Zur Geschichte der Oper in Deutschland II.

Die deutsche Oper in Hamburg
Autor: Chrysander, Friedrich Dr. (1826-1901) deutscher Musikwissenschaftler und Herausgeber der Werke Georg Friedrich Händels. Studierte und promovierte an der Universität Rostock., Erscheinungsjahr: 1855
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kunst, Kultur, Musik, Geschichte der Oper, Mecklenburg, Rostock, Hamburg, Chrysander
Aus: „Musik und Theater in Mecklenburg“ von Friedrich Chrysander. Nr. 2 dieser Blätter vom 13. Januar 1855

Der Dreißigjährige Krieg hatte Deutschland gebeugt, aber nicht zerknickt, viele alte Schöpfungen zerstört, aber nicht die angeborene Kraft geraubt. Diese schoss vielmehr nach und nach auf verschiedensten Gebieten in die herrlichste Blühte. Zunächst dauerte es eine Zeit und kostete Mühe, durch den Wust, mit dem der Boden bedeckt war, durchzudringen; die Musik war die erste Macht, welche gewaltig hervorbrach, einfach aus dem Grunde, weil sie nie zerstört war; denn dem Choral des Volkes und dem Kontrapunkte der Kantoren allein hatte der Krieg nichts anhaben können; ja, er half sogar die alten Fesseln lösen, mit denen die Tonkunst bis dahin, und zwar zuletzt unnötig, gebunden war. Der lebenskräftigsten Kunstform der neueren Zeit, der Oper, bemächtigte sie sich, und geschult von Italien, erreichte sie hier in ihren letzten Resultaten (in Händel nämlich) die erstaunlichsten Ergebnisse.

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Dresden pflegte die rein italienische Oper. In Hamburg aber ward 1677 ein neues Haus gebaut für die deutsche Oper, und dieses ist am 2. Januar 1678 eröffnet mit der von Christian Richter gedichteten und von Teil komponierten Oper: „Der erschaffene, gefallene und aufgerichtete Mensch.“ Der Text ist erhalten, die Musik nicht. Es wurden besonders im Anfange vielfach geistliche Gegenstände behandelt, etwa in der Weise der geistlichen Schaustücke (Autos sacramentales) der Spanier, nur weniger poetisch. Mit der Zeit neigten sich die Hamburger aber entschiedener dem Weltlichen, der theatralischen Liebes-Sentimentalität, zu. Man hat hierüber jetzt zwei vortreffliche Abhandlungen von Dr. J. Geffcken*). Sonst ist noch wenig Verlässliches über diesen Gegenstand zu Tage gefördert. Was Lessing in seinen Collectaneen (im 11. Bande der Lachmann'schen Ausgabe seiner Werke) über die Hamburger Oper anmerkte, ist bei Weitem nicht ausreichend. Gervinus macht im dritten Bande seiner deutschen Dichtung einige gute Bemerkungen, über das Ganze hat er aber eine viel zu unbestimmte und da, wo sie bestimmt ist, zu niedrige Meinung. Wie konnte ihm entgehen, dass nicht Feind, sondern Mattheson die Hauptquelle ist? Der Güte unseres verehrten Archivars Dr. Lisch und des Herrn Prof. Dr. Petersen verdanke ich die Benutzung der Quellen, welche in einziger Vollständigkeit die Hamburger Stadt-Bibliothek aufbewahrt; was auf der Gymnasial-Bibliothek zu Schwerin darüber vorhanden ist, hat mir Herr Direktor Dr. Wex bereitwilligst zur Durchsicht überlassen. An diesem Orte kann ich von denselben natürlich nur einen spärlichen Gebrauch machen; ja, ich würde sie hier ganz umgangen haben, wenn ich nicht auf eine Verbindung des Herzogs Friedrich Wilhelm (1708—1713) mit der Hamburger Oper und ihren Meistern gestoßen wäre.

