Vom wilden Jäger Jenn oder Jenner und dem Bauern aus Sabel bei Stargard.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1860

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sagen, Volkssagen, Sabel, Stargard, 30jähriger Krieg, Hexe, Viehkrankheit, Bauern,
Der Pachthof Sabel bei Stargard, eigentlich ein Ökonomiegut der Kirche zu Stargard, jetzt aber unter Oberadministration des hohen Konsistoriums zu Neustrelitz stehend, soll in alten Zeiten ein adeliges Dorf, mit 16 Vollbauern und 6 Kossaten, gewesen sein und als solches zuletzt zwei Edelfräulein gehört haben, die während der Schrecken des dreißigjährigen Krieges nach Stargard flüchteten und bei der dortigen Geistlichkeit gastliche Aufnahme fanden. Da die beiden Fräulein ohne Erben waren, sollen sie aus Dankbarkeit hierfür der stargardschen Kirche und Geistlichkeit ihr Besitztum vermacht haben.

Zur Zeit nun, als es in Sabel noch adelige Bauern gab, passierte es einem derselben, dass sein Vieh nicht gedeihen wollte, sondern immer plötzlich krank wurde und dann auch bald darnach starb. Mochte der Bauer auch noch so vorsichtig und achtsam sein, mochte er auch noch so viel aufpassen und auf seiner Hut sein, es half ihm Alles nicht; sobald er sich ein neues Pferd, eine neue Kuh, Schwein oder Schaf wieder angeschafft und in seinen Stall gebracht hatte, ließ das Tier den Kopf hängen, wollte nicht fressen und lag gewöhnlich schon am nächsten Morgen tot auf dem Rücken da.

*) „Da ging der Schweiniegel — schlechte Mensch — hinein!"

Dass das Vieh des Bauern behext war, behext sein musste, stand baumfest, darüber waren sich alle alten und verständigen Leute im Dorfe einig. Wer aber die böse Hexe sei und wo sie wohne, war nicht zu ermitteln, blieb Allen ein Rätsel. Ebenso war auch nichts ausfindig zu machen, der alten Hexe entgegen zu arbeiten; denn alle die 999 Gegenmittel, die sich sonst immer als probat erwiesen hatten, wollten hier nichts helfen; wie denn auch ebenfalls alle die Künste der berühmtesten Hexenbanner und Besprecher aus der ganzen Umgegend, zur größten Verwunderung und Schrecken aller Dorfleute, nicht anschlagen wollten.

Da begab es sich, dass unser so arg heimgesuchte Bauer einmal nach dem nur eine Viertelmeile von ihm entfernten Stargard gegangen war, wo er, aus Unmut und Verdruss über sein trübes Geschick, mehr, als ihm gut und dienlich, m einem Kaufmannsladen getrunken hatte. Es war schon spät Abends, als der Alte aus dem Tore der Stadt Hinaustaumelte, um endlich wieder heimzukehren. Als er also eine kleine Strecke zurückgelegt hatte und sich just einem Kreuzwege näherte, stürzte ihm plötzlich ein altes, scheußliches Weib, mit rochen Augen und fliegenden Haaren, keuchend und zitternd entgegen und bat ihn flehentlich, ihr über den Kreuzweg zu helfen.

Gutmütig, wie alle echt Mecklenburgischen Naturen es sind, und ohne weiter in seiner Duseligkeit über das merkwürdige Begehren des alten Weibes nachzudenken, oder sie zu fragen woher und wohin, packte der Bauer die Hexe — denn dafür hatte er sie doch gleich erkannt — hinten bei ihren lang herunterhängenden „Bissen" *) und warf sie mit einem Schwunge über den Kreuzweg, worauf das Weib in wildester Hast kopfüber fortstürzte und seinen Augen bald entschwunden war.

*) Nackenflechten.

Als der Bauer noch so dastand und gedankenlos in die Dunkelheit hineinstarrte, schlug plötzlich Hundegebell und das Wiehern eines Rosses an sein Ohr. Der Jenner oder Jenn, der wilde Jäger war's, der gleich darauf über Felder und Wälder, durch die Lüfte mit seiner wilden Jagd dahergesaust kam und auf seinem schnaubenden schwarzen Hengste gerade vor dem Bauern anhielt. Freundlich fragte er diesen, ob soeben ein altes Weib vorbei gekommen, und ob er demselben vielleicht über den Kreuzweg geholfen?
Da der ehrliche Alte das bejahte, bat ihn der Jenn, nun auch seinen Hunden und dann ihm selbst über den Kreuzweg zu helfen. Dies wollte der Bauer anfänglich nicht, denn er fürchtete sich vor den grimmig heulenden Hunden und meinte, sie würden ihn gewiss beißen. Auf des Jenners Zureden ließ er sich doch endlich bewegen, einen der Hunde zuerst ganz leise zu berühren. Als der Hund ihm darauf aber nicht nur nicht das Geringste tat, sondern sich im Gegenteil sogar ganz fromm und zutraulich gegen ihn bewies, da fasste er sich schnell ein Herz, ergriff einen Hund nach dem andern und schleuderte sie sämtlich über den Kreuzweg. Nun aber den Reiter selbst, samt seinem mächtigen Hengst, über den Weg zu bringen, war unserm Bauer außer allem Spaß; unmöglich erschien es ihm, eine solche Last zu heben, weshalb er sich dessen denn auch standhaft weigerte. Der Jenn aber ließ nicht nach mit Zureden und Bitten und versicherte dem Bauern wiederholt, dass er mit seinem Pferde gar nicht so schwer sei, wie es allerdings wohl scheinen möge; er solle es nur einmal versuchen, es solle sein Schade dann auch nicht sein.

