Scorbut und seine Gegenmittel

Neue Fälle von Scorbut auf Schiffen aller Nationen
Autor: Schuirman, G. und Thaulow, G. Vorsteher der deutschen Seemannschule in Hamburg, Erscheinungsjahr: 1865
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Scorbut, Seeschifffahrt, Scorbutkranke, Erfahrungen, Symthome, Gegenmittel
Aus: Hansa, Zeitschrift für Deutsches Seewesen. II. Jahrgang 1865 redigiert und verlegt durch Schuirman, G. und Thaulow, G. Vorsteher der deutschen Seemannschule in Hamburg.

In neuerer Zeit sind wieder auf Schiffen aller Nationen mehrfach Fälle von Scorbut vorgekommen, und dürfte es daher angemessen sein, einige Worte über diese schreckliche Krankheit nach den Mitteilungen eines erfahrenen Englischen Arztes in unserem Blatte zu sprechen.
Vor zwei Jahrhunderten war der Scorbut eine über alle Länder des nördlichen Europas verbreitete Krankheit und trat gewöhnlich am Ende des Winters oder zu Anfang des Frühlings ein, verschwand aber wieder im Sommer und Herbst. Am gefährlichsten aber wütete die Krankheit, wenn ein Land durch lange Kriege verwüstet war, oder in Städten, die lange belagert wurden. So hatten z. B. die Franzosen während der Belagerung von Alexandria durch die Türken und Engländer von Mai bis August 1801 3.500 Scorbutkranke in den Hospitälern. Ebenso kam Scorbut im Anfange dieses Jahrhunderts häufig in Gefängnissen und Strafanstalten vor.

Diese Beispiele zeigen deutlich genug, dass der Scorbut keine den Schilfen eigentümliche Krankheit ist, obgleich sie auf denselben früher am häufigsten einen tödlichen Verlauf nahm. So verlor „Vasco da Gama“ auf seiner ersten Reise nach Ostindien von 160 Mann hundert durch diese schreckliche Seuche. Die erste Expedition der Ostindischen Compagnie, die am 2. April 1600 England 480 Mann stark verlies, war bei ihrer Ankunft am Cap der guten Hoffnung beinahe um 1/4 geschmolzen, und Lord Anson hatte 1741, nach dem zweiten Jahr seiner Expedition, über vier fünftel seiner ursprünglichen Mannschaft durch den Scorbut eingebüsst. Dagegen traf der berühmte Weltumsegler James Cook auf seiner zweiten Reise so zweckmäßige Maßregeln gegen die Krankheit, dass er nur einen Mann an derselben verlor, wie denn auch seit seiner Zeit der Scorbut, besonders durch die befohlene tägliche Verabfolgung von Limonensaft, fast ganz aus der Englischen Kriegsmarine verschwunden ist.

Leider ist nicht dasselbe günstige Resultat auf den Kauffahrtei-Schiffen erzielt worden, da die anerkannt erfolgreichen Mittel zur Verhütung des Scorbut entweder mangelhaft angewendet oder gänzlich vernachlässigt wurden. So mussten in den letzten anderthalb Jahren allein in das Seemanns-Hospital zu Dreadnought 50 Scorbutkranke aufgenommen werden, während mindestens die gleiche Zahl in Privathäusern Londons untergebracht wurde. Diese Kranken, den Schilfen der verschiedensten Nationen angehörend, kamen meistens von Reisen von Mauritius, Australien, Indien oder China.

Die Erfahrung hat gelehrt, dass die meisten Ursachen, denen früher der Scorbut zugeschrieben wurde, allerdings die Krankheit befördert, nicht aber sie erzeugen, und gehört hierzu zuerst „Salz-Proviant“. Da gesalzenes Fleisch einen Haupt-Nahrungsartikel der Seeleute bildet, so wurde dem anhaltenden Genuss desselben der Scorbut zugeschrieben, während doch z. B. die Truppen am Cap der guten Hoffnung, die nur frisches Fleisch bekamen, in demselben Maße von der Krankheit heimgesucht wurden, wie die Mannschaften der Schiffe, weil auch sie keine Abwechslung in den Speisen durch Früchte und frische Gemüse erhielten.

Ebenso wenig kann der Seeluft der Vorwurf gemacht werden, den Scorbut zu erzeugen. Neuere Forschungen haben vielmehr dargetan, dass sie die wohltuendsten Wirkungen auf die Gesundheit übt.

Kälte und Feuchtigkeit verschlimmern allerdings die einmal ausgebrochene Krankheit, doch sind auch ihre Wirkungen bedeutend überschätzt worden, und ist der Umstand, dass Flotten in warmen Gewässern fast ganz vom Scorbut verschont blieben, wohl mehr dem Überfluss an Orangen und anderen saftreichen Früchten zuzuschreiben, als dem warmen trockenen Klima.

