Von der Ahnfrau und sonstigem Spuk im Herrenhause zu Wietow bei Wismar

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 2
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Aberglauben, Plattdeutsch, Wietow
Alle Leute auf dem Hofe und im Dorfe von Wietow wissend recht gut, dass es dort im Herrenhause spukt und oft nicht recht richtig ist; und viele von ihnen haben's auch selbst schon mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört, was dort zuweilen all vorgeht und passiert. Namentlich ist's die Ahnfrau von Wietow, wovon Alle zu erzählen wissen, und die auch Mancher schon selbst gesehen hat.

Diese Ahnfrau oder „dei Olsch"*), wie die gemeinen Wietower Leute sie schlechtweg zu nennen pflegen, zeigt sich namentlich nur in den Zimmern auf der rechten, größeren Seite des alten herrschaftlichen Wohnhauses, wo auch die andern Geister und Spuke vorzüglich ihr Wesen treiben.
Wer sie eigentlich ist, die Ahnfrau, welche Bewandnisse es mit ihr hat, woher sie kommt, wie lange sie schon als Geist umher wandelt etc.; kurz, über ihr ganzes Wesen und Sein, ihren Ursprung etc. weiß Niemand recht was anzugeben. Das aber will man bestimmt behaupten, dass sie dem alten Adelsgeschlechte derer von Blücher entsprossen und die Ahnfrau der schon seit mehreren Generationen hindurch auf dem Gute Wietow ansässigen von Blücher’schen Nebenlinie ist; wie man denn auch ferner weiß, dass sie schon seit einer langen Reihe von Jahren im Wietower Herrenhause umgeht, da schon die ältesten Leute im Dorfe in ihrer Jugend von ihren Großeltern über die Ahnfrau erzählen gehört haben.

**) Die Alte.

Hauptsächlich erscheint die Ahnfrau bei oder vor besonders wichtigen Ereignissen, welche die Nachkommenschaft ihrer, der von Blücher-Wietow'schen Familie betreffen. Wie zum Beispiel in ziemlich neuerer Zeit die als Kind verstorbene Schwester des jetzigen Besitzers krank darnieder lag, war die ängstlich besorgte, Tag und Nacht bei der Kleinen wachende Mutter einmal auf kurze Zeit aus dem Krankenzimmer gegangen, um für das geliebte Töchterchen einen kühlenden Trank zu bereiten. Bei ihrer baldigen Rückkehr lehnt die Ahnfrau, die ihr übrigens früher schon öfter erschienen war, über das kranke Kind gebeugt, erhebt sich jedoch sofort bei ihrem Eintritt, macht mit der Hand und dem Kopfe eine Unheil verkündende Bewegung und verschwindet darauf in der entgegengesetzten Tür. Am andern Morgen früh war das Kind eine Leiche.

Aber auch zu andern Zeiten lässt sich die Ahnfrau in den bezeichneten Zimmern sehen; vielen Personen ist sie dort nicht allein während der Nacht, sondern auch bei hellem, lichtem Tage erschienen. Noch kürzlich soll sie wieder einmal bei Tage am Fenster gestanden, und auf den Hof hinaus geschaut haben; und alle die dort gerade beschäftigten Leute sahen sie klar und deutlich in ihrer gewöhnlichen Tracht, machten sich gegenseitig aufmerksam auf sie und riefen einander leise zu:

„Züh, doa steiht's all werra!"*)

*) „Seht, da steht sie schon wieder!"

Oft treibt die Ahnfrau also ihren Verkehr eine ganze Zeitlang im Hause, dann aber lässt sie in längerer Zeit gar nichts wieder von sich hören oder sehen.

Sämtliche Aussagen und Beschreibungen über das Aussehen und die Kleidung der Ahnfrau lauten durchaus übereinstimmend; Alle, die sie gesehen haben, oder gesehen haben wollen, schildern sie als eine ziemlich große, hagere Gestalt, mit bleichem Gesichte, spitzer Nase und spitzem Kinn und mit einem grauen Gewande und weißer Mütze bekleidet.

                                          II.

Auf eben der Seite des herrschaftlichen Wohnhauses zu Wietow, wo sich die Ahnfrau zeigt, sollen, wie wir bereits schon zu Anfang gehört haben, auch noch andere Geister umherspuken und sich hören lassen.

Mitunter will man dort nämlich des Nachts ein Geräusch gleich dem Plätschern im Wasser, Türen zuschlagen und sonstiges Getöse hören, das der Sage nach von einem Morde herrührt, der hier einmal meuchlings an einem Ritter verübt worden ist. Der Mörder hat sich nach vollbrachter Tat das Blut abgewaschen und sein Verbrechen geleugnet. Zur Strafe dafür muss er auch jetzt noch als Geist zu gewissen Zeiten das früher im Leben Getane wiederholen, was dann die dort in den betreffenden Zimmern zufällig weilenden Personen deutlich hören können.

Es haben nämlich, wie die Sage weiter erzählt, in alten Zeiten drei verschiedene Ritter zu Wietow gewohnt, die in häufiger Fehde mit einander lebten. Der eine dieser Ritter hat nun einmal den zweiten auf hinterlistige Weise zu sich auf seine Burg zu locken gewusst und ihn alsdann ermordet. Doch ist diese Schandtat nicht ungerecht geblieben. Gottes strafender Arm verfolgte unaufhörlich den Meuchelmörder; und so ging auch er bald hiernach zu Grunde.

Der dritte Ritter setzte sich nun aber in den Besitz beider verwaisten Burgen und vereinigte ihr Gebiet mit dem seinigen, woraus später das jetzige Rittergut Wietow entstanden sein soll.

Die Spuren alter ehemaliger Rittersitze sind noch heute auf dem Wietower Gebiete zu erkennen. In der Nähe des jetzigen Hofes findet man namentlich einen hochaufgetragenen Hügel mit deutlichen Resten von Wällen und Gräben. Ein zweiter ähnlicher, aber weniger gut erhaltener Hügel, der Blocksberg genannt, befindet sich ferner noch auf dem dortigen Felde.

Von diesem sogenannten Blocksberge geht außerdem noch die Sage, dass sich in der Mainacht auf seinem Gipfel die Hexen versammeln und dort ihre Sitzung halten.

Schließlich muss hier endlich auch noch des sonderbaren Ereignisses Erwähnung geschehen, welches der jetzigen Besitzerfamilie von Wietow und deren Bedienung öfter begegnet sein soll, dass nämlich des Nachts zwölf Uhr, wenn der Gutsherr nicht zu Hause war, deutlich ein Wagen vor die Haustür gerollt kam, ohne dass man dabei das Mindeste sehen konnte.

Ob dies nun mit der Ahnfrau, den erwähnten alten Wietow'schen Rittern, oder noch mit sonst etwas Anderem zusammenhängen mag, darüber weiß Niemand Bestimmtes zu sagen.