Verkleidung als Moslem und Reise nach Kairo.

Aus: Meine Wallfahrt nach Mekka. Band 1
Autor: Maltzan, Heinrich Freiherr von (1826-1874) Reichsfreiherr zu Wartenberg und Penzlin, Schriftsteller und Orientalist, Erscheinungsjahr: 1865
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, Adel, von Maltzan, Orientalist, Reisebeschreibung, Reisebericht, Arabien, Mekka, Kultstätte, Pilgerort, Pilgerzug, Heiligtum, Pilgerweg, Afrika, Muselmann, Reiseplan, Reiseziel, Arafa, Orient, Kairo, Marokko, Bulak, Karawane, Ägypten, Beduinen, Medina,
Zusammentreffen mit dem Mekkareisenden Burton. — Schwierigkeiten der Wallfahrt nach Mekka für einen Europäer. — Liste der Europäer, welche Mekka besuchten. — Meine Rückkehr aus Marokko. — Plan, nach Mekka zu pilgern. — Ich verschaffe mir in Algier einen Pass, als Araber. — Ankunft in Malta. — Verkleidung und Verstellung. — Fahrt nach Alexandrien. — Eisenbahn nach Kairo. — Neue Bekanntschaften. — Schieb Mustapha. — Seine drei Neffen. — Kurzer Aufenthalt in Kairo. — Die letzten Tage des Ramadan. — Ich kaufe einen Negersklaven. — Einschiffung in Bulak.

Bei meiner ersten Reise in Ägypten saß ich eines Abends (es war, glaube ich, im Dezember des Jahres1853) in Kairo, an der wohlbesetzten Table d’hôte des Hotel Sheppheard, und mir gegenüber ein Mann von etlichen dreißig Jahren im vollständigen orientalischen Kostüm, mit einem langen Barte von bräunlicher Farbe, mit sonngebräuntem Teint, geschorenem Haupte, mit Armen, welche bis an die Ellenbogen und Beinen, welche bis an die Knie hinauf nackt waren, mit einem völlig bloßen Hals und mit jenem phlegmatischen Sichgehenlassen in all’ seinen Manieren, welches dem echten Araber eigentümlich ist. Anfangs beachtete ich ihn nicht viel, da ja in Kairo ein Araber ebenso wenig merkwürdig ist, als es die Eulen in Athen waren; als er aber nun den Mund öffnete und in einem so geläufigen Englisch, wie es nur der reinste Cockney zu sprechen vermag, sich mit seinen Nachbarn zu unterhalten begann, da wurde meine Neugierde rege. Ich hatte zwar auf meinen Reisen schon genug verrückte Engländer gesehen, die sich gefielen, bald als italienische Banditen, bald als griechische Palicaren, als Beduinen oder als indische Götzenanbeter verkleidet herumzugehen, aber alle diese hatten sich eben unter diesen Verkleidungen nur wie misslungene Theaterstatisten ausgenommen. Nie jedoch war mir noch ein Sohn Albions vorgekommen, bei dem eine fremde Tracht und zumal die orientalische, (nach meiner Ansicht schwieriger charaktergemäß zu tragen als irgend eine andre) so ganz gleichsam in succum et sanguinem übergegangen war, wie bei meinem Tischnachbar. Es war klar, dass nur ein langes Studium orientalischen Lebens und orientalischer Sitten, dass nur ein vieljähriger Umgang mit Orientalen ein solches Resultat zur Folge hatte haben können.

Wer war dieser englische Araber oder arabisierte Engländer?

Ich sollte nicht lange darüber im Zweifel bleiben. Er schien sehr mitteilsam und bald war es mir gelungen, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, woraus ich erfuhr, dass ich es mit dem später so berühmt gewordenen, damals noch etwas obskuren, englischen Reisenden, Lieutenant Burton, der eben von Mekka und Medina zurückkehrte, zu tun habe. Mekka und Medina! Ein Europäer war in diesen unnahbaren, heiligen Städten des Islams gewesen, in denen die Anwesenheit eines Christen dem Moslem ein größeres Verbrechen erscheint, als einst den Alten die eines Mannes im Tempel der Vesta!

Ich wusste wohl, dass schon einige Europäer in früheren Jahrhunderten und selbst einer oder der andere in diesem Jahrhundert dasselbe Wagstück ausgeführt hatten. Aber alle unter ausnahmsweisen Umständen. Derjenige, von welchem wir am meisten erfahren haben, der berühmte Reisende Burkhardt, hatte seine Reise nach Mekka unter den allerleichtesten Umständen, begünstigt durch die den Europäern so wohlgeneigte Herrschaft Mohamed Alis, ausgeführt. Er war der einzige Mekkabesucher, der seine europäische Abkunft nicht einmal geheim zu halten brauchte und obgleich er sich als Renegat und Muselmann gebärdete und auch von vielen Arabern für einen echten Moslem gehalten wurde, so verriet doch die Ironie Mohamed Alis, als er ihn in Taif besuchte, deutlich, dass dieser Burkhardts Mohamedanertum für höchst problematisch ansah, aber als philosophischer Fürst, dem im Grunde wenig an religiösen Vorurteilen lag, gnädigst für acht gelten ließ. So erlangte Burkhardt sogar einen Empfehlungsbrief vom Pascha an die Autoritäten von Mekka! Aber so etwas war nur während der ephemären ägyptischen Herrschaft möglich gewesen. Seitdem ist Mekka wieder für Christen ein versiegeltes Buch geworden, was es vordem gewesen war.

Zwei Arten gab es, wie Europäer, die nicht Renegaten geworden, in früheren Zeiten nach Mekka kamen: die einen auf unfreiwillige Art, nämlich als Kriegsgefangene, die zu Sklaven gemacht worden waren und die ihre Herren auf der Pilgerfahrt begleiteten; die anderen freiwillig, unter Verkleidung als Araber, Türke, Afghane oder sonstiger Moslem, was freilich, wenn auch die angenehmere, doch die bei weitem gefährlichere Art war. Die erste Art nach Mekka zu kommen, hat natürlich jetzt aufgehört, die zweite findet noch statt und ich selbst kenne einen Engländer in Algier, der erst im vorigen Jahre (1863) auf diese Weise die Pilgerfahrt zurücklegte. Dem Leser wird es vielleicht willkommen sein, hier gleich zu Anfang der Schilderung meiner Wallfahrt nach Mekka die Liste meiner europäischen Vorgänger auf diesem Pilgerwege zu finden.

1) 1508 Lodovico Bartema, ein Italiener aus Bologna, besuchte in Verkleidung Mekka, wurde aber später in Jemen als Christ erkannt und eine Zeit gefangen gehalten, bis es ihm endlich zu entfliehen gelang. Seine Reisen sind deshalb so interessant, weil er Arabien noch vor dem Eindringen der Türken (1516) sah.

