Von Kene durch die Wüste nach Kosseir.

Aus: Meine Wallfahrt nach Mekka. Band 1
Autor: Maltzan, Heinrich Freiherr von (1826-1874) Reichsfreiherr zu Wartenberg und Penzlin, Schriftsteller und Orientalist, Erscheinungsjahr: 1865
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, Adel, von Maltzan, Orientalist, Reisebeschreibung, Reisebericht, Arabien, Mekka, Kultstätte, Pilgerort, Pilgerzug, Heiligtum, Pilgerweg, Afrika, Muselmann, Reiseplan, Reiseziel, Arafa, Orient, Kairo, Marokko, Bulak, Karawane, Ägypten, Beduinen, Medina,
Anstalten zur Reise durch die Wüste. — Schlechte Vorsichtsmaßregeln der Araber. — Die Kamele. — Die erste Kamelstraße in Afrika. — Bunte Karawane. — Bir Amber. — Die Römerstraßen in der Wüste. — Die AbabdaBeduinen. — Bir cl Agaita. — Römische Reste. — Bir Hadsch Sliman. — El Bida. — Der Brunnen der Engländer. — Schlechtes Wasser. — Ankunft am rothen Meer. — Anblick von Kosseir.

Von Kene nach Kosseir gibt es fünf Wege, von denen zwei die betretensten sind; der eine über Moäle oder Moeile beträgt etwa 24 deutsche Meilen, der andere über Rassafa ungefähr eine Meile weniger. Beide führen durch die Wüste, deren spärliche Oasen von den Ababda-Beduinen bewohnt werden. Die zweite dieser Straßen war es, welche unsre Pilgerkarawane, die etwa 200 Mann stark war, einzuschlagen übereinkam. Ich mietete in Kene von einigen der genannten Beduinen für 10 Gulden zwei Kamele, eines für mich, eines für Ali, der mir nicht kräftig genug schien, um den Weg zu Fuße machen zu können. Zwei Tage wurden jedoch noch in Kene gerastet, wovon der eine zum Mieten der Tiere, der andere zum Anschaffen von Lebensmitteln bestimmt war.

Obgleich wir recht gut diese beiden Geschäfte in einem, ja in einem halben Tage beendigen konnten, so wäre dies doch ein großer Verstoß gegen die beliebte, arabische Langsamkeit gewesen und wir mussten noch froh sein, dass unsre Reisegefährten überhaupt in dieser Zeit fertig wurden. Außer den Esswaren verproviantierte ich mich auch mit Wasser, da man auf diesem Wege keineswegs immer gutes Wasser findet. Deshalb hatte ich in Kairo ein Dutzend großer, mit Leder überzogener Wasserflaschen gekauft, wie man solche gewöhnlich zu Wüstenreisen mitnimmt. Hier fand ich nun zu meinem nicht geringen Erstaunen, dass ich der einzige war, der eine solche Vorsichtsmaßregel gebrauchte. Nicht, als ob die Araber nicht so viel, wie wir, ja noch mehr, wie wir Europäer, vom Durst geplagt würden, da sie viel mehr, als wir, an häufiges Wassertrinken gewohnt sind; aber so groß ist ihre Sorglosigkeit, dass sie lieber leiden wollen, als sich die Mühe machen, ein wenig an die Zukunft zu denken. Nur für sehr große Wüstenreisen, durch völlig oasenlose Strecken, nehmen diese Leute Wasser mit.

Unsere Reisegesellschaft, welche, wie gesagt, aus etwa zweihundert Personen bestand, war nur zum vierten Teile beritten, da ungefähr hundertundfünzig, entweder aus Geiz oder aus Armut, das zu Fuß-Gehen vorzogen. Aus Geiz geschah dies gewiss bei einigen, welche vier bis fünf, oft acht, mit Waren beladene Kamele in der Karawane zählten und die gewiss die kleine Ausgabe für ihre persönliche Beförderung leicht bestreiten konnten. Aber der Araber, sei er nun Fellah, Städter oder Beduine, ist einmal, was seinen persönlichen Komfort betrifft, durchaus nicht verweichlicht und ich kann wirklich nicht begreifen, wie die byzantinischen Schriftsteller, wie Zonaras, Cantacuzenus, Georgas immer die Ägypter die sich bekanntlich in einem Jahrtausend so gut wie nicht verändert haben, und die wir folglich noch heute so sehen, wie sie zur Zeit Kaiser Zenos waren, als so luxuriös und verwöhnt schildern. Bei Europäern denkt man sich immer äußeren Luxus und Sittenverderbtheit als verschwistert; bei Orientalen findet man überall die letztere, den ersteren aber nur in den Palästen der Großen und selbst dort kaum mehr; diejenigen Laster, welche unsere Sittenprediger oft als Laster der Höfe und der großen Städte bezeichnen, findet man hier in der ärmlichsten Hütte des Bauers, in dem schmucklosen Zelte des Wüstennomaden; deshalb geht es recht gut zusammen, dass diese Leute durch und durch verderbt und doch nicht verweichlicht sind. Höchstens die Städter sind ein wenig an Luxusbedürfnisse gewöhnt, aber selbst sie sind im Stande, auf Reisen sich von allem, was nicht unumgänglich nötig ist, zu emanzipieren.

