Verlieren und Finden

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Landgerichtspräsident Dr. Ziel, Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Verlieren, Finden, Finderlohn, Fund, Rechtslage, Fundsache, Wert, Rückgabe, Polizei, Anzeige
„Sieh mal, Vater, was da auf der Straße liegt!“

„Ach, das ist ja ein Buch und noch dazu „Helden zur See“ von Reuper, das du dir zu deinem Geburtstag wünschst. Da hast du ja einen feinen Fund gemacht!“

„Ja, Vater,“ ruft Hans freudestrahlend, „kann ich das Buch behalten?“

„Nein, Hans, mit dem Buche hast du einen Fund gemacht, und gefundene Sachen muss man zurückgeben.“

„Wie schade! Aber Finderlohn bekomme ich doch wenigstens?“

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„Ja, den hast du zu beanspruchen. Aber er beträgt nur fünf Prozent. Mehr als fünf Mark wird das Buch wohl kaum wert sein.“

„Da bekomme ich also nur fünfundzwanzig Pfennig. Ach, hätt’ ich doch lieber eine Brieftasche mit hunderttausend Mark gefunden! Da bekäme ich fünftausend Mark. Denk’ mal, was ich mir dafür alles kaufen könnte!“

„So viel bekämst du gar nicht, Hans. Von dem über dreihundert Mark hinausgehenden Werte gibt's nämlich nur ein Prozent.“

„Na, dann bekäme ich immer noch tausendundzwölf Mark,“ sagt Hans nach einigem Nachdenken; „ist die Fundsache also über dreihundert Mark wert, so bekommt der Finder ein Prozent des Wertes und noch zwölf Mark dazu, das ist ja ganz einfach auszurechnen.“

„Richtig, mein Junge. Und manchmal bekommt der Finder sogar überhaupt nichts, nämlich wenn er die Sache in den Geschäftsräumen oder Beförderungsmitteln einer öffentlichen Behörde oder Verkehrsanstalt gefunden hat. Als Finder hast du nun aber auch Pflichten. In erster Linie musst du dem Verlierer oder Eigentümer den Fund anzeigen.“

„Ja, wenn ich ihn kennte!“

„Steht kein Name in dem Buche?“

„Doch, Albert Schmidt; aber Schmidt wird's hier bei den dreihunderttausend Einwohnern wohl viele geben. Wenn eine Adresse im Buch stände, dann müsste ich ihm das Buch wohl auch noch hinbringen für meine fünfundzwanzig Pfennig Finderlohn? Oder könnte ich ihm eine Postkarte schreiben? Dann gingen doch wenigstens nur drei Pfennig verloren.“

„Hinbringen oder hinschicken brauchtest du das Buch auch dann nicht. Und die drei Pfennig bekämst du außer deinem Finderlohn wieder. Denn der Finder kann außerdem noch Ersatz für seine notwendigen und vernünftigen Aufwendungen verlangen.“

„Da nehmen wir das Buch nun wohl mit nach Hause? Kann ich es lesen?“

„Mitnehmen können wir es schon, aber lesen darfst du es nicht. Denn zu einer Benutzung der Fundsache ist der Finder nicht berechtigt. Aber zunächst müssen wir den Fund bei der Polizei anzeigen.“

„Müssen wir dann auch noch in der Zeitung inserieren? Da stehen doch jeden Tag solche Anzeigen drin.“

„Nein, das brauchen wir nicht. Mit der unverzüglichen Anzeige bei der Polizei haben wir alles Nötige getan. Eine Zeitungsanzeige würde fast so viel kosten, wie das Buch wert ist. Es könnte zweifelhaft sein, ob uns der Verlierer eine solche Aufwendung überhaupt ersetzen müsste. Bei einer wohlgefüllten Brieftasche wäre es etwas anderes.“

„Wenn wir nun das Buch unterwegs wieder verlieren, oder wenn es bei uns zu Hause abhandenkommt, oder wenn bei uns Feuer ausbricht und es mit verbrennt, oder wenn es uns jemand stiehlt, was wird denn dann?“

„Der Finder haftet nur für Vorsatz und grobe Jahrlässigkeit. Er muss die Fundsache mindestens ebenso pfleglich behandeln wie seine eigenen Sachen. Wenn sie trotzdem abhandenkommt oder beschädigt wird, so kann er dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Er kann die Fundsache aber auch auf der Polizei abgeben. Dann trägt sie dafür die Haftung. Die Polizei kann übrigens die Abgabe verlangen und tut das bei sehr wertvollen Fundsachen oder wenn ihr der Finder unzuverlässig erscheint.“

