Streifereien im Gebiet der Rechtswissenschaft und Prozessführung: 5. Der Eid

Aus: Freimütiges Abendblatt, Band 8 (1826)
Autor: Ackermann, C. A. (Advokat in Wismar), Erscheinungsjahr: 1826
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Rechtswissenschaft, Eid, Meineid, Landesgeschichte
„Alle nicht ganz rohen Völker, welche dieses Erdenrund bewohnen, erkennen ein höchstes Wesen, ernennen Verbindungen zwischen ihnen und diesem höchsten Wesen, sie erkennen ein Jenseits, sich zunächst an das Diesseits anreihend, und beginnend wo das Diesseits aufhört; dass das menschliche Leben sich nicht mit dem Tode endige, dass der Geist des Menschen noch fortlebe, aber das jenseitige Schicksal von dem Tun und Lassen des Menschen hienieden abhänge. Verschieden aber sind freilich die Begriffe der verschiedenen Völker von jenem höchsten Wesen und von dem Zustande des Menschen nach dem Tode. Doch wird allgemein zugegeben, dass nach dem Tode das höchste Wesen den Menschen nach seinen Handlungen hienieden richte, und dass des Richters Ausspruch dem Guten ein glückliches, dem Bösen ein schreckliches Schicksal jenseits bereite. So ist dann weiter allgemein anerkannt, dass jenes höchste Wesen — Gott genannt — ein Gott der Wahrheit sei, dass wer irgend sich auf diesen Gott der Wahrheit berufe, wenn es Unwahrheit sei, was er behaupte, in ihm einen schrecklichen Rächer finden, ja Gott gar nicht zugeben werde, dass der Lügner sich auf Ihn berufe. — Dass dieser fromme Glaube jederzeit solchen Beteuerungen ein großes Gewicht beilegte, kann niemand wundern, der bedenkt, wie mächtig überhaupt Religion selbst den ungebildetem (freilich, und leider nicht den überbildeten) Menschen ergreift, und so kam es nun, dass man von jeher einer solchen Beteuerung, welche unter Berufung auf Gott geschah, mehr Glauben als einer einfachen beilegte. Auf dem allgemeinsten Standpunkte ist also der Eid nichts anderes, als eine Aussage des Menschen unter Berufung auf Gott. Gehen wir nun genauer in die Ansichten der Urzeit zurück, so finden wir, dass der Grund, warum einer solchen Beteuerung bedeutend mehr Gewicht als jeder anderen beigelegt wurde, kein anderer als der war, weil man annahm, dass derjenige, der schwöre, den allwissenden Gott zum Zeugen der Wahrheit anrufe, und dass wie der menschliche Zeuge schon, wenn die Partei Unwahrheiten vorbringe, diesen widersprechen und sie rügen werde, dies noch vielmehr bei Gott der Fall sei, welcher, was freilich menschlichen Zeugen versagt ist, nicht einmal das Aussagen einer Unwahrheit dulden werde.“

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An diese Einleitung eines verdienten und geschätzten Rechtsgelehrten unserer Zeit knüpfe ich nun den Faden einer ganz kurzen Darstellung über diesen Gegenstand, den ich indessen bald wieder zerreiße, da mir, vermöge des mir vorgesteckten Ziels, nicht gestattet ist, ihn auszuspinnen. *)

Der Eid in moralischer und juridischer Hinsicht, ist von hoher Wichtigkeit, ist — wer vermöchte es zu leugnen — das Wichtigste im Leben des Menschen. Den Lesern und mir erspare ich die Ausführung dieses Behauptungssatzes, denn wer weiß nicht, dass mit dem Eide das ganze sittliche Gebäude des Menschen zusammenstürzen kann; wem ist es ferner nicht bekannt, dass der gerichtliche Eid die intrikateste Streitsache zu schlichten im Stande ist? Von dem gerichtlichen Eide ist hier natürlich nur die Rede, und ich beschränke mich hierbei diesmal auch besonders nur auf die Form seiner Ableistung; die Einteilung des Eides etc. mir bis zu einer anderen Gelegenheit ersparend.

*) Sollte ich einmal eine Inaugural-Dissertation schreiben wollen, ich würde kein anderes Thema wählen als dieses.

