Von der großen Feuersbrunst in Rostock und dem Ursprung der Schwaan’schen Kuchen.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 2
Autor: Von A. C. F. Krohn zu Penzlin, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Feuersbrunst in Rostock, Stadtbrand, 1677, Schwaan'sche Kuchen, Tradition
Unter den Denkwürdigkeiten, mit deren Aufzählung der großherzoglich Mecklenburg-Schwerinsche Kalender beginnt, findet sich auch die große Feuersbrunst zu Rostock vom Jahre 1677 erwähnt.

Das Andenken an solche und ähnliche Ereignisse pflegt sich noch lange nachher an dem Orte zu erhalten, wo sie geschehen sind. Die mündliche Überlieferung bringt sie von Geschlecht zu Geschlecht. Aber je weiter man sich von der Zeit des Ursprunges entfernt, desto mehr gehen auch die Einzelheiten, welche die Augenzeugen und vielleicht auch noch deren nächste Nachkommen mit gewissenhafter Treue erzählten, verloren. Zu dem Geschichtlichen mischt sich unvermerkt Sagenhaftes, bis zuletzt die Erzählung im Laufe der Zeit fast ganz Sage geworden ist, die nur noch dunkel und unbestimmt von der Begebenheit Kunde gibt, der sie ihren Ursprung verdankt. Das geschieht selbst dann nicht selten, wenn man auch durch Aufzeichnung dem Gedächtnisse der nachkommenden Geschlechter zu Hilfe gekommen ist; denn entweder ist das Niedergeschriebene dem großen Haufen nicht zugänglich genug, oder es wird auch von ihm nicht gehörig beachtet.

So ist auch die Geschichte von der oben erwähnten Feuersbrunst*) und dem, was damit zusammenhängt, bereits halb und halb zur Sage geworden, obwohl seit ihrer Zeit noch nicht volle zwei Jahrhunderte verflossen sind. Man erzählt sich dieselbe aber in Rostock etwa so:

*) Es wird den geehrten Lesern gewiss nicht unlieb sein, wenn ich ihnen das hier mitteile, was Reinhold in seiner Chronik der Stadt Rostock S. 232 ff. über diese Feuersbrunst berichtet. Er sagt dort also: [die Originale Schreibweise wurde beibehalten]

