Zur Memoirenliteratur - Erinnerungen aus den Napoleonischen Freiheitskriegen 1813 bis 1815

Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. 1ter Jahrgang 1851. Januar-Juni.
Autor: Redaktion - Deutsches Museum, Erscheinungsjahr: 1851
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Karl von Raumer, Erinnerungen aus den Jahren 1813 und 1814, Freiheiskriege, Napoleon, Gneisenau,
Jede Zeit, auch die scheinbar unproduktivste, literarisch verwildertste, erzeugt sich ihre eigenen Schriftsteller und ihre eigenen Bücher; das ist ein Satz, den wir alle kennen, und den die Geschichte in allen Literaturen, in allen Jahrhunderten bestätigt. Immerhin aber ist es interessant zu sehen, wie dieser allgemeine Satz sich auch in jedem einzelnen Falle wiederum bewährt, und wie keine Richtung der Zeit so vorübergehend, keine Stimmung dieses öffentlichen Bewusstseins so flüchtig, so augenblicklich ist, — sie findet ihren Ausdruck in der Literatur, ja noch mehr, die Literatur kommt diesen Stimmungen selbst entgegen, sie geht ihnen voran, instinktmäßig, bewusstlos, wie Propheten zu sein pflegen.

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Weder Herr Karl von Raumer in Erlangen, da er seine Erinnerungen aus den Jahren 1813 und 1814 niederschrieb, wie er selbst sagt: „sich wieder aufzurichten und zu erquicken in diesen letzten traurigen Jahren, wo die in den Freiheitskriegen wiedererkämpfte Ehre Deutschlands schmachvoll geschändet ward und wir zum Hohn und Spott der andern Völker wurden“, noch Herr Geh. Justizrat Gross in Leipzig, da er sich entschloss seine Erinnerungen aus den Kriegsjahren in Druck zu geben, weniger, wie er im Vorwort versichert, um unsere Memoirenliteratur zu bereichern, als um einen Beitrag zu liefern zur Spezialgeschichte der Stadt Leipzig — weder der Eine noch der Andre, sagen wir, hat vermutlich dabei geahnt, dass die Veröffentlichung dieser Schriften in eine Zeit fallen sollte, wo die Erinnerung jener Kriegsjahre uns näher gerückt war denn je, und wo sogar von der nationalen Begeisterung, welche jene Epoche so denkwürdig, so glorreich macht, wenigstens in einem Teil der Nation einzelne verspätete Flammen in die Höhe schlugen. Freilich wohl, die Olmützer Konferenzen haben diese Flammen gründlichst wieder ausgelöscht, so gründlich, dass selbst Diejenigen, die einige Zeit hindurch am tätigsten waren, sie hervor zu locken, jetzt am liebsten ganz in Vergessenheit brächten, dass jemals von Krieg und kriegerischer Stimmung die Rede gewesen. — Aber auch so noch bilden die beiden Schriften eine interessante und wahrhaft zeitgemäße Lektüre. Es ist nicht bloß wegen der Verwandtschaft des Stoffes, dass wir sie hier zusammen nennen, sondern weil sie sich in der Tat auf eine fast wundersame Weise ergänzen. In dem Buche des Herrn v. Raumer lebt die ganze hohe todesmutige Begeisterung, von der im Jahre dreizehn die edelsten Herzen Deutschlands ergriffen waren; dieselbe Begeisterung, die man heut in unserem vorgeschrittenen Zeitalter glaubt leiten zu können wie den Dampf in der Maschine, dass sie hier die Räder treibt, dort sie zurückhält, dort wieder unschädlich, mit leisem, spöttischem Gezisch durch die Sicherheitsklappe ins Blaue hinausfährt...! Wie er selbst, in der nächsten Umgebung Gneisenaus, des unvergleichlichen, von ihm mit Recht aufs höchste gefeierten Helden, an allen wichtigsten Begebenheiten jenes Krieges Teil genommen, so führt uns auch sein Büchlein, in rascher Umschau, ein vollständiges lebendiges Gemälde jener großen Zeit vor die Seele. Der Verf. hält sich überall nur in den Grenzen des persönlich Erlebten: aber diese Erlebnisse sind zum Teil so interessanter Natur, diese Persönlichkeit selbst eine so edle, reine, gebildete, dass wir ihm stets gern und mit tiefer Befriedigung folgen; selbst der Geschichtsschreiber jener Epoche wird das Raumer’sche Büchlein nicht übersehen dürfen, sowohl wegen mancherlei wichtiger, tatsächlicher Aufschlüsse, zu denen der Verf. durch seine persönliche Stellung zum Grafen Gneisenau befähigt ward, als ganz besonders wegen der Reinheit und Treue, mit welcher die ideale Seite der damaligen Erhebung sich gerade in diesem Manne und diesem Buche wiederspiegelt. —

