Russisches Leben – 13. Die Mongolen und ihre Herrschaft in Russland

Aus: Russisches Leben in geschichtlicher, kirchlicher, gesellschaftlicher und staatlicher Beziehung. Nebst Reisebildern aus Russland während des ersten Erscheinens der Cholera.
Autor: Simon, Johann Philipp (?-?), Erscheinungsjahr: 1855
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, russische Geschichte, Mongolen, Chan, Tartaren, Horde
Eines Nachmittags kam ich in Twer an. Nachdem ich ein wenig ausgeruht hatte, ging ich die Stadt, welche etwa 74 Meilen von St. Petersburg und 25 Meilen von Moskau entfernt liegt und historisch merkwürdig ist, in Augenschein zu nehmen. Twer und sein Gebiet erinnert ganz besonders an die tiefste Erniedrigung, die Russland je erlebt hat, nämlich an die Unterjochung der Russen durch die Mongolen, an das schauderhafte Wüten dieser Barbaren und an die grässlichen Todesurteile, welche ihre Chane in den Zelten auf den Steppen Asiens, wohin sie die russischen Fürsten vor Gericht forderten, über diese aussprachen und an ihnen vollstrecken ließen; zugleich aber auch an die unseligen Zwistigkeiten der russischen Teilfürsten, welche doch, nach Jaroslaws mündlicher Ermahnung und kraft seines Testamentes dem Großfürsten untergeordnet sein sollten, ihn statt dessen aber befehdeten und wenn er umgekommen war, sich teils wie Räuber, teils wie Übermütige und Ränkesüchtige um einen Thron mit einander stritten. Auf diese Weise dauerten die Bruderkriege selbst während der schmählichen Knechtschaft, wo doch Einigkeit mehr als je not getan hätte, ununterbrochen fort. Der schwächere der streitenden russischen Fürsten suchte den stärkeren beim Chan zu verleumden und brachte es vermittelt reicher Geschenke dahin, dass dieser ihm ein Heer von Barbaren gab, um seinen Feind zu schlagen, mithin auch das eigene Vaterland zu verwüsten. Wie lehrreich ist doch die russische Geschichte für jede Nation, der es an Einheit gebricht! Und wäre ein Volk noch so mächtig, ohne solide Einheit muss es untergehen!

Die Mongolen, ein den östlichen Türken stammverwandtes Volk, durchschwärmten nach Nomadenweise die Heidenländer der jetzigen chinesischen Tatarei. Dieser wilde, in einzelnen Horden lebende Stamm nährte sich von der Jagd, der Viehzucht und vom Raube, und stand unter der Botmäßigkeit der im nördlichen Sina herrschenden niudischen Tataren. Der Chan dieses Volkes, Jesukai Bajadur, eroberte im zwölften Jahrhundert unserer Zeitrechnung einige benachbarten Gebiete und machte sich durch seine Siege furchtbar. Bei seinem frühzeitigen Tode hinterließ einen dreizehnjährigen Sohn, Namens Dämudschin, und 40.000 ihm untertänige Familien oder Lehnsleute. So erzählt Karamsin, der berühmte russische Historiograph, dessen Geschichtswerk wir bei unsern kleinen historischen Betrachtungen zum Grunde legten. Was die Abstammung der Mongolen betrifft, so hat Karamsin, wie auch mancher andere Schriftsteller sich nicht deutlich genug ausgedrückt; denn die Mongolen sind nicht bloß kein den Tataren und Türken stammverwandtes Volk, sondern sie gehören auch nicht zu der kaukasischen Rasse, zu welcher diese letzteren gerechnet werden. Die Mongolen haben ein flaches Gesicht, kleine Augen und flach ausgefüllte, gegen die Nase zu ein wenig schief abwärts laufende Augenwinkel, hervorstehende Backenknochen und große abstehende Ohren, wie alle Völker, z. B. die Kalmüken, Chinesen, Lappen und Japaner, die man zu dieser Menschenrasse zählt.

Die Tataren sind ein Nebenstamm des großen Hauptstammes der Turks und werden bekanntlich zur kaukasischen Menschenrasse gerechnet. Sie kommen in den chinesischen Annalen des neunten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung zuerst unter dem Namen Tata vor. Tata hieß ein Stamm der Mongolen, der in der Tatarei wohnte, welches Land seinen Namen von ihnen erhielt und mit der Zeit auch zum Völkernamen der eigentlichen Tataren dadurch wurde, weil diese letzteren die Mehrzahl der Bewohner dieses Landes ausmachten. Karpin, päpstlicher Gesandter an den Groß-Chan Oktai behauptet, der Name Tatar komme von einem Fluss her, der diesen Namen führt. Die Tataren hatten ihre ursprünglichen Wohnsitze im Osten am oberen Amur, welcher Fluss in der Nähe von Nartschinsk in Sibirien entspringt, wurden aber später, im dreizehnten Jahrhundert, in die westlicheren Gebirge verdrängt und von eben jenem Dämudschin unterjocht. Dieser war ein echter Mongole, wie er sich und sein Volk selbst nannte. Und seitdem kam der Name geschichtlich in Gebrauch. Da die meisten seiner Familien oder Lehnsleute aus eben jenen ihm unterworfenen Tataren bestanden, und da er sie auf allen seinen Eroberungszügen vorausschickte, wo sie die Schrecken seiner Annäherung verbreiteten, so wurden sie auch von andern Völkern nicht nur mit diesem Namen benannt, sondern auch, ihrer wahren Abstammung zuwider, mit ihren Unterjochern für gleichbedeutend gehalten. Dass die Mongolen und Türkenstämme schon im zehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung neben einander wohnten, wie oben gesagt, mag auch mit dazu beigetragen haben.

Wie ein schlichter Hirte wurde der Knabe Dämudschin erzogen; aber das ewige unerforschliche Geschick der Völker hatte beschlossen, dass er, ein zweiter Alexander, Reiche umstürzen und gründen sollte: es war der berühmte Dschingis-Chan, der fast ganz China eroberte und später das ganze zivilisierte Europa in Schrecken setzte. Als sich mehrere seinem Vater unterworfenen Tatarenhorden von seiner Herrschaft wieder losreißen wollten, zog der junge Dämudschin 30.000 Kriegsleute zusammen, rückte den Aufständischen entgegen, schlug sie und ließ die meisten ihrer Hauptanführer in siebzig Kesseln lebendig sieden. Ein Vornehmer aus seinem Heere wollte ihn einmal mit dem Schwerte durchbohren, es misslang und der Verwegene wurde niedergemacht. Dämudschin ließ seinen Schädel in Silber einfassen und bediente sich desselben als Trinkgeschirr. Dieser, zu einem Pokal gemachte Schädel sollte für die ganze Tatarei ein Denkmal von Dämudschins Zorne sein.

