Wolfram von Eschenbach. Zur 700jährigen Gedenkfeier.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1921
Autor: Markus Seibert., Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mittelalter, Franken, Kaiser Ludwig dem Bayern, 1332, Vaterland, Wolfram, Dichter, Parzival, Tristan und Isolde, Wagner
In Franken, etwa fünf Meilen von Nürnberg entfernt, zwischen Ansbach und Gunzenhausen, liegt abseits von den großen Verkehrsadern, etwa eineinhalb Stunden von der nächsten Bahnstation, das altertümliche Eschenbach rings von Mauerwerk umfriedet. Nicht mehr als tausend Menschen leben dort. Die urkundlich bezeugten Anfänge Eschenbachs lassen sich bis in das neunte Jahrhundert zurückverfolgen. Unter Kaiser Ludwig dem Bayern ward es 1332 zur Stadt er hoben. Heute noch bietet sie das Bild einer kleinen deutschen Stadt aus dem Mittelalter in einer Unberührtheit und mit einem geschichtlichen Stimmungswert, wie er nur selten in unserem Vaterlande zu finden ist. Am 17. Juli feiert man dort in seinem Stammort und in der ganzen fränkischen Heimat den größten mittelalterlichen deutschen Dichter.

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Wie sich um die Ehre, der Geburtsort Homers zu sein, einst viele griechische Städte stritten, so beanspruchten mehrere Orte, die den Namen Eschenbach führen, bis in die neueste Zeit das Recht, den Dichter zu den Ihrigen zu zählen. Nicht nur in Deutschland, auch in der Steiermark und der Schweiz suchte man zu beweisen, dass Wolfram, der Dichter des „Parzival“ dort gebürtig und heimisch sei. Nun ist vor fünf Jahren durch den damaligen Kuraten des mittelfränkischen Eschenbach, Dr. J. B. Kurz, urkundlich festgestellt worden, dass Wolfram dort gelebt hat und in der Kirche begraben worden ist. Das abseits zwischen Altmühl und Regnitz gelegene Städtchen führt nun den Namen „Wolframs-Eschenbach“. Die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm, der Dichter Uhland und auch Laßberg hielten schon zu ihrer Zeit die fränkische Stadt für des Dichters Heimat; nun ist der Streit darüber zu Ende. Wolfram aber sollte uns Deutschen allen im Innern nahe sein, denn er gehört zu den Größten der Nation, und es ist erstaunlich, bei ihm, der vor siebenhundert Jahren starb, die entscheidendsten Wesenszüge zu finden, die seit dem unseren Besten eigen gewesen sind.

In diesem Herbst werden in ganz Italien große Feiern zu Ehren Dantes stattfinden, der vor sechs hundert Jahren in Ravenna gestorben ist. Das ganze Volk wird sich in südlicher Lebhaftigkeit mit seinem Großen beschäftigen. Wir brauchen die Italiener um diese Nationalfeier nicht zu beneiden, denn von äußerlichem Tun werden Menschen doch niemals tiefer ergriffen und dauernd beeinflusst. Suchten dafür bei uns auch nur wenige in der Stille den Weg zu Wolfram, dem Dichter des „Parzival“, sie fänden sich reichlich belohnt. In festlichem Trubel könnten die Herzen doch nirgends zu Wolframs Edelstem geleitet werden. Man muss sich ihm und seinen Gedanken über Gott und Welt, über Leiden und Sterben, Glück und Qual still hingeben. Und was könnte es nun sein, das uns Heutigen ein Mensch zu geben vermöchte, der vor sieben Jahrhunderten dahingegangen ist?

Wer nur den Parsifal Wagners kennt, darf mit Recht misstrauisch sein, wenn ihm gesagt wird, bei Wolfram seien geistige Schätze zu finden. Richard Wagners Parsifal ist nicht der Wolframsche Parzival.

Wolframs Zeitgenosse Gottfried von Straßburg ist der Dichter des höfisch-frivolen Lebens, sein Tristan ist von Jugend auf aller Ränke, Listen und Verstellung kundig, ein echtes Weltkind, dessen Leben mit Trug beginnt und dauernd davon erfüllt ist. Groß ist seine Verstellungsgabe; fremde Masken trägt er meisterlich. In seiner Leidenschaft zu Isolde betrügt er den eigenen Oheim Marke; Tristan ist das Buch der Weltlichen Liebe. In der Dichtung wird der Konflikt von sinnlicher Leidenschaft und Ehe und Gewissen geschildert, und Gottfried von Straßburg nimmt für Tristan und Isolde Partei, für die Leidenschaft und den Ehebruch.