Das zu Fuß-Gehen sollte übrigens die guten Ägypter nicht sehr angreifen, da wir die 23 deutschen Meilen, welche unser Weg betrug, in sieben Tagen zurücklegten, was auf den Tag eine Reise von etwas über 3 Meilen, ungefähr 6 Stunden zu Fuß oder zu Kamel, denn die hiesigen Kamele gehen sehr langsam, ausmachte. Überhaupt gibt es nur sehr wenige schnelllaufende Kamele oder Dromedare, welche bekanntlich keine Abart, sondern nur eine besondere Zucht der Kamele sind, indem beide zur Gattung von Camelus vulgaris, vom einhöckrigen arabischen Kamel gehören, während das zweihöckrige, Camelus Bactrianus, eigentlich immer Bergkamel genannt werden sollte. Das Dromedar, im Orient Hadschin, im Maghreb Mahari genannt, kann mit einer gewöhnlichen Karawane, wie die unsrige war, gar nicht gut mitgehen, da es immer ins Schnelllaufen hineinkommt. Es war interessant, gerade in dieser Gegend eine Kamelreise zu machen, welche die erste in ganz Afrika war, in der das Kamel eingeführt wurde. Bekanntlich teilt heut zu Tage Niemand mehr die Ansicht des berühmten Orientalisten Quatremère, welcher behauptet, das Kamel sei in Afrika einheimisch. Im Maghreb gab es, wie Barth in einer Note zu seinen „Wanderungen am Mittelmeere'' beweist, im hohen Altertume gar keine Kamele; dort kommen sie zum ersten Male zur Zeit König Jubas*) und auch dann nur in sehr kleiner Zahl vor; in Ägypten wurden sie erst im Jahre 256**) ante Chr. n., aus Nedsched, ihrem Stammlande in Arabien, durch Ptolemäus II. Philadelphos eingeführt, welcher die Karawanenstraße zwischen Berenice und Coptos für Kameltransport einrichtete. Diese Straße lag derjenigen, welche wir heute zu bereisen anfangen sollten, und welche von dem alten Caenopolis (Kene) nach Philoteras portus (Alt-Kosseir) führte, sehr nahe, ja hatte vielleicht einige Berührungspunkte mit derselben. Diese Gegend, von den Ababda-Beduinen bewohnt, ist noch heute wegen der vortrefflichsten Kamelzucht von ganz Ostafrika berühmt, so dass, wie im Altertum, noch jetzt Kamele in Menge von hier ausgeführt werden.

*) Julius Caesar, de bellocano c. Afri 68.
**) Strabo, Geogr. Lib. XVll, 815. Plinius, Historia naturalis VI, 26.