Bald darauf trat, der Sage nach, ein Seher oder Einsiedler unter das Heer des Mongolen-Chans, der im Lager war und erklärte: „Der große Gott im Himmel hat mir offenbart, dass er Dich, Dämudschin, zum Herrn über alle Länder auf Erden gemacht hat und dass Du dieser halben heißen sollt: Dschingis-Chan!“ (d. i., König aller Könige.) Darauf nahm der junge Held diesen Namen an, der auch in der Geschichte der übliche wurde. Er verweigerte dem Groß-Chan der Tataren den ferneren Tribut, schlug ihn in einer Schlacht und unterwarf sich noch mehrere Tatarenstämme. Mohamed II, Beherrscher der Türken, der einen großen Teil von Persien und der großen Bucharei inne hatte und sich einen zweiten Alexander nennen ließ, befahl die Gesandten Dschingis-Chans, die zu ihm gekommen waren, ihm die Freundschaft ihres Herrn anzubieten, zu ermorden.

Dschingis-Chan ergrimmte darüber vor Zorn und verfolgte ihn mit dem Schwerte. Am Ende trieb die Verzweiflung den hochmütigen und grausamen Mohamed auf eine kleine Insel im Kaspischen Meere, wo er vor unbefriedigter Wut den Geist aufgab. Gegen das Jahr 1223 wollte Dschingis-Chan sich auch der Westküste des kaspischen Meeres bemächtigen und übertrug diese Eroberung zweien seiner tapfersten Heerführern. Diese brachen mit ihren Heeren durch den nördlichen Kaukasus in Russland ein, schlugen jene historisch merkwürdige Schlacht an der Kalka mit den Russen, blieben Sieger, legten viele russische Dörfer und Städte in Asche und kehrten plötzlich wieder nach Asien zurück, freilich, um später wieder zu kommen und ihre Herrschaft unter schrecklicher Verheerung länger als zwei Jahrhunderte hindurch daselbst zu begründen.

Dschingis-Chan starb 1227. Er hatte seinen Sohn Oktai zu seinem Nachfolger erwählt. Dieser beauftragte seinen Neffen Baty, Russland zu erobern. Im Jahre 1237 erschien der raubsüchtige und blutgierige Mongole mit einer ungeheuren Masse von Barbaren an der Wolga. Durch die dichtesten Wälder hatten sie sich einen Weg gebahnt, und waren in dem südlichen Teile des heutigen Rjäsan’schen Gebietes eingebrochen. Baty schickte ein Weib als Gesandtin zu den in diesem Gebiete regierenden Fürsten, um ihnen den Frieden unter der Bedingung anzubieten, dass sie ihm den Zehnten von allem ihrem Hab und Gut gäben. Die Fürsten wiesen das Weib mit dem Bescheide ab, dass sie nichts gäben. Die Gesandtin begab sich jetzt mit ihren Begleitern nach Wladimir, wo der Großfürst Georg regierte, der unterdes von den Rjäsan’schen Fürsten um Hilfe angerufen worden war. Dieser, hochmütig auf seine Macht, beschloss die Barbaren ohne Beihilfe der andern russischen Fürsten, mit denen er in keinem guten Einverständnis lebte, zu vertreiben. Es ist eine geschichtliche Wahrheit, dass, wenn ein großes Unglück einen Staat traf, Hochdünkel und Verblendung des Regenten schuld daran war. Zwei Schlachten, welche die Mongolen gewannen, die an der Kalka und die am Sit, (1224–1237) waren entscheidend für das Schicksal Russlands. Der Großfürst selbst war dabei umgekommen. (1237). Die Städte Rjäsan, Wladimir, Tschernigow und andere waren in Asche gelegt, nur Kiew war noch zu besiegen. Aber im Jahr 1240 erlitt auch diese Stadt dasselbe Schicksal. Wir werden am geeigneten Orte ein Bild von dem Sturm der Mongolen auf Kiew geben.

So wurde Russland durch diese Barbaren verheert. Gleich einem allgemeinen Feuerstrome hatte sich zur selben Zeit allgemeines Missgeschick von den östlichen Grenzen bis zu den westlichen rasch über dasselbe verbreitet; es schien, als hätten Pest, Erdbeben, Hungersnot und alle Schrecknisse der Natur zu gleicher Zeit das Land von der Oka bis zum San verwüstet. Doch der einzige Staat G-Nowgorod hatte sich in diesen Stürmen der Zeit nicht nur aufrecht erhalten, sondern die Blüte seines Handels und seiner Macht erreichten grade in dieser Periode des unbeschreiblichen Unglücks, welches das übrige Russland traf, ihren höchsten Glanz. Seine sumpfige Gegend, und sein tapferes Heer, an dessen Spitze der vom Kriegsglücke begünstigte junge Fürst Alexander Newskij stand, schreckten Baty ab, als er gegen Nowgorod zog, um die unermesslichen Reichtümer, die hier aufgehäuft lagen, zu rauben und die Stadt in Asche zu legen. So zog er von hier weiter und verwüstete alle andere russische Gebiete.

