Sozialpolitik im Dienste der Partei - Arbeiterwohnungen

Initiativanträge der Österreichischen Sozialdemokratie
Autor: Aus der ersten Sitzungsperiode der XXI. Session des Abgeordnetenhauses, Erscheinungsjahr: 1911

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sozialdemokratie, Demokratie, Volksvertretung, Parlament, Sozialgesetze, Arbeiter, Arbeiterbewegung, Sozialpolitik, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Gewerkschaften, Gewerbetreibende, Arbeitsverhältnis, Arbeitszeit, Arbeitschutz
Der Rahmen der vorliegenden Broschüre ermöglicht es nicht, die Unmenge der sozialpolitischen Anträge der Sozialdemokratie, die schon in den ersten Sitzungen der laufenden Session des Abgeordnetenhauses eingebracht wurde, erschöpfend zu behandeln. Es soll dies auch nicht die Aufgabe dieser Broschüre sein. Sie soll vielmehr nur einen Leitfaden für sämtliche industrielle und gewerbliche Arbeitgeber bilden, aus welchem diese ersehen mögen, wie groß die Zahl und wie wichtig der Inhalt der beabsichtigten Gesetzesänderungen sind, wie einschneidend diese auf die Produktivität der einzelnen Branchen wirken, wie gefahrdrohend das Arbeitsverhältnis durch einzelne Gesetzesanträge beeinflusst wird.

Leider beschäftigen sich die meisten bürgerlichen Tageszeitungen mit Sozialpolitik sehr wenig, oder wenn schon, so schreiben sie zumeist über solche Gesetzesanträge vom Standpunkt eines krassen Kathedersozialismus, häufig auch in einem unangebrachten Humanitätsrausch; in der Regel bringen sie die Gesetzesnovellen in einem sehr oberflächlichen Auszug, ohne auf jenes Moment zu achten, das gerade jedem sozialdemokratischen Gesetzesantrag eigen ist: das Moment Stärkung der politischen und gewerkschaftlichen Organisation.

In der vorliegenden Broschüre soll den interessierten Kreisen der Wortlaut all dieser Gesetzesanträge mit einer kurzen kritischen Würdigung vom Standpunkte der organisierten Arbeitgeberschaft bekanntgegeben werden. Die Broschüre soll noch einen weiteren Zweck verfolgen. Die Hauptstelle Industrieller Arbeitgeber-Organisationen erhofft sich, dass von den einzelnen Branchen, die durch die Gesetzesanträge berührt werden, all das Material gesammelt wird, welches gegen die Gesetzwerdung dieser Anträge spricht.

Es wird nicht nur Sache der einzelnen Sekretariate der bestehenden fachlichen und lokalen Arbeitgeber-Organisationen sein, all die Gründe zu sammeln und die Bedenken kundzugeben, die gegen dieses Übermaß von Sozialpolitik auf allen Gebieten der Industrie und des Gewerbes sprechen. Es ist hier eine weitgehende Mitarbeit jeder Art von Fachmännern der verschiedenen Branchen notwendig, um mit den schwerwiegendsten Argumenten dieser demagogischen Art von Sozialpolitik zu begegnen.

Wir richten daher an alle Fachmänner der einzelnen Branchen, die Vertreter industrieller Organisationen, an alle Industriellen und Gewerbetreibenden, Betriebsleiter und Werkmeister die Bitte, die einschlägigen Gesetzesanträge einem genauen Studium zu unterziehen und alle sachlichen Einwände, die sie gegen die einzelnen Gesetzesanträge zu erheben hätten, dem Sekretariat der Hauptstelle Industrieller Arbeitgeber-Organisationen, Wien III, Schwarzenbergplatz Nr. 4, Industriehaus, bekanntzugeben.

Einleitung
Kürzung der Arbeitszeit
Arbeitsbuch
Kontraktbruch
Gesetze, den Bergbau betreffend
Gesetze, die Eisenbahnen betreffend
Staatsbetriebe und Staatsbedienstete
Werkmeister und Industrieangestellte
Gewerbegerichte
Kartelle
Arbeiterschutzvorschriften:
      a) Heimarbeit
      b) Kinderarbeit
      c) Arbeiterwohnungen
      d) Sanitäre Schutzvorschriften
Arbeiter-Versicherungswesen
Sonstige Anträge sozialpolitischen Inhaltes
Politische Gesetze
Text der Gesetzesanträge
Inhaltsverzeichnis der Beilagen

