Tarnow, Fanny (1783-1862). Biographie

Allgemeine Deutsche Biographie Bd 37 (1894)
Autor: Mendheim Max, Erscheinungsjahr: 1894
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Schriftstellerin, Mecklenburgerin, Roman-Schriftstellerin, Güstrow, Neubukow
Tarnow, Fanny (im Güstrower Kirchenbuch lautet ihr Vorname Franziska), Schriftstellerin, wurde am 17. Dezember 1779 als erstes Kind des Kommissionsrats und Stadtsekretärs Johann David Tarnow und seiner Gattin Amalie Justine, einer Tochter des Landrats von Holstein, in Güstrow geboren. Die Abstammung und das Vermögen der Mutter veranlassten, dass die Familie, zu der sich von vornherein der schon seit längerer Zeit als Witwer lebende Großvater gesellte, auf großem Fuße und im Verkehr mit den aristokratischen, von französischen Sitten und Moden vielfach beherrschten Kreisen des Landes lebte.

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So brachte Fanny, der Liebling des alten Landrats, ihre ersten Jugendjahre unter den heitersten Eindrücken hin, bis das lebhafte, hochentwickelte Mädchen in seinem vierten Jahre das Unglück hatte, aus dem Fenster des zweiten Stockwerks auf die Straße zu stürzen. Wenn auch äußerlich unverletzt, wurde sie doch von da an kränklich, konnte nicht mehr gehen und musste getragen oder gefahren werden; als sie allmählich genas, war sie, bisher ein Gegenstand des Mitleids ihrer Umgebung, daran gewöhnt, alle ihre Wünsche erfüllt zu sehen und äußerte nun ganz die Launen eines verzogenen Kindes. Auch konnte sie natürlich in dieser Zeit keinen regelmäßigen Unterricht erhalten und musste von den Kinderspielen ihrer Altersgenossen fern bleiben. Diese Vereinsamung führte sie, nachdem sie in kurzer Zeit lesen, schreiben, rechnen und Französisch gelernt hatte, dazu, ihre Unterhaltung in Büchern aller Art zu suchen, gleichviel, ob diese ihrem Alter angemessen waren oder nicht. Gleich nach ihrer Konfirmation wurde dann Fanny auch in die Gesellschaften der ersten Familien eingeführt, war aber noch immer die meiste Zeit über mit sich selbst und ihren, durch die planlose Lektüre erregten phantastischen Träumereien beschäftigt. „Die zu große Selbständigkeit nährte die Neigung, durch ihre Persönlichkeit aufzufallen“. Diese Unarten aber führten schließlich zu heftigen Szenen mit dem Vater. In jener Zeit kaufte dieser ein kleines Gut, pachtete dazu die angrenzende fürstliche Domäne Dalkendorf und gab unbesonnener Weise zugleich seine Stellung beim Gericht auf, um mit seiner Familie ganz auf das Land zu ziehen und sich der Ökonomie zu widmen. Anfangs schloss sich auch Fanny mit Eifer den neuen Studien des Vaters an; als aber die erträumten glänzenden Erfolge ausblieben, zog sie sich wieder in ihre Einsamkeit zurück. Sie spekulierte hier auf allerlei Abenteuer, schreckte aber alle Bewerber durch den „zu schnellen Gang ihrer Liebesintrigen“ ab, weil sie in jedem neuen Bekannten einen Freier, einen Bewunderer ihrer Person erblickte und sehr bald einen allzu vertraulichen, ihren Wünschen entsprechenden Ton anschlug. Alle ihre Hoffnungen auf eine baldige und glänzende Ehe zerschlugen sich sogleich, als der Vater nach wenigen Jahren in Konkurs geriet und die Familie unter Aufgabe ihres bisherigen großen Haushaltes dass Gut wieder verlassen musste und nach Neu-Buckow zog, wo der Vater eine Stelle als Sekretär