*) In der Zeitschrift des Vereins für hamburgische Geschichte im 3. Bande. Hamburg, 1851. „Der erste Streit über die Zulässigkeit des Schauspiels“, S. 1—33. „Die ältesten hamburgischen Opern, zunächst in Beziehung auf die in ihnen behandelte heilige Geschichte“, S. 34—55.

Dieser Fürst hielt sich um 1700 und später viel in Hamburg auf. Die berühmtesten Musiker der dortigen Oper waren Reinhard Keiser aus Sachsen, Mattheson aus Hamburg und Händel aus Halle. Keiser war der glänzende Mittelpunkt, der weithin berühmte Held des Tages; Mattheson und Händel waren jünger. An diesem Keiser und seiner Musik fand Herzog Friedrich Wilhelm ganz besonderes Gefallen; er verlieh ihm (1700 oder 1701) den Titel eines „Hochfürstlich Mecklenburgischen Kapellmeisters“. War der Herzog „lebenslustig und ohne tieferen Charakter“, wie J. Wiggers sagt (Mecklenb. Kirchengeschichte, S. 194), so musste natürlich Keiser sein Mann sein; denn dieser war eben so.

Die Bedeutung des Ganzen lässt sich in der Kürze nicht besser darlegen, als durch die Erneuerung des fein gezeichneten Bildes, welches der geistreiche Mattheson von diesem Keiser entworfen hat, nämlich in dem jetzt sehr selten gewordenen Buche: „Grundlage einer Ehren-Pforte woran der Tonkünstler etc. Leben, Werke, Verdienste etc. erscheinen sollen.“ Hamburg, in 4. 1740. Das Folgende ist ein wortgetreuer Auszug aus Matthesons Erzählung, S. 125 — 135; Herzog Friedrich Wilhelms Verbindung mit der Hamburger Oper ist daraus deutlich zu ersehen.

„Reinhard Keiser“, beginnt Mattheson, „mag etwa ums Jahr 1673 geboren sein. Der eigentliche Ort, wo solches geschehen, ist zwar nicht bekannt; doch liegt er vermutlich zwischen Leipzig und Weißenfels. Der Vater soll ein guter Komponist gewesen sein, der sich aber bald hier, bald dort, aufgehalten hat.

„Die Lehr- und Studenten-Jahre hat unser Reinhard in der Leipziger Thomas-Schule und auf dasiger Universität zugebracht, auch, allem Ansehen nach, daselbst die Gründe der Setzkunst eingesehen; wiewohl er das wenigste seines Wissens irgend einer Anweisung, sondern fast alles, was seine Feder hervorgebracht hat, der gütigsten Natur und nützlicher Betrachtung einiger besten welschen Notenwerke zu danken gehabt. Die erste, wo ich nicht irre, und zwar recht schöne Probe davon legte er mit dem Schäferspiel Ismene zu Wolffenbüttel oder vielmehr zu Saltzdalen ab; und weil sein wahres Gemüts-Abzeichen oder Charakter aus lauter Liebe und Zärtlichkeit, nebst deren Zubehör, als Eifersucht — (es war eine Zeit, da er mich nur aus Jalousie die weiße Cravatte fein spöttisch nannte, weil ich mich etwas reinlicher in der Wäsche hielt, als er) — und so ferner, zusammengefügt war, so hat er auch vom Anfange bis ans Ende seiner Wallfahrt diese Leidenschaften, zu denen sich Wollust und gutes Leben gern gesellen, auf das natürlichste, und weit glücklicher als Andere, in solchem Maße auszudrücken gewusst, dass ich sehr zweifle, ob ihn Jemand darin zu seiner Zeit, ja, auch noch bis diese Stunde, übertroffen habe oder übertreffe.