Ein russischer Annalist sagt: „Gleich einem grimmigen Ungeheuer verschlang Baty ganze Länder. Die tapfersten Fürsten fielen in den Schlachten, andere irrten in der Fremde umher. Mütter beweinten die vor ihren Augen von tatarischen Rossen zertretene Kinder, Jungfrauen ihre geraubte Unschuld. Viele derselben stürzten sich in das Schwert, andere in die Fluten der Ströme, um das Elend ihres verwüsteten Vaterlandes und ihre eigene Schmach nicht länger zu sehen. Die Frauen und Töchter der vornehmsten Bojaren wurden in die Sklaverei geführt, wo sie die niedrigsten Arbeiten der Sklavinnen verrichten mussten.“ –

Baty hatte ganz Russland, mit Ausnahme des Freistaats Groß-Nowgorods, zinsbar gemacht, Ungarn, Kroatien, Serbien, die Bulgarei längs der Donau, die Moldau und Wallachei erobert und ganz Europa zittern gemacht, als er, zum Erstaunen und zur Freude aller Fürsten des Abendlandes an die Wolga zurückkehrte. Hier nahm er den Titel eines Chans an und befestigte seine Herrschaft über Russland, über Taurien und den Kaukasus, die Wohnsitze der Polowzer und anderer Türkenstämme und über das ganze Land zwischen dem Ausflusse des Don und der Donau. Er nahm den Titel Chan an und gab seinem siegreichen Heere den Namen: „Goldene Horde.“ Sonst aber wurde das Hoflager der Groß-Chane, ein Zelt in den Steppen Asiens so genannt, weil die Pfosten dieses Zeltes mit Goldblech beschlagen waren. Nunmehr berief der neue Chan den Großfürsten Jaroslaw II. Wsewolodowitsch, der dem hochmütigen Georg in der Regierung gefolgt war, zu sich ins Lager. Jaroslaw musste gehorchen. Von vielen Bojaren begleitet, reiste er dahin, während er seinen Sohn in die Tatarei zum Groß-Chan Oktai schickte, der durch großes Gepränge grade die Eroberungen von China und Russland feierte. Baty nahm den Großfürsten mit Hochachtung auf und belehnte ihn mit dieser Würde, denn von nun an waren die Mongolen- oder Tataren-Chane die Lehnsherrn der russischen Fürsten. So beugten diese ihren Nacken unter das Joch der fremden Barbaren. Jaroslaw 1I. starb 1246. Die Tataren verzeichneten alle Einwohner Russlands, vom Landmanne bis zum Bojaren, um ihnen eine Kopfsteuer aufzulegen. Juden und andere gewinnsüchtige Ausländer pachteten in der Folge diese Kopfsteuer und entrichteten das Geld im Voraus. Dadurch aber wurde der Leidenskelch der armen Russen bis zum letzten Tropfen voll. Denn diese schändlichen Pächter rieben nun die Steuer unter der größten Bedrückung des Volkes ein. Die russischen Fürsten mussten ihnen ihre Leibwache zur Bedeckung mitgeben. Wer nicht zahlen konnte, wurde von den Pächtern fortgeschleppt und in die Sklaverei verkauft. Die Bruderkriege hatten damals schon das Land länger als ein Jahrhundert hindurch verwüstet und das ohne hin so arme Volk förmlich zu Bettlern gemacht. Wie war es daher möglich, dass die Armen den Tribut entrichten konnten? So mussten sie Sklaven der Barbaren werden.

Wie die Mongolen es in dem eroberten China machten, so machten sie es auch in Russland; sie ließen nämlich den staatlichen Organismus bestehen; denn das Volk blieb unter der Herrschaft seiner Fürsten, und die Religion tasteten sie nicht an, im Gegenteil, sie erteilten der russischen Geistlichkeit die ausgedehntesten Privilegien. Dies beweist ein Jarlük oder Freibrief des Chans Usbek. Er lautet, nach Karamsin, also:

„Durch des Allerhöchsten und unsterblichen Gottes Willen und Kraft, durch seine Größe und Gnade, Usbeks Befehl an alle großen, mittlere und niedere Fürsten, Feldherren, Schriftkundigen, Baskaken (tatarische Statthalter), Schreiber, durchreisende Gesandte, Falkenieren und Jäger in allen unsern Lagern und Ländern, die durch des unsterblichen Gottes Macht in unsere Gewalt stehen, und in denen unser Wort herrscht: Es tue Niemand in Russland der Hauptkirche, den Metropoliten und seinen Leuten, den Archimandriten, Prälaten und Priestern usw. ein Leid an! Ihre Städte, Gauen, Dörfer, Länder, Jagdbezirke, Bienenstöcke, Wiesen, Wälder, Weinberge, Gärten, Mühlen und Meiereien sollen frei sein von allen Abgaben und Zöllen; denn Alles dieses ist Gottes! Und diese Männer helfen uns durch Gebet und verschaffen unserem Herrn Stärke. Sie sollen daher lediglich unter der Gerichtsbarkeit des Metropoliten stehen, gemäß ihrer alten Satzungen und zufolge der Befehle früherer Chane, Unserer Vorgänger in der Horde. Der Metropolit soll ein ruhiges und stilles Leben führen, damit er mit frommem Herzen und ohne Sorgen und Kummer zu Gott für uns und unsere Kinder beten könne. Wer der Geistlichkeit Etwas abnimmt, zahlt das dreifache; wer es wagt, den russischen Glauben zu tadeln, wer Kirchen, Klöster und Kapellen verunglimpft soll des Todes sein.

Geschrieben im Hafenjahre und ersten Herbstmonate am vierten Tage nach der Abnahme des Mondes.“ –

Die Mongolen glaubten an Gott, den Schöpfer des Weltalls, der die Menschen nach ihren Verdiensten belohne; aber ihren Götzen, die sie sich aus Filz und Seidenzeug machten, brachten die Opfer, indem sie dieselben für Beschützer ihres Viehes hielten; sie beten die Sonne an, das Feuer und den Mond, den sie den großen König nannten, und beugten die Knie, indem sie das Gesicht gen Süden richteten. Aber Berka-Chan nahm im Jahr 1270 die Mohamedanische Religion an, und ein Beispiel war für einen großen Teil der Mongolen Gesetz. Dadurch wurde das Unglück der unterjochten Russen größer, als es bisher war; denn dieses Volk, früher wirklich tolerant, zeichnete sich nunmehr durch Feuereifer für die Göttlichkeit des Korans aus. Roman, Fürst von Rjäsan, der unvorsichtiger Weise mit Verachtung von dem Koran sprach, war das erste Opfer dieses Feuereifers.

Der Zyklus der Mongolen bestand aus 12 Jahren, von denen jedes den Namen eines Tiers hatte. Das erste Jahr hieß: Maus, das zweite: der Ochse, das dritte: der Lux und so weiter: der Hase, das Krokodil, die Schlange, das Pferd, das Schaaf, der Affe, das Huhn, der Hund, das Schwein.

