Zustände in Mecklenburg 1844

Autor: Heß, M. Dr. (?)Großherzogl. Weimarschen Land-Rabbinen in Eisenach, Erscheinungsjahr: 1844

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Hamburg, Juden, Judentum, Synagogen-Ordnung
Aus: Der Israelit des neunzehnten Jahrhunderts. Eine Wochenschrift für die Kenntnis und Reform des israelitischen Lebens. Redigiert und Herausgegeben von Dr. M. Heß, Großherzogl. Weimarschen Land-Rabbinen in Eisenach. V. Jahrgang, Nr. 40. 1844

Es ließ sich wohl voraussehen, dass, so mäßig und behutsam die im vorigen Jahre erlassene Synagogen-Ordnung die Bahn des Fortschrittes in Verbesserungen des Kultus betreten, es dennoch nicht an einzelnen lichtscheuen Finsterlingen fehlen würde, denen auch schon durch dies spärliche Licht die Augen geöffnet und die zu einem fürchterlichen Jammergeschrei über Zerstörung der Religion veranlassen würden. Sind doch Hamburg und Altona die Sitze des eingefleischtesten jüdischen Zelotismus, in der Nähe, wohin die Mecklenburgischen Juden zwei Mal im Jahre ihres Geschäftsbetriebes wegen reisen, und wo man es sich zum größten Verdienst anrechnet, die Gemüter aufzustacheln und aufzureizen! Bekanntlich ist diesen Zeloten der trotz aller ränkevollen Machinationen, in blühendem Wachstum dort fortbestehende Tempel ein Stein des Anstoßes. In ihrem wahnsinnigen Eifer gegen sein Gedeihen möchten sie sich und Andere zu bereden suchen, der Tempel sei etwas ganz Apartes, er stehe nicht im Judentum, der ihm angehörende Verein bestehe aus lauter Neumodischen, was in ihrem Sinne mit Nichtjuden identisch ist. Wenn der liebe Gott ihn bestehen und blühen lässt, so ist das mehr zur Warnung als zur Nachahmung, damit die frommen Juden sich ja nicht ein neumodisches Gelüste beikommen lassen, etwas an ihrem alten Kultus zu rütteln, denn solches frevelhafte Rütteln an dem heiligen Alten führe geradezu in die Pforten des — Tempels. Mit welchem Schrecken mussten diese daher ein solches Beginnen in ihrer nahen Nachbarschaft erblicken! Hier ist kein Tempel, hier sind keine neumodischen Juden, und doch regt sich ein Geist des Fortschrittes im Kultus. Das könnte uns gefährlich werden; bei einem neuen Tempelstreite . . .

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Das Interesse der Hamburger Zeloten, in Mecklenburg Zwietracht auszustreuen und das Feuer des Aufruhrs gegen die unschuldige Synagogen-Ordnung emsig zu schüren, ist ganz ersichtlich. Und doch lässt sich zur Ehre der Mecklenburgischen Juden sagen, dass jene geheimen Umtriebt nur zehn Individuen, sämtlich der Schweriner Gemeinde und der ungebildetsten Klasse angehörend, zur Opposition gegen die Synagogen-Ordnung bestimmen konnten. Diese blieben teilweise vom Gottesdienste weg und wandten sich in ihrer Bedrängnis an alle orthodoxen Rabbinen, erhielten aber die trockene Antwort, dass sie sich in fremde Händel nicht mischen mögen. Nur Hirsch in Emden erließ eine erbauliche Epistel an die Renitenten, worin er sie auf das Gute und Zweckmäßige, welches die Synagogen-Ordnung enthält, aufmerksam machte, und in Bezug derjenigen Veränderung, die er missbilligte, zu gesetzlichen Schritten bei der Religionsbehörde ermahnte. Allein die Opposition ist aus solchen Unwissenden zusammengesetzt, dass sie Hirschs Schreiben gar nicht verstand und es als Unterlage gebrauchte, um die Synagogen-Ordnung bei der Regierung zu denunzieren, sie sei teils dem mosaischen Gesetz entgegenlaufend, weil sie am Gedächtnistage der Zerstörung Jerusalems das Anlegen von Filzschuhen dem Belieben anheim stellte, teils den seit Jahrtausenden heiligen Gebräuchen zuwider, weil sie das Ab-Garmheinn gestürzt. Nachdem sie den ganzen Winter heimlich intriguiert, trat sie gegen Ostern wieder mit einer Denunziation gegen den Landes-Rabbinen auf, stellte seine Rechtgläubigkeit in Frage, weil er sich in den drei Wochen den Bart zwicken lässt und suchte ad absurdum zu beweisen, dass eine unter dem Einflusse eines solchen Mannes ausgearbeitete Synagogen-Ordnung nicht auf orthodoxer Basis ruhen könne. Wie verlautet, sollen die landesherrlichen Kommissarien der Regierung die schon damals erbetene Dispensation zu einem Privatgottesdienst widerraten haben. Endlich haben sie am jüngsten Pfingsten nachstehendes Reskript erwirkt. Es lautet:

„Dem Schutzjuden N. N. et Konsorten in Schwerin wird auf ihre Vorstellung vom 15. d. M. erwidert, dass die Regierung sich vorbehält, die von den Supplikanten darin wiederholt angebrachte Beschwerde wegen des in der hiesigen Synagoge eingeführten Kultus annoch weiterer Prüfung zu unterziehen. Inzwischen und bis auf weitere Verfügung soll es jedoch den Supplikanten dispensndo gestattet sein, ihrem Ritus und Glauben gemäß in aller Stille Gottesdienstliche Zusammenkünfte zu halten. Übrigens aber werden die Supplikanten hierdurch, was sich von selbst versteht, von keiner ihrer Verpflichtung zu Gemeindeleistungen befreiet. Schwerin am 22. Mai 1844.“

Es soll gegen diese Dispensation von Seiten des hiesigen Landesrabbinen eine energische Repräsentation eingereicht worden sein, worin besonders die Vorgabe der Opponenten, als seien sie an dem öffentlichen Gottesdienste Teil zu nehmen, in ihrem religiösen Gewissen behindert, auch vom orthodox-talmudischen Standpunkt aus als eine Unwahrheit nachgewiesen worden ist. Diese und eine, wie es heißt, auch vom israel. Oberrat verbreitete ähnliche Repräsentation wird wahrscheinlich so lange erfolglos bleiben, als die Regierung die Gesichtspunkte der Gewissensfreiheit auf diesen Fall anwenden zu müssen glaubt, und man könnte sich über den etwaigen Nachteil um des guten Prinzips willen trösten. Man kann die Entwickelung der religiösen Verhältnisse in solchen Ländern ruhig dem bessern Zeitgeiste überlassen, wo die Regierungen das Prinzip der Gewissensfreiheit festhalten. In Hamburg wird der Tempel um der Gewissensfreiheit willen geduldet, hier ist es die Juden schule, die dieser Duldung noch ihre Existenz verdankt. Wären die Finsterlinge nur einigermaßen denk- und urteilsfähig, sie mussten um dieser Konzession willen einen Trauer- und Bußtag anordnen und ihre Häupter mit Asche bestreuen und ihre Leiber in Säcke einhüllen. Ist es ja das Prinzip der Gewissensfreiheit, ihr gefährlichster Todfeind, dem sie diese Konzessionen verdanken, und ist es ja zugleich dieses Prinzip, unter dessen Schlitz und Schirm die fortschreitende Reform des Judentums einem sichern Siege entgegengeht! Aber die Borniertheit und die Verblendung dieser Leute ist so groß, dass sie den Zusammenhang dieser Regierungsmaßregel mit den leitenden Prinzipien nicht einzusehen vermögen und dass sie triumphieren, als hätte die Finsternis über das Licht einen dauernden Sieg errungen. In diesem Übermut gehen sie so weit, dass sie bei der öffentlichen Meinung, die ihnen wie die Gewissensfreiheit eine völlig fremde Gestalt ist, anklopfen und durch einige gut bezahlte aber schlecht geschriebene Zeitungsartikel die Synagogen-Ordnung zu verunglimpfen und ihren rechtmäßigen Bestand anzugreifen suchen. So wogten sie es sogar neulich in der „Hamburger Neuen Zeitung“ mit einem solchen Schmutzartikel aufzutreten, worauf dieselbe Zeitung vom 29. August folgende Entgegnung, die Ihre Leser gewiss interessieren wird, bringt:

„Aus Mecklenburg. Es ist ein sonderbares Zeichen der Zeit, dass die sogenannte orthodoxe Partei der Juden im Großherzogtume Mecklenburg-Schwerin in ihrer bornierten Unwissenheit sich nicht scheuet, ihren Unwillen über die neue Synagogen-Ordnung in der „Hamburger Neuen Zeitung“, diesem bewährten Organe des Fortschrittes, zur Sprache zu bringen. Die Unken erheben ihr lärmendes Gekrächze, verlassen aber gegen ihre Natur ihren mitternächtlichen Schlupfwinkel und wollen bei dem hellen Lichte der Mittagssonne gleichgesinnten Gewürme vorspiegeln, es sei stockfinstere Nacht. O fahret so fort, Eure Natur zu verleugnen! kriechet fortan hervor! und der klare Schein der Öffentlichkeit wird Euch bald in Eure finstren Höhlen zurücktreiben. Wahrlich man muss glauben, dass ein neckender Kobold die Stimmen der sogenannten Dissentierenden aus Schwerin („Hamb. N. Ztg.“ vom 1. August) veranlasst und sie zur Öffentlichkeit verlockt hat, um sie auf immer unschädlich zu machen. Kaum lohnt es sich der Mühe, die versuchte Verunglimpfung der neuen Synagogen-Ordnung hier abwenden zu wollen. Dieselbe auf die Synagogen-Ordnung des Königreichs Württemberg und jene der strenggläubigen Gemeinde zu Kopenhagen basiert, ist in der Rabbinenversammlung zu Braunschweig einstimmig, also auch von den anwesenden Vertretern der orthodoxen Partei als eine im reinen Judentume wurzelnde anerkannt. Der einzige Vorwurf, der ihr zu machen, ist der, dass sie aus übertriebener Ängstlichkeit, die Gemüter zu schonen, eine Masse obsoleter unpassender Gebete, an ihrer Spitze das übelberüchtigte Kol nidre (über dessen notwendige Ausmerzung wir uns ein Weiteres in diesen Blättern vorbehalten) in den neuen Ritus mit hinüber gebracht hat. — Die Synagogen-Ordnung hat es sich vor Allem zur Aufgabe gestellt, die hergebrachte große Beteiligung einzelner Mitglieder der Gemeinden an der Leitung des Gottesdienstes aufzuheben, den so entstandenen täglichen Störungen und Verwirrungen in der Synagoge ein Ende zu machen, namentlich die angemaßten Prärogative Einzelner, am Sabbath und an den Festtagen mit ihrem näselnden trivialen Gesänge und ihrem polnischen Jargon sich den Heiligenschein eines Vorbeters zu erringen, vernichtet, hinc illae lacrymae! Das wären Beweise genug für ihren Wert. Aber den Finsterlingen hier wie überall hat sie wehe getan, denn sie hat gezeigt, dass es ihr Ernst ist, dem bisherigen Unwesen in der Synagoge zu steuern. — Das zeugt noch mehr für ihren Wert. Sie hat bewirkt, dass Ihr nicht mehr Euern Sabbat durch unheiligen Kauf und Verkauf während des Gottesdienstes schänden dürfet, Ihr Pharisäer! Sie hat gewehrt, dass Ihr nicht mehr mit Euerm kannibalischen Geschrei, Euch selbst und andern Glaubensgenossen zum Spott, aus der Synagoge eine Judenschule machen dürfet; sie wehrt Euch, euch Schriftgelehrten, fortan die aus dem unglücksvollen Mittelalter der Verzweiflung abgepressten Rachegebete, mit denen Ihr noch sabbatlich die Strafe des Himmels in wahnsinniger Inbrunst auf Eure Mitmenschen erflehen wollet, an Gottes Stätte auszusprechen; sie wehrt Euch, Eure unanständigen Gebilden fortan in Gottes heiliger Stätte zur Schau zu tragen, wo Ihr von Eurem Glauben aus Euch über Andere erhebet; sie wehrt Euch, Ihr Scheinheiligen, an den Tagen der Buße in der Synagoge zu erscheinen, um wie in Eurer schmutzigen Schlafkammer Euch Filzschuhe anzuziehen und in unanständiger schmutziger Kleidung einzutreten in Euer Gotteshaus, um dem Herrn durch anscheinende Demut im Äußern die Hoffart Eures Innern verbergen zu wollen! — Das und nichts mehr hat die Synagogen-Ordnung bewirkt, und deshalb Euer Grimm, der mehr für den Wert derselben spricht, als meine Worte".

