- Details
- Category: Kultur
- Published: 24 March 2012
Am 8. März kehrte ich aus Berlin zurück, wo ich die spannende Möglichkeit hatte, Werke von etwa 20 verschiedenen Künstlern und Künstlerinnen zu sehen, in der Raab Galerie, mit Papierarbeiten von El Bocho, Dinah Busse; Luchiano Castelli; Paul Uwe Dreieck; Max Kaminski, Salome, A.R. Penk und anderen, so wie sieben Künstler, die sich in ihren Arbeiten mit dem Thema Blumen und Blüten in der Ausstellung FLOWER POWER beschäftigten, in der Gallerie LUMAS.de Nähe Ku´damm.
Aber eine wahre Perle der Kunst fand ich eben in Lübeck. Als ich dort die Ausstellung von René Blättermann sah. Ich war von der künstlerischen Qualität, der Bedeutungstiefe, Ebenenvielfalt und Genialität der gezeigten Werke im Herzen berührt.
Im künstlerischen Chronotop trafen sich Merkmale verlorener Zeiten und Aspekte der jüdischen Kultur im Raum Defacto–Art, und in diesem Raum sahen wir die bildliche Definition des Chronotop als „wesentliche Wechselbeziehung zeitlicher und räumlicher Auseinandersetzungen" und des Kairotops, des Malers, sein Moment der Erkenntnis und der Entscheidung, die bedeutende Gelegenheit, „die geräuschlose Detonation" des ewigen Zeitpunkts der hebräischen Kultur, in dem die Gegenwart sich in der Vergangenheit erkennt und die unvorgreiflichen Augenblicke der Entscheidung der Ewigkeit beweisen.
Ich stellte mir die Frage, warum dieser Zyklus und diese Kunstwerke so sein müssen, wie sie gestaltet waren. Warum stellt dieser Zyklus mir diese entscheidende Frage? Wenn ich die Gestaltungsarten dieses Zyklus vor Augen sehe, kann ich nicht nur die Motivarbeit, sondern auch die vielfältigsten Möglichkeiten der Lösungen dieses einmaligen Künstlers René Blättermann verstehen, die Funktionen jedes Details im Organismus seines einmaligen Zyklus, und wo diese Details entnommen sind. Alle Details dieser Bilder sind dem Künstler sehr gelungen und sie bestätigen den Wert seiner einmaligen Komposition. In diesem besonderen Zusammenhang zeigt sich das Wichtige der Möglichkeiten dieses Zyklus als Form. Der Zyklus beeindruckt durch harmonische, rhythmische Eleganz der Farben und Details, als Deutung der hebräischen Schrift in dieser Zyklusform, die wörtliche Deutungen vom sinnvollen Zusammenhang nach hebräischer Tradition sucht. In diesem Zyklus spielt eine besondere Rolle die Liebe zu Details und symbolhaften geistigen Energien der kabbalistisch-jüdischen Tradition der Buchstaben. Durch diese Liebe erkennen wir Zusammenhänge; die Funktion des Details im Ganzen der Komposition dieses Zyklus.
Die Technik von Rene Blätterman kann man als analytisch definieren, die uns zum Lehren und Lernen aufruft. Mit diesen Details würdigt der Künstler Beziehungen und Spannungen zur hebräischen Kultur, mit all ihren geschichtlichen Gewichtsverhältnissen. Davon zeugen seine Bemerkungen zu jedem Bild, die wie Wegweiser wirken. Für mich waren sie Ratschläge für die analytische Arbeit, selbstverständlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Mich fesselten Charakter, Komposition, Zeitgeschmack unter dem Zeichen des Kairotops des Zyklus Hebräer, die mich an Worte von Friedrich Schiller erinnerten:
„In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts, die Form aber alles tun; denn durch die Form allein wird auf das Ganze des Menschen, durch den Inhalt hingegeben nur auf die einzelne Kräfte gewirkt. Der Inhalt, wie erhaben und weitumfassend er auch sei, wirkt also jederzeit eingeschränkt auf den Geist, und nur von der Form ist, wäre ästhetische Freiheit zu erwarten. Darin also beruht das eigentliche Kunstgeheimnis des Meisters, dass er den Stoff durch die Form vertilgt; und je imposanter, anmassender, verführerischer der Stoff an sich selbst ist, je eigenmächtiger derselbe mit seiner Wirkung sich vordrängt, oder je mehr der Betrachter geneigt ist, sich unmittelbar mit dem Stoff einzulassen, desto triumphierender ist die Kunst, welche jenen zurückzwingt und über diesen die Herrschaft behauptet. Nichts streitet mehr mit dem Begriff der Schönheit, als dem Gemüt eine bestimmte Tendenz zu geben.“
Im Zyklus "Hebräer" fällt der Widerholungsabstand der Komposition ins Auge, nach dem bestimmten musikalischen Prinzip und zeigt die Überfülle der Gedanken, um die Kraft am Anfang der Komposition deutlich zu machen. Auf diese Weise wird das Thema wiederholt, variiert und schafft so einen harmonischen Abstand zum Aktionstempo der Farben.