„Etwa 1694 kam er nach Hamburg und führte die Oper Basilius (welche bereits am wolffenbüttel'schen oder braunschweigischen Hofe gehöret worden war) in dieser Stadt mit dem größten Beifalle auf. Drei Jahre hernach folgte Adonis, die nicht weniger ein allgemeines Vergnügen bei den Zuschauern erweckte. Denn was er setzte, absonderlich in verliebten Dingen, das sang alles auf das anmutigste gleichsam von sich selbst und fiel so melodisch, frei, reich und leicht ins Gehör, dass man’s fast eher lieben als rühmen musste. Irene, Janus und oberwähnte allerliebste Ismene kamen hierauf nach einander zum wohlgefälligen Vorschein, womit es dann ganzer vierzig Jahr lang, doch oft unterbrochener Weise, so fortgegangen ist, bis die Zahl seiner theatralischen Werke sich zuletzt weit über hundert erstreckt hat. Daher denn, wo jemals ein Komponist unerschöpflich genannt werden mag, es Keiser verdient.

„Da nun solchergestalt unser Reiser seine meisten und besten Lebens-Jahre bei uns, hier in Hamburg, zugebracht hat, so wüsten wohl diejenigen, die ihn näher, als andre, gekannt und sehr viel mit ihm umgegangen sind, nicht wenig von ihm zu erzählen; allein es sind teils solche Dinge, die der Mensch, vom Weibe geboren, selbst weder wissen noch ändern kann, teils auch mit solchen abenteuerlichen Umständen vergesellschafte Zufälle, die sich, wenn dieselben gleich allemal wohl gegründet wären, dennoch besser in einem musikalischen Roman, als in einer Ehrenpforte schicken würden. Ein Geschichtsschreiber muss die lautere Wahrheit zum Zwecke haben; wenn er aber zugleich dabei den Leuten die gebührende Ehre antun will, so muss er auch die Bescheidenheit nicht aus den Augen setzen und in ungewissen Stücken lieber still schweigen. Ich habe mir Mühe gegeben, aus meinen Tagbüchern, und aus unserem Umgange das Wahre und Gewisse von Keisern hierher zu setzen, und bin dabei oft Willens gewesen, weil er selbst niemals eine Zeile in diesem Falle geschrieben hat, es an demjenigen genug sein zu lassen, was ich sonst an vielen Stellen meiner Schriften angeführt habe; allein, was wäre das für eine musikalische Ehrenpforte gewesen, wo Reinhard Keiser keinen Platz gefunden hätte? Dem Ungenannten, der Anno 1737 bei J. Chr. und J. D. Stösseln zu Chemnitz sein kurzgefasstes musikalisches Lexikon, welches größtenteils ein zerstümmelter Auszug aus dem Walther [Lexikon, 1732] ist, hat drucken lassen, statte ich zwar hiermit schuldigen Dank ab für den unvergleichlichen Ausdruck, womit er meiner in der Vorrede hat erwähnen wollen; allein, das kann ich ihm nimmermehr vergeben, dass er mir den ehrlichen Reiser aus der Gesellschaft der vornehmsten Musikbeflissenen und berühmtesten Tonkünstler so unverantwortlicher Weise verstößen, und seiner weder vorn noch hinten gedacht hat. Möchte er doch lieber mich selbst u. s. w. samt vielen Schnitzern getrost weggelassen haben; denn damit wäre Raum genug erspart worden.