1677 den 11. August brach eine erschreckliche große Feuersbrunst aus um halb neun Uhr Morgens. Das Feuer kam aus in des Bäckers Joachim Schulze Haus auf der Altstadt in der alten Schmiedestraße. Grape erzählt nach M. Sandhagen also: Und nahm (das Feuer) in großer Eil schleunigst zu, bevorab, weil nicht sobald Wasser und andere nöthige Instrumenta zum Löschen zur Hand waren, auch die Leute, so retten sollten, (obschon die Sturmglocke gezogen ward) teils auf ihre Handthierung gegangen waren. Dannenhero ist es geschehen, dass das Back-Haus, worinnen viel Holz vorhanden gewesen, in voller Gluth gerathen, und haben die Leute, da sie herzu kommen, wegen des großen Feuers, so herausgeschlagen, nicht retten können, sind also die Flammen in großer Menge aufs die negsten Häuser gefallen, haben auch selbige angesteckt, weil sie teils voll ungedreschtes Korn gelegen, woraus denn das Feuer in geschwinder Eil so stark auffgestiegen, dass nicht allein die Häuser gegenübee, sondern auch die in der Wollen-Weber-Strassen, bei der Molken-Brücke, item die oben in der Schmiede-Straffen nach dem alten Markt hingestanden, gantz schleunig und aufs einmal sind angegangen. Weil auch der Wind hefftig aus dem Süd-Osten stürmte, ist das Feuer gar schnell fortgegangen, und zwar auf das Kirchspiel S. Peter (welches das Unglück am meisten leider getroffen, inmassen es fast gantz darauff gegangen, wenig Häuser auf dem Küter-Brock und oben demselben am alten Markt und nach dem Thor belegen, eingenommen welche nebenst der Kirchen übergeblieben) und auch zugleich nach S. Catharinenkirche, welche nebenst sehr wohl gebauten Waysen-Hause und umliegenden Häusern im Mittage schon in die Asche lagen, zugleich hat es auch angefangen zu brennen über die Grube in der Kramer-Strasse (drinnen des berühmten Herrn v. Henrici Mulleri herrliche Bibliothek gestanden, welche gleichfalls mit verbrannt) und kleine Mönchen-Strasse in S. Marienkirchspiel, darüber denn die Einwohner hefftig geschrocken, und was sie haben retten können, damit sind sie aus der Stadt gewichen, wiewohl ihnen viel von gottlosen Leuten gestohlen worden. Bei welchem Zustande sich kein Mensch recht hat besinnen und retten können, wie es recht damit zugegangen ist, ist Gott bekannt. Kund und offenbahr ist, dass an vielen Orten große quantitäten Pulver, zugleich auch brennenden Lunten mit anderen zubereiten Sachen in und ausser Häusern, so auch die Hacken an den Winden, dass man kein Wasser hat hinaufziehen können, abgeschnitten befunden. Woraus man klärlich, wo nicht den Anfang, doch zum wenigsten die Vergrößerung der Gefahr des Feuers, und was vor Leute vorhanden gewesen, kann ersehen. Daher denn das Feuer wie eine Fluth zugenommen, und die Grube vom Heeringsthore biß an der Molkenbrücken, die Fisch-Bank, Krohnen-Strasse, gantze Krahmer-Strasse, die Mönche-Strasse, Dräger-Strasse bei der Wage, den Schild, die Hege, den Ortsund, den Vogelsang, die Koßfelder-Strasse, die meisten Häuser auf dem Borg-Walle, und in der Lage-Strasse, sammt den Häusern am Strande biß an die Wokrenter-Strassen hat ergriffen und verzehret; und dieses alles fast innerhalb 24 Stunden, wodurch denn die allerköstlichsten Häuser in der Stadt, so von Grund auff von Steinen mit unsäglichen Kosten von den Vorfahren sind erbauet gewesen, darnieder geworfen worden, dass es wohl recht ein Feuer vom HErrn zu nennen gewesen, weil man sonst nicht begreiffen kan, wie solches zugegangen. Die Hefftigkeit des Feuers hat gewähret von halb Neun des Sonnabends, die gantze Nacht hindurch biß an den Sonntag Morgen, da weil der Markt und das Rath-Hauß, etlichen der Einwohner, welchen der Wind abstund, mit Macht den Schuster-Schütting und die Häuser im Ortsund nach dem Markt hin angefangen zu retten, und durch Gottes Hülfe auch gerettet, solches geschahe auch durch die Einwohner und andere Christl. Hertzen bei S. Marien-Kirche, die gleichfalls in Gefahr, item oben an der Koßfelder- Strossen, item an etlichen Häusern am Borg-Wall und in der Lage-Strassen. Beim Wokrenter-Thore ward es auch des Sonntags Nachmittags gelöschet, und die Einwohner nicht wenig durch einen gelinden Regen zum Retten angefrischet, dem dann Gott Lob am Sonntage und folgendes ein großer starker Regen gefolget, wodurch das hie und dort brennende Feuer negst fleißiger Wache der Einwohner und Hülfe derer von Ihre Hochfürstl. Durchlauchtigkeit von Güstrow (die auch selbst zugegen gewesen) mitgebrachten und gesandten Leuten mit Instrumenten gäntzlich gedämpffet. Wie hefftig der Brand gewesen, ist daraus abzunehmen, dass in so kurtzer Zeit 700 steinerne Häuser, die Wohn-Keller nicht einmahl mitgerechnet, sind darnieder gefallen, unter denen auch die schöne Catharinen-Kirche, das überaus stark und wohl gebauete Weysen-Hauß, drey Hospitalien, als Bröckers auf dem alten Markt, S. Jürgen fürm Borgwell-Thor, und das Lazaret fürm Heerings-Thor. Der Schade hat nicht allein die Leute in der Stadt, sondern auch das gantze Land herum, so ihre Güter hier wegen der herum liegenden Soldaten in Sicherheit gebracht, getroffen. Es hat zum Gedächtniß dieses göttl. Straff-Gerichts der selige Herr M. Rembertus Sandhagen Pastor zu S. Nicolai eine Predigt gehalten über das Evangelium Domin IX. post Trinit. und zwar an dem darauff folgenden Dienstag (denn an dem Sonntage ist in der gantzen Stadt keine Predigt gehalten worden) selbige Predigt ist gedruckt worden unter dem Titel: „Bestraffte Haushaltung der Stadt Rostock. Dabei ein Bericht von dieser Feuers-Brunst, welchen wir hier gefolget. etc.