2) 1566 Le Blanc, ein Franzose, dessen Reise von Bergeron im Jahre 1649 in Paris herausgegeben wurde.

3) 1604 Johannes Wild, ein Deutscher, der als österreichischer Soldat von den Türken gefangen und als Sklave verkauft worden war. Er begleitete als Sklave seinen nach Mekka pilgernden Herrn. Seine Reise erschien in Nürnberg 1623.

4) 1680 Joseph Pitto, Engländer aus Exeter, reiste als 18 jähriger Jüngling und Renegat nach Mekka. Seine Reise erschien in London 1708.

5) 1700? Giovanni Finati, Geistlicher aus Italien.

6) 1800 Ali Bei oder Domingo Badia, ein Spanier, der als Moslem verkleidet reiste. Seine Reise nach Mekka wird vielfach angezweifelt, mir scheint jedoch mit Unrecht, da ich viele seiner Bemerkungen und selbst seinen Plan von Mekka im Ganzen richtig fand.

7) Bankes, ein Engländer, dessen Reisen ebenfalls angezweifelt werden.

8) 1810 Seetzen, ein Deutscher, der in Arabien starb. Sein Tagebuch über Mekka ist, so viel ich weiß, nicht im Druck erschienen. Er soll in Mekka Renegat geworden sein, um die Kaaba besuchen zu können, deren Inneres er abzeichnete. Diese Zeichnung wurde, so heißt es, bei ihm entdeckt und er deshalb als Religionsschänder und Verräter ermordet.

9)Burkhardt, ein Deutscher, der langjährig im Orient lebte, orientalische Sitte und Sprache gründlicher, als irgend ein Europäer vor ihm, angenommen hatte und unter dem Schutz Mohamed Alis auch Mekka und Medina besuchte. Seine englisch erschienen Reisen waren lange die einzige Quelle unserer Kenntnis der heiligen Orte.

10) Wallin, ein Franzose, reiste unter dem Namen Walli ed Din. Von ihm ist nur sehr wenig bekannt.

11) 1853 Lieutenant Burton (jetzt Kapitän Burton und englischer Konsul in Fernando Po) reiste zuerst als persischer Prinz, dann als indischer Doktor und zuletzt als afghanischer Derwisch, in welcher Eigenschaft er Mekka und Medina besuchte. Die geographische Gesellschaft in London musste für seine Reise zahlen, obgleich sie ihn eigentlich ganz wo anders hin geschickt hatte, als nach Mekka und Medina, nämlich nach Oman, wohin er vielleicht von Jemen aus, keineswegs aber von Hedschas, wie er vorgab versucht zu haben, dringen konnte.

12) Léon Koches, vor Kurzen noch französischer Generalkonsul in Tunis, jetzt Gesandter in Japan, reiste als Maghrebi verkleidet mit andern Maghrebinern. Er hat, glaube ich, seine Reise nie veröffentlicht, auch wissen nur die Wenigsten etwas davon. Ich habe jedoch von glaubwürdigen Arabern die Gewissheit erlangt, dass Koches wirklich in Mekka gewesen ist.

Hiermit endet die Liste meiner Vorgänger und es bleibt mir bloß noch übrig, meines bis jetzt einzigen, mir bekannt gewordenen Nachfolgers zu gedenken. Es ist dies ein Engländer, Namens Tenett, gebürtig aus London, welcher jetzt im Dorfe El Biar bei Algier wohnt. Er trat zum Schein in Dschedda zum Islam über und machte die Pilgerfahrt im Jahre 1863. Bei den Arabern ist er unter dem Namen Hadsch Abd-ul-Wahad bekannt, übrigens kleidet er sich jetzt wieder europäisch und befolgt keine der Satzungen des Islam. Zwei esch Schehud (Zeugen) seiner Pilgerfahrt leben in Algier und sind ein gewisser Hadsch Brahim und Hadsch Ali Tri, so dass seine Reise nicht angezweifelt werden kann.

Um nun wieder auf Burton zurückzukommen, so konnte ich nicht umhin, seine Kühnheit zu bewundern und zugleich seine Geschicklichkeit anzustaunen, mit welcher er die Rolle eines Moslem durchgespielt hatte. So etwas war freilich nur dann möglich, wenn man irgend eines orientalischen Idioms sich vollkommen Meister nennen konnte. Burton hatte die Rolle eines Afghanen gewählt, weil ihm das Persische geläufig war; einen Perser selbst darzustellen, daran hinderte ihn der Umstand, dass diese als Schiiten in Arabien stets beschimpft und misshandelt zu werden pflegen.

Je länger ich Burton erzählen hörte, desto stärker wuchs in mir der Wunsch seinem Beispiele zu folgen. Aber meine Kenntnis vom gesprochenen Arabisch war damals noch zu mangelhaft, zu zerfahren; ich wusste vom syrischen, vom ägyptischen, vom maghrebinischen Dialekt, von jedem etwas, von keinem genug, um eine Rolle als Araber spielen und gründlich durchführen zu können. Deshalb gab ich damals, mit schwerem Herzen den Plan auf, Burtons Nachfolger zu werden.

Sieben Jahre später (im Frühling 1860) als ich von meiner Reise in Marokko zurückgekehrt war, auf welcher ich, wenigstens in der Hauptstadt des Kaiserreichs, auch verkleidet hatte gehen und sonst vielfach Verstecken spielen müssen, da erwachte in mir der Gedanke, ob jetzt nicht vielleicht der günstige Zeitpunkt gekommen sein möchte, meinen einst gehegten Plan wiederaufzunehmen? Durch einen mehrjährigen Aufenthalt im Nordwesten von Afrika, durch meinen langgepflogenen, fast ausschließlichen Umgang mit Arabern, war es mir gelungen, des maghrebinischen Dialekts mit einer gewissen Fertigkeit Meister zu werden. Als Maghrebi verkleidet, so allein konnte ich die Pilgerfahrt unternehmen. Andere arabische Dialekte verstand ich wohl, sprach sie aber nicht geläufig. Die Verkleidung als Maghrebi und zwar als algerischer Maghrebi (denn die Tuniser und Marokkaner werden im Orient auch Maghrebi genannt, in Algier nur die letzteren) hatte nebenbei den großem Vorteil, dass ich unter dem Schutz einer europäischen Macht stand, und ferner, dass alles fremdartige, welches an mir vielleicht den Europäer hätte verraten können, auf Kosten meines vermeintlichen Vaterlandes geschrieben wurde, da es ja heut' zu Tage nicht selten ist, Algierer zu sehen, welche sich in einem oder dem andern Stück europäisiert haben.

Mein Entschluss war schnell gefasst; zwei Dinge waren nur noch zu tun übrig, das eine mir ein Kostüm, das andere mir einen Pass und somit einen muselmännischen Namen zu verschaffen. Ersteres war leicht, letzteres nicht sehr schwer.