Das Kaptschakaer Reich, welches Baty gründete, bereitete sich nach und nach seinen Untergang, durch Verwirrung, Verrat und Mordtat, und einen großen politischen Fehler, von dem wir sogleich reden werden.

Mongolische Heerführer ermordeten die Chane und bemächtigten sich der Oberherrschaft; diese wurden dann wieder ermordet: Der tatarische Feldherr Chidyr erschlug Nawrus Chan und Tschanibeks Witwe, des früheren Chans Taidula und machte sich zum Groß-Chan. Bald darauf aber wurde auch er von seinem eigenen Sohne ermordet, und so ging das Morden fort, dass die russischen Fürsten manchmal nicht wussten, wer ihr eigentlicher Lehnsherr oder Tyrann war.

Baty selbst beging den größten politischen Fehler, und seine Nachfolger ahmten ihm darin nach, den Fehler nämlich, dass er die großfürstliche Würde nicht bloß bestehen ließ, sondern ihr auch die Teilfürsten, unterordnete. Es ist unbegreiflich, wie der schlaue Mongole diesen großen Fehler begehen konnte, und wie alle seine Nachfolger denselben nicht wieder gut zu machen strebten: denn eben dadurch, dass die Teilfürsten dem Großfürsten nicht untergeordnet sein wollten, und sich drei Jahrhunderte hindurch gegen ihn auflehnten, entstanden die Bruderkriege, dauerten dieselben fort, wodurch es dem äußeren Feinde leicht wurde, das uneinige, zerstückelte Land zu unterjochen. Durch die Macht aber, welche die Chane den Großfürsten erteilten, musste es endlich einem dieser letzteren gelingen, alle Teilfürstentümer unter Ein Zepter zu bringen, und so die Einheit Russlands wieder herzustellen.

Aber während der Mongolen Oberherrschaft begingen die russischen Fürsten, die größten Gräueltaten, sie befehdeten sich beständig unter einander, jeder trachtete nach der Großfürstlichen Würde, weil sie wussten, dass der Chan denjenigen als Großfürst anerkennen würde, der ihm die meisten und kostbarsten Geschenke machen könnte; sie verleumdeten sich gegenseitig und appellierten in ihren Zwistigkeiten sogar an den Chan, der sich dann nicht selten in den grausamsten Todesurteile gefiel, die er über die Schuldigen und Unschuldigen aussprach, und die er in der Horde, wohin er die Zänker berief, vollstrecken ließ.

Dieses mag wohl Veranlassung zu dem alten russischen Sprichworte gegeben haben: „Nahe beim Zaren, nahe beim Tod.“ Die Mongolen-Chane nannten sich Zaren. Indes mag auch wohl die Grausamkeit Johanns des Schrecklichen, der nicht selten eine Bojaren in mitten der Fröhlichkeit bei Tafel mit seinem eisernen Stabe erschlug, dieses Sprichwort veranlasst haben. Die russischen Souvrains gingen mit solchem Gefühl in die Horde zu ihrem Oberhaupte, wie der Verbrecher zum Hochgericht. Denn glücklich konnte der sich preisen, dem es die Gnade des Chans gestattete, zurückzukehren und mit dem Leben davon zu kommen. Als Johann Danijlowich, Fürst von Moskau, von dem wir bald ein Mehreres sagen werden, in die Horde reiste, verteilte er die Erbschaft unter seine drei Söhne. „Da ich nicht weiß“, sagt er in seinem Testamente, „was der Allerhöchste mit mir in der Horde, in die ich reise, bereitet hat, so hinterlasse ich dieses Testament usw..“ – Der Großfürst Michael von Twer und seine beiden Söhne, fielen als Opfer der schändlichsten Verleumdung.

Bei den alten Russen und zwar bis ins 15. Jahrhundert hinein, gehörte die Krone immer dem Ältesten, d. h. der Bruder folgte dem Bruder auf dem Herrscherthrone. Waren z. B. die Brüder einander bis auf den letzten gefolgt, so gehörte nach dessen Tode das Zepter nicht dem Sohne dieses letzteren, sondern seinem Neffen, d. h. dem ältesten Sohne des ältesten der Brüder. Wo also Brüder waren, die Söhne hatten, folgte immer der Neffe dem Oheim in der Regierung, nie der Sohn dem Vater. Dieses wunderliche Gesetz der Thronfolge gab aber nicht selten Anlass zu den blutigsten Bruderkriegen.

Nach dem Tode des Großfürsten Andreas erklärten sich zwei Fürsten für seinen Nachfolger: Michail von Twer und Georg Danijlowitsch von Moskau, der erstere mit größerem Recht als der andere, denn Michail war Georgs Oheim, folglich im Geschlechte der älteste; sein Recht war unbestreitbar. Die Bojaren des Großfürstentums eilten nach Twer, um Michail als Großfürsten von Wladimir zu bewillkommen. Georg aber protestierte dagegen, und so reisten beide Zänker zum Chan Tochta, um ihm den Streit zur Entscheidung vorzutragen; verließen aber Russland in Uneinigkeit und Aufruhr, denn einige Fürsten hatten sich für Michail, und andere für Georg erklärt. Michail trug indes den Sieg davon und kehrte mit dem Bestätigungsschreiben des Chans in sein Fürstentum Twer zurück. Nun kam es zwischen den Moskowitern und Twerern zum Kriege. Da starb der Chan Tochta und sein Sohn Usbek, derselbe, der jenen Jarlük oder Freibrief kund tun ließ, folgte ihm in der Regierung. Michail musste also wieder in die Horde reisen, um auch die Bestätigung des neuen Chans zu erhalten. Hier angekommen, behielt ihn der Chan zwei Jahre bei sich in der Horde, was schon ein schlimmes Zeichen für ihn war, und schlimme Folgen für das Land hatte. Denn die Schweden fielen unterdessen in Karelien ein und töteten viele Russen, und die benachbarten Städte murrten über das lange Ausbleiben des Herrschers. Georg benutzte dieses Alles und brachte es sogar dahin, dass Groß-Nowgorod ihn als seinen Statthalter, der immer wie ein rein konstitutioneller Fürst in diesem Freistaat zu herrschen und in Kriegszeiten den Oberbefehl über das Heer zu führen pflegte, anerkannte, obgleich dieses fürstliche und sehr einträgliche Amt, gemäß alter Sitte, dem Großfürsten selber gehörte.