Hans hatte inzwischen das Buch, das ihn sehr fesselte, ein wenig durchgeblättert. Plötzlich rief er: „Vater, hier auf dem Titelblatt steht: Mit farbigen Bildern. Es sind aber alle Bilder rausgeschnitten!“

„Ja,“ sagte der Vater, „das ist schlimm. Da wird das Buch wohl keine fünf Mark wert sein. Kaum drei! Armer Hans, dein Finderlohn wird immer weniger! Aber das spart uns wenigstens den Weg zur Polizei. Fundsachen unter drei Mark Wert braucht man nicht anzuzeigen. Die muss man nur gut aufbewahren, bis sich der Verlierer meldet.“

„Wie soll er denn das, wenn er mich nicht gerade das Buch hat aufheben sehen? Müssen wir gar nichts tun, um den Verlierer ausfindig zu machen?“

„Verpflichtet bist du als Finder zu nichts. Du darfst nur den Fund nicht verheimlichen.“

„Ach, Vater, lesen darf ich das Buch nicht, die Bilder sind auch raus, was sollen wir uns dann eigentlich damit schleppen - da wollen wir's doch lieber wieder hinlegen, wo's gelegen hat. Wir sind noch gar nicht weit weg von der Stelle, ich laufe schnell zurück.“

„Nein, nein, Hans, das darfst du nicht. Du hast das Buch nun einmal an dich genommen und bist nun dafür verantwortlich. Hättest du's gleich beim Aufheben angesehen und als wertlos wieder hingelegt, so wärst du im Rechtssinne gar nicht Finder geworden. Aber nun du es schon zwei Straßen mit dir trägst, würdest du mit dem Wiederhinlegen deine Aufbewahrungspflicht vorsätzlich verletzen und dem Verlierer ein neues kaufen müssen.“

„Da wollen wir es lieber mitnehmen. Aber vielleicht hat Albert Schmidt das Buch auch weggeworfen, weil keine Bilder mehr drin sind. Wie stände es denn dann damit?“

„Dann wäre es keine verlorene, sondern eine herrenlose Sache. Verloren ist eine Sache dann, wenn sie dem Besitzer ohne seinen Willen weggekommen ist und er keine Verfügungsmöglichkeit darüber mehr hat, gleichviel ob er weiß oder nicht weiß, wo sie sich befindet. Vor ein paar Tagen sagte die Mutter, sie hätte den Schlüssel zu unserem Kugelspielkasten im Garten verloren, und du fandest ihn nachher in der Laube. Dieser Schlüssel war gar nicht im Rechtssinne verloren, weil er sich noch in unserer Verfügungsgewalt, nämlich in unserem Garten befand, wenn wir auch nicht wussten, wo. Als ich aber einmal aus Versehen meinen Bergstock in eine tiefe unzugängliche Schlucht fallen ließ, da hatte ich ihn im Rechtssinne verloren, obwohl ich genau wusste, wo er war. Herrenlos dagegen wird eine Sache, wenn der Eigentümer sich ihrer mit dem Willen entledigt, sie nicht mehr zu besitzen. Sie kann sich im Allgemeinen jeder aneignen. Hätte also Albert Schmidt das Buch weggeworfen, dann wärst du jetzt sein Eigentümer geworden, wenn du es nur haben willst, denn an dich genommen hast du es ja schon. Dann könntest du natürlich damit machen, was du willst, es sogar gleich lesen, falls du deine Schularbeiten schon gemacht hast. Aber bei den heutigen Bücherpreisen ist es nicht wahrscheinlich, dass jemand ein solches Buch wegwirft, auch wenn die Bilder fehlen, und darum wollen wir doch lieber vorsichtig sein und es als eine verlorene Sache ansehen.“

„Wenn nun jetzt jemand uns nachgelaufen kommt und sagt, er habe gesehen, wie ich das Buch gefunden habe, es sei sein Buch, was muss ich dann tun? Muss ich es ihm geben?“

