Stralendorf, Leopold Freiherr v. (16./17. Jahrhundert) deutscher Politiker. Biographie

Allgemeine Deutsche Biographie Bd 36 (1893)
Autor: Stieve, Felix (1845-1898) deutscher Historiker, Erscheinungsjahr: 1893
Themenbereiche
Stralendorf: Leopold Freiherr v. St. stammte aus altem mecklenburgischen Rittergeschlechte. Über seine Eltern, Ulrich v. St. zu Prenberg und eine v. Oertzen, sowie über seine Jugend ist nichts bekannt. Durch den Jesuiten Lambert Auer vom Protestantismus zum Katholizismus übergeführt, trat er – vermutlich kurz nachher – im Anfange der siebziger Jahre in den Dienst des Kurfürsten von Mainz. 1574 wurde er dessen Oberamtmann auf dem Eichsfelde und leitete dort die gewaltsame Unterdrückung des Protestantismus. In der Folge mehrte sich das Vertrauen, welches er genoss, so sehr, daß er noch eine zweite Amtmannschaft erhielt und eine hervorragende Stellung am kurfürstlichen Hofe einnahm. Am 8. Juli 1576 heiratete er Margaretha v. Dermbach, die Schwester des wenige Tage vorher der Regierung beraubten Fürstabtes Balthasar von Fulda. Bemühungen um die Wiedereinsetzung seines Schwagers sollen ihm später Gelegenheit gegeben haben, sich am Prager Hofe beliebt und dem Kaiser Rudolf II. bekannt zu machen. Auf dessen Andringen siedelte er im Juni 1603 nach Prag über und wurde im folgenden Monate in den kaiserlichen Geheimrat eingereiht. Bald erlangte er großen Einfluss auf die Geschäfte und das Vertrauen Rudolf’s. Daher wurde er, obwohl er sich wegen seines hohen Alters und seiner Kurzsichtigkeit sträubte, am 22. November 1605 zum Reichsvizekanzler ernannt. Als solcher hatte er die Angelegenheiten des deutschen Reiches zu bearbeiten, doch bediente sich der Kaiser seiner auch fernerhin noch oft in eigenen Sachen und namentlich in den Händeln mit den aufständischen Ungarn und seinem Bruder Matthias. Stetiger als Andere wusste Stralendorf die Gunst des geisteskranken Kaisers zu bewahren und zwar nicht. indem er dessen Launen schmeichelte, sondern vermutlich deshalb, weil er ein gerader und aufrichtiger Mann war und ihm durch seine kirchliche Gesinnung und seinen Eifer für das kaiserliche Ansehen eine Haltung gegeben wurde, welche den Wünschen Rudolf’s entsprach. Im Jahre 1607, wo er dessen Gunst mehr als irgend Jemand genoss, wurde er mit der erblichen Freiherrnwürde begabt und in den böhmischen Herrenstand aufgenommen. Nachdem aber Rudolf genötigt worden war, einen Teil seiner Lande an Matthias abzutreten, gab Stralendorf seine feindselige Haltung gegen diesen auf und suchte die Versöhnung der Brüder zu bewirken, welche ihm um der kaiserlichen Macht und der katholischen Religion willen notwendig erscheinen mochte. Hierdurch verlor er die Gunst des rachedürstenden Kaisers und er dürfte je länger desto weniger auf den Gang der Verwicklungen, welche aus dem Zerwürfnisse der Brüder erwuchsen, einzuwirken vermocht haben. Auch in Bezug auf die Reichsangelegenheiten verminderte sich seitdem sein Einfluss, doch behauptete er immerhin den seinem Amte entsprechenden Anteil an denselben, zumal er neben dem Geheimrat Hannewald der Einzige unter den Ministern des Kaisers war, welcher von den Reichsverhältnissen gründliche Kenntnis besaß. Ihm und Hannewald schrieb die protestantische Bewegungspartei die ihr feindliche und der katholischen Restaurationspartei