Vervollkommnung des ersten deutschen Leichenhauses.*)

Autor: Redaktion - Freimütiges Abendblatt
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Leichensaal, Leichenhaus, Totengräber, Leichengeruch, Bestattung, Rettungs-Apparat, sicherste Kennzeichen des Todes, Reinlichkeit
Aus: Freimütiges Abendblatt. Achter Jahrgang. Schwerin, den 7ten April 1826. 02

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*) Auch hier, in Schwerin, beabsichtigt man jetzt die Anlegung eines Leichenhauses

In den 1790ger Jahren wurde nach Hufelands Vorschlag das erste deutsche Leichenhaus zu Weimar erbaut. Die Kosten kamen durch Subskription dortiger Einwohner zusammen. Der Totengräber wohnte über dem Leichensaal; — ein sehr großer Übelstand — weil, nach seiner Versicherung, nicht selten der üble Geruch so in seine Stube gedrungen ist, dass er sie verlassen musste.

In den letzten Jahren diente dieses Leichenhaus mehr, ja fast allein nur dazu, um Leichen aus den Wohnungen zu entfernen. — Seit einem Jahre ist das neue Leichenhaus im vollen Gebrauche, und erfreut sich der lebendigsten Teilnahme des Publikums.

Es hat nur einen Leichensaal zu gleicher Erde, in welchem 10 bis 12 Leichen aufgestellt werden können; ein Fall, der wohl kaum vorkommen wird, da im Leichenhause noch niemals 4 Leichen auf einmal befindlich waren. Neben dem Leichensaale ist die Wächterstube, mit einem großen, sorgfältig verwahrten Fenster versehen, das nicht geöffnet werden, durch welches man aber den Leichensaal vollständig übersehen kann. Aus dem Saale geht keine Tür in die Wächterstube. Neben dieser, im Winkel, befindet sich eine kleine Piece zur Sektionsstube; daneben ein Kessel zur schnellen Bereitung eines Bades. In der Etage, eine Treppe hoch, wohnt der Totengräber, der die spezielle Aufsicht über das Leichenhaus führt. Der Raum über dem Leichensaal ist leer und dient nur zur Aufbewahrung von Mobilien — eben der beim alten Leichenhaus gemachten Erfahrung wegen, dass der Leichengeruch selbst durch Decken in die Höhe dringt. — In dieser oberen Etage befindet sich noch eine Stube für den Arzt oder Chirurgen, und weil darin ein Bett nebst dem Rettungs-Apparate etc. verwahrt wird, so ist die Stube stets verschlossen: der Totengräber hat aber dazu den Schlüssel versiegelt in seiner Verwahrung. Das Siegel darf nicht er, sondern nur der Arzt oder Chirurg lösen, wenn diese den Gebrauch der Stube oder eines Stücks daraus für nötig erachten. — Durch diese Einrichtung hat man gestrebt, den Missbrauch des Bettes etc. zu verhüten.

Man wendet ein, dass es besser gewesen wäre einen Saal für männliche und einen für weibliche Leichen anzulegen, weil eine solche Separation der Geschlechter sehr dem Gefühle der Schicklichkeit entspräche. Daher sind zwei spanische Wände schnell gefertigt, die um jede Leiche so herumgestellt werden können, dass niemand die Leiche sieht, und so kann ein weiblicher Leichnam neben einem männlichen ganz entkleidet daliegen, ohne dass Dezenz bei den an beiden Leichnamen beschäftigten Personen oder Leuten, die sonst im Leichensaale eben sind, im geringsten beleidigt wird. Die Anlegung zweier Säle würde überdies die Kosten sehr vermehrt haben; man musste das Bedürfnis allein beobachten.

Tag und Nacht muss, so wie eine Leiche sich im Leichenhaus befindet, ein Wächter in der Wachtstube anwesend sein. Von Zeit zu Zeit wird visitiert.

Die Oberaufsicht über das Leichenhaus führt der Stadtrat.

Der Leichensaal ist heizbar. Die Heizung desselben geschieht durch Kanäle, die im Fußboden angebracht sind. Durch die einzelnen Öffnungen im Fußboden strömt die warme Luft, was zugleich die Reinigung der Luft im Saale befördern soll. Außerdem befinden sich in der einen Wand des Saales einige Öffnungen, die verschließbar sind, und jedes der Fenster des Saales hat einen sogenannten Ventilator. Zugluft darf die Leichen übrigens nicht treffen.