„Im Jahre 1703 war er also, nebst einem gewissen Gelehrten, Namens Drüsike, selbst ein Pachter und Mitregent des Opernwesens. Das währte vier Jahre. Und um diese Zeit stellte sich seine gewisse Mutter bei ihrem wahren Sohne in Hamburg ein. Da ging es in floribus; doch nur im Anfange. Graupner und Grünewald [Componisten und Sänger] wussten sich das damalige Wohlleben gut zu nutz zumachen; das liebe Frauenzimmer hatte jedoch den größten Teil daran. Die Mutter verlor sich aber bald wieder. Das flüchtige Glück irrte gewaltig umher. Man konnte mit der Rechnung nicht fertig werden. Drüsike hörte auf zu bezahlen und verschwand aus unseren Augen; denn er hatte die Notenmittel nicht, mit denen sich Keiser noch zu rechter Zeit zu helfen wusste, indem er 1709 und 1710 acht Opern nach der Reihe hervorbrachte und also seinen Staat in verbrämten Kleidern mit zwei Dienern in Aurora-Liberei ziemlich fortsetzen konnte, zumal, da er auch um dieselbe Zeit mit der Jungfrau Oldenburg, eines hiesigen Rats-Musikanten Tochter von gutem, angesehenem Patrizier-Geschlechte, sein Eheverbündnis traf, aus welchem eine einzige Tochter am Leben ist, die sich, so viel mir wissend, noch unverheiratet in Kopenhagen aufhält und nicht nur eine sehr geschickte Sängerin, sondern in allen Stücken ein recht artiges, witziges Frauenzimmer ist, so dem Vater in den letzten Zeiten ihre kindliche Pflicht tätig erwiesen haben soll, dafür sie Gott segnen und vor Unheil bewahren wolle!

„Im Jahre 1713 und in den folgenden, mehr als vorher, habe ich mit Keiser vielfältigen angenehmen Umgang und ordentliche Vertraulichkeit gepflogen: da denn gewiss ist, dass er sehr vernünftige Gespräche zu führen wüste, die einen guten Geschmack anzeigten, so lange ihm Liebe und Wein nicht in den Weg kamen; denn bei solchen Umständen übernahm ihn gleich, mit wenigem, seine angeborene Zärtlichkeit. Es geschah aber solches in unseren Zusammenkünften nur selten, indem sie größtenteils auf die Verbesserung musikalischer Wissenschaften in ganzem Ernste zielten. Mit welchem treuherzigen Eifer er damals aus eigenem Triebe, seine Anmerkungen meinem Orchestre [einer Schrift über Musik, Hamburg, 1713] beigefügt; da er doch sonst gar der Mann nicht war, andrer Leute Werke jemand anzupreisen, das will ich wohl nie vergessen.

„Wie er einst Schaden an der rechten Hand und durch einen Fall den kleinen Finger zerbrochen hatte, musste ich für ihn verschiedene Sachen, absonderlich eine große Kantate, machen, wozu er seinen Nahmen setzte. Wir hielten auch öffentliche Konzerte, auf dem so genannten Niedern-Baum-Hause, in Gesellschaft zusammen.

„Er ist wirklich der erste Komponist gewesen, der, nebst mir, die oratorische und vernünftige Weise, einen Text unter die Noten zu legen und nach grammatikalischen Einschnitten verständlich abzuteilen, sich angelegen sein lassen, und darauf bezogen sich vornehmlich unsere Gespräche. Er hatte aber, bei weniger Lesung guter dahin gehöriger Bücher und wegen Abgangs der hierzu nötigen fremden Sprachen, teils auch aus Bequemlichkeit, die Gabe nicht, seine sonst sehr gesunden Gedanken in eine ordentliche Kunstform oder systematisch zu Papier zu bringen. Das überließ er also meinem Fleiße *), verdiente aber auch dieser Veranlassung halber so wohl, als in Betracht seiner wunderwürdigen Unerschöpflichkeit in Erfindungen le premier homme du monde genannt zu werden. Über diesen in meinem erwähnten ersten Orchester, dazu Keiser obbesagte artige Anmerkungen fügte, befindlichen Ausdruck habe ich von großen Leuten viel neidisches Spottens damals leiden müssen; ich behaupte ihn aber dennoch biss diese Stunde und glaube sicherlich, dass zu seiner Zeit, da er blühte, kein Komponist gewesen sei, der, absonderlich in zärtlichen Singesachen, so reich, so natürlich, so fließend, so anziehend und. was das meiste, zuletzt noch so deutlich, vernehmlich und rhetorisch gesetzt hat, als eben er.

