Ueber den Stand der Einrichtung von Landarbeitsschulen in Mecklenburg 1825

Aus: Freimütiges Abendblatt, Band 8 (1826)
Autor: Pastor Walter zu Diedrichshagen, Erscheinungsjahr: 1826
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Einrichtung von Landarbeitsschulen, Volksbildung, Hebung der Industrie, Handwerk, Erziehung, Landesgeschichte, Schulsystem, Ausbildung
Ich enthalte mich der Bemerkung darüber, warum niemand den Dank und Segen einsammeln möchte, der von höchster Person denen mit Recht verheißen werden konnte, die das Werk fördern würden*), sondern gehe, bevor ich über die Einrichtung der Landarbeitsschulen rede, gleich, nach der beliebten Methode, die immer mit den Schwierigkeiten und Hindernissen zuerst beginnt, an die Schwierigkeiten und Hindernisse der Arbeitsschulen.

*) In den ersten Jahren scheint diese allerhöchste Wirkung gewesen zu sein. Es finden sich nämlich in der Monatsschrift von und für Mecklenburg (Jahrgang 1794, St. 1) Auszüge aus den Berichten der Großh. Beamten von Neustadt, Boitzenburg und Dömitz, aus den Jahren 1793 und 1794, welche durch Tatsachen den guten Willen dieser Beamten beweisen. Wie lange übrigens solcher Eifer gewährt haben mag, wissen wir nicht.

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Die erste Schwierigkeit, die man macht und das erste Hindernis, was man auftischt, um eine Schattenseite zu haben, ist dieses: Die Schulen sind bestimmt für den Unterricht in der Religion und solche Arbeiten, die den Geist beschäftigen.

Ich widerspreche dieser Anführung durch die anerkannte Regel der Staats-Pädagogik, die die Erziehung des Menschen zerfallen lässt in 2 Teile, nämlich:

a) in allgemeine Menschenbildung, und
b) in Bildung für die Geschäfte des Lebens.

Da nun die Schule nicht einseitig bilden darf, sondern den ganzen Menschen und seine Bestimmung umfassen soll, so ist es unrichtig dass die Schulen bloß bestimmt sind, die geistigen Anlagen des Menschen ins Dasein zu befördern; der Mensch soll auch arbeiten lernen, denn nur der arbeitende Mensch kann religiös, kann tugendhaft sein und werden. — Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen, sagt unsere Religionsquelle, die Bibel. Darum legt auch die Religions- wie die Tugendlehre auf die Arbeitsamkeit einen ganz besondern Wert, und wenn sie von den Vorbeugungsmitteln der Wollust redet, so nennt sie die Arbeitsamkeit, preiset sie Mittel an wider die Trunkenheit, so empfiehlt sie ebenfalls Arbeitsamkeit, und will sie vor dem Diebstahl uns verwahren, so ist es wiederum die Tugend der Arbeitsamkeit, der sie die Kraft und Wirksamkeit zuschreibt, uns, und zwar nicht bloß vor diesen Lastern, sondern gegen alle übrigen Begierden in sichern Schutz zu nehmen. Nach der Religionslehre ist es also schon Pflicht, auch Kinder zur Arbeit anzuhalten, und zwar zu solcher Arbeit, die für die Geschäfte des Lebens dienen können. In allen Fertigkeiten gehört eine Gewöhnung von Jugend auf, auch das arbeitsame Leben ist eine solche Gewöhnung, und wer in der Jugend so recht zum Stillesitzen, zum dumpfen Hinbrüten auf der Schulbank angehalten wird, wird schwerlich je ein fleißiger Arbeiter, sondern nur ein Lohn- und Augenknecht werden, um den es weder den Staat noch irgend einen Brotherrn zu tun sein kann.

Aber sollte nicht die Zeit der Schule zu beschränkt sein, als dass man, ohne der intellektuellen Bildung zu schaden, Arbeitsstunden gewinnen könnte? Diese Frage, das zweite angebliche Hindernis, beantwortet sich von selbst, wenn man die Einrichtung der Landschulen kennt, wo immer nur ein Mann unter vielen Kindern dasteht, mit der Unmöglichkeit, sie alle mit einander zu beschäftigen. Während der Schullehrer sich mit der einen Ordnung nur ausschließlich beschäftigen kann, sitzen und müssen die andern Ordnungen sitzen, wie angeheftet. Etwanige Übungsaufgaben tun es noch nicht und verhindern nicht das starre und tote Sein, in das, mindestens Einige, unausbleiblich versinken müssen.