Ich kaufte mir also in Algier unter dem Siegel der größten Verschwiegenheit (denn meine Absicht musste vor allem vor denen geheim gehalten werden, für deren Stammesbruder ich mich ausgeben wollte) ein vollständiges maurisches Kostüm mit Rulila (Jacke), 2 Bedaiya (Westen), Hosäm (Schärpe) Sarual (Hose), Schaschia (rote Mütze), Turbanti täbäni (halbseidener Turban) und Bernus. Nachdem ich diesen Ankauf gemacht hatte, zog ich nicht etwa mein Kostüm an, sondern ich wickelte es vielmehr sorgfältig in ein Tuch ein und begab mich in stockfinstrer Nacht mit diesem Bündel nach einem der abgelegensten Quartiere der Stadt, wo ich in ein kleines, in einem Keller befindliches arabisches Kaffeehaus trat. Dort wusste ich, würde ich meinen Mann treffen, demjenigen nämlich, welcher mir einen Pass nach Mekka verschaffen sollte.

In einem Winkel dieses dunkeln Lokales saß eine Art von arabischem Vagabunden, der früher eines gewissen Wohlstandes sich erfreut, den aber das stete Rauchen des Kif (des afrikanischen opiumartigen Hanfs) ganz heruntergebracht hatte. Zum Glück fand ich ihn an diesem Abend noch nicht ganz berauscht, so dass er, nach den ersten Begrüßungen (ich hatte ihn bei einem Thaleb mehrmals getroffen und sprach bei Gelegenheit mit ihm) bereit war, mir ein williges Ohr zu schenken. Ich setzte ihn nicht wenig in Erstaunen, als ich unser Gespräch etwa folgendermaßen begann:

„Sage mir, Abd-er-Rahman, willst Du sechs Monate auf die bequemste und angenehmste Weise, ohne Sorgen und mit Geld hinlänglich versehen, zubringen und Dich während dieser Zeit dem Haschisch (Hanf) nach Herzenslust hingeben, ohne dass auch nur einer Deiner zahlreichen Gläubiger Dich zu belästigen wagen wird?"

Abd-er-Rahmann schaute mich bei diesen Worten verblüfft an, als glaube er, ich hätte auch das Haschisch geraucht und brächte nun im Fieberwahnsinn eine Fabel aus tausend und einer Nacht aufs Tapet. Doch da mein Gesicht nicht jenen halbschmachtenden, halbblödsinnigen Ausdruck eines Kifrauchers geboten haben mag, so leuchtete es ihm allmählich ein, dass ich möglicherweise ja noch Herr meiner fünf Sinne sein könne. Deshalb schien es ihm endlich nicht gewagt, auf meine Frage einzugehen und mit der Gegenfrage zu antworten, was ich wohl mit einem solchen Unsinn meinen könne?

„Du wirst", so erwiderte ich, „Dich in acht Tagen von hier entfernen und nach Tunis oder Bone gehen, dort sechs Monate zurückgezogen, aber in Süßigkeit Deinem vielgeliebten Kif ergeben, leben und bekommst dafür" . . . (Hier erfolgte die Offerte einer für Araber ganz annehmbaren Summe.)

Trotz der Gewohnheit des Haschischrauchens war jedoch Abd-er-Rahmans Hirn nicht so umwölkt, um nicht zu verstehen, dass für ein solches Anerbieten auch etwas von ihm gefordert werden würde. Nun kennen alle Algierer eine Art von Europäern ziemlich gut, nämlich die englischen Missionare, welche es zuweilen, aber erfolglos versuchen, Moslems zu bekehren und bilden sich ein, dass dieselben um die Mohamedaner zu Christen zu machen, es im entscheidenden Augenblick selbst an einer Bestechung nicht fehlen lassen würden. Möglicherweise, so schien Abd-er-Rahman zu denken, war ich auch ein solcher und mein Anerbieten geschah nur zu dem Zwecke, um ihn zu dem entsetzlichen Schritte zu bewegen, ein Rumih (Christ) zu werden.

Alles werde er tun, so erwiderte er mir deshalb mit einer ernsthaften Miene, welche ihm übrigens sehr komisch stand, nur nicht seinen Glauben abschwören, an dem selbst noch ein Kifraucher hängt. Ich tröstete ihn schnell und versicherte ihm, dass es ein Dienst ganz anderer Natur sei, welchen ich von ihm verlange. Nun erklärte er sich bereit, mir in allem zu willfahren, da ich ja keinen Ketzer aus ihm machen wolle. Ich setzte ihn jedoch aufs neue nicht wenig in Erstaunen, als ich ihm nun folgendes eröffnete:

„Du wirst dies Kostüm, welches ich hier in einem Bündel mitgebracht habe, morgen früh anziehen, so gekleidet auf die Präfektur gehen und Deinen Pass zu einer Pilgerfahrt nach Mekka verlangen."

Der gute Abd-er-Rahman war nämlich in seinen eignen Kleidern doch etwas gar zu derwischartig zerlumpt und die französische Behörde würde ihm so gekleidet, als einem anscheinenden Bettler, höchst wahrscheinlich den Pass verweigert haben.

„Dazu“, entgegnete er auf meinen Vorschlag, „müssen Sie mir das nötige Geld vorstrecken. Sie wissen vielleicht ungefähr, wie viel eine Pilgerfahrt nach Mekka kostet?"

„Ich glaube es zu wissen ", war meine Antwort, „und das Geld wirst Du erhalten, wenn Du mir Deinen Pass abgeliefert haben wirst."

Auf einmal wurde dem Kifraucher alles klar, und von diesem Augenblick an befolgte er buchstäblich meinen Plan und ich konnte sicher auf seine Verschwiegenheit rechnen, denn er selbst hätte ja bei seinen Landsleuten die gefährlichste Stellung gehabt, wenn es bekannt geworden wäre, dass er einem Europäer Mittel und Wege verschafft habe, um nach dem, für einen Nichtmuselmann so unzugänglichen Mekka zu gelangen; denn, was die Reise nach Mekka betrifft, so ist nicht nur die türkische Regierung, welche Todesstrafe für den Ungläubigen, der sich in die heilige Stadt schleichen würde, festgesetzt hat, fanatischste Wächterin; nein, jeder einzelne Muselmann, je nach dem Grade seines Fanatismus, hält es für seine Pflicht, das Haram (Heiligtum) so weit er Gelegenheit dazu hat, aufs strengste zu bewachen. Ja! ich bin überzeugt, die türkische Regierung zeigt sich nur deshalb so fanatisch, um ihre eigene Popularität bei frommen Moslems nicht zu verlieren. Die fanatischsten von allen Fanatikern sind ohne Zweifel die Hadschadsch (Plural von Hadsch, Pilger) und sie haben natürlich die beste Gelegenheit dazu, ihr freiwillig übernommenes Wächteramt auf der ganzen Hödsch (Pilgerfahrt) auszuüben, und jeden Christen gleich zu denunzieren, der es wagen sollte, unter Verkleidung nach Mekka pilgern zu wollen.