[i9*) Mattheson darf sich wohl seines Fleißes rühmen; denn er verstand alle gangbaren lebenden und alten Sprachen, hatte fast die ganze musikalische Literatur gelesen und verfasste mehr denn siebzig zum Teil umfangreiche Schriften.[/i]

„In Instrumental-Sachen, besonders vor Hautbois, war er recht angenehm; aber ob er gleich derselben viele zu Sierhagen bei dem Grafen von Dernatb, seinem großen Wohltäter, verfertigte, waren sie doch nach ihrer Gattung nicht völlig so aus- oder einnehmend, als seine Vocal-Stücke. Ich habe auch verschiedene starke, zweichörichte Kirchenwerke von seiner Arbeit gesehen, die an Melodie einen großen Vorzug vor anderen hatten. Das Leiden Christi hat er vielmal in die beweglichste Musik gebracht und höchst-erbaulich aufgeführt.

„Seitdem er nun 1728 auf Weihnacht, nach mir, Canonicus minor und Cantor cathedralis geworden, bat er gleichfalls viele ausbündige Oratorien im Dom erschallen lassen; nur Schade, dass einige Jahre her, noch bei seinen Lebenszeiten, die Musiken daselbst ganz eingestellt gewesen; denn diesen Ostern 1740 wird's drei Jahr sein, dass Keiser seine letzte Arbeit daselbst aufgeführt hat. Auf Weihnachten 1739 wurde J. G. Riemschneider sein Nachfolger. Und weil die Praedicala eines Canonici minoris Cantoris cathedralis hoch klingen, denken viele Leute, es werden auch große Einkünfte dabei vermacht sein. Aber sie lassen sich hier berichten, dass sich solche Einkünfte ordentlicher Weise jährlich nicht auf 24 Thaler erstrecken. Zur Zeit der Stiftung, da die ganze Tonne Hamburger Bier zwei Lübsche Schilling oder einen guten Groschen galt, ging es hin; nun wills nichts verschlagen. Mir wurden zwar ex Structura alle Jahre 30 Thaler außerordentlicher Weise dazu gereicht; ob es aber meinen Nachfolgern auch so gut geworden, kann ich eben nicht wissen. Mit was für Kräutlein man dabei zu tun hat, das lässt sich besser mündlich als schriftlich berichten. Kennzeichen der Verwerfung sind jederzeit diese gewesen: Goldklumpen der Gott! Vater Bauch! lieber Wanst! und Hass der Musik! Mir hat’s jährlich an Schreibgebühr zweimal so viel gekostet, als eingebracht. Und dafür muss man einen teuren lateinischen Eid auf den Knien leisten, davon ich aber 1728 Gott Lob! bei Erlassung meiner Dienste eo ipso losgesprochen worden bin.

„Was sonst unsers Keisers Kapellmeisterschaften betrifft, so sind es nur bloße Titel ohne Einkünfte gewesen, deren erster ihm bei Gelegenheit der Konzerten, so der Graf von Eckgh, damaliger Kaiserlicher Abgesandter im Niedersächsischen Kreise, hielt, von dem Herzog Friedrich Wilhelm zu Mecklenburg-Schwerin verliehen, ob er gleich in solcher Qualität, so viel mir bewusst, am schwerinischen Hofe nicht die geringsten Dienste getan, viel weniger einigen Genuss dahergehabt hat*). Erwähnte Konzerte wurden alle Sonntage, den Winter über, 1700, 1701, mit solcher Pracht und Herrlichkeit gehalten, dass ich an Königlichen Höfen dergleichen Überfluss bei Assembleen gesehen zu haben mich nicht erinnere. Es wohnten den Versammlungen bisweilen drei oder vier Fürsten mit bei, welche nach geendigter Musik auf das kostbarste bewirtet und mit Spielen belustigt wurden. Ich war nicht nur ein Mitglied desselben Konzertes, sondern mit Eberhard Reinwald, dem starken Violinisten, ein Direktor, und zugleich Musikmeister des gräflichen jüngsten Fräuleins. Die Conradinn, die Rischmüllerinn, die Schoberinn, und alles,