Mit jedem Zug stehen die Dichtungen von Parzival und Tristan zueinander im schroffsten Gegensatz. Die sittliche Parallele ist so offenbar, dass sie den Zeitgenossen Eindruck gemacht haben muss. Wenn man im deutschen Mittelalter Wolframs hohe Gedanken auch nicht allgemein klar erfasste, so ist ihre Bedeutung doch immer empfunden worden. Es ist kein Zufall, dass man seinen Parzival schon im Jahre 1477 zu nächst dem Psalter und der Bibel druckte.

Bei Wolfram steht Frauentugend und Frauenehre obenan, die Tristandichtung ist erfüllt vom Gegenteil. Tristan lernt als Knabe weltliches Wesen kennen und alle Künste des Truges. Parzival wächst ferne von der Welt einsam in Einfalt heran; in seiner Natur liegt der Trieb nach Reinheit und dem Erfassen der Wahrheit; er kann nicht lügen. Um sinnlicher Lust willen, um zu genießen, was die Sitte verwehrt, verstricken sich Isolde und Tristan immer erneut in Unwahrhaftigkeit, und an einer Lüge Isoldes stirbt Tristan.

Parzivals Weg durchs Leben ist dornenvoll; umso mehr, als es ihm mit allem schwerer Ernst ist. Er ist der sittlich strebende Mensch, und sein endlicher Sieg ist der des sich redlich Mühenden, dem Treue zum eigensten Wesen oberstes Gebot ist, von dem er wohl einmal abirren kann, ohne das stetige Ringen darum aufzugeben. Die Seelengeschichte Parzivals ist die bedeutsame Entwicklungsgeschichte aller tiefer angelegten Naturen.

Der Sang von Tristan und Isolde fand und findet sich auch heute immer in den Händen der Kinder der Welt, so lange wenigstens, als sie sich unbekümmert ihren sinnlichen Freuden und Genüssen hingeben. Wolfram ist eine der ehrwürdigsten Gestalten unserer Nation, er ist ein Vorgänger Goethes und seines um die Wahrheit rastlos ringenden Faust, des sich immer strebend bemühenden, der die endliche Erlösung aus allem Zwiespalt dem Ringen seiner sittlichen Natur verdankt und für den Frieden der Seele nichts von außen erhofft und erwartet. Er wendet sich nicht ab von der Welt und empfindet sie nicht als einen Widerspruch zum göttlichen Willen. Wolfram schildert im Parzival die Entwicklung des inneren Lebens, die Bildungsgeschichte des Menschen in ihren Kämpfen zwischen Zweifel und Glauben, Geist und Fleisch, Hochmut und Demut, zwischen Leid und Freude. Im Kampfe mit der Welt geht der Mensch rein und versöhnt hervor, der sich selber treu bleibt. Kein Zug in dieser großen Dichtung ist lehrhaft, alles ist von echten Lebenszügen erfüllt. Nie und nirgends wird Wolfram zum Sittenprediger. Alle seine Gestalten sind lebendige Wesen von Fleisch und Blut. Sein Werk ist das erste, in dem alles zum Ausdruck gelangt, was den Menschen in seinem Ringen und Suchen mit sich und der Umgebung zum inneren Frieden, zur Erlösung führt, ohne der Welt zu entsagen. Die Heiligung des Lebens erkennt Wolfram in der Erfüllung sittlicher Pflichten, er fühlt sich allem verantwortlich und handelt danach. Parzival folgte keiner Lehre; ihn hat das Leben erzogen. Es ist so, wie Goedeke sagt: „Wenn Wolfram auch die Ordnung des Ganzen der Begebenheiten in seiner Parzivaldichtung literarischen Vorgängern verdanken sollte, so bleibt doch sein Eigentum die reinste Unschuld, seelenvollste Wärme, entschiedenste Manneshoheit und der klarste Blick in das Herz und die Welt.“ Was man im Parzival findet, ist Reichtum, Fülle, Tiefe und Großartigkeit der Gedanken, edelster sittlicher Ernst, Empfänglichkeit für alles Hohe und Reine, das innigste, zarteste Gefühl für alle rein menschlichen Regungen des Herzens. So steht Wolfram in vollem und bewusstem Gegensatz zur frivolen Zeit und der frivolen höfischen Poesie.