Gerade die entgegengesetzte Seite stellt sich in den „Erinnerungen aus den Kriegsjahren“ dar; die Begeisterungslosigkeit des Philistertums, die träge Beharrlichkeit des wohlhäbigen, in seinem Kreise tätigen, rechtschaffenen, aber jeden Enthusiasmus für das Allgemeine und jede ideale Erhebung als etwas Fremdartiges, Störendes von sich ablehnenden Bürgers. Wir Spätgeborenen, in dem Gefühl unserer eignen Schmach und Schwäche, denken uns das Jahr dreizehn gern ausschließlich im Rosenschimmer patriotischer Begeisterung. Aber dieses Büchlein unter anderem kann uns belehren, welchen zähen Widerstand Selbstsucht, Mutlosigkeit und triviale Gewöhnung auch damals schon leisteten. „Für den Einwohner ist es das Beste, nicht zu politisieren und sich seinen Geschäften zu widmen. Außerdem muss man den Mut haben auf alle Annehmlichkeiten des Lebens zu verzichten, Alles entbehren zu können, was angenehm und bequem ist, das Leben selbst hinzugeben, mit einem Worte, seine Meinung mit seinem Blute besiegeln. Die, welche nicht diesen Mut haben, tun besser, sich um nichts zu kümmern und die Welt ihren Gang gehen zu lassen.“ Diese Worte Napoleons, welche der Verfasser aus einer Unterredung mit demselben, Anfang Juli 1813 zu Dresden, mitteilt, bilden das eigentliche Grundthema der Schrift; wer daran noch nicht genug hat, der mag noch die Erklärung hinzufügen, mit welcher der Mitdeputierte, der Leipziger Kaufmann Dufour, auf jene Sentenz des Kaisers erwiderte: „Sire, es gibt in Leipzig eine große Anzahl von Personen, welche so handeln; es ist die große Mehrzahl der Einwohner, ehrenwerte Familienväter, betriebsame und arbeitsame Männer, welche Ew. Majestät eine ununterbrochene Verehrung weihen, ich erlaube mir zu sagen, die einzige, welche Ihrer würdig ist, die der Reflexion (pensée) und der Bewunderung.“ — Natürlich kommt es uns nicht von Weitem in den Sinn, dem Herrn Verfasser diesen seinen Standpunkt zum Vorwurf zu machen; im Gegenteil, wir danken ihm für die Naivität und Treue, mit welcher er denselben darlegt; wie wir denn das überhaupt behaglich geschriebene, an allerhand Anekdötchen und Histörchen reiche Büchlein Allen, die sich für die Einzelheiten jener Epoche interessieren, mit gutem Gewissen empfehlen können. Zwischen Enthusiasmus auf der einen und Philisterhaftigkeit auf der andern Seite schwankt unser deutsches Leben schon seit Jahrhunderten, es möchte schwer zu sagen sein, was von beiden uns schädlicher geworden ist; warum denn, was wir in unserer Geschichte selbst fort und fort erdulden müssen, aus unserer geschichtlichen Literatur verbannen? Und obenein hat der Standpunkt des Leipziger Ratsherrn ja in diesem Augenblick wieder praktisch die Oberhand behalten; das Buch des Herrn von Raumer, noch vor wenigen Wochen so zeitgemäß, unserer eigenen Stimmung so entsprechend, wird schon jetzt Niemand mehr lesen können, ohne vor Scham und Zorn über sich selbst zu erröten, Herr Geh. Justizrat Gross dagegen wird, glauben wir, noch lange Recht behalten. . .

Blücher, Gemälde von Gebauer (Hohenzollernmuseum)

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Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 4

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Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 2

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Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 3

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Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 1

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3. Husaren-Regiment unter Napoleon I.

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Die Befreiungskriege 1813-1815. Original-Cover.

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Elb-National-Husaren-Regiment. Preußen. 1813-1815

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Friedrich Wilhelm III. König von Preußen (1770-1840)

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Pommersches National-Kavallerie-Regiment. Preußen.

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