                              Arbeiterwohnungen

Es ist bekannt, dass die Wohlfahrtseinrichtungen der Fabrikunternehmungen von Seiten der sozialdemokratischen Partei stets den schwersten Anfeindungen und Verdächtigungen ausgesetzt sind. Sie werden dargestellt als Einrichtungen, die dazu dienen, die Arbeiter des Koalitionsrechtes, der Freizügigkeit, der Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte usw. zu berauben. Mag die allgemeine Wohnungsnot eine noch so große sein, mögen die Werkswohnungen um die Hälfte billiger sein oder gar gratis abgegeben werden, mögen sie auch noch so vortrefflich eingerichtet sein, die Institution derselben wird aus streiktechnischen Gründen aufs heftigste befehdet.

Bei Werkswohnungen wird die Wohnung in der Regel als ein Bestandteil des Lohnes auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses gegeben. Es besteht kein eigentlicher Bestandvertrag, das Mietverhältnis ist vielmehr ein Bestandteil des Lohnvertrages. Dies geschieht teils aus Gründen der Vereinfachung, teils aus dem Grunde, dass der Arbeitgeber die Wohnung eben nur so lange beistellen will, als der Mieter bei ihm arbeitet. Dies ist leicht begreiflich, da die Wohnung ja stets dem Arbeiter zu einem bedeutend niedrigeren Zinse, häufig sogar vollständig gratis beigestellt wird, einzig aus dem Grunde, weil er Arbeiter der Fabrik ist und solange er Arbeiter der Fabrik ist. Der Geldlohn erhöht sich dadurch um die Differenz zwischen dem Zins der Werkswohnung und dem Zins einer anderen Wohnung gleicher Beschaffenheit. Wird nun ein Arbeiter entlassen oder kommt es zu einem Streik, so ist es selbstverständlich, dass man die Arbeiter nicht allzulange in den Wohnungen lassen kann. Dort, wo die Beistellung der Wohnung gratis erfolgt, ist dies selbstverständlich; wo sie zu einem bedeutend billigeren Zins erfolgt, nicht weniger, da der Zins ja nur vom Lohn abgezogen werden kann; dieser wird aber während eines Streiks nicht gezahlt und so ginge der Bestandgeber vollständig leer aus, ja, er hätte nicht einmal ein Vorzugspfandrecht wegen des Zinses auf das Mobiliar, da kein Bestandvertrag im juristischen Sinne vorliegt.

Es ist daher begreiflich, dass sich der Arbeitgeber gegen solche Folgen durch die Aufnahme einer Bestimmung in den Arbeitsvertrag wehrt, wonach die Werkswohnungen nur auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses beigestellt werden und nach Lösung desselben binnen einer bestimmten Frist zu räumen sind.

Diese Bestimmung schafft jedoch der sozialdemokratischen Gewerkschaft bei der Inszenierung von Streiks große Schwierigkeiten, weil der Arbeitgeber, sobald der Streik einige Tage dauert, in der Regel die Räumung der Wohnungen verlangt. Dieser taktischen Maßnahme des Arbeitgebers bei Arbeitskonflikten soll durch den Antrag der Abgeordneten Bretschneider, Muchitsch, Smitka, Schlinger, Hanusch und Genossen, betreffend die Werkswohnungen (A. H. Nr. 478, B. Nr. 41), entgegengetreten werden. Der Gesetzesantrag normiert:

1. Die Beistellung von Werkswohnungen schafft ein Mietverhältnis, das den Vorschriften über den Mietvertrag unterworfen ist.

2. Ein Abzug des Zinses bei der Lohnzahlung ist ausgeschlossen. Wird dem Arbeiter der Wert der Wohnung als Lohn oder als ein Teil des Lohnes angerechnet, dann kann der Arbeiter die Bezahlung seiner Lohnforderungen in barem Gelde verlangen, ohne dass ihm eine Einrede aus der an Zahlungsstatt gegebenen Wohnung entgegengesetzt werden kann.

3. Eine Kompensation aus der dem Mietvertrage erwachsenden Ansprüche des Gewerbeinhabers und der Lohnforderung des Arbeiters findet nicht statt.

4. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses hat auf das Mietverhältnis keinen Einfluss. Doch ist der Arbeiter berechtigt, nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses die sofortige Auflösung des Mietvertrages zu fordern.