Georg bestieg also den berühmten Thron der heiligen Sophie zu Groß-Nowgorod. Chan Usbek aber berief den Usurpator in die Horde. Michail trug auch diesmal den Sieg über seinem Nebenbuhler davon, noch ehe dieser in der Horde angekommen war und kehrte, von vielen Edlen aus dem mongolischen Heere begleitet, nach Twer zurück. Hier angekommen, erklärte er den Nowgorordern den Krieg und zog gegen sie zu Felde. Doch bald versöhnte er sich mit ihnen und ward ihr Statthalter. Georg war aber bald mit einer Menge von kostbaren Geschenken in der Horde angekommen, was dem Chan so sehr gefiel, dass er ihm seine Lieblingsschwester zur Gemahlin gab, welche in der Taufe den Namen Agasia erhielt. Jetzt war der Untergang Michails beschlossen. Georg kehrte mit einem großen Mongolen-Heere, an dessen Spitze ein entschiedener Feind Michails, Namens Kawgady, stand, nach Russland zurück und fiel in das Twerische Gebiet ein. „Sei Großfürst, wenn es der Chan haben will, nur lasse mich in Ruhe mein Erbteil Twer beherrschen“ ließ Michail ihm sagen. Allein Georg antwortete damit, dass er mehrere Städte und Dörfer dieses Gebietes verwüstete.

Da hielt Michail einen Rath. Die Bojaren wie die Geistlichkeit rieten ihm, das Schwert der Gerechtigkeit gegen Georg zu führen. An der Spitze seines Heeres traf Michail mit dem Feinde sechs Meilen vor Twer zusammen. Der Großfürst schien den Tod im Gewühl der Schlacht gegen den überlegenen Feind zu suchen, ein Helm wie ein Brustharnisch waren zerschlagen; doch er selbst blieb unversehrt und trieb den Feind in die Flucht. Georgs Gemahlin, seinen Bruder Boris und den Hauptanführer der Tataren, Kawgady, nahm er nebst vielen Andern gefangen. Die drei Hauptpersonen behandelte der Großfürst mit einer ihrem Stande gebührenden Achtung, ja, er bewirtete sie sogar wie Freunde. Diese Großmut schien den Tatarenfeldherrn zu rühren, denn er sagte: „Wir haben dem Befehle des Chans zuwider gehandelt, der nicht gewollt, dass wir in die Twerischen Lande einfallen sollten. Der Fürst von Moskau allein ist schuld an diesem Frevel.“ – Großmütig entließ Michail ihn mit reichen Geschenken für Usbek. Und dieser Schändliche wurde bald darauf der Mörder des edlen Fürsten! Nun schloss Michail mit Georg Frieden. In dem Vertrage wird dieser letztere, Großfürst genannt, weil er den Bestätigungsbrief für diese höchste Würde vom Chan mitgebracht hatte.

Unglücklicher Weise starb Georgs Gemahlin plötzlich und es ging das Gerücht, welches der Fürst von Moskau selbst verbreitet hatte, Michail habe sie vergiftet. Jener reiste mit dem Tatarenfeldherrn sogleich in die Horde zum Chan. Michail, der auch dahin berufen wurde, zögerte mit der Abreise. Endlich machte er sich auf den Weg, begleitet von seinen zwei Söhnen und vielen Bojaren. Mehrere Widerwärtigkeiten, die ihm auf der Reise begegneten, schienen eingetreten zu sein, um ihn zur Rückreise zu bewegen. Aber vergebens bemühten sich die Seinigen, diese Zeichen des Himmels zu beherzigen, denn sein unerbittliches Schicksal trieb ihn in die Horde. „Wir allein können die Ungläubigen nicht besiegen, der Chan fordert mich und ich willfahre einem Befehle“, sagte er und eilte seinem Verderben entgegen.

Michail traf mit dem Chan Usbek am Kaspischen Meere, am Ausfluss des Don zusammen. Er überreichte ihm und seiner Gemahlin reiche Geschenke. Einige Wochen darauf befahl der Chan den Streit zwischen den beiden Fürsten zu schlichten. Das Gericht war aus Michails persönlichen Feinden, unter denen sich auch der schändliche Kawgady befand, zusammen gesetzt. Der Prozess erinnerte an den des Sokrates mit den Sophisten. Der unglückliche Michail ward gebunden vor Gericht geführt und allerlei Verbrechen angeklagt, zu denen auch das gerechnet wurde, dass er das Schwert gegen den Gesandten der Tataren geführt hätte. „Ich habe nur das Schwert gegen Feinde gezogen, die in mein Land eingefallen waren, um es zu verheeren“, antwortete der Fürst. Dann wurde er angeklagt, die Gemahlin des nunmehrigen Großfürsten und Schwester des Chans, vergiftet zu haben u. dgl. Verleumdungen mehr. Alle Rechtfertigungsgründe verwarfen die boshaften Richter, und überlieferten den unglücklichen Fürsten der Wache, die ihn in schwere Ketten legte. Unterdessen zog Usbek auf die Jagd, begleitet von seinem ganzen Hofstaate und allen fremden Gesandten, die sich damals in der Horde befanden. Dieser Lieblingszeitvertreib der Chane dauerte in der Regel einen oder zwei Monate, und beurkundete auf eine außerordentliche Weise ihre Größe; einige hunderttausend Menschen, von denen jeder sein bestes Kleid an hatte und auf seinem besten Rosse saß, waren dabei tätig. Auf unzähligen Frachtwagen führten die Kaufleute Waren aus Indien und Griechenland herbei. Überfluss und Lustbarkeit herrschte in den geräuschvollen unübersehbaren Lagern, und die öden Steppen schienen Straßen volkreicher Städte geworden zu sein. Der unglückliche Fürst Michail wurde eingeschlossen, und mit einem schweren Klotze um den Hals belastet, auf dieser Jagd mit herum geschleppt. Des Nachts band man dem so schwer gefesselten Fürsten auch noch die Hände. Nachdem er so lange gepeinigt worden war, traten eines Tages die Henkersknechte in sein Zelt, warfen ihn zu Boden, traten ihn mit Füßen und schnitten dem Lebendigen das Herz aus dem Leibe. Seine Kleider wie all sein Hab und Gut von geringerem Wert gab man dem außerhalb des Zeltes harrenden Volke preis. Georg und der schändliche Kawgady standen an der Spitze ihrer Leibwache, welche die Menge Volkes in Schranken hielten.