Am Tage nach meiner Zusammenkunft mit dem Kifraucher hatte ich den Pass; und Abd-er-Rahman, mit Geld gehörig versehen, schiffte sich nach Tunis ein, während er vorgab, die Pilgerfahrt nach Mekka unternehmen zu wollen, um nach sechs Monaten wieder von Tunis nach Algier zurückzufahren und zwar diesmal mit dem ehrwürdigen, von mir für ihn erworbenen, religiösen Titel eines Hadsch, da ich ihm inzwischen seinen in Dschedda vom französischen Konsul visierten Pass zurückgeschickt hatte und er folglich, in Abwesenheit der esch Schehud (Zeugen), ein gerichtlich gültiges Dokument besaß, welches wenigstens bewies, dass er zur Zeit der Hödsch (Pilgerfahrt) im Hafen von Mekka anwesend war, und da wohl kein Maghrebi im Monat Du el Kada zu anderen Zwecken nach Dschedda reist, als um von da nach Mekka und Arafa zu pilgern, so wäre es lächerlich gewesen, ihm den Titel eines Hadsch streitig zu machen, obgleich er die esch Schehud (Zeugen) nicht besaß. Er konnte übrigens vorgeben, dass dieselben in Ägypten geblieben seien, was auch nicht unglaublich gewesen wäre.

Ich besaß also einen französischen, unter arabischem Namen ausgestellten Pass zur Pilgerfahrt nach Mekka, einen Pass, von dem ich nach Herzenslust Gebrauch machen konnte. Die einzige Schwierigkeit war nur noch, dass dieser Pass ein Signalement enthielt und dass dieses Signalement folgendes war:

Alter: 45 Jahre.
Größe: 1 Meter 40 Zentimeter.
Haare: keine.
Stirn: kurz.
Augenbrauen: schwarz.
Augen: braun.
Nase: lang.
Mund: groß.
Bart: schwarz.
Kinn: rund.
Gesicht: lang.
Farbe: bräunlich.
Besondere Zeichen: ist grindköpfig.

Mein wahres Signalement wäre aber etwa folgendes gewesen:

Alter : 34 Jahre.
Größe : 1 Meter 60 Zentimeter.
Haare: blond.
Stirn: hoch.
Augenbrauen: blond.
Augen: grau.
Nase: gewöhnlich.
Mund: gewöhnlich.
Bart: blond.
Kinn: rund.
Gesicht: lang.
Farbe: gelblich.
Besondere Zeichen : keine.

Es war klar, dass das erstere dieser beiden so verschiedenen Signalements selbst von dem gefälligsten Passvisierungsbüro nicht als der im zweiten Signalement beschriebenen Person zugehörend angenommen werden konnte. Eine völlige Transformation meines physischen Menschen musste erfolgen, damit ich für Sidi Abd-er-Rahman ben Mohamed mit einiger Wahrscheinlichkeit gehalten werden konnte.

Der erste Punkt, das Alter, war zwar kein absolutes Hindernis, da zehn Jahre mehr oder weniger in gewissen Jahren eben nicht von Jedermann genau aus den Gesichtszügen heraus demonstriert werden können. Die Verschiedenheit in der Größe konnte ich durch eine gebückte Haltung weniger auffallend machen. Was den dritten Punkt betraf, so verhinderte der Turban und das Geschorensein meines Haupthaares, die Entdeckung, dass ich nicht auch wie mein Doppelgänger mich einer durch die Grindkrankheit herbeigeführten, vollkommenen Kahlköpfigkeit erfreute. Die Stirn war ferner durch den Turban verdeckt. Augenbrauen und Bart waren ihrer Farbe wegen allerdings große Hindernisse, aber meine verräterische Blondheit sollte später in Malta, wo ich mich in einen Araber transformierte, durch Eau Berger überwunden werden, welches bekanntlich auf die Minute färbt und von allen Haarfarbemitteln, deren ich sechs probierte, dasjenige ist, welches am wenigsten oft erneuert zu werden braucht.

Hier könnte man mir einwenden, warum ich mir nicht den Pass eines blonden Arabers verschafft habe, da ich doch dann einer großen Mühe überhoben gewesen wäre. Nun gibt es allerdings einige blonde Araber; aber, erstens hätte ich nicht jeden Muselmann bereit gefunden, denselben Handel wie Abd-er-Rahman mit mir einzugehen und zweitens, hätte ich selbst einen der wenigen blonden Araber, die es gibt, für meinen Plan gewonnen, so würde ich eben dann eine Ausnahme dargestellt haben, denn die Regel ist, dass Araber dunkle Haare haben und an mir war, fürchtete ich, schon ohnedem genug ausnahmsweises zu erblicken. Es war deshalb bei weitem das klügste, Bart und Augenbrauen schwarz zu färben, und ich würde es selbst dann getan haben, wenn es mir nicht durch meinen Pass zur gebieterischen Pflicht gemacht worden wäre; denn ein blonder Araber ist einmal nicht wahrscheinlich, obgleich ein solcher in Wirklichkeit hier und da wohl vorkommt.

Die Beschreibungen der Nase, des Mundes und Kinnes passten in den beiden Signalements ungefähr zusammen. Mein gelblicher Teint sollte auf der Reise bald in einen bräunlichen verwandelt werden. Den Grindkopf meines Doppelgängers wollte ich mir freilich nicht aneignen, obgleich es durch Ansteckung vielleicht möglich gewesen wäre, sich dieses „besondere Zeichen" des Signalements zu eigen zu machen; aber ich konnte ja vorgeben, von jener Kopfhautkrankheit geheilt worden zu sein. Das einzige Disparatum waren und blieben die Augen; diese konnte ich nicht färben, wie den Bart, nicht verstecken, wie die Haare (eine blaue Brille würde mich als Europäer verraten haben) und dieser einzige, nicht auszugleichende Punkt des Signalements blieb deshalb das Damoklesschwert, welches stets während meiner Pilgerfahrt über meinem Haupte schwebte, aber zum Glück nicht herunterfiel.

