Wie es gekommen ist, dass die Buche im Winter ihr Laub behält

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 4
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1962
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Natur und Umwelt, Buche
Hierüber erzählt man sich an manchen Orten in Mecklenburg also:

In alten, alten Zeiten lebte einmal ein Mann, den plagte die Not, dass er vor Angst nicht mehr aus noch ein wusste. In seiner Verzweiflung schloss er mit dem Bösen einen Vertrag. Darnach sollte dieser für des Mannes Seele demselben soviel Geld bringen, als er bedurfte. Zum Tage, wo der Schuldschein gelöst werden sollte, wurde der gesetzt, wo auf keiner Buche ein Blatt mehr zu finden sei. Die Buche verlor nämlich damals noch, wie die meisten Bäume, im Herbst ihr Laub und zwar mit am zeitigsten.

Das Geld war gebracht, die Not gekehrt, und eine Woche nach der andern verstrich dem armen Manne wie nichts. Nun gab's erst Angst und Herzeleid, und wer sollte hier raten und helfen? Zu seinem Heile wandte er sich reuevoll an Den, der allein den Schaden bessern konnte.

So kam der Termin. Doch das Buchenlaub fiel nicht. Dem Teufel wurde die Zeit lang. Er rüttelte erst leise und dann immer stärker die Bäume. Zuletzt kam er mit Sturm und Brausen dazwischen, als sollte der ganze Wald über den Haufen geworfen werden. Es brachen wohl Bäume und das Laub vergilbte, aber es fiel nicht. Und wie er auch tobte und wütete den ganzen Winter hindurch, des Herrgott's Macht war doch größer. Das Laub saß fest trotz Sturm, Frost, Eis und Schnee.

Als der Frühling nahte und der neue Safttrieb junges Laub hervordrängen wollte, nahm Herr Urian noch einmal beide Backen recht voll und fuhr wie besessen dazwischen; doch umsonst war sein Bemühen. Erst als die Buche ihr schönes Frühlingskleid anzog, fiel eins der falben Blätter nach dem andern, und als das letzte schied, stand schon der Baum im vollen Schmucke da.

Und so ist's heute noch — und der Teufel hat keinen Teil an der armen, nun erlösten Seele. Wohl ist sein Grimm groß und darum fährt er noch jedes Jahr, wenn der Sommer scheidet, mit Krachen und Brausen durch den Wald, aber sein Toben ist umsonst, selbst wenn er auch das Spiel zur Frühlingszeit wieder beginnt, erreicht er doch seinen Zweck nicht.