Vor allen Dingen darf der Eid, vermöge seiner Helligkeit, als Beweismittel nicht gemissbraucht werden: zu meinen wohl nicht ausführbaren Wünschen gehört daher, ihn nur als subsidiarisches Beweismittel zuzulassen. Soll er nun aber ein eigentliches Beweismittel sein, so ist die Hauptforderung: ihn nicht zu profanisieren, wie dieses leider! und abermals leider! oft genug der Fall ist. — Gänzliche Abschaffung aller überflüssigen Eide, unter andern des Appellations-Eides (der bei uns seit 1818 nicht mehr vorkommt), des Ahmen-Eides und mehrerer, wäre der erste Schritt zur Besserung. Hienächst muss aber der äußeren Form größere Aufmerksamkeit geschenkt werden: sie ist anders bei Christen, anders bei Juden. Höchstmögliche Feierlichkeit in die Eideshandlung zu legen, sei das Bestreben der Autoritäten. Der Eid der Christen vor Gericht ist — wir wissen es ja — fast von aller Feierlichkeit entblößt, zumal da, wo das Gerichtspersonal sich bei der Ableistung nicht einmal von seinem Sitze erhebt. Beim Juden-Eide ist man viel vorsichtiger gewesen. Die Gerichts-Ordnung für die Preußischen Staaten enthält davon eine wirklich zweckmäßige Form, und unsere vaterländische Gesetzgebung ist nicht eben hinter ihr zurückgeblieben. Was aber besonders der Nachahmung für die christliche Eides-Form wert zu sein scheint, ist die der wirklichen Eidesleistung vorausgehende, gewiss zweckmäßige Verwarnung vor dem Meineide bei den Bekennern des mosaischen Glaubens. Folgende Andeutungen mögen der Beachtung nicht ganz unwert sein:

1) soll jemand schwören einen Haupt-Eid, Neben-Eid, oder Zeugen-Eid, allemal muss die Behörde, welche den Eid abnimmt, sich überzeugt haben:
a) dass der Schwörende begriffen hat, was er schwören soll,
b) dass derselbe richtige Religionsbegriffe über den Eid hat.

In erstgedachter Hinsicht ist es eine unverzeihliche Nachlässigkeit der Advokaten, wenn sie ihre Klienten nur so obenhin mit dem bekannt machen, was von ihnen beschworen werden soll: oft findet man zum Erstaunen verkehrte Ansichten bei Leuten geringeren Standes, die noch dazu häufig zur Eidesannahme induziert wurden. Mir ist auch schon der Fall vorgekommen, dass ein Mann aus dem Handwerksstande, dessen Sachwald den zugeschobenen Eid angenommen hatte, bei seinem Erscheinen vor Gericht verriet, dass er sich über den Inhalt des Eides in Irrtum befand, worauf er, nach kurzer Verdeutlichung von Seiten des Richters, mit edlem Unwillen erklärte, den bezüglichen Eid nicht schwören zu können.

Andere wissen kaum, was ein Eid bedeutet; viele haben wenigstens unrichtige Begriffe; daher kommen häufig die Beteuerungen vor, dass man nicht ein Mal, sondern zehn Mal diesen Eid schwören könne; manche fragen vor der Eidesleistung: „Wer bezahlt mir meinen Eid?“ und wollen nur für bare Zahlung schwören. Einer sogar — ein Zeuge — erklärte mir letzthin vor Gericht: „er könne nicht schwören, weil er sich darauf verflucht habe, nicht schwören zu wollen“ usw.

2) Jedes Mal, wenn ein Eid geschworen werden soll, muss daher eine Belehrung bei dem Schwörenden, der nicht unbezweifelt für gehörig unterrichtet gehalten werden darf, vorausgeschickt werden, und dieses geschieht am sichersten durch den Beichtvater unter vier Augen; — nicht zuerst vor den Schranken des Gerichts; denn hat der Prozessierende mit dem Willen zu schwören erst die Schwelle des Gerichtszimmers übertreten, er wird, im Angesicht seines verhassten Gegners, schwerlich erklären, dass er nicht schwören könne, er wird lieber zum Schwur schreiten — und der Meineid lastet auf seiner Seele. — Gleichwohl darf aber die Verwarnung vor dem Meineide im Gerichte nicht unterbleiben, sie ist keineswegs überflüssig, und ich rate auch hier, den Beichtvater zu adhibieren; der Dirigent kann sich dann bloß darauf beschränken, die weltlichen gesetzlichen Strafen des Meineides namhaft zu machen.

3) Die Eideshandlung selbst geschehe mit anpassender Feierlichkeit. Das Zeremoniell muss auf die Handlung bezüglich sein, und auf diese Beziehungen werde der Schwörende durch den im Gerichtszimmer gegenwärtigen Geistlichen aufmerksam gemacht. Dass man aus den Sessionszimmern alles Fremdartige entfernt und dagegen schickliche Symbole einführt, ist gewiss nicht unwesentlich.

Auch ohne bestimmte Vorschrift von oben lässt sich in dieser hochwichtigen Angelegenheit manche Vorsichtsmaßregel von den Behörden ergreifen, und ich lege es meinen Kollegen, Richtern und Advokaten, an das Herz, das Höchstmögliche zum Besten der Menschheit hierin zu tun, und ein Glück darin zu suchen, dass sie die Seele des Nebenmenschen retten vom Verderben, wohin der Meineid führt.