beim ritterschaftlichen Verein erhielt. Um bei diesen Verhältnissen ihrem Vater nicht zur Last zu fallen, suchte sich Fanny nun eine Stellung als Erzieherin und fand bald eine solche bei einem Herrn v. Schmiterlow auf Rügen, wo sie vier Jahre lang blieb, ihre freie Zeit noch immer mit Lesen, Träumen, dem Ausschreiben ihrer Gedanken und Ausmalen eingebildeter Liebesverhältnisse ausfüllend. Nach kurzem Aufenthalt im Elternhause nahm sie dann eine ähnliche Stellung bei einem Herrn v. Both auf Rohlstorff an und begann hier zuerst Beurteilungen über Bücher, Aufsätze und Ähnliches an verschiedene Journale einzusenden und anonym veröffentlichen zu lassen. Als ihre „Alwine von Rosen“ 1805 und 1806 im „Journal für deutsche Frauen“ erschienen war, machte sie sich an die erste größere Erzählung, „Natalie“, deren Vollendung und Veröffentlichung sich allerdings bis 1812 hinauszog. Zugleich knüpfte sie jetzt durch ihre schriftstellerische Tätigkeit mehr und mehr Beziehungen zu bedeutenden Männern (Rochlitz, Hitzig, Fouqué u. A.) an; beschäftigte sich auch häufig mit den griechischen Klassikern, besonders Xenophon, Lysias und Platon und schrieb eine Anzahl neuer Erzählungen. 1807 siedelte sie als Erzieherin nach Wismar in das Haus des Schwagers des Herrn v. Both über und fand hier wieder Gelegenheit, als Repräsentantin des Hauses eine bevorzugte Rolle zu spielen. Als sich nach einiger Zeit der Vater ihrer Zöglinge wieder vermählte, musste Fanny ihre Stellung aufgeben, erhielt aber bald wieder eine neue bei einem Herrn v. Müller auf Rankendorf, die sie im Herbst 1812 verließ, um zu ihren Eltern nach Neu-Buckow zurückzukehren. Hier fand sie ihre Mutter an einem unheilbaren Übel darniederliegen und widmete sich nun deren Pflege mit größter Aufopferung, bis der Tod die Geliebte endlich am 9. Dezember 1815 erlöste. So von allen Lieben getrennt und von allen Mitteln entblößt, entschloss sich Fanny, zu ihrer teuersten Jugendfreundin nach Petersburg zu ziehen und trat die Reise am 6. Juli 1816 von Travemünde aus an. Aber auch in Petersburg fühlte sie sich nicht wohl; alles war hier anders, als sie es sich vorgestellt hatte; die Freundin lebte mit ihrem Gatten nur in bescheidenen Verhältnissen und konnte der Verwöhnten nicht dass bieten, was diese zu finden gehofft hatte. Zwar kam sie auch hier allmählich in größere Kreise, sie lernte Klinger, Kotzebue, Graf Sievers u. A. kennen, aber sie fühlte die Unmöglichkeit, auf russischem Boden von ihrer Feder leben zu können, und eine andere Erwerbsquelle fand sich nicht. Bereits nach einem Jahre kehrte sie in die Heimat zurück und ließ sich, nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Berlin, mit einer Tochter Hitzigs, die ihr dieser in Pflege gegeben hatte, bei ihrer eigenen Schwester in Lübeck nieder, fühlte sich aber auch in diesen Verhältnissen nicht glücklich und siedelte nach Hamburg über, um hier mit der Dichterin Amalie Schoppe eine Pensionsanstalt zu gründen. Die Verschiedenheit der Charaktere Beider verursachte bald Zwistigkeiten und vereitelte die Pläne, so dass Fanny Tarnow schließlich im Frühjahr 1820 nach Dresden und von hier aus zeitweilig nach Schandau zog, wo sie erst in vertrautem Umgange mit Helmine v. Chezy lebte, mit der sie sich bald heftig verfeindete, und dann an der Gräfin Eglosstein, Elise von der