Niemand ist gesetzlich verbunden eine Leiche in das Leichenhaus zu schaffen. Seitdem aber das neue Leichenhaus eingerichtet ist, wo der Vornehmste wie der Geringste ganz gleiche Behandlung erhält, ist es fast zur Regel geworden, Leichen dahin schaffen zu lassen.

Der Stadtphysikus hat die nächste Aufsicht über jeden Toten, der ins Leichenhaus gebracht ist. Er wird dafür honoriert und zwar aus der Kommunkasse. Seine Amtstreue kontrolliert das ganze Publikum, da das Leichenhaus-Register jedem offen vorliegt. Es kontrolliert aber auch den Totengräber, und eine Anzeige würde kaum unterbleiben, wenn dieser eine Leiche begraben hätte, ohne dass vom Arzt die Autorisation ins Leichenhaus-Register eingetragen worden wäre. Man hält dieses für das allerwichtigste bei dem ganzen Institute, und die Weimarer Einwohner haben es auch sehr gut aufgenommen. — Das Zutrauen derselben zum Leichenhaus ist damit sehr vermehrt worden. Jeder, der eine Leiche ins Leichenhaus schaffen lässt, kann sich gewiss darauf verlassen, dass sie nicht eher in die Erde gebracht wird, als bis der Arzt die sichersten Kennzeichen des Todes gefunden und solche in das vor den Augen des Publikums offen daliegende Buch bemerkt hat.

Eine Kleinigkeit, die aber vielerlei Beschwerde gemacht hat, war die zweckmäßigste Befestigung der Fäden an den Fingern der Leichen, die zum Wecker führen. Die Wecker sind Glocken, wie an den Wanduhren, vom dortigen Mechanikus Bohne sehr zweckmäßig gefertigt, die großen Lärm verursachen, und durch die allerkleinste Bewegung laut werden. Am alten Leichenhaus wurde der Faden zu einer Klingel dem Toten in die Hand gegeben. Bewegung der Hand aber erfordert mehr Kraft, als des einzelnen Fingers, besonders der Fingerspitzen, an welchen sich jede Bewegung vorzüglicher äußern lässt. Man nahm zuerst elastische Ringe, die aber nicht recht halten wollten, und nicht gut an der äußersten Spitze des Fingers angebracht werden konnten. Da verfiel man auf Fingerhüte, die ihrer konischen Form wegen gut halten, in der Regel passen, und die geringste Bewegung einer Fingerspitze am Faden fortpflanzen, welcher an ihrem obersten Punkte befestigt ist.

Aus Sorge für die höchste Reinlichkeit — dem ersten Erfordernis eines Leichenhauses — hat die Anfertigung und Einrichtung der Körbe, in welchen die Leichen aufgestellt werden, sehr große Schwierigkeiten gemacht. Sand, Späne, Moos, Sägespäne etc. alles taugt nichts, wenn aus Mund, After etc. Feuchtigkeiten abgehen, und wenn noch so oft gereinigt wird, so leiden dadurch doch die Körbe, und kaum ist Leichengeruch zu vertilgen, wenn er einmal im Holze festsitzt. Nach der jetzigen Einrichtung können die Körbe lange Zeit dienen, und sie können gar nicht verunreinigt werden. Es ist nämlich ein genau passender Kasten von Holz mit ganz niedrigen Seitenwänden für jeden Korb gefertigt, der ganz mit Pech ausgegossen ist. Auf diesen Kasten passt ein Brett, auf welches Seegras gepolstert ist, das einen Überzug von starkem Wachstuch hat. Auf dieses Polster erst wird die Leiche gelegt. Gehen Flüssigkeiten von ihr ab, so gehen sie zuerst auf das Wachstuch, und weil dieses erhaben gepolstert ist, so fließen sie gleich in den Pechkasten ab. Wird die Leiche begraben, so ist die Reinigung des Kastens und des Polsters mit wenigem Wasser gleich wieder hergestellt, so dass man bei öfterem Besuche des Leichenhauses noch nicht den geringsten Leichengeruch an diesen Lagerstätten gefunden hat.

Das neue Leichenhaus kostet an Bau-Aufwand 2.224 Thlr. und die Inventarienstücke, Rettungs-Apparate etc. 206 Thlr.