Ein anderer Umstand, der meinen Pass betraf, war für mein Selbstgefühl zwar demütigend, aber sonst für meinen Reiseplan im ganzen vielleicht eher günstig, als das Gegenteil. Es war dies die doch etwas allzu bescheidene soziale Stellung, welche mein Doppelgänger, ehe er völlig zum Vagabunden geworden war, eingenommen hatte und die sich auf seinem Pass unter der Rubrik „Stand" verzeichnet fand. Er war daselbst nämlich als „domestique" bezeichnet. Dieses etwas allzu derbe Prädikat machte mich am Anfang schaudern. Aber, da ja kein Europäer, außer hier und da ein Konsul, meinen Pass zu sehen bekommen sollte und da obendrein Niemand von meiner Verkleidung und Personenveränderung etwas wusste, so beruhigte sich allmählich mein anfangs empörtes Selbstgefühl. Auch die Araber lieben nicht, dass man ihnen den Titel „Bedienter" beilege, für welchen sie eine gewisse Verachtung hegen, aber die wenigsten Araber können ja französisch lesen und so konnte die demütigende Standesbezeichnung meines Passes für sie ein vollkommenes Rätsel bleiben. Dennoch bewog mich dieses bescheidene Prädikat, auf meiner Reise jeden unnötigen Aufwand, der meinem vermeintlichen Stande zu widersprechen schien, zu vermeiden. Es ist wahr, ich nahm von Kairo einen Negerjungen mit, der mir als Sklave gewissermaßen aufgedrungen wurde, aber dieser arme Teufel stand in Wirklichkeit mehr im Dienste meiner Reisegefährten, als in meinem eignen, obgleich ich für ihn zahlen musste. Sonst gelang es mir, allen Luxus zu vermeiden, welcher an mir nur aufgefallen sein würde und die bescheidene Rolle, die mir mein Pass auferlegte, imganzen mit Glück durchzuführen.

Kaum war ich im gesicherten Besitz meines Passes, als ich das Dampfschiff nach Marseille und, nach kurzem Aufenthalte daselbst, von dort nach Malta bestieg. Bis dahin war ich Europäer geblieben. Erst in Malta verwandelte ich mich in die Persönlichkeit des Sidi Abd-er-Rahman ben Mohamed. Dies war zur Erreichung meines Zweckes unumgänglich notwendig. In Algier schon das maurische Kostüm anzulegen, wäre zu gefährlich gewesen, da immer einige und oft selbst viele Algierer die Pilgerfahrt mitmachen; wenn diese nun mich in ihrer Vaterstadt verkleidet gesehen und sie mich doch höchst wahrscheinlich als Europäer erkannt hätten, wäre ich offenbar verraten gewesen, wenn ich denselben dann später im Orient ebenso gekleidet, wie ich ihnen in ihrer Vaterstadt erschienen war, begegnet wäre. Ich musste eben, obgleich ich mich für einen Maghrebi ausgeben wollte, doch alle andern Maghrebia auf meiner zu unternehmenden Pilgerfahrt, so viel als möglich, vermeiden; denn, obgleich ich den maghrebinischen Dialekt sprach und mich so ziemlich wie ein Maghrebi zu kleiden und zu gebärden verstand, so dass ich wohl in den Augen eines Ägypters, eines Türken oder echten Arabers für einem ganz leidlichen Maghrebi gelten konnte, so wäre es mir doch nahezu unmöglich gewesen, die Maghrebia selbst zu täuschen, die aus tausenderlei Kleinigkeiten am Ende doch unzweifelhaft die Wahrheit herausgefunden hätten. Ich musste sie eben vermeiden.

Leider besteht aber unter den Maghrebia die Sitte, dass, wenn einer derselben einen seiner Landsleute im Auslande begegnet, er gleich auf ihn zukommt und sich nach dessen Herkunft erkundigt, um zu erforschen, ob derselbe nicht vielleicht im 20ten Gliede sein Vetter sei. Dieser Gefahr vorzubeugen, erfand ich mir eine Vaterstadt, in der ich unmöglich einen Vetter haben konnte, da kein Araber daselbst wohnt. Es war dies die erst von den Franzosen gegründete und von ihnen ausschließlich bewohnte Stadt Philippeville, arabisch Skikda genannt. Ich nannte mich deshalb es Skikdi (d. h. der Philppevillaner oder Skikdaner) und gab vor, der einzige Araber zu sein, der diese französische Stadt bewohnte. Dieser Beiname „es Skikdi" hat mir denn auch, wie ich es hoffen konnte, die besten Dienste geleistet, denn fast alle Maghrebia, die auf meiner Pilgerfahrt von mir hörten oder mit mir zusammenkamen, zogen sich, so wie sie vernahmen, dass ich aus es Skikda sei, bald von mir zurück, da sie genau wussten, dass sie in jener ungläubigen Stadt keinen Vetter, sei er es selbst nur im 40ten Gliede, wohnen hatten.

Am 12. April 1860 oder, mit arabischem Datum, am 20. Ramadan im Jahre 1276 der Hedschra, schiffte sich Sidi Abd-er-Rahman ben Mohamed, zubenannt es Skikdi, auf dem englischen Dampf boote von Malta nach Alexandrien ein. Er nahm nur den dritten Platz auf dem Schiffe, da seine Landsleute stets auf diesem Platze zu fahren pflegen und da sein bescheidener, in seinem Passe angeführter Stand ihm einen andern Platz nicht gut zu nehmen gestattete, wenn er im Bereich der Wahrscheinlichkeit bleiben wollte. Zum Glück war die See ruhig und Sidi Abd-er-Rahman litt auf seinem Deckplatze nicht viel von überstürzenden Wellen und blieb auch von der Seekrankheit verschont. Es war höchst erbaulich anzusehen, wie streng dieser fromme Pilger die Fasten des Ramadan beobachtete, wie pünktlich er seine Ablutionen vornahm und seine Gebete hersagte.

Es waren zum Glück keine andren Algierer am Bord, weil diese gewöhnlich das französische Dampfboot direkt von Marseille nach Alexandrien zu nehmen pflegen und mit einer Bande anwesender Tuniser, aus dem Innern dieser Regentschaft, ließ sich Sidi Abd-er-Rahman nur wenig ein, da es meist rohe Landleute waren und er in seiner Eigenschaft, als verfeinerter Städter, sich natürlich für viel besser, als sie, halten musste.

Am 16. April langte der Pilger in Alexandrien an. Es war ein sonderbares Gefühl, mit dem ich die Säule des Pompejus wieder begrüßte, die ich vor sieben Jahren unter ganz andern Umständen aus dem Meere hatte auftauchen sehen. Damals war ich frei wie ein Vogel gewesen, jetzt war ich gleichsam ein Sklave geworden, der jeden seiner Blicke, jedes seiner Worte, jede seiner Bewegungen sorgfältig abmessen und mit seiner zu spielenden Rolle in Einklang zu bringen suchen musste. Dennoch, bot mir meine jetzige Stellung unendlich viel mehr Reiz, als meine frühere, in der ich nichts hatte sehen können, als was tausend alltägliche, langweilige, Engländer ja auch sehen konnten. In meiner neuen Rolle aber sollte ich dorthin dringen, wo noch so wenig Europäer ihre Pfade hintrugen, ich sollte den Schleier des unergründlichen Haram (Heiligtumes) des Islam lüften, ich sollte die uralte Kaaba sehen, die zu sehen für einen Christen ein Verbrechen ist, worauf nach den Gesetzen des Islam Todesstrafe steht.