Wir fragen, wer wird — wenn dieser Antrag Gesetz wird — noch Werkswohnungen bauen, wer die bestehenden erhalten? Durch ein solches Gesetz würde jede Wohlfahrtspflege auf dem Gebiete der Wohnungsfürsorge für Fabrikarbeiter unmöglich gemacht. Ein obdachloser Landstreicher, der sich für einen gelernten Maschinisten ausgibt und daraufhin in Arbeit genommen wird und eine Werkswohnung erhält, bald aber wegen vollständiger Unfähigkeit entlassen wird, könnte ruhig 14 Tage in der Werkswohnung gratis weiter wohnen und nach Ablauf dieser Frist den Versuch bei einem anderen Fabrikunternehmen mit Wohlfahrtseinrichtungen machen.

Bei der herrschenden Wohnungsnot ist es ein unverantwortliches Vorgehen der sozialdemokratischen Partei, dass sie zum Zwecke der Erleichterung der Streiktaktik die Errichtung von Werkswohnungen auf diese Weise unmöglich macht. Und diese Partei wagt es, sich zum Retter aus der Wohnungsnot aufzuspielen!

Hand in Hand mit diesem Antrage geht ein Antrag der Abgeordneten Max Winter, Schiegl, Winarsky, Wutschel und Genossen, betreffend die Abänderung der Bestimmungen über den Mietvertrag (A. H. Nr. 438, B. Nr. 42). Er erschwert die Kündigung auf Seite des Bestandgebers und erleichtert sie auf Seite des Bestandnehmers und verlängert die Kündigungsfristen ganz bedeutend. Die kürzeste Kündigungsfrist für den Vermieter ist bei monatlicher Zinszahlung oder auch bei wöchentlicher Zinszahlung ein Monat; der Mieter braucht keine längere als eine 14tägige Kündigungsfrist einzuhalten usw. Diese Bestimmungen würden, wenn der Antrag Winter und der oben genannte Antrag Bretschneider Gesetz werden, auch auf die Werkswohnungen Anwendung finden. Es käme daher dazu, dass streikende oder entlassene Arbeiter, die z. B. einen Tag nach dem kalendermäßigen Kündigungstermin entlassen werden oder in Streik treten, noch sechs Wochen gratis in den Wohnungen bleiben können, ja vielleicht noch länger; denn der neue § 1109a des Antrages Winter besagt:

„Der Vermieter muss jedoch auch nach beendigtem Mietvertrage dem Mieter die weitere Benützung der Wohnung oder eines Teiles derselben gestatten:

1. wenn und solange die Entfernung des Mieters aus der Wohnung eine grobe Verletzung einer sittlichen Pflicht wäre;

2. wenn der Mieter dartut, dass es ihm nicht möglich gewesen ist, bis zum Räumungstermin eine seinen Verhältnissen entsprechende Wohnung zu mieten, und wenn der Vermieter nicht beweist, dass er die zu räumende Wohnung infolge neuerlicher Vermietung sofort zu übergeben hat.

Der Vermieter ist in diesen Fällen berechtigt, von dem Mieter eine angemessene Schadloshaltung zu fordern. Der Richter hat die Schadloshaltung unter billiger Berücksichtigung des Vermögens des Vermieters und des Mieters festzusetzen."

Die Streikenden brauchen nur den Zuzug von Arbeitswilligen zu verhindern, dann wird der Vermieter die neuerliche Vermietung der Wohnung nicht beweisen können und der Mieter darf gemäß Punkt 2 weiter in der Wohnung bleiben.

In diesem Zusammenhang sei auch der Vollständigkeit halber der Antrag des Abgeordneten Dr. Julius Ofner im Vereine mit vorwiegend sozialdemokratischen Abgeordneten über die Enteignung zu Wohnzwecken (A. H. Nr. 504) genannt. Mit ihm ist gleichlautend der Antrag des Abgeordneten Dr. Adolf Groß (unabhängige jüdische Partei) und Genossen (A. H. Nr. 505).

Verspottung von Hasselmanns Versicherungen der Harmlosikeit der Sozialdemokratie 1876

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Baracken von Obdachlosen vor dem Kottbusser Tor 1

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Baracken von Obdachlosen vor dem Kottbusser Tor 2 1872

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Barrikadenbild aus den Oktobertagen des Jahres 1848

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Berliner Volksküche

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Berliner Wählerversammlung in den sechziger Jahren 1

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Berliner Wählerversammlung in den sechziger Jahren 2

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