*) Die Bestallungs-Urkunde im großherzoglichen Archive bestätigt Matthesons Ansicht. Dort heißt es: „Wir Friedrich Wilhelm etc. etc. Thun Kund und Bekennen Hiemit, dass Wir den Erbahren Reinhard Kaisern zu unserm Capell-Meister angenommen und bestellet haben. Annehmen und bestellen Ihn auch hiemit, und in Krafft dieses, dergestalt und also, dass Er unss getreu, und Gewärtig seyn, unseren Nutzen befördern, und Insonderheit Schuldig seyn soll, wenn Wir ihn seyner Function gemäss gebrauchen Wollen, sich darunter Willig zu bezeigen, auch sonsten alles sich zu verhalten, wie solches einen Ehrliebenden Diener und Capell-Meister eignet und gebüert. Cestalten wir Unss dann solches zu Ihn Gnädigst Versehn, und Unss seiner Person bey hinkünfftig vorfallenden Gelegenheilen in Gnaden wollen Recommendiret seyn lassen. Uhrkündlich unsers untergesetzten Hand Zeichens und fürgedruckten Fürstlichen Cammer Secrets. Geben in Unser Residens“ etc.

was nur am geschicktesten zu finden war, konnte man daselbst sehen und hören. Wir hatten nebst reichlicher Bezahlung einen Schancktisch, desgleichen an Tockaier und anderen sehr raren Weinen wenig zu finden ist, und ein jeder genoss, was ihn beliebte. Keiser führte sich dabei mehr als ein Kavalier, denn als ein Musikus auf. Wie er sich Anno 1722 eine Zeit lang in Kopenhagen bei dem Grafen von Wedel aufhielt, wurde ihm, auf eben dieselbe Art, der Nähme eines Königlich-Dänischen Kapellmeisters beigelegt. Und dabei ist es auch geblieben.

„Vor einigen Jahren ging ihm seine Ehegattin in der Ewigkeit vor, und seit der Zeit hat er Ursache gefunden, sich ganz eingezogen zu halten, ist auch hieselbst 1739 den 12. September, seines Alters 66, in aller Stille gestorben, und bald darauf begraben worden. Dieser weit-, ja, weltberühmte Setzer hat der Musik und die Musik ihm hinwieder große Ehre erwiesen. Wie ihm auch die Glocken diesfalls so rühmlich nachgeklungen, bezeuget folgendes Duetto al onore del Rinardo Cesare (mit Musik von Telemann und Mattheson):

„Sonnet.
„Ihr, die in Deutschlands Raum die Tonkunst Kinder nennet,
Lasst Keisers Untergang nicht fühllos aus der Acht.
Er hat um euren Ruhm sich sehr verdient gemacht.
Und manchen Ehrenkranz den Welschen abgerennet.
Da seine Jugend noch in erster Glut gebrennet,
Wie reich, wie neu, wie schön, wie ganz hat er gedacht!
Wie hat er den Gesang zum vollen Schmuck gebracht.
Den dazumahl die Welt noch ungestalt gekennet!
Zu diesem zog ihn bloß ein angeborener Trieb,
Durch den er, ohne Zwang der Schulgesetze, schrieb.
Durch den wir mehr von ihm, als hundert Werke, lesen.
Wir ehren dein Verdienst, du Züchtling der Natur,
Der, suchtest du gleich nicht der Kunst verdeckte Spur,
Dennoch der größte Geist zu seiner Zeit gewesen.“