Gleich bei meiner Landung in Alexandrien, welche Stadt ich durch einen zweimonatlichen Aufenthalt im Jahre 1854 hinlänglich kannte, nahm ich mein bescheidenes Gepäck zusammen und lenkte meine Schritte nach einem nur von Moslems bewohnten Quartiere, denn Europäer strebte ich sehr zu vermeiden, um nicht im Verkehr mit ihnen versucht zu werden, aus meiner Rolle zu fallen. Bald hatte ich in einem Chan (Karawanserai), welcher den Namen Chan Sliman Pascha führte, mein Unterkommen gefunden, wo ich für ein völlig leeres kleines Zimmer, ohne dass mir irgend welche Bequemlichkeit geboten wurde, die für Europäer freilich geringe, nach arabischen Begriffen jedoch bedeutende Summe von 5 Piastern (etwa 1/2 Gulden rheinisch) täglich zahlen musste. Hier konnte ich wenigstens allein sein und dem Gewühl in den Straßen von Alexandrien entgehen, welches mit seinem steten Geschrei von Menschen, Gewieher von Pferden, Gerassel von Wagen, Geheul von Eseln und Maultieren, Gebelle von Hunden und schwermütigem Gestöhne der Kamele den an die Ruhe des Schiffes noch gewöhnten Reisenden anfangs wahrhaft betäubend umfangt.

Es kann nicht in meiner Absicht liegen, hier Alexandrien zu schildern. Es ist zwar nach meiner Ansicht nie genügend beschrieben worden. Ich kenne kein einziges Werk, welches seine altägyptischen, koptischen, griechischen, römischen, alt-christlichen und arabischen Altertümer, seine Ruinen und namentlich seine archäologische Topographie einigermaßen erschöpft hätte. Wie viel Foliobände ließen sich auch über eine Stadt schreiben, in welcher das Serapeum, der Pharus, das Heptastadium, das Museum katexochen, das Caesarium, das Timonium, das Panium, das Gymnasium, die größte Bibliothek auf Erden und tausend andere sprichwörtlich gewordene Bauten oder hervorragende Punkte befindlich waren? Wie viel bietet nicht dem Forschungsgeiste des Altertumsfreundes jede der einzelnen Perioden alexandrinischer Geschichte dar? Doch, wie gesägt, meine Aufgabe kann es hier nicht sein, so gern ich es auch wollte, bei den überreichen Altertümern der Stadt der Ptolemäer zu verweilen und da ich eine Wallfahrt nach Mekka angekündigt habe, so will ich nicht in den Fehler des berühmten arabischen Geographen Ebn Haukal verfallen, der auch zu Anfang seines Buches eine Beschreibung von Mekka verspricht, aber in seinem ganzen Werke nie dazu kommt, sondern sich von Abschweifung zu Abschweifung fortreißen lässt, so dass er zuletzt sein ursprüngliches Ziel ganz aus dem Gesichte verliert.

Von der Erwähnung der edlen Werke des klassischen Altertums zu den prosaischen Erfindungen unsers utilitarischen Zeitalters ist ein trauriger, aber ein notwendiger Schritt. Die Eisenbahn nämlich, dieser Hohn auf jeden künstlerischen Geschmack, auf jede poetische Form, hatte auch schon in Ägypten ihren Sitz aufgeschlagen und führte bereits von Alexandrien nach Kairo. Wenn Omar, der Chalif, der die Bücher der großen Bibliothek in Alexandrien zur Badeheizung verbrennen lies, weil dieselben neben dem Koran überflüssig waren, wenn dieser Fanatiker gesehen hätte, dass in seinem orthodoxen Ägypten ein solches Satanswerk, wie die Eisenbahn, sich breit machte, er würde ohne Zweifel wunderwirkende Flüche auf das Dämonengeschöpf geschleudert oder wenigstens jedem frommen Pilger verboten haben, von der schändlichen Erfindung der Inkliis (Engländer) Gebrauch zu machen. Aber ein heutiger Schich ul Islam traut sich nicht, so gern er es auch täte, einen Fluch gegen die Eisenbahn auszusprechen oder den Moslems durch ein Fetwa ihren Gebrauch zu verbieten und so kommt es, dass Groß wie Klein, Moslem wie Kafir, ja selbst die frommen Pilger auf dem entsetzlichen Schienenwege von Alexandrien nach Kairo rutschen. So tat auch Sidi Abd-er-Rahman es Skikdi. Am 26. Ramadan (18. April) nahm er auf dem Bahnhofe ein Billet dritter Klasse (eine höhere Klasse pflegt kaum ein Muselmann, gewiss kein Maghrebi zu nehmen) und installierte sich in einem Waggon.

Ich hatte mir eigens einen Waggon ausgesucht, der schon ganz mit Ägyptern oder mit Türken gefüllt war, um ja nicht in die Gefahr zu kommen, dass ein Maghrebi mein Nachbar würde. Es waren wirklich eine Menge dieser meiner Pseudolandsleute am Bahnhofe, unter ihnen zwar die Mehrzahl Tuniser, aber doch auch einige Algierer, ja selbst hier und da ein Gesicht, das ich schon in den Straßen von Algier bemerkt hatte. Aber glücklicherweise macht der weiße Burnus die Maghrebi von weitem kenntlich und ich konnte sie deshalb in den meisten Fällen mit Leichtigkeit vermeiden.

So befand ich mich nun in einer völlig fremden Gesellschaft, welche es jedoch nicht lange bleiben sollte. Meine nächsten Nachbarn waren Ägypter und diese sind von allen Moslems, welche ich kennen lernte, noch die umgänglichsten und gemütlichsten, ja ich möchte fast sagen, die am wenigsten fanatischen, wenn man überhaupt von einem Muselmann sagen kann, dass er nur wenig fanatisch sei. Die arabischen Ägypter stehen seit Jahrhunderten so tief unter dem Drucke der sie beherrschenden Türken, von denen sie aufs tyrannischste behandelt und bei jeder Gelegenheit gedemütigt werden, dass sie viel von der Natur der unterdrückten Volksstämme angenommen haben. Nun habe ich auf allen meinen Reisen durch die Erfahrung bestätigt gefunden, dass neben vielen schlechten Eigenschaften, die unterdrückten Volksstämme auch die gute Eigenschaft besitzen, dass sie gegen Fremde zuvorkommend und gefällig sind. So fand ich es bei den elenden unglücklichen Juden in Marokko, bei den als Ketzer verrufenen Dscherbiten in Tunis, bei einem Teil der Armenier und Griechen in Constantinopel, bei den als Wahabiten verachteten Beni Msab in Algier und bei vielen anderen. Der in seinem eignen Vaterlande unterdrückte und von dem herrschenden Stamme verachtete Mensch sieht in dem Fremden, der ja auch, mit wenigen Ausnahmen, fast in allen Ländern gering geachtet wird, einen Leidensgenossen. Er fühlt folglich, wenn er überhaupt menschliches Gefühl hat, eine gewisse Sympathie mit ihm und Gott sei Dank, an menschlichem Gefühl fehlt es dem arabischen Ägypter nicht, was auch sonst seine vielen und großen Fehler sein mögen.