Es sind schon einige hundert Jahre her, als in der Alt-Schmiedestraße in einem Bäckerhause Feuer ausbrach. Dies Haus stand neben dem Eckhause an der großen Goldstraße, nach dem alten Markte zu. Das Eckhaus — es soll dasselbe gewesen sein, was man noch heute dort sieht — blieb stehen, weil der Wind aus Süden wehte, dafür aber breitete sich das Feuer mit ungeheurer Schnelligkeit nach dem alten Markte und nach der Neustadt zu aus und legte binnen 24 Stunden über die Hälfte von der ganzen Stadt nebst einer Kirche in Asche.

Niemand vermochte dem entfesselten Elemente Einhalt zu tun. Die geängsteten Bewohner hatten schon alle Hoffnung aufgegeben, noch etwas von ihrer lieben Stadt zu retten und waren nur darauf bedacht, sich und die Ihrigen nebst den wenigen Habseligkeiten, die sie noch etwa geborgen, in Sicherheit zu bringen, als der Herzog von Güstrow,*) gleich einem rettenden Engel, erschien.

*) Herzog Gustav Adolph von Mecklenburg-Güstrow wurde am 25. Februar 1633 geboren, regierte vom 2. Mai 1654 und starb am 6. Oktober 1695, womit zugleich das Herzogtum Mecklenburg-Güstrow — wozu auch Stadt und Herrschaft Rostock zählte — zu bestehen aufhörte, da Gustav Adolphs beide Söhne schon vor ihrem Vater gestorben waren.

Derselbe hatte sich auf die Kunde von dem Unglück gleich mit seinem Gefolge auf die Pferde geworfen und kam nun im gestreckten Galopp von seiner Residenz Güstrow herüber, gerade noch zur rechten Zeit, um die Stadt vor gänzlichem Untergange zu bewahren.

Dieser Herzog verstand sich nämlich, wie die Sage weiter berichtet, auf die Kunst des Feuerbesprechens, und da er sah, dass hier mit gewöhnlichen Mitteln nicht mehr zu helfen sei, machte er ungesäumt von derselben Gebrauch. Er umritt dreimal die Brandstätte, wobei er hölzerne Teller mit allerlei Zauberzeichen versehen, in die Flammen warf, und jagte dann im gestreckten Galopp durch die verwüstete Stadt dem Mühlendamme zu in eine Pferdeschwemme, die Börnung genannt, hinein; das Feuer hinterdrein, denn es vermochte seiner Besprechung nicht zu widerstehen, und löschte sich also selbst im Wasser.

So war denn doch wenigstens noch ein gut Teil von der Stadt gerettet, die sonst wohl ganz wäre verloren gewesen. Aber es drohte nun derselben eine andere Not. Mit dem abgebrannten Teile waren nicht nur fast alle Backhäuser, sondern auch die meisten Vorräte an Mehl und Korn vernichtet, und so stand, wenn der Herr nicht auf wunderbare Weise Hilfe schaffte, mit Recht eine Hungersnot zu befürchten. Doch des Herrn helfende Hand ist uns gewöhnlich dann am nächsten, wenn wir nicht mehr wissen, wo aus noch ein. Und so wusste der Herr auch hier rechtzeitig die Herzen der Nachbarn zu herzlichem Mitleiden zu bewegen.

Kaum erfuhren nämlich die Bäcker in den umliegenden Städten, wie traurig es in Rostock stand, als sie sich auch schon beeilten, den so schwer Heimgesuchten Mundvorrat zuzuführen, und so wenigstens in etwas ihre große Not zu lindern. Die ersten, welche kamen, waren die Schwaaner, vielleicht weil ihre Stadt die nächste war.

Hatten nun die Schwaaner in echt christlicher Weise ihren bedrängten Nachbarn zur Zeit der Not beigestanden, so wollten diese es auch wiederum nicht unterlassen, auf irgend eine Weise ihren Dank zu betätigen, und so erlaubte man ihnen denn, was man sonst Keinem vorher noch nachher gestattet, alljährlich einmal mit solchem Weißbrot nach Rostock zum Verkauf zu kommen, als sie es zur Zeit der Feuersbrunst dorthin gebracht hatten.

Dies geschah denn auch, und zwar am Gründonnerstage.