Als aber das gütliche Zureden und Bitten des wilden Jägers nichts fruchten wollte, fing er zuletzt an, dem Bauern zu drohen und befahl ihm endlich mit barscher Stimme, ihn, wenn ihm sein Leben lieb sei, jetzt sogleich über den Kreuzweg zu helfen. Da nahm denn der Bauer in größter Herzensangst alle seine Kräfte zusammen, packte den schwarzen Hengst an allen Vieren, der, o Wunder, leicht wie eine Feder war, schwang ihn über seinen Kopf hoch in die Luft und warf ihn dann mitsamt seinem Reiter weit über den Kreuzweg. Dieser drehte sich hier noch einmal um, rief dem Bauern zu, feiner einen Augenblick zu warten, er werde gleich zurückkehren, und jagte dann mit seinen laut klaffenden Hunden in Sturmessausen dahin.

Unser Bauer mochte kaum eine Viertelstunde gewartet haben, als der Jenner auch schon wieder zurückgesprengt kam. Vor sich, quer über dem Pferde liegend, hatte jetzt der Wilde das alte Weib, welches der Bauer zuerst über den Kreuzweg geworfen; sie war jetzt tot und von den Hunden so arg zugerichtet und zerrissen, dass das schwarze Blut aus den vielen hundert Wunden der grässlich entstellten Leiche herunterströmte.

„Sieh hier", rief der Jenn dem vor Schreck erstarrten und jetzt schon ganz nüchtern gewordenen Bauern zu, „eine bitterböse Hexe, deren Stunde endlich geschlagen hatte! Sieh in ihr das böse Weib, die Dir so lange Dein Vieh behext, dass es immer sterben musste; die Dir so vielen Schaden zugefügt hat. Jetzt wirst Du Ruhe vor ihr haben, Glück und Segen wird wieder bei Dir einkehren; Dein Vieh wird nicht mehr sterben, es wird von dieser Stunde an wieder wachsen und gedeihen und sich mehren, dass Du Deine Freude daran haben sollst!" Dann riss er der toten Hexe die beiden langen Flechten aus dem Nacken und reichte sie dem Bauer, damit er sie Mitnehme nach Haus und sie zum Andenken aufbewahre für sich und seine Kinder.

„Bleib immer brav und rechtschaffen, lass aber nach diesem jagen, was da jaget, sonst wird es Dir schlecht ergehen!" rief der Jenner zuletzt dem noch immer vor Schreck, Staunen und Freude sprachlos Dastehenden zu und jagte dann mit seiner blutigen Beute in entgegengesetzter Richtung wieder davon.

Der Bauer befolgte gewissenhaft den guten Rat des wilden Jägers. Kein Stück Vieh starb ihm wieder nach dieser Zeit, sondern es wuchs und gedieh und vermehrte sich aufs Schönste und Beste; Glück und Segen war wieder bei ihm eingekehrt, und so ist es auch bis an sein seliges Ende geblieben.

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Noch viele Geschichten werden vom wilden Jäger Jenn oder Jenner*) im Lande Stargard erzählt, wo sein Hauptjagdrevier sein soll.

Mein alter prächtiger Gewährsmann, ein hochbetagter, biederer, stargardischer Holländer, der mir vorstehende Sage, mit der ehrlichsten Miene und fest von ihrer Wahrheit überzeugt, erzählte, da er sie schon von seinem Großvater und andern alten Leuten seines Dorfes gehört, fügte noch zum Schlusse hinzu, dass auch früher einmal ein Verwandter von ihm, der Schäfer zu Klein-Nemerow — bei Stargard — gewesen sei, die wilde Jagd gesehen habe. Es wäre Nacht gewesen, sein Verwandter hätte in der Schäferhütte auf freiem Felde bei den Schafen gelegen, da sei plötzlich der Jenn mit seiner wilden Jagd unter großem Getöse vorübergezogen. Weil derselbe aber zu tief in der Luft gejagt, so habe er den Hürden berührt, den er dann in Folge dessen ganz entzwei gerissen und damit gleichzeitig alle Schafe weit auseinander gesprengt hätte, so dass der Schäfer erst am andern Tage, nach vielem Suchen all sein Vieh wieder zusammen gefunden etc.

*) Wer oder was dieser Jenn oder Jenner eigentlich ist, darüber sind die Ansichten der stargardschen Landleute verschieden; während ihn Einige für den leibhaftigen Teufel halten, bestreiten dies Andere wieder entschieden, die ihn als selbständiges, überirdisches Wesen, bald guten, bald bösen Charakters, hinstellen wollen. Wahrscheinlich stammt die Sage vom Jenn noch aus vorchristlicher Zeit und ist somit Überbleibsel einer Mythe von irgend einer alten nordischen Gottheit.