Recke, Tieck, Tiedge u. A. lang ersehnte Freunde fand, mit ihrem jetzigen Leben zufrieden war und nur, wie immer, schmerzlich beklagte, dass sie es allein, ohne Geliebten, ohne Gatten hinbringen müsse. Als sie später durch Krankheit ihre Sehkraft einbüßte, suchten ihr die Freunde durch Herausgabe ihrer sämtlichen Werke eine Existenz zu gründen und erlangten auch wirklich durch die Subskription 5.000 Thaler. Ihre ganze jetzige Lage erregte nun in Fanny Tarnow den Wunsch, sich von den Freunden und ihren Vergnügungen zurückzuziehen. So schied sie am 16. Dezember 1829 von Dresden, um sich in Weißenfels, wo ihre Schwester Betty lebte, ein Asyl zu gründen. Als ihre Augen wieder besser wurden, verschaffte sie sich einen neuen Erwerb durch Übersetzungen aus dem Französischen und Englischen, so dass sie von aller äußeren Sorge frei war und bald auch wieder geselligen Verkehr pflegen konnte. Noch einmal raffte sie sich auch zu eigenem Schaffen auf und schrieb anonym das Werk „Zwei Jahre in Petersburg“, das allgemeine Anerkennung fand. Als später ihre Schwester Weißenfels verlassen hatte, fühlte sich auch Fanny nicht mehr heimisch hier. Sie unternahm öfter Reisen nach Berlin, Leipzig und Dresden und siedelte schließlich 1841 nach Dessau über, wo sie, zuletzt von Leiden aller Art heimgesucht, am 4. Juli 1862 starb.

Die schriftstellerische Tätigkeit Fanny Tarnows wird ganz und gar von ihrem eigenen Leben und Empfinden bestimmt, und als sie „keinen Stoff mehr behandeln konnte, in welchen sie nicht Selbsterlebtes hineinzulegen vermochte“, stand sie schließlich ganz davon ab, mit eigenen Schöpfungen hervorzutreten. In allen ihren zahlreichen Erzählungen, die sie teils als selbständige Werke herausgab, teils in den verschiedensten Taschenbüchern und Zeitschriften veröffentlichte, finden sich Anklänge an ihre Lebensschicksale, an ihre sehnsüchtige Liebe zu Arndt, Hitzig und Anderen, die ihr im Leben teuer waren, aber ihre Sehnsucht ewig unbefriedigt ließen. Von ihrer „Natalie“, in die sie vielleicht die meisten und treuesten Erinnerungen ihres Herzens hineingelegt hat, sagt sie selbst: „Ich bin nicht Natalie – ihr Leben ist nicht das meinige – und doch kennt der, welcher sie gelesen hat, mein inneres Leben genauer, als Jemand, der Jahre lang mit mir, so wie ich jetzt bin, verkehrt“. In einer Art Selbstkritik aber sagt sie ebenso treffend als für ihr ganzes Empfinden bezeichnend: „Ich gelte für eines der geistreichsten Weiber unseres Zeitalters, ich besitze Kenntnisse, Seele, Begeisterung, ich kann denken, fühlen – kann alles Große und Schöne empfinden –, kann es der reinsten Idealität nachempfinden, kann glücklich sein im Anschauen der Natur, glücklich sein im Genuss der Kunst – ich bin großsinnig von Gemüt und Charakter – alle kleinlichen Regungen des Neides, des Hasses sind mir fremd – und das Alles verschwindet vor dem Eindrucke, welchen der Kuss eines geliebten Mannes auf mich macht“.

Aufzählungen ihrer Werke finden sich in Goedeke’s Grundriss III, 149 fg. und in Brümmer’s Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten. Vgl. ferner: Schindel, Die deutschen Schriftstellerinnen des 19. Jahrh. II, 354 fg. – A. Bölte, Fanny Tarnow, ein Lebensbild (Berl. 1865). – Pierson, Gustav Kühne, sein Lebensbild und Briefwechsel mit Zeitgenossen (Dresden und Leipzig o. J.). Max Mendheim.