Unter der Erde Verborgenes zu Ratzeburg bei Neu-Strelitz.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 1
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage,
Ein Bauer des Pfarrdorfes Ratzeburg, dessen Gehöft auf einem kleinen Anberge liegt, fand daselbst einmal beim Graben einer Grube einige Bausteine, die trotz ihres großen Alters doch noch ungemein fest und wohlerhalten waren. Da er nun die Sage wusste, nach welcher — wie wir bereits schon auf Seite 217 gehört haben — von dem eine Stunde von dort entfernten, früheren Raubschlosse zu Ankershagen auch ein unterirdischer Gang nach seinem Dorfe führen soll, so wurde er aufmerksam und grub neugierig weiter, immer tiefer und tiefer. Bald entdeckte er auch zu seinem großen Erstaunen ein geräumiges, unterirdisches Gemach, aus schönen, großen Steinen erbaut. Wie es ihm schien, musste dies früher wohl eine Art von Pferdestall gewesen sein, denn es befanden sich, außer vielen Knochen, auch noch Stricke, Halfter, Ketten und dergleichen mehr darin.

„Halt!" dachte der Bauer beim Betrachten der schönen großen Steine, „das passt dir ja jetzt ganz prächtig zu deinem Bau!" Derselbe war nämlich gerade dabei, sich auf seinem Hofe ein neues Gebäude aufzubauen, wozu ihm aber noch viele gute Steine fehlten. Als er jetzt nun solche in so großer Masse und von so vorzüglicher Güte vorfand, beschloss er sogleich, sich seinen Bedarf von hier zu holen. An demselben Tage noch begann der Bauer hier Steine auszubrechen, was zwar sehr müh- und langsam ging, was er sich aber dennoch nicht verdrießen ließ; die Steine kosteten ihm ja weiter kein Geld, und deshalb wollte er sich's denn auch gerne schon etwas sauer werden lassen.

Als es aber Nacht geworden war, als Alles im Hause schlief, da wurde unser Bauersmann durch eine Erscheinung geweckt. Ernst und feierlich trat dieselbe an sein Lager und warnte ihn mit dumpfer Stimme, abzulassen von seinem Beginnen; denn wenn er noch fortführe dort aus dem unterirdischen Gemache Steine zu nehmen, so würde ihm das nur großes Unglück bringen, er würde hinführo keine Ruhe mehr haben und Tag und Nacht gequält werden. „Störe nicht wieder unfern Frieden, lass uns in Ruhe!" sprach der Geist mit erhobener Rechte und verschwand dann wieder.

Der Bauer, wie im Schweiße gebadet und halb tot vor Angst und Schrecken, nahm sich fest vor, sobald es Tag geworden, die ausgebrochenen Steine wieder an ihre alte Stelle zu bringen, die Grube dann wieder zuzuwerfen und nie wieder die da unten Hausenden zu stören. Und was er in der Nacht stille gelobt, er führte es am andern Morgen sofort aus.

Nichts hat sich hiernach wieder hören oder sehen lassen, aber auch Keiner hat's je wieder gewagt, die dort unter der Erde ihr Wesen treibenden Geister zu stören.

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Was nun das von dem Bauer in der Erde Entdeckte eigentlich vorgestellt haben mag, ob es ein Teil des alten unterirdischen Ganges zwischen Ankershagen und Kratzeburg war, ob es ein Gewölbe, ein Gefängnis oder dergleichen aus früheren Zeiten gewesen, oder ob es gar, wie der Bauer behauptet, ehemals zu einem Pferdestalle benutzt worden ist, weiß zwar Niemand; Viele aber nehmen das Erstere an, da dies ganz gut mit der alten Sage stimmt, wonach beregter Gang auf dem nahen, sogenannten Schweriner Berge*) seinen Ausgangspunkt gehabt haben soll. Auf diesem kleinen Berge lagen noch in neuerer Zeit viele alte Mauertrümmer zerstreut umher, auch sollen sich die Leute dort in früheren Jahren manche schöne Fundamentsteine ausgegraben haben. Jetzt geschieht dies Letztere nicht mehr, und zwar nicht allein nur deshalb, weil dort vielleicht keine solche Steine mehr zu finden sein mögen, sondern auch wohl mit aus Furcht vor den Geistern, die dort noch allenthalben unter der Erde Herumhausen sollen.

*) Dieser kleine Berg, mitten im großherzoglich Mecklenburg-Strelitz’schen Gebiete gelegen, soll zum jetzigen Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin gehören und daher diesen seinen Namen haben.

Diese Geister will nun aber Niemand von den Leuten stören, da es ihnen dann ja auch leicht einmal so ergehen könnte, als damals jenem Bauer, was doch Keiner bei Leibe nicht möchte und deshalb auch möglichst zu verhüten sucht.

Mecklenburgs Volkssagen - Band 1

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