Sommerliche Plaudereien aus Doberan in Mecklenburg

Aus: Der Sporn. Zentral-Blatt für die Gesamt-Interessen des deutschen Sports. Offizielles Organ des Union-Klubs und sämtlicher Deutschen Renn-Vereine
Autor: H. T., Erscheinungsjahr: 1874
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Doberan, Reisen, Ostsee, Ostseebad, Kuren, Badegesellschaft, Badekur
Doberan ist in diesem Sommer entschieden weniger belebt, als ich's noch vor zwei Jahren, zur Zeit des viertägigen Jubiläums-Sports, gefunden habe, und wenn man das gegenwärtige, leise pulsierende Stillleben des reizend gelegenen Örtchens mit dem Treiben vor sechzehn Jahren vergleicht, wo der Plauderer, von Russland kommend, zum Ersten Mal hier vor Anker ging, so beschleicht uns die Vermutung, dass Doberan als Badeort durch das Etablissement am heiligen Damm auf den Aussterbe-Etat gesetzt worden zu sein scheint. Damals brachte schon allein das Künstlerpersonal des Großherzoglichen Hoftheaters, Oper, Schauspiel, Ballet, Orchester und Chor, ein heiteres Leben und Treiben in den sonst wohl für gewöhnlich stillen Ort, man fand angenehme Gesellschaft an öffentlichen Orten: auf der Schießbahn, der damals ein Herr Kornmilch vorstand, knallten den ganzen Tag lustig Büchsen und Pistolen, es wurden charmante Landpartien nach nah und fern liegenden Förstereien unternommen, wo man überall leidlich und reichlich zu essen bekam und sehr guten Bordeaux trank usw. Das scheint, Alles so ziemlich vorbei zu sein, der jetzige Pächter der Schießbahn, die vortrefflich eingerichtet und erhalten ist, lamentiert mit Grund über Mangel an Besuch, auch die Billards, die Ring- und Kegelspiele und andere angenehme Zeittöter würden gänzlich unbenutzt bleiben, wenn nicht die unbeschäftigten Kellner Zeit genug hätten, sich auf diesen Sport-Terrains zu Virtuosen auszubilden. Ich glaube, dass es hier im Winter lebhafter sein mag, als jetzt, wo Doberan seinen Sommertraum zu träumen scheint. Indes fällt dann und wann doch etwas Seltenes und Merkwürdiges vor, so z. B. habe ich hier vor mehreren Tagen zum Ersten Mal ein ausgebildetes Hühnerei in einem anderen Ei gesehen, was ein Naturwunder sein muss, denn Herr G. am Kamp, ein Koch von Profession, der, wie er mir sagte, in seinem Leben wohl mehr als eine Million Eier aufgeschlagen hat, woran gar nicht zu zweifeln, teilt mir mit, dass sich zwar nicht eben selten zwei Dotter in einem Ei vorfänden, woraus dann Zwillinge hervorgehen, er aber noch nie ein ausgebildetes, wenn auch nicht großes Ei in einer Schale gefunden habe. Er hatte es aufbewahrt und zeigte es mir. Das Usurpationsei schwamm in dem Eiweiß der größeren Eierschale, die aber keine Spur von gelbem Dotter in sich barg, an dessen Stelle eben die Neubildung sich eingenistet hatte, der nichts fehlte, als die umhüllende feste Schale. Dem Vernehmen nach ist die Naturmerkwürdigkeit in Weingeist gestellt und Herrn Professor Virchow in Berlin übersandt worden. Ein anderes Naturwunder habe ich am heiligen Damm entdeckt. Es ist eine entsetzliche Metamorphose! Stellen Sie sich vor: – auf einer Affiche, die ich irgend wo am Kurhaus angeheftet fand, las ich: – „Wilhelm X., Coiffeur aus Berlin, sonst neue Wilhelmstraße so und so, jetzt Möwe.“ Was hier aus 'nem Menschen alles werden kann, dacht' ich mir und tat mich nach dem verwunschenen artisle adonisateur näher erkundigen. Man beruhigte mich durch die authentische Mitteilung, dass der Mann nach wie vor Coiffeur sei und nur in der Villa „Möwe“ sein Atelier aufgeschlagen habe, und erheiterte mich durch die Warnung, mir meine langen Haare nicht kürzen zu lassen, sondern lieber nach dem Bade stundenlang zu warten, bis sie wieder getrocknet, denn ein Coup de cheveaux koste in der Möwe zwei Mark. Man spricht hier oben am obotritischen Strande schon seit Jahr und Tag nicht mehr von Silbergroschen und Schillingen, sondern alle Welt rechnet bereits ganz geläufig nach Reichsmark und Reichspfennigen, sind die Mecklenburger uns Berlinern und auch den Hamburgern entschieden voraus. Die Hamburger sind in Bezug auf ihre portemonnaie-zerschneidenden dünnen, alten Schillinge sehr konservativ und haben namentlich gegen die neuen Nickelmünzen eine entschiedene Abneigung. Und doch, wie lange wird's dauern und man wird den ehrwürdigen Hamburger Schillig, der freilich von Silber, aber so dünn und scharf wie eine Fischschuppe ist, nur noch in Münzsammlungen finden. Apropos" haben Sie schon einmal moussirende Eau de Cologne gesehen, teurer Herr Redakteur ? Ich erstand eine Phiole dieses abenteuerlichen Gewässers auf einer Spritzfahrt nach Warnemünde in Rostock für wenige Groschen. Auf der Etiquette sieht man Köln und Deutz samt dem Vater Rhein und Herr Bullrich in Berlin, „fournisseur de la cour“ – wahrscheinlich liegt seine Offizin auf einem Hofe – ist der intellektuelle Urheber dieser Flüssigkeit, die mit veritablem kölnischen Wasser ungefähr die Ähnlichkeit hat, wie eine Ananas mit einer Kartoffel, aber sie moussiert. Sollte sich nicht in London damit ein Geschäft machen lassen?!

Der Kamp mit dem Herzoglichen Palais.

Der Kamp mit dem Herzoglichen Palais.

Der Kamp in Doberan.

Der Kamp in Doberan.

Das Stahlbad zu Doberan.

Das Stahlbad zu Doberan.

Die Kapelle in Althof.

Die Kapelle in Althof.

Der Heilige Damm und die Ostsee.

Der Heilige Damm und die Ostsee.

Das Salon- und das Badehaus in Heiligendamm.

Das Salon- und das Badehaus in Heiligendamm.

Der Neue Markt in Doberan.

Der Neue Markt in Doberan.

Die Kirche - Das Doberaner Münster.

Die Kirche - Das Doberaner Münster.

Der Kamp nach Osten.

Der Kamp nach Osten.