Der Scorbut kann in allen Klimaten vorkommen, ob am Lande, ob auf der See, ob bei frischen oder gesalzenen Nahrungsmitteln und bei der größten Reinlichkeit, aber eine Ursache ist immer bei der Krankheit vorhanden und die ist „der anhaltende Mangel an saftigen Gemüsen und Früchten oder deren präservierten Säften als Nahrungsmittel“. Fehlen diese Speisen, so entsteht Scorbut bei Leuten der verschiedensten Konstitutionen und Beschäftigungen, während noch kein Scorbutfall vorgekommen ist, wo die Leute durch Vegetabilien und Früchte Abwechslung in die tägliche Nahrung brachten. So erklärt sich das Auftreten der Krankheit im Winter und ihr Verschwinden im Sommer und unter den andern oben angegebenen Verhältnissen. Das beste Mittel zur Verhütung derselben giebt sich daher von selbst an die Hand. Der Genuss von Apfelsinen, Zitronen, Limonen, Pampelmusen und anderen orangenartigen Früchten wird nie den Scorbut zum Ausbruch kommen lassen. In Ermangelung der Früchte wirken deren Säfte, die man durch Zusatz von Cognac in dem Verhältnisse von einem Teile Cognac auf 10 Teile Saft auf lange Zeit haltbar machen kann, ebenso günstig. Die Herstellungskosten solcher Säfte sind nur gering, da das Quantum selbst auf sehr langen Reisen nicht groß zu sein braucht. Erst wenn frische Gemüse, wie Kartoffeln, Zwiebeln, Kohl, Rüben, Rettig, Kresse, Sauerampfer und Scorbutgras entweder verbraucht oder durch Zeit und klimatische Einwirkungen verdorben sind, hat man jenen Saft zu verabreichen. Auch der in Deutschland allgemein bekannte Sauerkohl ist ein vortreffliches Nahrungsmittel, um den Scorbut zu verhindern, und unter dem Namen „Sour-krout“ in der Englischen und Amerikanischen Marine eingeführt.

Alle angeführten Mittel haben eine bei weitem stärkere Wirkung, wenn sie roh genossen werden, als wenn sie gekocht sind, und wird dieselbe durch den Gebrauch gegohrener Getränke bedeutend erhöht, wie denn überhaupt Bier und Wein (Spirituosen weniger) bedeutenden Schutz gegen die Krankheit gewähren. Merkwürdigerweise hat Essig nicht die erwarteten Erfolge, obgleich man früher gerade der Säure der Früchte die heilsamen Wirkungen zuschrieb und dieselben daher auch in dem Essig zu finden glaubte. Frisches Brot und Fleisch gehören nicht zu den Mitteln gegen Scorbut, wie denn jede animalische oder mehlhaltige Speise denselben zu befördern scheint.

Die ersten Zeichen des Scorbuts bestehen meistens in Veränderung der Gesichtsfarbe, die ihr gesundes Aussehen verliert und bleich und matt wird. Dazu gesellt sich Niedergeschlagenheit, Widerwille gegen jede Bewegung, schnelles Ermüden und Schmerzen in Schenkeln und Waden, wie sie durch Überanstrengung entstehen. Das Zahnfleisch wird schwammig und geschwollen, nimmt eine dunkelrote Farbe an, besonders wo es mit den Zähnen in Berührung kommt, und blutet bei der geringsten Berührung.

Auf der Haut, namentlich an den Schenkeln und Hüften, bisweilen auch am Oberkörper und den Armen, erscheinen kleine runde rote Flecke, die allmählich bis zur Größe einer Hand zunehmen und sich grün, blau und gelb färben, auch wie Stoss-Beulen anschwellen.

Ein anderes Zeichen von Scorbut ist das Anschwellen der Wade und der Hinterbacke eines oder beider Beine, welches eine Steifigkeit des Kniegelenks nach sich zieht. Diese geschwollenen Teile sind bei jeder Bewegung sehr schmerzhaft, und kann man mit dem Finger keinen Eindruck machen. Die Haut behält bisweilen ihre gewöhnliche Farbe, nimmt aber gewöhnlich die Färbung einer Beule oder Quetschung an.

Ist die Krankheit weiter vorgeschritten, so wird die Gesichtsfarbe gelb und bräunlich, das Zahnfleisch schwillt mehr und wird schwarz-gelb, wobei es öfter schwarze schwammige Klumpen absetzt, die die Zähne gänzlich bedecken. Letztere selbst werden lose und fallen häufig von selbst aus, und die allgemeine Schwäche wird so groß, dass die geringste Anstrengung, selbst nur aufrechtes Stehen, Atemlosigkeit und Zittern, ja sogar beunruhigende Ohnmachtsanfälle hervorruft.

Über die Behandlung der Kranken ist nach dem Vorstehenden wenig zu sagen. Die Hauptsache ist, ihnen genügende Quantitäten der oben erwähnten antiscorbutischen Nahrungsstoffe zu geben, wobei Früchte vorzuziehen sind. Sollten die Zähne zum Kauen untauglich sein, gebe man dem Kranken zwei oder drei Tage dünne Milchspeisen, die mit vegetabilischen Stoffen und Fruchtsäften durchgekocht sind. Ist die Krankheit weniger schwer, so gebe man frische Fleischspeisen und besonders unter den Gemüsen Salate, so wie mäßige Rationen Wein, Porter oder Ale.

Man vermeide bei Scorbutkranken jeden Aderlass, selbst wenn Fieber oder starke Schmerzen einen solchen wünschenswert erscheinen lassen sollten, da in einem vorgeschrittenen Stadium der Krankheit der Patient denselben schwerlich überleben würde. Ebenso müssen keine Zugpflaster angewendet werden, da sie leicht kalten Brand erzeugen, und darf unter keiner Bedingung Quecksilber gegeben werden, da mehrere Beispiele bewiesen haben, dass schon sehr geringe Portionen den Tod herbeiführten.

Wir hoffen, dass Vorstehendes dazu beitragen möge, diese schreckliche Krankheit, die in neuerer Zeit auch auf Deutschen Schiffen mehrere Opfer gefordert hat, mit der Zeit für immer zu vertreiben.

Hansa 1865

Hansa 1865