Ein drittes Hindernis wird gewöhnlich von den Kosten hergenommen, die zur Einrichtung von Arbeitsschulen erforderlich sein würden. Dieses Hindernis ist aber nunmehr durch die bekannte Erklärung des Landtages hinlänglich gehoben. Diese Erklärung, mit der landesherrlichen Verordnung von 1792 im vollkommensten Einklange, macht den Kostenpunkt zu einer geringfügigen Nebensache. Auch können die Kosten nur höchst unbedeutend sein im Verhältnis zu dem großen Gewinn und zu den wohltätigen Folgen, die unser patriotischer Mecklenburger in der Tal nicht chimärisch angedeutet hat.

Warum spinnen, knütten und stricken unsere Knechte nicht in den langen Winterabenden, sondern gehen entweder zu Kruge, oder rauchen oder schlafen hinter dem Ofen? Warum haben wir so elende weibliche Dienstboten, die weder eine Naht nähen, weder einen Strumpf stricken, noch einen ordentlichen Faden Flachs oder Wolle zu spinnen vermögen? — Woher anders, als weil es an Arbeitsschulen fehlt.

Für das weibliche Geschlecht also besonders sind auf dem Lande Arbeitsschulen notwendig und es ist gewiss sehr richtig, dass wir eher Hochpflaster und Zuchthäuser zur Zeit noch entbehren können, als die Arbeitsschulen.

Als Grundzüge zur Errichtung oder vielmehr zur Verbindung solcher Arbeitsschulen mit den Lehrschulen, dürften folgende sich als zweckmäßig und ausführbar erweisen:

Alle schulfähigen Kinder, vorzugsweise die Mädchen, besuchen im Winterhalbjahr, Mittwochs und Sonnabends von 1 bis 4 Uhr und im Sommer von 2 bis 8 Uhr die Arbeitsschule. In solcher Arbeitsschule werde zuerst das Notwendige, später das Nützliche gelehrt. — Das Notwendige dürfte sein:
1) Stricken mit Garn, Wolle und Baumwolle;
2) Haken, eine recht treffliche Fertigkeit, welche für den Landmann einen viel dauerhafteren Handschuh und Strumpf liefert, als das Stricken;
3) Spinnen. Wie erstaunlich weit Kinder es in dieser so notwendigen Beschäftigung bringen können, kann man aus dem Göttingschen Magazin sehen; selbst ein Knabe hatte aus 3 Pfund Wolle eine Fadenlänge von 48.000 Ellen geliefert.
Kinder aus den dortigen Arbeitsschulen lehren ihre Eltern.

4) der Gebrauch der Nadel, zu welchem auch besonders eine Anweisung zur Ausbesserung der Kleiderstücke gehört: denn eine Anweisung, sich durch das Alte noch Vorteile zu erringen, ist von der größten Wichtigkeit, ländlichen Haushaltungen besonders ersprießlich.

Will man gleich weiter gehen und im Flechten verschiedener Schnüre, Korb- und Mattenflechten, Geflechte von Stroh, Bast, Pferdehaaren und Draht Anweisung geben lassen, desto besser. Jetzt angefangen, würde man schon nach 5 Jahren die herrlichen Folgen an unseren Dienstleuten wahrnehmen, die dann ihren Herrschaften und später sich selbst noch um ein Mal so viel nützlich sein werden könnten. Das der Wohlstand unserer Bauern, selbst bei diesen Zeiten, um vieles sich heben würde, wenn ihre zahlreichen Dienstleute, männlichen und weiblichen Geschlechts, etwas verstünden, insbesondere die am Abend müßigen Knechte in das Getriebe der Wirtschaft mit eingreifen müssten, ist eine Behauptung, der man nicht leicht dürfte widersprechen können. Ich begnüge mich aber bloß mit den Andeutungen der nächsten klar vorliegenden Vorteile und verweise nun noch auf den gediegenen, inhaltsschweren Aufsatz in No. 315 und 316 des Abendblattes: „Nur in vermehrter Industrie findet Mecklenburg Heil und Rettung!“

Hätte man vor 34 Jahren der merkwürdigen landesherrlichen Aufforderung Genüge getan oder sie nur nicht ganz vergessen, so würde darüber jetzt nicht notwendig zu reden; der Geist zur Industrie wäre geweckt, jetzt in voller Tätigkeit, und große Erfolge würden uns vorliegen, statt dass wir jetzt erst anfangen müssen an Erfolg zu denken.

011. Bauern bei der Arbeit

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012. Bauerfamilie zum Markt ziehend

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