Dass jene vorerwähnte Dispensation nur im Interesse und im Sinne der Gewissensfreiheit von der Regierung erteilt worden ist, übrigens aber die Synagogen-Ordnung von ihr im Prinzip festgehalten wird, setzt die Tatsache, dass auch nachdem, so oft in einzelnen Fällen ein Dispens in Betreff irgend eines Punktes bei ihr nachgesucht wird, sie jedesmal zuvor die Berichterstattung des Landes-Rabbinen einfordert, außer Zweifel. Wie sehr die Negierung mit dem religiösen Fortschritt der Juden es ernst meint, ohne dem Prinzip der Gewissensfreiheit im mindesten zu nahe treten zu wollen, mag folgendes hohe Reskript, den hebräischen Unterricht der Mädchen betreffend, zu welchem einzelne Auflehnungen die Veranlassung gaben, beweisen. Es lautet:

„Da unverkennbar eine nicht ferne Zeit den israelitischen Kultus der Verbesserung entgegenführen wird, dass in Deutschland auch das Liturgische desselben nicht mehr in hebräischer sondern in deutscher Sprache wird vorgetragen werden, und da die Mädchen in israelitischen Religionsschulen lediglich deshalb noch an dem Unterrichte in der hebräischen Sprache Teil nehmen, um die hebräisch Liturgie notdürftig verstehen zu können, und selbst dies nur in den allerseltensten Fällen erreicht wird, so haben Sie, so oft darauf angetragen wird, die Mädchen von der Erlernung des Hebräischen zu dispensieren. Schwerin am 24. April 1844".

Großherzogl. Mecklenburgische Landes - Regierung. L. von Lützow. An den Landes-Rabbinen Dr. Holdheim,“ — Bei solchen Gesinnungen und Prinzipien der Regierung lässt sich für die Entwickelung der religiösen Verhältnisse, trotz der sich geltend machenden Reaktionen, nur Gedeihliches hoffen. X.

Blick auf Hamburg - Unterelbe

Blick auf Hamburg - Unterelbe

Blick auf die Hamburger Binnenalster

Blick auf die Hamburger Binnenalster

Hamburg Brandstwiete 1775

Hamburg Brandstwiete 1775

Lagerhäuser im Hamburger Freihafen

Lagerhäuser im Hamburger Freihafen

Hamburg Jungfernstieg 1830-1855

Hamburg Jungfernstieg 1830-1855

Wismar.

Wismar.

Sternberg - Marktplatz.

Sternberg - Marktplatz.

Penzlin.

Penzlin.

Neubrandenburg.

Neubrandenburg.

Neu-Strelitz.

Neu-Strelitz.

Neustadt - Altes Schloß.

Neustadt - Altes Schloß.

Güstrow - der Markt.

Güstrow - der Markt.

Bützow.

Bützow.