günstige Richtung der kaiserlichen Politik zu, und Tatsache ist, daß diese von ihnen wesentlich gefördert wurde. Stralendorf handelte dabei seiner entschieden katholischen und kaiserlichen Gesinnung gemäß, indes war diese keine leidenschaftliche und rücksichtslose. Mit dem Führer der katholischen Restaurationspartei, dem Herzog Maximilian von Baiern, unterhielt er lediglich die in seinen Amtsgeschäften begründeten Beziehungen, dagegen pflog er mit dem vermittelnden Kurfürsten Johann Schweikhart von Mainz, wie es scheint, vertraulichen Briefwechsel und stand auch mit Kursachsen auf gutem Fuße. Die Anschauungen, welche er in langjähriger Tätigkeit am Mainzer Hofe aufgenommen hatte, mochten nachwirken und die Kenntniß der Unentschlossenheit Rudolf’s II. sowie der Zerrüttung der kaiserlichen Macht mußte seiner Einsicht gebieten, seinem Eifer Zügel anzulegen. Andererseits ließ er sich aber auch nicht durch das Verlangen nach eigenem Vorteil beirren. Er zeigte sich im kaiserlichen Dienste ungemein geldgierig und trachtete so sehr nach „Verehrungen“ von Allen, welche geschäftlich mit ihm zu thun hatten, daß er, obgleich daß Geschenkenehmen damals ganz gebräuchlich war, großen Anstoß erregte und 1610 behauptet wurde, er habe in den fünf Jahren seines Vizekanzleramtes den Werth von 200 000 Talern erworben. Es ist jedoch trotzdem kein Beispiel bekannt, daß er sich durch Bestechung habe verleiten lassen, seiner Überzeugung zuwider zu handeln. Das Lob eines „ehrlichen Deutschen", welches ihm von verschiedenen, wohlunterrichteten Männern gespendet wurde, dürfte er nach den Anschauungen seiner Zeit nie verwirkt haben. Das berüchtigte Gutachten über die Jülicher Erbfolge, welches nachmals unter seinem Namen verbreitet wurde, ist eine brandenburgische Fälschung. Mit dem Tode Rudolf’s II. erlosch im Januar 1612 sein Amt und wahrscheinlich starb er bald darauf, wenigstens erscheint er, nachdem daß Zwischenreich geendet hatte, nicht wieder in Tätigkeit. Von den zahlreichen Kindern, welche er erzeugt hatte, überlebten ihn nur zwei Söhne. Der eine, Wolfgang Leopold, bekleidete, wie es scheint, kein Amt und seine aus der Ehe mit einer polnischen Gräfin Rostrohow gewonnenen Nachkommen starben, ohne daß Geschlecht fortzupflanzen. Der andere, Peter Heinrich, schlug unter der Leitung seines Vaters dessen Laufbahn ein. Er wurde schon Mitte 1605, also gewiss in sehr jungen Jahren, Reichshofrat und blieb es, bis ihn Kaiser Ferdinand II. im Jahre 1624 zum Reichsvizekanzler und Geheimrat ernannte. Diese Stellung behielt er bis zu seinem Tode, versah daneben zeitweise auch das Amt eines Reichshofratsvizepräsidenten und wurde mehrfach als Bevollmächtigter zu Verhandlungen im Reiche entsendet, obgleich die Gicht seit 1630 seine Füße lähmte. Er galt als der gründlichste Kenner des Reichsrechts und wurde wie wegen seiner Klugheit so wegen seiner Rechtschaffenheit hoch gerühmt. Seinen Eifer für die kaiserliche und katholische Sache bewährte er, indem er dem Kaiser 36,000 Ducaten für den Krieg beisteuerte. Über seinen Einfluss auf die hochwichtigen Verfügungen, welche unter seiner Geschäftsführung aus dem Gebiete der Reichsverfassung getroffen wurden, ist jedoch bis jetzt nichts bekannt und er tritt am kaiserlichen Hofe überhaupt nicht hervor. Er starb am 13. Februar 1637 unverheiratet.