„So ohne weiteres nicht. Du musst zunächst festzustellen versuchen, ob er wirklich der Verlierer ist. Wenn er zum Beispiel die herausgeschnittenen Bilder bei sich hätte und in glaubhafter Weise erzählte, er habe das Buch gerade zum Buchbinder bringen wollen, um sie wieder einkleben zu lassen, dann könntest du ihn unbedenklich als Verlierer ansehen und ihm das Buch zurückgeben. Ob er das Buch mit Recht besaß, als er es verlor, das hast du nicht zu prüfen. Denn dem Verlierer kann der Finder die Fundsache unter allen Umständen zurückgeben, selbst dann, wenn der Verlierer etwa vorher die Sache gestohlen haben sollte. Kommt aber ein anderer als der Verlierer, so muss der Finder die Empfangsberechtigung genau prüfen, um nicht dem wirklichen Eigentümer haftbar zu werden, zum Beispiel ob der, der die Fundsache haben will, besondere Eigentümlichkeiten daran beschreiben kann. Überdies wirst du keinem das Buch herausgeben, ehe er dir deinen Finderlohn gezahlt hat. Denn als Finder hast du wegen deiner berechtigten Ansprüche ein Zurückbehaltungsrecht daran. Auch die Polizei muss, wenn der Fund bei ihr abgegeben ist, die Empfangsberechtigung prüfen und darf ihn nur mit Genehmigung des Finders herausgeben, damit er nicht um seine Ansprüche kommt.“

„Wenn nun aber niemand das Buch bei uns abfordert? Ich kann es doch nicht ewig für den unbekannten Eigentümer verwahren?“

„Das brauchst du auch nicht. Heute übers Jahr wird das Buch dein Eigentum, wenn dir bis dahin der Verlierer oder Eigentümer nicht bekannt wird und du deine sonstigen Finderpflichten erfüllt hast.“

„Obwohl ich doch erst zwölf Jahre alt bin?“

„Dass du noch nicht voll geschäftsfähig bist, ist dafür gleichgültig. Finden ist zwar eine Rechtshandlung, aber kein Rechtsgeschäft. Daher kann auch der Minderjährige und sogar der Geisteskranke Finder werden und die Rechte als solcher erwerben. Für deine Finderpflichten würde ich als dein gesetzlicher Vertreter freilich mit verantwortlich sein, weil ich um deinen Fund weiß. Und ich kann dir auch das Buch wieder wegnehmen, wenn du das Eigentum daran erworben hast, zum Beispiel wenn ich es als dein Erzieher für ungeeignet für dich halte.“

„Neulich ist uns doch unser Kanarienvogel weggeflogen, und du hast gesagt, der fliegt nun sicher in ein anderes Fenster. Ist das dann auch ein Fund?“

„Gewiss. Auch ein Tier, das mir zufliegt oder zuläuft, finde ich, wenn ich es bei mir aufnehme. Freilich ist es noch kein Aufnehmen, wenn ich das Tier nur nicht wieder fortjage, ohne mich weiter darum zu kümmern, oder wenn ich dem erschöpften Tier einmal Futter oder Wasser reiche. Aber wenn jemand unserm Vogel ein Bauer hergerichtet und ihn darin aufgenommen hat, hat er ihn gefunden und ist nun zu weiterer Fürsorge für ihn verpflichtet. Die Aufwendungen, zum Beispiel für Futter, kann er natürlich außer dem Finderlohn erseht verlangen.“

„Manchmal wird doch auch eine ganz alte Sache gefunden, Vater, die schon seit Jahrhunderten verborgen gelegen hat und deren Eigentümer gar nicht mehr zu ermitteln ist?“

„Das nennt man einen Schatzfund. Er ist kein eigentlicher Fund. Denn es steht ja gar nicht fest, ob die Sache verloren oder vielleicht absichtlich versteckt worden war. Deshalb gelten hierfür auch andere Bestimmungen. Die Hälfte des gefundenen Schatzes gehört seinem Entdecker, die andere dem Eigentümer des Grundstücks oder der beweglichen Sache, in der der Schatz gefunden wurde.“

„Na, nun sind wir zu Hause, Vater, und nun will ich dir das Buch lieber zum Aufheben geben, bis es übers Jahr mein Eigentum wird. Melden wird sich ja hoffentlich kein Verlierer! Und dann wirst du es mich gewiss lesen lassen. Aber zu meinem Geburtstag kannst du mir, damit ich das Heldenbuch später nicht doppelt habe, nun lieber ein anderes schönes Buch schenken.“