So musste der edle unschuldige Fürst, wie auch viele seines Geschlechts vor und nach ihm, für die Unbesonnenheiten, Torheiten und Schlechtigkeiten seiner Vorfahren büßen. Die russische Kirche erkannte Michail von Twer als einen Märtyrer an und sprach ihn heilig. Er erlitt den Tod im Jahre 1319. Seine sterblichen Überreste wurden zuerst nach einer Stadt Namens Magiar, im heutigen kaukasischen Gouvernement gebracht, wo im neunten Jahrhundert die Ungarn ihre Wohnsitze hatten; später aber wurden sie in Moskau, im Kloster zum Erlöser beigesetzt, und einige Zeit nachher in der Kathedrale zu Twer begraben.

Chan Usbek war ein eifriger Verehrer des Koran und man rühmte auch sonst seine Gerechtigkeitsliebe, die er aber an dem unglücklichen Fürsten nicht bewiesen hat. Gewiss ist indes, dass der schändliche Kawgady ihn verwirrte und nicht eher ruhte, als bis er das schreckliche Todesurteil bestätigt hatte.

Die Mongolen, einst in den schneebedeckten Steppen der Tatarei furchtbar durch ihre Rohheit, veränderten ihren Charakter an den Ufern des schwarzen Meeres, am Don und an der Wolga, wo sie den Luxus kennen lernten, den ihnen der Handel mit dem gebildeten Europa und Asien verschaffte. Schon hatten die Gefahren der Schlacht nicht mehr den alten Reiz für sie, und desto mehr ergaben sie sich jetzt der Weichlichkeit und der rohen Schwelgerei. Bei solchen Neigungen musste das Gold ihr vornehmster Abgott werden. Die früheren Chane und ihre Günstlinge strebten nach Ländereroberungen; Usbeks Kreaturen hingegen forderten Geschenke und verkauften ihres Herrn Gunst an den Meistgebenden.

Moskaus Fürsten, welche reiche und vom Handel belebten Provinzen besaßen, in denen sie große Abgaben erheben ließen, fanden in der Horde eifrige Freunde, da sie die unersättliche Habgier und den grenzenlosen Eigennutz des Chans befriedigen konnten.

Doch gab es wohl Stunden, in denen Usbek seine Ungerechtigkeit einsehen und die Bestätigung des schauderhaften Todesurteils bereuen mochte. Denn Dimitrij, der älteste Sohn Michails, wurde bald nach seines Vaters Tode vom Chan zum Großfürsten ernannt. Georg eilte daher wieder in die Horde, um ihm die Gunst Usbeks zu entziehen. Er traf den jungen Großfürsten hier im Zelt. Diesem war, als ob der Geist seines Vaters ihn umschwebe, und ihn zur Rache antreibe. Er stieß dem Verräter das Schwert in die Brust, dass Georg entseelt niedersank. Da dieses in der Horde vor den Augen des Chans geschah, brachten des Großfürsten Feinde es leicht dahin, dass Usbek das Todesurteil über ihn aussprach.

Dimitrij, 27 Jahre alt, wurde nun im Zelte des Chans enthauptet. Darauf verlieh Usbek dem andern Sohne Michails, Namens Alexander, den großfürstlichen Titel. Allein noch im selben Jahre, 1327, erschien in Twer Djudens Schewkal, ein Geschwisterkind des Chans, als Gesandter mit einem zahllosen Gefolge von Tataren, welche die Einwohner beraubten und plünderten. Die unglücklichen Twerer glaubten nun desto leichter dem Gerücht, das in Umlauf war, zufolge dessen die Tataren mit der Absicht gekommen seien, alle Russen samt ihren Fürsten zur Annahme der mohamedanischen Religion zu zwingen und Djudens Schewkal auf den großfürstlichen Thron zu setzen. Alexander glaubte selbst an dieses Gerücht. „Der Chan will mich und mein ganzes Geschlecht vertilgen“, sagte er in einer feierlichen Versammlung zum Volke, „aber die Zeit der Rache ist da!“ Am andern Tage (15. August 1327) zog der Großfürst an der Spitze eines Heeres den Tataren entgegen. Es entstand ein entsetzliches Blutbad. Von beiden Seiten wurde mit beispielloser Erbitterung vom Sonnenaufgang bis in die dunkle Nacht gemordet. Der Tatarenprinz flüchtete sich mit seiner Leibwache in die feste Burg des seligen Michail, aber Alexander ließ sie in Asche legen. So hatten alle Tataren, die hierher gekommen, mit Ausnahme der wenigen, die sich durch die Flucht retteten, ihren Tod gefunden. Als der Chan von dieser Niederlage seines Heeres Kunde erhielt, überfiel ihn Schrecken und Sorge, denn er glaubte, ganz Russland sei im Aufstande gegen ihn begriffen.