Der Einfluss der Hamburger deutschen Oper auf unsere Kunst und auf unser gesamtes Leben war ein bedeutender. Die theatralische Kunst erhielt dadurch in vielen Stücken ein ganz verändertes Aussehen und eine neue Verfassung. Zunächst ward es durch sie feste Sitte, auch die Frauen auf der Bühne zuzulassen. Man musste Sängerinnen haben; denn vor der italienischen Unsitte der Kastraten bewahrte die Deutschen ein gesunderes Gefühl. Es kamen zwar schon viel früher öffentliche Sängerinnen vor, in Wien z. B. war 1617 eine Angela Stamp Kammersängerin*); aber dies sind vereinzelte Erscheinungen. Man hat nicht Unrecht, wenn man diese erste Periode der deutschen Oper, als das Heerlager großer Sinnlichkeit ansieht. Die Verteidiger des neuen Opernwesens, Feind und Mattheson und alle Anderen, kommen schließlich immer darauf zurück, dass in die Oper allerdings durch leichtsinnige Behandlung der Geschichte manche Lächerlichkeit gekommen sei; ferner, dass die angeblich besonders von den klassischen französischen Dramatikern so streng befolgten Gesetze dramatischer Compositum, welche man aus dem Aristoteles ableitete, hier allerdings nicht befolgt seien; dass es im gewöhnlichen Leben auch nicht erhört sei, seine Meinung singend vorzutragen; dass der hier übliche Pomp an Dekorationen die Wirkung der Kunst eher beeinträchtige als fördere, und dergleichen. Aber, sagen sie dann, was hilft's? Die neue Kunst ergötzt und gefällt, selbst denen, die aus Gründen dagegen sind.

*) Schlager, über das alte Wiener Hoftheater. In den Sitzungsberichten der philos. Cl. der k. Akademie der W. Wien, 1851. VI., 149.

Die Oper erdrückte zu ihrer Zeit das Schauspiel; das Produktions-Verhältnis war 10 : 1. So dürfen wir den „Komödianten“, die seit 1702 längere Zeit in Mecklenburg verweilten, wohl schwerlich eine andere Bedeutung beilegen, als die, dass sie den Titel „hoch fürstlich Mecklenburgische Hoff-Komödianten“ zuerst führten. „Das von Ihro Königl. Majestät zu Schweden durch Hochdero Glorieuse Waffen glücklich entsetzte Narva nebst dem herrlichen und fast unerhörten Sieg wider den Zaaren in Moscau den 29. Juny 1702“, welches sie in eben dem Jahre als Komödie den in Rostock versammelten Landräten und Deputierten der Ritterschaft und Städte zum Besten gaben, wird damals einen besseren Beifall gefunden haben, als vor einem ähnlichen Publikum heute der Fall sein möchte. Eine Schrift zum Schutze und zur Verteidigung der Schauspieler, von einer Dame, der Schauspiel-Directrice Velthen, verfasst, gaben sie 1711 aufs Neue heraus; vermutlich fanden sie Widerstand.

Bald erstarkte das Schauspiel wieder und rächte sich für seine Zurücksetzung an der Oper.

Chrysander, Friedrich Dr. (1826-1901) deutscher Musikwissenschaftler und Herausgeber der Werke Georg Friedrich Händels. Studierte und promovierte an der Universität Rostock.

Chrysander, Friedrich Dr. (1826-1901) deutscher Musikwissenschaftler und Herausgeber der Werke Georg Friedrich Händels. Studierte und promovierte an der Universität Rostock.

Mattheson, Johann (1681-1764) deutscher Komponist, Musikschriftsteller, Mäzen

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Händel, Georg Friedrich (1685-1759) deutsch-britischer Komponist und Opernunternehmer

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Friedrich Wilhelm I. (1675-1713) Herzog zu Mecklenburg-Schwerin

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Telemann, Georg Philipp (1681-1767) deutscher Komponist des Barock

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Hamburg Stadttheater vor 1890

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