Mein nächster Nachbar war ein alter ehrwürdiger Mann mit langem, weißen Bart, einer echt semitischen, kühn gekrümmten Nase, kleinen, lebhaften, braunen Augen, mageren, eingefallenen Wangen und wilden, buschigen Augenbrauen. Dieser überaus magere, aber keineswegs hinfällige Greis war in zwei Kaftans von ordinärem gedruckten Kattun gekleidet, trug einen ziemlich reinlichen Turban auf dem Kopfe und ein paar gelbe Schuhe. Er sah im Ganzen würdig aus. Sein Gespräch machte auch Ansprüche darauf, würdig zu sein. Es bewegte sich nämlich fast ausschließlich in religiösen Phrasen, frommen Gemeinplätzen, Sprüchen des Korans und dogmatischen Plattheiten. Die wichtige Neuigkeit, dass es nur einen Gott gebe und dass Mohamed sein Prophet sei, wurde mir wenigstens hundert Mal auf der Reise zwischen Alexandrien und Kairo mitgeteilt. Diese fromme Persönlichkeit offenbarte sich bald als ein gewisser Schieb Mustapha aus Kairo, ein Gelehrter, der den ganzen Koran auswendig wusste und der in der Absicht nach Alexandrien gegangen war, um dort seine drei Neffen, Ali, Mohamed und Mahmud, die Söhne seines verstorbenen Bruders Nur-ed-Din, abzuholen, um diese allzu weltlich gesinnten Jünglinge mit sich auf eine Pilgerschaft nach Mekka zu nehmen, von welcher er sich für ihr ferneres Leben und Gedeihen höchst erbauliche Folgen versprach.

Die drei fraglichen jungen Leute saßen denn auch da und schienen mit erzwungener Geduld und mit schlechtverhaltenem Gähnen den erbaulichen Reden ihres Oheims Gehör zu schenken. Der erste derselben, Ali, war ein kräftiger junger Mann von etlichen 24 Jahren, ziemlich klein, aber wohlbeleibt, mit sehr braunem Gesicht und einem gierig sinnlichen Ausdruck seiner kleinen funkelnden Tigeraugen. Der zweite, Mohamed, war ebenfalls kein Schwächling, und ursprünglich nicht hässlich, da er jedoch durch die im Niltale so häufige Ophthalmie ein Auge verloren hatte, so bot sein Gesicht nur noch ein sehr wehmütiges Aussehen. Der dritte, Mahmud, war erst achtzehn Jahr alt, vielleicht der kräftigste von den Dreien, obgleich er verwachsen und eine wahre Gnomengestalt war, aber er hatte ein Paar Fäuste, die einem Zyklopen Ehre gemacht hätten; sein Gesicht bot einen komischen Kontrast gegen seinen kleinen, in sich geballten Körper; es war nämlich ganz das Gesicht eines Louis XIV., eine gebietende Adlernase, ein streng herrschsüchtiger Blick, eine sehr kühn-gewölbte Stirn, der es nicht an geistigen Eigenschaften fehlen mochte; ein solches Gesicht, erriet man, gehörte auf einen Körper von sechs Fuß Höhe und von künstlerischer Regelmäßigkeit, aber die launische Natur hatte sich gefallen, es auf die Zwerggestalt zu setzen.

Da ich mit diesen vier näher bekannt werden sollte, so erwähne ich sie hier genauer. Von andern Mitreisenden sage ich so wenig, als möglich, weil sie nur ephemere Bekanntschaften waren. Nur Eines will ich erwähnen. Es war dies ein riesiger Neger, der die Nisamtracht (aus der bauschigen Hose mit zwei Westen und Jacke bestehend) trug und sich folglich als ein Beamter der Regierung ankündigte. Dieser Sohn Chams hatte sich, außer seinem Säbel, noch mit einem ungeheuren Stocke bewaffnet, mit dem er, unter dem Vorwand Fliegen totzuschlagen, stets auf seine Nachbarn einhieb, ohne von irgendjemand gerügt zu werden: so groß ist die Furcht, welche die Ägypter vor Regierungsbeamten haben.

Aus dem Gespräch mit Schich Mustapha ergab sich, dass dieser beabsichtigte, mit seinen drei Neffen demnächst die Pilgerfahrt nach Mekka anzutreten und zwar nicht über Sues, welchen Weg sonst die meisten einzuschlagen pflegen, sondern den Nil hinauf, über Kene und von da durch die Wüste nach Kosseir, von wo nach der arabischen Küste übergesetzt werden sollte. Da Sidi Mustapha vermutete, dass ich zu den bemittelten Reisenden gehöre und ich ihm folglich als Mitmieter eines Nilschiffes willkommen war, so redete er mir eifrig zu, ebenfalls die Reise nicht über Sues zu unternehmen, wo jetzt gerade die Cholera herrsche, was er übrigens, glaube ich, erdichtete, sondern statt dessen, gleichfalls den Nil hinauf zu fahren. Der gute Mann wusste nicht, dass er seine Predigt an einen bereits Bekehrten richtete, denn, Sues zu vermeiden, wohin die Maghrebia jetzt fast alle gehen, das war schon von Anfang an mein Hauptstreben gewesen. So wurde schnell verabredet, dass ich mich mit Schich Mustapha und den drei Beni Nur-ed-din am Tage des Ait es Serhir (dem ersten des Monats Schual) in Bulak (dem Hafen von Kairo) treffen solle, um dort ein von meinen Reisegefährten zu mietendes Schiff zu besteigen.

Unter solchen Gesprächen und Verabredungen verfloss schnell die Zeit und ehe wir es uns versehen hatten, waren die Pyramiden von Giseh am Wüstenhorizonte aufgetaucht. Jetzt kamen wir am Baradsch (barrage) vorbei, jenem nie vollendeten Riesenwerke Mohamed Alis, das bestimmt war, die Fluten des Nils, je nach Bedürfnis, bald aufzuhalten, bald durchzulassen und das jetzt fast einer Ruine gleicht, obgleich es kaum 30 Jahre alt ist: ein achtes Bild der von Mohamed Ali geschaffenen und nach ihm verfallenen Zivilisation des modernen Ägyptens. Endlich begrüßten unsre Blicke Kairo, die alte Kalifenstadt, und noch im Bahnhofe überraschte und erfreute uns der Kanonenschuss des Maghreb, welcher das Ende des Fasttages ankündigte. Nun hätten
meine Leser sehen sollen, mit welcher Gier die meisten Moslems, die einen über ihre Pfeifen, die andern über die bereit gehaltenen Lebensmittel herfielen!