Listig, wie die Mongolen von jeher waren, berief Usbek den Fürsten von Moskau, Johann Dancillowitsch zu sich in die Horde und bot ihm den großfürstlichen Titel unter der Bedingung an, dass er die Twerer züchtige, und den nunmehrigen abgesetzten Alexander bewege, sich in der Horde vor Gericht zu stellen. Der Fürst von Moskau nahm diese Bedingung an, und zog an der Spitze eines eigenen Heeres, unterstützt durch 50.000 Mongolen, gegen das Fürstentum Twer. Auf dem Wege stieß auch noch Johann, ein susdalischer Fürst und treuer Diener des Chans, mit seinem Heer zu den Moskowitern und Mongolen. Twer und sein ganzes Gebiet wurde verwüstet und alle Einwohner durch Feuer und Schwert niedergemacht. Alexander war nach Pskow, der Hauptstadt des Freistaates gleichen Namens, geflüchtet, wo die Republikaner ihn freundlich empfingen und schwuren, ihn mit ihrem Leben zu schützen. Pskow war eine Republik wie Groß-Nowgorod. Nach jenem Werke der Verwüstung eilte der Großfürst mit dem jüngsten Bruder Alexanders, Namens Constantin, in die Horde. Usbek war voll der äußersten Freude. Er überhäufte Johann mit Gunstbezeugungen für diese Treue und Ergebenheit und belehnte Constantin mit dem twerischen Gebiete, dem alten Erbe seiner Ahnen. Nun verlangte aber der Chan vom Großfürsten, auch der andern Bedingung nachzukommen, nämlich den unglücklichen Alexander in die Horde zu treiben, wo er sich vor Gericht stellen sollte. Dieser aber befand sich in dem befestigten Pskow, woraus er nicht leicht zu vertreiben war, da die mächtigen Republikaner für ihn das Äußerte zu wagen geschworen hatten. Der Großfürst drohte, den ganzen Freistaat zu verwüsten, wenn die Pskower den geächteten Fürsten nicht in die Horde jagen würden. Die Republikaner aber antworteten ihm, er möge nur kommen, und so rüsteten sie sich schon zum Kampf. Allein Johann vermied den Krieg mit ihnen und verlangte, den ungehorsamen Alexander wenigstens auszuweisen. Aber auch dazu verstanden die Pskower sich nicht. Da geschah etwas, das bisher in Russland unerhört war. Auf Verlangen des Großfürsten sprach der Metropolit Feognost, ein herrschsüchtiger und habgieriger Kirchenhirt, den Bannfluch über Alexander und über alle Einwohner Pskows aus. Das war eine Folge der klugen Politik der Chane, welche die Geistlichkeit mit so vieler Achtung behandelten und ihnen die ausgedehntesten Freiheiten verliehen, während sie mit den Fürsten und Bojaren sehr tyrannisch umgingen. Wie sich der ganze Klerus in die schmähliche Unterjochung fügte und zufrieden damit war, beweisen die Annalisten, welche in der Regel der Geistlichkeit angehörten: sie legten dem Hingerichteten oder Verfolgten Alles zur Last, indem sie ihn der Unbesonnenheit und des Ungehorsams beschuldigten. Mit wenigen Ausnahmen nannten sie den, der mit dem Plane umging, das Volk von der fremden Zwingherrschaft zu befreien und dabei unglücklich war, einen Verderben bringenden, der das ganze Land dem Zorne eines mächtigen Tyrannen aussetze, und wer sich die Gunst des Chans zu erwerben und in den Bruderkriegen den Sieg über den Andern davon trug, nannten sie einen Wohltäter, der das Volk vor der Rache des Tyrannen rettete. So wurde von einem habsüchtigen Klerus das Volk in dem Zustande fremder Knechtschaft erhalten. Aber auch des Bannfluches spotteten die Pskower. Doch Alexander sprach zu ihnen: „Nicht um meines Wohles wegen ruhe der Fluch auf meinen Freunden und Brüdern; deshalb verlasse ich eure Stadt und spreche euch somit von dem Eide los, mit dem ihr euer Leben für mich zu lassen gelobtet.“ Darauf reiste er nach Litauen, wo Johann Gedimin herrschte, der ihn liebevoll aufnahm. Der Metropolit musste damit zufrieden sein und nahm den Bannfluch von den Pskowern wieder zurück.

Obgleich nun Alexander bei dem Könige von Litauen eine überaus freundliche Aufnahme gefunden hatte, so konnte er es in der Fremde doch nicht lange aushalten, denn er liebte sein Vaterland zu sehr. Daher beschloss er, sich auf Leben und Tod in der Horde zu stellen und reiste zum Chan. Demütig, aber würdig, wie es dem Manne geziemt, sprach er mit Usbek über Alles, was nötig war. Der schreckliche Chan fühlte Mitleid mit dem jungen Fürsten und sprach mit ihm sanftmütig und herablassend. Darauf wandte er sich zu den Großen seines Hofes und sagte mit Zufriedenheit: „Es wird dem Fürsten Alexander wegen seiner Unterwürfigkeit die Todesstrafe erlassen.“

Nachdem der Chan ihn mit Beweisen eines Wohlwollens überhäuft und ihn auch wieder mit dem Fürstentum Twer belehnt hatte, kehrte Alexander, voll der äußersten Freude in seine Hauptstadt zurück, die sich unter einer Sorgfalt und Tätigkeit bald wieder aus der Asche erhob. Er genoss nun eines süßen Friedens, der aber, leider, nur von allzu kurzer Dauer war.

