie da, so unkünstlerisch, dass die, welche in ihr erzogen werden, notwendig ein kaltes, formelles, herzloses Etwas anziehen müssen. Der Bremer sieht starr aus, wenn der Lübecker und Hamburger menschliche Variationen aufzuweisen haben, sanfte Blicke, poetische Gedanken und lebendige Augen. Bei dem Hamburger mag das mehr aus der Sozialität fließen, als aus der Kirche; aber bei dem Lübecker ist eine kleine Mischung des Luthertums dabei, das sich dem Katholizismus entwand, ohne ihn in seinen ersprießlichen Äußerlichkeiten zu vernichten. So viel ist auch gewiss, ein Lutheraner neigt sich, nach den Worten seines Meisters:
„Wer nicht liebt Wein, Weib und Sang
Der bleibt ein Thor sein Lebelang,“
mehr zur Sozialität hin, als der Reformierte, bei dem einmal Alles steif, bestimmt und zugeschnitten ist, sogar das Leben, durch die Prädestination. Könnte auch der Lutheraner es je vergessen, dass die liebenswürdige Nonne, Katarina von Bora den größten Anteil an seiner Kirche hat. Weil die Geistlichkeit anderer sozialer Zustände bedurfte, so verlangte sie nach einer andern kirchlichen Einrichtung. Der Glaube war es, um den sich der dreißigjährige Krieg bewegte, und dem Staate galt es. Wie sollte nicht eine Kirche, die aus dem Bedürfnisse der Sozialität entstanden ist, auf die Letztere zurückwirken. Die reformierte Kirche aber war ganz Glaubenssache, sie übte keinen staatsbürgerlichen Einfluss aus, wie die Lutherische, an ihr arbeiteten allein die Dogmatik und die Exegese, wenn an dieser die Natur und die Humanität mitgearbeitet hatten. Daher der Rigorismus jener, und die Milde dieser, daher die Wichtigkeit der Satzungen und Lehrsätze bei jener, und die Unerheblichkeit der Satzungen und Lehrsätze bei dieser. Es glaubt kein Lutheraner an die Verkörperung Christi im Abendmahl, aber dieser Begriff ist eine poetische Gemeinschaft, wie die Ehe eine fleischliche Gemeinschaft ist. Die Sozialität, das Leben liegt überall dem Luthertume zum Grunde, und seine, es von der reformierten Kirche scheidenden, Dogmen sind Nebendinge, um die sich kein vernünftiger Mensch kümmert. (Dieses Alles mag auch ein Grund mit sein, dass der Mystizismus nicht leicht in der Lutherischen Kirche um sich greifen kann. —) Dass aber die Dogmen bei der reformierten Kirche Hauptsache sind, ist gewiss. Ohne jene würde sie nicht existieren. Die Kirche Luthers aber existiert, abgesehen von allen ihren Lehrbegriffen, schon in den staatsbürgerlichen Einrichtungen, die durch sie herbeigeführt wurden; und die vielen ehelichen Nachkommen der Geistlichen zeugen nicht minder für sie, als die Übersetzung der heiligen Schrift, von Dr. Martin Luther. Die Lutherische Kirche ist lebendig, praktisch und nicht ohne alle Poesie; die reformierte Kirche ist tot und prosaisch. Auf das Leben hat sie nie einen Einfluss ausgeübt. Daher erkläre ich mir den Rigorismus und die Ungemütlichkeit, die verständigen und unsozialen Gesinnungen der in ihr Erzogenen. Wenn ich in meinen „Bremischen Skizzen“ eine andere Ansicht über die Hinneigung der reformierten Kirche zum Mystizismus aufstellte, so mache ich hier noch nachstehende geltend. Ich glaube, eben weil die reformierte Kirche dem Gemüte jede Richtung nach Außen nimmt, weil sie alle Sinnlichkeit verwirft, so veranlasst sie jenes, sich nach Innen zu wenden. Da findet es nun meistens mehr Zweifel, Angst und Besorgnis, als Glaube, Liebe und Hoffnung.
Es greift nach Rettung, es versenkt sich in Andacht und krankhafte Anbetung, in Buße und Reue. Der Verstand unterliegt dem Gefühle, das hier zum Glauben gemacht wird, zum Besieger des Zweifels. Wir haben nun jene Pietisten und Mystiker, wie sie gerade in Bremen hausen. Will ich einmal eine Kirche des Gefühls, so lobe ich mir den Katholizismus. Ach! „die römische Hure“ — wie Ihr sie nennt, Ihr, Mallet und Ihr, lieben Brüder, die ihr zwischen dem gesunden Menschenverstande und dem lieben Gott umhertaumelt, ist wahrlich so übel nicht. Sie mag von den Päbsten nach der Reihe beschlafen sein; aber sie bleibt doch eine Madonna. Tausende trieb sie in den Tod; ihr Thron war von Blut umflossen; ihr Fuß trat auf Leichen; aber die ihr fielen, die fielen aus Liebe zu ihr, wie die Freier jener Braut vom Kynast. Sie war wirklich eine seligmachende Kirche. Mich hat sie noch im Tode angelächelt und zur Liebe hingerissen, als ich sie sah in der Marienkirche in Lübeck, in dem Heiligenschein der Bilder, in den vielen frommen Patrizier-Augen, die gen Golgata sehnsüchtig schauen, freudetrunkenen Blickes. Sie ist auch eine Kirche des Gefühls; aber sie zieht mit diesem Gefühl in die Welt hinaus und macht Tausende glücklich. Und Ihr macht sie zur Hure, weil Ihr ihre Poesie über die Unzucht vergesst, die man mit ihr trieb. Schon gut! Aber meint Ihr, dass die Welt jemals an die dunklen Ahnungen und mystischen Offenbarungen Eurer Jungfrau, mit dem Gebetbuche in der Hand, an jene Offenbarungen und Deutungen, die in geistiger Sentimentalität schwelgen, glauben werde. Im Leben nicht; sie will, wo vom Gefühle die Rede ist, sinnliche Äußerungen desselben. Wo der Mystizismus Wurzel fasst, da wird er — und solches liegt in der menschlichen Natur — sich am Ende mit seinem kränkelnden Gefühlswesen nach Außen wenden; er wird alle jene unseligen Schwärmereien erzeugen, die sich der Staats-Maschine störend entgegen stellen. Also geschah es mit Proli und seiner Sekte. Auch der Mystizismus, oder, wie Ihr es nennt, die Liebe wurde hier zur Hure gemacht. Die Scheinheiligkeit diente ihr nicht weniger zum Deckmantel, als sie einst der katholischen Kirche zum Deckmantel diente. Ein Beweis, dass jede Religion, die nicht der Vernunft huldigt, stets verderbliche Einflüsse, verborgenes Gift in sich trägt.