Am Morgen des 21. Schual traten wir unsre Wüstenreise von Kene nach Kosseir an. Unsre Karawane bot ein buntes Gemisch von Kamelen, Eseln, Pferden, Maultieren mit allen verschiedenen Sattel- und Zaumformen und ein buntes Durcheinander von Menschen in den verschiedensten Trachten: die ägyptischen Fellahin in ihren langen blauen Hemden, mit kriechender, demütiger und furchtsamer Miene, als ob sie noch den Stock ihrer türkischen Unterdrücker auf dem Rücken fühlten; neben ihnen unsre Kamelvermieter, die stolzen freien Beduinen, vom Ababda-Stamme, welche sich in weiße Haiks malerisch drapierten, obgleich lange nicht so malerisch, als die mir gewohnteren algierischen Beduinen, denen die zwei Burnusse und der weiße turmartige Kopfputz etwas ganz besonders würdevolles verleihen; dagegen schienen diese Ababda-Beduinen ungleich leichter, luftiger, freier, wohlgemuter und beweglicher, als die oft etwas schwerfälligen Maghrebiner; sie waren die echten Kinder der Wüste, die nicht an der Scholle kleben, nur von Jagd und Viehzucht leben und überall ihre Heimat im leichten Zelte mit sich tragen, wo es Wüste und Oase gibt; dann hatten wir noch ägyptische Städter in ihren der antiken Dalmatica ähnlichen Kaftans; Syrier mit ihrem bunten Kopftuch, der Kefia; zwei plumpe, schwerfällige Türken mit schaudervoll großen Schnurrbärten, deren Mittelkörper mit einen großen Wulst von einer Schärpe umwickelt war, in welchem verschiedene Dolchmesser und auch Pistolen staken, die jedoch so kunstvoll mit Schnüren umwickelt oder richtiger verwickelt waren, dass es wohl eine halbe Stunde gebraucht haben würde, hätte einer sich seiner Waffen bedienen wollen, was übrigens nicht vorkam und vielleicht auch unmöglich war, da mir das sämtliche Waffenwerk unbrauchbar schien; daneben einige Chritzli oder Kritli, so nennen die Araber die Bewohner der Insel Greta oder Candia, kräftige, sehr massive Männer, mit wahren Raubvogelgesichtern, übrigens schön gekleidet und im ganzen stattlich aussehend, nur vielleicht ein wenig gar zu theatralisch; dann noch Neger aus Nubien, die zum Teil mit ihren sie bis Kosseir begleitenden Frauen da waren, welche letztere beinahe ganz nackt gingen, nur um den Leib ein Gehänge von dünngeschnittenen Riemchen trugen und deren Haare, mit ranziger Butter dick beschmiert, in tausend fettigen Löckchen auf den Nacken fielen. Außerdem bildeten auch einige Araberinnen Mitglieder unsrer Karawane. Sie waren Gattinnen oder Töchter von einigen meiner Bekannten, die jedoch auf dem ganzen Wege von Kene nach Kosseir nie mit ihnen ein Wort wechselten, da es die gute Sitte will, dass kein Araber mit seinen weiblichen Verwandten vor Männern spreche. Diese Damen waren so gut verhüllt oder, richtiger gesagt, vermummt, dass ich von ihrem Gesicht noch weniger zu sehen bekam, als man bei den Moresken in Algier entdeckt, die doch wenigstens eine Linie im Gesicht, nämlich die von den Augen bis an die Schläfe, frei haben, während die Aegypterinnen ein einziges Tuch über's ganze Gesicht tragen, das nur zwei Löcher für die Augen hat, so dass man hier, nicht einmal die Augenbrauen erblicken kann.

Unsre Reise ging, wie gesagt, sehr langsam, von Statten. Um jedoch den Leser nicht auch an dieser Langsamkeit Teil nehmen zu lassen, so will ich hier, wie oben, nur ein kurzes Tagebuch geben,

21. Schual 1276 (13. Mai 1860). Um 4 Uhr. Morgens wurde aufgebrochen und bis 8 Uhr gereist, wann wir bei Bir Amber anlangten, wo man den Rest des Tages verweilte, so dass wir heute nur 2 Meilen zurücklegten. Bir ist bekanntlich das arabische für Quelle, was auf den römischen Itineraren Fons, und auf den griechischen Hydreuma heißt. Solcher Hydreumata gab es, wie man aus den antiken Resten schließen kann, auf diesem Wege im Altertum acht, ganz wie heute. Leider kennen wir ihre antiken Namen nicht, da Plinius und das Itinerarium Antonini Augusti uns in dieser Gegend; nur die Stationen zwischen Coptos und Berenice, nicht aber die zwischen Coptos und Philoteras portus, geben und man bei Ptolemäos schlechterdings über diese Wüste nichts finden kann, als die Angabe einiger Steinbrüche, namentlich den „Porphyrsteinbruch“ und die „schwarzen Steine", welche beide halbwegs, zwischen Coptos und Philoteras, etwa in derselben Breite wie diese Orte, gelegen haben müssen. In Bir Amber sah ich nur wenige antike Werksteine, welche meiner Ansicht nach einem Girgilius oder Puteal (Ziehbrunnen) angehört haben mögen.