Denn Johann, der Großfürst von Moskau, strebte mit List und Gewalt, alle russischen Fürstentümer unter ein Zepter zu vereinigen. Er setzte an mehreren Orten Beamten ein, welche das Volk, wie auch die Bojaren und andere Vornehmen außerordentlich drückten. Bald wurden viele lauten Klagen, namentlich im Gebiete Rostow, hörbar. Die Fürsten, in Gefahr, ihre Souveränität zu verlieren, benutzten die Unzufriedenheit des Volkes und verbündeten sich mit einander, um der im Wachsen begriffenen Gewalt Johanns Einhalt zu tun. Alexander und selbst Johanns Schwiegersohn, der Fürst Jaroslaw, waren unter den Verbündeten. Da raffte der Großfürst eine Menge kostbarer Geschenke zusammen und eilte damit, begleitet von seinen zwei jungen Söhnen in die Horde, wo er bei Usbek die Fürsten verschwärzte und ihre Verbindung als ein Werk bezeichnete, vermittelt dessen sie die Oberherrschaft des Chans in ganz Russland zu vernichten trachteten. „Diese aber“, sagte er, indem er seine zwei Söhne dem Chan vorstellte, „erziehe ich als deine zukünftige treue und zuverlässige Diener.“ Johann hatte ja dem Chan schon die sichersten Beweise seiner Untertänigkeit und Ergebenheit dadurch gegeben, dass er die Gebiete des Fürstentums Twer verwüstet. Der leichtgläubige in Weichlichkeit schwelgende Usbek, durch die Menge kostbarer Geschenke und die feierlichen Schwüre Johanns betört, geriet in Angst und Zorn über die verbündeten Fürsten. Er überhäufte den Großfürsten mit Gunstbezeugungen aller Art, und befahl den Teilfürsten, sich unverzüglich auf den Weg zur Horde zu begeben, indem er sie eines ganzen Wohlwollens versichern ließ. Johann reiste sogleich wieder nach Moskau zurück. Alexander aber zögerte mit der Abreise zur Horde, denn seine Gemahlin, alle seine Anverwandten und das ganze Twerische Volk hatten ihn beschworen, dem Befehle des Chans nicht zu willfahren. Da kam ein zweiter Befehl Usbeks, dem konnte der junge Fürst nicht widerstehen. „Ich ziehe hin, mag mit mir geschehen, was Gottes ewiger Ratschluss beschlossen hat“, sagte er und machte sich mit seinem Söhnchen Fédor und begleitet von mehreren Fürsten und vielen seiner Bojaren auf den Weg. Die Natur selbst schien ihn zu warnen, denn als er sich in seinem Schiffe befand, erhob sich ein heftiger Wind, der ihn, trotz aller Anstrengung der Ruderknechte, zurück an das heimatliche Ufer trieb. „Ich muss der Pflicht gehorchen, die des Landes Ruhe erheischt“, gab er den Bojaren zur Antwort, die ihn beschworen, zurück in seine Hauptstadt zu kehren. Im Jahr 1339 kam er in der Horde an. Einen Monat darauf wurde er (am 28. Oktbr.) nebst seinem Söhnchen Fédor enthauptet und sein ganzer Körper in lauter kleine Stücke zerlegt. Auch andere aus seinem Gefolge erlitten einen schauderhaften Tod. Die verstümmelten Überreste des unglücklichen Fürsten und seines Sohnes wurden nach Russland gebracht. Als sie in Wladimir ankamen, hielt der Metropolit Feognost, derselbe, der Alexander, dafür, dass er nicht in die Horde ziehen wollte, in den Bann getan hatte, unter großem Gepränge, die Totenmesse über sie. Von hieraus wurden die Gebeine nach Twer gebracht und in der Kathedrale daselbst neben den Leichnamen Mechails und Dimitrijs beigesetzt. So endigten die Fürsten von Twer, geliebt und beweint von allen ihren Zeitgenossen. Kein Chan hat so viel russische Herrscher hinrichten lassen, als Usbek. Im Jahre 1330 hatte er auch den Fürsten von Starodub, Fédor Michailowitsch, zu Tode martern lassen, und meinte durch solche schreckliche Wirkungen eines Zornes die Herrschaft der Mongolen in Russland dauernd zu befestigen. Allein er ahnte nicht, dass nur die Schwäche, die Uneinigkeiten der Fürsten, ihr gegenseitiger Neid und Hass und die fortwährenden Bruderkriege es waren, die seine Herrschaft begründet und so lange erhalten hatten. Usbek hat sich übrigens ein solches Ansehen unter seinem Volke zu geben gewusst, dass dieses sich, seinem Namen zu Ehren, „Usbeken“ nannte. Als ihre Herrschaft in Russland zu Ende ging, was hauptsächlich dadurch geschah, dass es dem Großfürsten Johann III. gelang, alle Teilfürstentümer zu vereinigen, zogen die Usbeken in die freie Tatarei, wo ihre Nachkommen noch heutzutage das herrschende Volk sind. Man gab diesem Stammlande der Tataren das Beiwort Freie, um es von der großen Tatarei, die von China abhängig ist, zu unterscheiden. Der Chan Usbek starb im Jahre 1343. Er war Bundesgenosse und Freund des Papstes Benedict XII., der da hoffte, ihn zur Annahme des Christentums zu bewegen. Diesem Papste hatte Usbek auch vergönnt, den römisch-katholischen Glauben in den Ländern des schwarzen Meeres, besonders in dem der Jassen, zu verbreiten. Allein Usbek, ein eifriger Verehrer des Korans, duldete die Christen bloß aus kluger Politik. Johann Danijlowitsch, der vergebens an jenem Werke der russischen Einheit arbeitete, herrschte indes einige Zeit in Frieden, da allen Fürsten vom Chane strenge befohlen war, dem Herrscher von Moskau zu gehorchen. Es wird von ihm erzählt, dass er überall einen Beutel voll Geld mit sich führte, um den Armen Wohltaten zu spenden, wodurch er den Beinamen: Kalita erhielt, welches Wort Beutel, Tasche, Tornister bedeutet, aber heutzutage wenig gebräuchlich ist. Er ließ auch oft die Armen in seine Burg bescheiden, wo er sie speiste. Kurz vor seinem Tode vertauschte er den Purpurmantel mit einem Klosterkleide, denn so war der russischen Fürsten alte Sitte, und starb plötzlich als Mönch im Jahre 1340.

In der Regierung folgte ihm sein Sohn Ssemén (Simeon), der den Sieg über alle Teilfürsten, welche sich beim Chan um die Großwürde bewarben, davon trug. Simeon Johannowitsch starb samt seinen Söhnen und einem Bruder an der Pest, der schwarze Tod genannt, welche drei Teile der Gesamtbevölkerung von ganz Nowgorod hinweg raffte, und welche auch im Jahre 1352 in Moskau schrecklich wütete und unter vielen tausend andern auch den hab- und herrschsüchtigen Metropoliten Feognost als Opfer verlangte. Jener Großfürst wusste mit Macht und Klugheit zu herrschen und erhielt den Beinamen Górdij (der Stolze). Hinsichtlich seines Betragens gegen den Chan hätte ihm wohl auch der Beinamen, der „Demütige“ geziemt! Für uns sind einige Worte aus seinem Testamente bemerkenswert: „Allen Leuten, die ich gekauft oder wegen Vergehens in Leibeigenschaft genommen habe, gebe ich die Freiheit.“ – Trotz seiner Macht und Weisheit, gelang es ihm nicht, das Joch der Mongolen zu brechen. Die Großfürsten, welche ihm in der Regierung folgten, waren: Johann*) Johannowitsch (1353); Demitrij III. Constantinowitsch (1359); Dimitrij IIII. Johannowitsch, mit dem Beinamen Donskij (1363), den er für einen Sieg über die Tataren am Don erhielt; Wassilij II. Dimitrijwitsch (1389); Wassilij III. Wassiliwitsch (1425) und endlich Johann III. Wassilijwitsch, der Vertreiber der Mongolen aus Russland (1462).

*) Man gebraucht im Russischen den Namen Johann oder Joan statt Uwan, um den Großfürsten Johann von Iwan dem Schuhmacher oder Schneider zu unterscheiden.

Tatar

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Usbeken auf dem Pferdemarkt

Usbeken auf dem Pferdemarkt