Die ihm innerlich verwandten Menschen seiner Epoche brachten dies in den schlichten Worten schön zum Ausdruck:

„Der weise Mann von Eschenbach,
Laienmund nie besser sprach ...“

Wolfram und Gottfried von Straßburg sind in ihrer Weltanschauung Gegner gewesen. Gottfried tadelte und verspottete den Eschenbacher in einigen Versen. Wolfram trug ihm den Tadel nicht nach, wie dies eine Stelle in seiner Dichtung „Willehalm“ bezeugt. Auch das ist ein Beweis für Wolframs Stellung zu Welt und Leben; er eiferte nicht zelotisch gegen seinen Widersacher, da er zu klar wusste, was ihn innerlich von ihm trennte. Auch darin blieb er sich selber treu, an andern nicht zu bemäkeln, was in der Begrenzung ihres Wesens bedingt war. Umso klarer sprach er seine Leitgedanken im Anfang des „Parzival“ aus: Die Mär, die er erneute, handelte von „großer Treue, von Weiblichkeit auf rechtem Pfad, von Mannes Mannheit fest und grad, die sich vor keiner Härte bog“. „Der Kühne, spät erst Weise, ich seh' ihn vor mir stark und mild, für Weibesaug' ein süßes Bild, für Weibesherz ein sehnend Leid, doch rein von Makel allezeit.“ Und gegen den Schluss seiner großen Bekenntnisdichtung stehen die Verse: „Wes Leben so sich endet, dass er Gott nicht entwendet die Seele durch des Leibes Schuld, und der daneben doch die Huld der Welt mit Ehren sich erhält, der hat sein Leben wohlbestellt.“ Ahnt man nun nach dem Wenigen, das hier gesagt werden konnte, was bei Wolfram heute noch zu finden ist? Die lediglich sinneslustigen Kinder der Welt mögen es mit Tristan halten und sein Schicksal teilen. Anders Gearteten wird Wolfram ein Führer sein; umso mehr, als er kein Sittenprediger ist. Sein Welterleben ist männlich und weltfroh. Er ist kampfbereit, aber auch gütig und duldsam. Was der „spät erst weise“ gewordene Wolfram im „Parzival“ ausspricht, entstammt nicht angelernter Klugheit oder bloßer Verstandesüberlegung. Seine Weisheit ist nicht das Ergebnis eines der Welt entfremdeten Schwachen, der hinterher das Leben schmäht, weil es ihm vermeintlich nicht hielt, was er hoffte und ersehnte. Wolfram erwartet kein Heil von außen. Er würde die Wahrheit der nach ihm ausgesprochenen Worte bestätigt haben: „In deiner Brust ruhn deines Schicksals Sterne.“ Sich selber Treue halten, ausharren, siegen und kämpfen mit den Gewalten der Welt macht frei. „Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten, nimmer sich beugen, kräftig sich zeigen, rufet die Arme der Götter herbei.“ Auch diese Worte Goethes sind Geist vom Geiste Wolframs von Eschenbach.

Gesamtansicht der Stadt Wolframs-Eschenbach in Mittelfranken.
Denkmal Wolframs in Wolframs-Eschenbach.
Stadteingang durch das Untere Tor.
Alte Wohnhäuser hinter der Kirche.
Wolfram von Eschenbach. Nach einer Miniatur aus der großen Heidelberger Liederhandschrift.

Wolframs-Eschenbach, Gesamtansicht

Wolframs-Eschenbach, Gesamtansicht

Wolframs-Eschenbach, Denkmal Wolframs

Wolframs-Eschenbach, Denkmal Wolframs

Wolframs-Eschenbach, Stadteingang durch das Untere Tor

Wolframs-Eschenbach, Stadteingang durch das Untere Tor

Wolframs-Eschenbach, Alte Wohnhäuser hinter der Kirche

Wolframs-Eschenbach, Alte Wohnhäuser hinter der Kirche

Wolfram von Eschenbach, Nach einer Miniatur aus der großen Heidelberger Liederhandschrift

Wolfram von Eschenbach, Nach einer Miniatur aus der großen Heidelberger Liederhandschrift