22. Schual (14. Mai). Wir brachen schon um 1 Uhr nach Mittemacht auf und erreichten nach einem 8stündigen Ritte durch ein trostlos ödes, in dieser Jahreszeit ganz ausgetrocknetes, nur hier und da durch eine Dattelpalme geschmücktes Land, um 9 Uhr Morgens den Quellenort Bir el Agaita, wo einige Ababda-Beduinen in schlechten Geraba (Reiserhütten) wohnten. Diese Ababda-Beduinen sind die Nachkommen der von Ptolemäos erwähnten Zabadaei, während die nördlich von ihnen wohnenden Mahassi-Beduinen von den von demselben Geographen genannten Abasaei abstammen. Beide haben ihre Namen ungefähr beibehalten. Diese arabischen Stämme sind vielleicht die ältesten, welche in Afrika vorkommen. Ihre Einwanderung stammt ohne Zweifel von derselben Zeit her, als das Kamel zuerst hier eingeführt wurde. In der Tat finden wir, dass vom Jahre 256 ante Chr. n. an, als zuerst die Straße von Coptos nach Berenice für Kameltransport eingerichtet wurde, der Statthalter der Thebais, zu welcher Provinz auch diese Wüste gehörte, den Titel eines Arabarcha oder Araberhäuptlings führt.*) Man hat allen Grund anzunehmen, dass die Ababda-Beduinen zum Teil noch von jenen ersten arabischen Einwanderern in Afrika abstammen, folglich schon über 21 Jahrhunderte diese Gegend bewohnen, in der sie 900 Jahre vor der Hedschra schon Zeugnis von der arabischen Auswanderungslust und von ihrer Sucht, fremde Länder zu usurpieren, welche nationalen Eigenschaften später Mohamed zum Staatsgesetz erhob, ablegten. Ob diese Araber jemals Christen gewesen sind, ist eine Frage, die ich fast bejahen möchte, da sie in zu innigem Verkehr mit den Eremiten und Heiligen der Thebais standen, wie wir aus den Schriften der Kirchenväter ersehen. Jedenfalls wurzelte ihr Christentum nicht tiefer, als das der Numidier und Mauritanier und selbst der meisten Ägypter; denn wohl nur ein kleiner Teil der letzteren blieb Christen und ihre Nachkommen sind die heutigen Kopten, während die heutigen Fellahin und Städter Ägyptens gewiss zum größten Teile auch von einstigen Christen abstammen, obgleich man sie jetzt Araber nennt, ähnlich wie man alte arabisch redenden Algierer und Marokkaner Araber nennt, die doch offenbar Nachkommen der einst christlichen Numidier und Mauritanier sind. In Bir el Agaita konnte ich deutlich die Spuren einer römischen Station erkennen, welche verhältnismäßig bedeutend gewesen sein muss, da hier die drei Römerstraßen, welche von Theben, Coptos und Caenopolis nach Philoteras führten, zusammentrafen.

*) Plinius, Historia naturalis VI, 20—30.

23. Schual. Von Mitternacht bis 9 Uhr Morgens war unsre Karawane in Bewegung, in welcher Zeit wir die 4 ½ Meilen zurücklegten, welche Bir el Agaita von Bir el Hamamat trennen. Auch letzterer Ort, dessen arabischer Name „die Quelle der Bäder" bedeutet, war offenbar eine Römerstation, ja vielleicht befand sich hier ein römisches Bad, wie ich aus dem Vorhandensein einiger tegulae hamatae, Hohlziegeln, die oft über dem Badeofen angebracht waren, zu schließen versucht bin. Jedenfalls war diese Station bedeutend, da in ihrer Nähe sich Steinbrüche befinden, welche von den Alten vielfach bearbeitet wurden, die aus denselben den schönen grünen Stein (breccia verde) zogen, aus dem sie zahlreiche Sarkophage, Vasen und Verzierungsgegenstände aller Art machten, von denen man in Ägypten und in europäischen Museen so viele sieht. Ich benutzte den Tag, während meine Reisegefährten schliefen, um diesen berühmten Steinbruch zu besuchen, der in einem kleinen Seitenthale, Namens Wad Fochar, liegt. Hier sah ich eine Menge antiker Inschriften im Felsen angebracht, teils in Hieroglyphen aus der pharaonischen und ptolemäischen Zeit, teils späteren Datums, eine große Anzahl griechischer Exvoto's, welche fast alle dem griechischen Gotte Pan, dem Cham der Ägypter, der als der Schutzgeist der öffentlichen Wege und Straßen angesehen, wurde, gewidmet waren. Unter welchem Namen dieser Steinbruch den Alten bekannt war, wissen wir nicht. Ptolemäos gibt uns ungefähr in dieser Gegend die „lapides nigri" und den „Porphyrsteinbruch". Vielleicht, dass ihm die Farbe des hier gebrochenen Steins nicht bekannt war und dass in diesem Falle wirklich seine „lapides nigri" hier zu suchen sein möchten?