Meines Bleibens war jedoch am Bahnhof nicht lange, sondern schnell eilte ich auf einem jener kleinen Eselchen, welche in Kairo die Stelle der Lohnkutschen vertreten, nach dem Innern der arabischen Stadt, wo ich nach einigem Hin- und Herreiten und fruchtlosem Anfragen an mehreren Chans, endlich indem Stadtviertel der Nahhassin oder Kupferschmiede, in dem Chan en Nahhassin, ein bescheidenes, aber doch leidliches Unterkommen fand.

Von dem vielbeschriebenen Kairo erwähne ich nichts. Mein Aufenthalt betrug diesmal daselbst nur 4 Tage, die letzten Tage des Ramadan, in denen ich bei Tage fasten musste und folglich vorzog, zu schlafen, um mich nicht allzu sehr abzuschwächen. Nur Nachts ging ich aus, durch die herrlich erleuchteten Straßen von Kairo, besuchte die in den Ramadannächten wahrhaft feenartigen, von tausend Lichtem strahlenden Moscheen von Mohamed Ali, von Hamed ben et Tulun, gewöhnlich Dschema Tulun genannt, und die berühmte älteste Moschee im Spitzbogenstyl, welche existiert, Dschema el Hakim; dann schlenderte ich zwischen den Kaufläden einher, kaufte hier und da Kleinigkeiten im Basar, betrat ein oder ein anderes arabisches Kaffeehaus, sah dort den unanständigen Späßen des Priapus-Polichinell der Türken, Karagüs genannt, nicht ohne Widerwillen zu und machte auch einmal ein türkisches Bad mit, wovon ebenfalls viel Anstößiges zu sagen wäre, was ich aber besser verschweige. Meinem neuen Bekannten: Schich Mustapha, begegnete ich durch Zufall in der zweitletzten Ramadansnacht. Er begrüßte mich, sehr höflich und führte mich zum Abendessen zu einem seiner Vettern, der ein Sklavenhändler war. Dies Gewerbe muss jetzt, wegen der steten Reklamationen der englischen Regierung, im größten Geheim betrieben werden, geht aber nach wie vor von Statten. Dort ließ ich mich bewegen, einen jungen Negersklaven für die Summe von 200 Francs zu kaufen; da ich jedoch als vermeintlicher französischer Untertan nicht selbst Sklaven besitzen konnte, so musste ich den Kauf auf den Namen Schich Mustaphas vornehmen, wozu sich dieser gern bereit fand, namentlich da ich ihm erklärte, ich würde ihm den Sklaven nach beendigter Pilgerfahrt doch schenken, da ich, ihn nur mitnahm, um nicht allein zu sein, was immerhin verdächtig erscheinen konnte, da bei den Moslems ein alleinstehender Mensch stets für den allerärgsten Vagabunden gehalten wird, wenn nicht für schlimmeres, oder was ihnen wenigstens schlimmer erscheint, für einen verkappten Christen oder Juden. Außerdem vermutet man in einem Sklavenbesitzer selten einen Europäer. Mein neuer Ankauf hieß Ali, war 18 Jahr alt, ganz schwarz, hatte sehr dicke Lippen, eine platte Nase, sehr weiße Zähne, kurz, er war ein so echter Neger, wie es nur einen geben kann. Er sollte mir auf meiner Reise als Begleiter, nicht als Diener, denn er verstand gar nichts zu tun, unschätzbare Dienste leisten und zwar nur dadurch, dass er vorhanden war und mir als Blitzableiter allen Verdachts, der auf mich fallen konnte, zu Seite stand, denn, wie gesagt, Europäer pflegen fast nie Neger zu besitzen und Ali selbst hielt mich für einen Moslem und sagte es Jedem, der es hören wollte.

Endlich war der entsetzliche Ramadan vorbei und ich begab mich am frühesten Morgen des Ait es Serhir, des ersten Tages des Monats Schual, den meine Pseudolandsleute, die Maghrebia, el Ftur, d. h. die Befreiung vom Fasten, nennen, und welcher in diesem Jahr auf den 23. April fiel, mit Ali nach Bulak, dem Hafen Kairos, wo wir unsere Bekannten mit einigen fünfzig andern Ägyptern in einer Dahabia (einem großen Nilschiff) installiert fanden. Die frommen Moslems schauten zwar ein wenig sonderbar darein, als der verkappte Europäer zu ihnen einstieg, aber die Begleitung des Negers einerseits, die freundliche Aufnahme, welche mir vom Schich zu Teil ward, andrerseits, schienen ihren aufkeimenden Verdacht zu beschwichtigen. Bald waren auch wir am Bord geborgen und nun ging es mit blähenden Segeln, beim schönsten günstigsten Nordwind, den Nil hinauf.

Maltzan, Heinrich von (1826-1874) Reichsfreiherr zu Wartenberg und Penzlin, Schriftsteller und Orientalist

Maltzan, Heinrich von (1826-1874) Reichsfreiherr zu Wartenberg und Penzlin, Schriftsteller und Orientalist

Hieroglyphenzeichen

Hieroglyphenzeichen

Abb. 1. Stufenpyramide von Sakkara.

Abb. 1. Stufenpyramide von Sakkara.

Abb. 2. Pyramiden von Gize

Abb. 2. Pyramiden von Gize

Abb. 4. Eine Mastaba von Gize

Abb. 4. Eine Mastaba von Gize

Eine Nilbarke

Eine Nilbarke

Abb. 7. Holzstatue des Schêch el-beled

Abb. 7. Holzstatue des Schêch el-beled

Tafel 04 Scheintür aus dem Grab des Manofer

Tafel 04 Scheintür aus dem Grab des Manofer

Tafel 05 Kopf der Dioritstatue des Chephren

Tafel 05 Kopf der Dioritstatue des Chephren

Tafel 06 Köpfe der Kalksteinstatuen des Rahotep und der Nofret

Tafel 06 Köpfe der Kalksteinstatuen des Rahotep und der Nofret

Tafel 07 Kalksteinstatue des Schreibers im Louvre

Tafel 07 Kalksteinstatue des Schreibers im Louvre

Tafel 11 Säulen aus dem Totentempel des Sahurê in Abusir

Tafel 11 Säulen aus dem Totentempel des Sahurê in Abusir

Tafel 16 Kopf der Kupferstatue Pepi’s I.

Tafel 16 Kopf der Kupferstatue Pepi’s I.

Tafel 17 Kopf der Kupferstatue des Merenrê

Tafel 17 Kopf der Kupferstatue des Merenrê