Indem man den Schwaanern diese Vergünstigung zugestand, wollte man gewiss auch das Andenken an ihre helfende Liebe unter den Nachkommen erhalten. Aber, wie das so geht, der Mensch hat in Bezug auf empfangene Wohltaten von Haus aus ein schlecht Gedächtnis; und ist meist angst, dass er, was das Danken anlangt, zu viel tut; und es scheint auch bei den Rostockern in diesem Punkte nicht viel besser bestellt gewesen zu sein, wenigstens erschwerte man den guten Schwaanern die Ausübung der ihnen gewordenen Vergünstigung durch allerlei Förmlichkeiten dermaßen, dass man allem Anscheine nach ihnen die Sache so bald als möglich verleiden wollte. Es war nicht genug, dass sie nur an einem bestimmten Tage erscheinen durften, sie durften sich auch nicht früher als am Gründonnerstage selbst mit ihrer Ware in der Stadt sehen lassen. Zu dem Ende mussten sie in einem Wirtshause vor der Stadt übernachten, wenn sie schon am voraufgehenden Abend anlangten, und dort bis zum Morgen warten. Schlag sechs Uhr war die Zeit, wo sie einpassieren durften. Dann erwartete sie einer der Gewettsdiener am Steintore und visitierte ihre Pässe. Waren diese richtig befunden, so konnten sie ungehindert in die Stadt einziehen; mussten sich aber gleich nach dem Markte zum Verkauf ihres Brotes begeben. Da konnten sie denn so gut handeln, als es gehen wollte. Zu Mittag mussten sie aber schon wieder den Markt räumen und mit dem Schlage Zwölf aus der Stadt sein. Auch hierauf hatte der Gewettsdiener genau zu achten und den etwaigen Übertretern dieses Gebotes ihre Waren abzunehmen.

Die Schwaaner ließen sich aber durch dergleichen nicht m der Ausübung ihres wohlerworbenen Rechtes irre machen. Die dortigen Bäcker schickten vielmehr fortan regelmäßig ihre „schwaanschen Kuchen" nach Rostock zu Markte, damit nicht durch Nichtausübung diese ihre alte Gerechtsame verjähre. Die Rostocker Bäcker hingegen traten den Schwaanern gegenüber bald als Konkurrenten auf, indem auch sie anfingen, am Gründonnerstage Schwaan’sche Kuchen zu backen und in ihren Häusern feil zu bieten.

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Die Schwaan’schen Kuchen — gleichviel ob von Rostockern oder Schwaanern gebacken — sind noch immer in Rostock gang und gäbe und Regelmäßig erscheinen am Gründonnerstage während der bestimmten Zeit die Schwaaner Bäcker mit denselben auf dem neuen Markte.

Noch immer besteht die alte Sitte in Rostock, dass dann die Eltern ihren Kindern und die Herrschaften ihren Dienstboten solche Kuchen schenken; wie sich denn auch Freunde und Verwandte, kurz alle Welt gegenseitig und untereinander an diesem Tage durch Schwaan’sche Kuchen erfreut und beschenkt, darin schmauset und sich, oft bis zum Übermaß, gütlich damit tut.

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

Hansestadt Rostock - Stadtansicht

Hansestadt Rostock - Stadtansicht

Rostock - Kröpeliner Tor

Rostock - Kröpeliner Tor

Rostock - Petrikirche mit Petritor

Rostock - Petrikirche mit Petritor

Rostock vor dem Steintor

Rostock vor dem Steintor

Rostock, Neuer Markt mit Ladenzeile 1967

Rostock, Neuer Markt mit Ladenzeile 1967

Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche

Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche

Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967

Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967

Rostock. 017 St. Marien-Kirche

Rostock. 017 St. Marien-Kirche

Rostock. 066 Marienkirche, Kirchensiegel Nr. 63

Rostock. 066 Marienkirche, Kirchensiegel Nr. 63

Rostock. 066 Marienkirche, Siegel der Kalandsbrüderschaft, Nr. 66

Rostock. 066 Marienkirche, Siegel der Kalandsbrüderschaft, Nr. 66

Rostock. 067 Marienkirche, Spitzovales Siegel der Olavs-Brüderschaft, Nr. 65

Rostock. 067 Marienkirche, Spitzovales Siegel der Olavs-Brüderschaft, Nr. 65

Rostock. 067 Marienkirche, Spitzovales Siegel der Sängerchors, Nr. 64

Rostock. 067 Marienkirche, Spitzovales Siegel der Sängerchors, Nr. 64

Rostock. 013 Marienkirche, Giebel des südlichen Querschiffs

Rostock. 013 Marienkirche, Giebel des südlichen Querschiffs

Rostock. 003 Alte Ansicht von Rostock um 1597

Rostock. 003 Alte Ansicht von Rostock um 1597

Rostock. 014 Marienkirche, Portal des nördlichen Querschiffes

Rostock. 014 Marienkirche, Portal des nördlichen Querschiffes

Rostock. 006 Stadtplan nach Wenzel Hollar (1607-1677)

Rostock. 006 Stadtplan nach Wenzel Hollar (1607-1677)