24. Schual. Dieser unser vierter Reisetag brachte uns nur 3 Meilen weiter und zwar an einen Ruheplatz, wo gar kein Wasser gefunden wurde. Der Weg bis zum nächsten Brunnen war aber zu weit, um in einem Tage zurückgelegt werden zu können. Hier kamen mir meine mitgenommenen Wasserflaschen recht zu Statten und ich machte mir dadurch viele Freunde, dass ich andern von meinem Überfluss mitteilte; wenn man überhaupt sagen kann, dass man sich bei Moslems durch Wohltaten (Wasser ist aber hier wirklich eine Wohltat), Freunde macht, denn diese Fatalisten pflegen alle Wohltaten als unmittelbare Verleihungen Gottes anzusehen und der Wohltäter erscheint ihnen nur als ein blindes Werkzeug der Vorsehung, dem sie keinen Dank schuldig sind.

25. Schual. Nach sechsstündigem Ritt langten wir um 6 Uhr Morgens beim Bir Hadsch Sliman an, wo die sämtliche Reisegesellschaft mit Heißgier über das endlich gefundene Wasser herfiel. Hier befinden sich ebenfalls deutlich erkennbare römische Reste. Es sind offenbar die von Gebäuden der einfachsten Art, wie man sie auf solchen Wüstenstationen errichtete und welche wahrscheinlich der römischen Casa, wie sie Martial (Ep. VI, 43) beschreibt, entsprachen.

26. Schual. Nach abermaligem sechsstündigen Ritt schlugen wir unser Lager in El Bida, d. h. dem weißen Ort, auf, so genannt von den weißen Felsen, welche dieses Tal umgeben. Der hier befindliche Brunnen führt den überraschenden Namen „Bir el Inklis", d. h. der Brunnen der Engländer. In der Tat wurde er von der englisch-ostindischen Armee auf ihrem Wege nach Indien gegraben. Einige fromme Muselmänner fragten hier unseren gelehrten Reisegefährten, Schich Mustapha, ob es nicht vielleicht Unrecht sei, aus dem Brunnen zu trinken, den jene gottverdammten Ketzer gegraben hätten. Darauf antwortete Schich Mustapha etwa wie folgt: „Wenn ein Esel mit seinem Huf an einen Felsen schlägt und aus diesem Felsen durch ein Wunder Gottes eine Quelle hervorspringt, würdet ihr nicht aus derselben trinken, weil der Esel zu diesem Wunder Anlass gegeben hat? Ebenso ist es mit den Inklis. Diese ungläubigen Hunde haben nicht mit Wissen und Willen den Brunnen gegraben, sondern Gott hat sich ihrer als blinder Werkzeuge bedient, weil er wollte, dass fromme Moslems auf ihrer Pilgerfahrt hier ihren Durst stillen sollten." Übrigens ist das Wasser aus dem Bir el Inklis kaum trinkbar und gewiss das schlechteste, welches man auf dieser Wüstenreise antrifft.

27. Schual. Eine Meile vom Brunnen der Engländer liegt der ebenfalls sehr schlechtes Wasser enthaltende Brunnen Bir el Ambadschi, wo wir uns übrigens nicht aufhielten, sondern von da unseren Weg nach dem 1 1/2 Meile entfernten Kosseir gleich fortsetzten. Es mochte etwa 5 1/2 Uhr Morgens sein, als wir zum ersten Male an dem gewohnten monotonen Wüstenhorizonte eine Veränderung wahrnahmen. Statt der bisherigen ewigen Sandhügel und nackten Felsen, erfreute unseren Blick auf einmal eine lange, spiegelglatte, im Sonnenstrahl leuchtende Fläche, auf der zahlreiche, kleine, weiße Punkte phantastisch herumirrten. Es war der arabische Meerbusen, das Rote Meer, das von allen Pilgern aufs freudigste begrüßt wurde, denn es sollte uns ja die Pforte erschließen, durch welche wir nach dem Hause Gottes in Mekka und nach dem Berge der Erkenntnis (Arafa) gelangen sollten. Durch diese schöne Hoffnung freudig belebt, legte unsre Karawane die letzten zwei Stunden jubelnd zurück und als wir um 7 1/2 Uhr Morgens in Kosseir anlangten, da schienen uns schon die Hauptschwierigkeiten der Hödsch (Pilgerfahrt) überwunden.

Maltzan, Heinrich von (1826-1874) Reichsfreiherr zu Wartenberg und Penzlin, Schriftsteller und Orientalist

Maltzan, Heinrich von (1826-1874) Reichsfreiherr zu Wartenberg und Penzlin, Schriftsteller und Orientalist