Das spürt man auch in den Bildern der hebräischen Buchstaben Zade, Lámed und Schin. Der Künstler erklärt uns die Graphik Schin so: ש Schin ist der 21. Buchstabe des hebräischen Alphabets. Ein Symbol der Symmetrie, der Flamme, des Feuers, der Kraft der Torah, des spirituellen Aufstiegs und des inneren Friedens. Eine Ebene des Bildes zeigt korinthisches Erz, eine besondere und wertvolle Legierung, mit der der Tempel zu Jerusalem verziert war.
In die Buchstabenebene ist als Relief eine Schrift aus dem 16. Jhd. eingearbeitet, betitelt mit einer Zeile aus dem Hohelied Salomo "Kommt und seht". Zwei weitere Ebenen bestehen aus den Elementen Feuer und Wasser. Die Tropfen(formen) des Buchstabens korrespondieren in der Mystik mit Wasser oder Blut.
Schin ist auch der Anfangsbuchstabe des jahrtausendealten berühmten Verses „Schma Jissraél“ (Höre Israel, der Ewige unser Gott, der Ewige ist Eins...). So fließen in der Graphik mehrere Ebenen, Geschichte, Kultur, Mystik, Symbolik und Elemente zusammen.
Sie zeugen von der Schönheit, Achtung und Heiligung der Schrift, der tiefen Verankerung und überragenden Bedeutung der Schriftlichkeit im jüdischen Leben, dem elementaren und existenziellen Lebenswillen gerade auch in der Zerstreuung der jüdischen Menschen unter die Völker.
Mir gefallen auch die Bilder der Genisot (Orte der Aufbewahrung), die Bilder zur Kiddushin (Hochzeit), oder das Bild der Synagoge. Übrigens zeigt der Künstler hier die Lübecker Synagoge mit typischer Ikonographie.
Dieser Zyklus hat eine Reimordnung und wiederkehrende Motive, wie zum Beispiel die Seele. Übrigens: das Gedicht von Dorothea Grohe “Seelen blättern“, geschrieben zur Tanzperfomance von Lotte Grohe, gab die Anregung zur Graphik Nefesch (SEELE). Und im Dialog mit diesem Gedanken stand der meisterhafte, einmalige musikalische Rahmen der Akkordeonistin Martina Tegtmeyer, mit themenbezogenen Werken von Bach, Lundquist, Piazzolla und Vlassow verbunden mit Klezmer-Elementen. Besonders interessant war das Stück „Gulag-KZ“ ( Man konnte das Leiden der Seelen umgebrachter Häftlinge spüren).
Ich habe für mich den Zyklus „Hebräer - Dichtung in farbigen Reimen“ genannt, weil dieser Zyklus die Unvergänglichkeit der Gedanken und Empfindungen mit der ewigen hebräischen Kultur in eleganter, ästhetischer Form als Komposition verbindet. Das wunderbare an der Ausstellung ist, dass die Bilder von René Blättermann die hebräische Geschichte in erster Linie in Farben erzählt, in raffinierter ästhetischer Form. Ich spürte zarte, selig-schmerzliche Liebe und Schwärmerei zum „Lied der Lieder“ und biblischen Texten. Mit diesem Zyklus hat der Künstler der hebräischen Kultur ein Denkmal gesetzt. René Blättermanns Zyklus „Hebräer“ wirkt durch Sensibilität und Intellekt wie ein malerisches Gedicht, ein Zu-sich-selbst-Finden durch malerisch-ästhetischen Anspruch. Dabei erinnere ich mich an die Verse von Friedrich Hölderlin und seine „Eichenbäume“
Und ihr drängt euch fröhlich und frei, und frei,
aus kräftiger Wurzel,
Unter einander herauf und ergreift, wie
Der Adler die Beute,
Mit gewaltigem Arme den Raum, und
Gegen die Wolken
Ist euch heiter und gross die sonnige Krone
Gerichtet“.
Wenn ich an die hebräischen Schriftzeichen denke, erinnern mich diese Buchstaben an verbrannte Zweige, die ewig glühen und trotzdem grüne Sprosse geben, weil durch diese Buchstaben Gott spricht. Das hebräische ót (Wort) heisst gleichzeitig „Zeichen“ und zwar mit der Bedeutung von Geschehen, Wunder („Bald geschehen Wunder“. „Es geschehen noch Zeichen und Wunder“). Dadurch kann man das Göttliche in der realen Welt erkennen.
Genauso nutzt der Künstler René Blättermann Inspiration, Phantasie, Fiktion, archäologische Funde und ästhetische Erfindung von Erinnerungsteilchen und Vorstellungen und kombiniert sie bewusst in seinem unverwechselbaren Zyklus „Hebräer“. So entstehen Elemente der optischen Verführung, Bilder von subtiler Raffinesse. Nicht zufällig sagte der Maler selbst: „Im Zyklus soll die Geschichte bildhaft dargestellt und über das ästhetische Empfinden anschaulich, erfahrbar und begreifbar gemacht werden. Die Bilder bieten eine Möglichkeit, sich mit jüdischer Religion, Geschichte und Kultur zu beschäftigen, um so Verständnis zu fördern und dem jahrhundertealten Zerrbild vom Judentum – und dadurch dem Antisemitismus entgegenzuwirken.“