Rostock 1807 - Von der Aufklärung in Rostock, und dem sittlichen Charakter der Einwohner - (02)

Aus: Bemerkungen aus dem Gebiete der Heilkunde und Anthropologie in Rostock. Bd 1. Medizinische und anthropologische Bemerkungen über Rostock und seine Bewohner
Autor: Nolde, Adolf Friedrich Dr. (1764-1813) Professor der Medizin, Erscheinungsjahr: 1807

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Aufklärung, Geschmack, Schoßkind des Luxus, Kultur, Natur, Schönheit, Ordnung, Muster, Entwicklung, Kunstgefühl, Ausbildung, Unterdrückung, Beförderung, Schwierigkeiten, Ausländer, Kunstfleiß, Klima, Richtschnur, Hindernisse, Kunstkenner, Ebenmaß, Karikaturen, Geschmacklosigkeiten, Modejournale, Harmonie, Möbel,
Gewissermaßen die erste, obgleich auch die niedrigste Stufe der Aufklärung bezieht sich auf die Bildung des Geschmacks und des ästhetischen Sinnes. Als ein Schoßkind des Luxus verdankt der Geschmack zwar diesem nicht selten seine erste Entwicklung: aber dennoch ist er schon früher in der Natur des Menschen gegründet; und mancher scheint selbst ohne vorhergegangene Kultur den rechten Takt zu finden, besonders wenn die Natur ihm in ihren organisierten Produkten die Muster vorlegt, aus welchen ihm der Zauber der Schönheit und einer regelmäßigen Ordnung entgegen strahlt. Aber die meisten verfehlen doch den rechten Gesichtspunkt; und geraten auf allerlei geschmacklose, kleinliche, bizarre und groteske Abweichungen; wenn sie ohne eine gewisse Ausbildung und Verfeinerung ihres Kunstgefühls entscheiden, oder Muster zur Nachahmung aufstellen sollen. Wir üben und kultivieren dagegen unsern Geschmack: wenn wir entweder durch eigenes Nachdenken die Regeln aufsuchen, nach welchen wir Schönheit zu beurteilen haben; oder wenn wir durch Fleiß und Studium uns mit den schon von anderen entdeckten Resultaten bekannt machen. Beides ist freilich nicht jedermanns Sache; es fehlt nur zu oft an Aufmunterung, oft auch an Zeit, und selbst Klima und Nahrungsmittel scheinen einen sehr wichtigen Einfluss auf den Menschen in dieser Hinsicht zu haben. Bei uns möchten alle diese Momente mehr zur Unterdrückung, als zur Beförderung eines solchen Studiums dienen, und jeden etwa aufkeimenden Trieb eher ersticken, als nähren. Wenigstens können diese hier obwaltenden Schwierigkeiten uns zur Entschuldigung dienen; wenn irgend ein Ausländer uns Mangel an Kunstsinn und Kunstfleiß vorwerfen sollte. Unser Klima ist zu rau, jedes feine Gefühl für Kunst und Schönheit erstarrt in ihm, die gewöhnlichen Beschäftigungen sind nicht von der Art, dass sie einen tief unter der Asche glimmenden Funken anfachen, und Produkte erzeugen sollten, die selbst zur Bildung unseres Geschmacks beitragen könnten. Man sieht daher auch nur zu häufig bei uns die Bestätigung des vorhin aufgestellten Satzes, dass diese Fähigkeit wohl einer Kultur bedarf, erweckt und gepflegt werden muss, wenn wir gewisse, als allgemein gültig angenommene Regeln zur Richtschnur unseres Urteils über Werke der schönen Kunst befolgen wollen. Vermöge dieser Regeln erhält die Kunst selbst eine gewisse Bestimmung, die das rohe mit Schwierigkeiten und Hindernissen kämpfende Gefühl, ihr schwerlich zu geben vermag, wenn auch eine feinere Natur unter einem glücklicheren Himmel sie, wie die Regeln selbst, bisweilen, ohne sich dessen bewusst zu sein, zu finden weiß.

Man kann dem Geschmack der hiesigen Einwohner im Allgemeinen wohl keine Lobrede halten. Schon die äußere Form der Häuser und Straßen hat etwas Abschreckendes für den Kunstkenner. Wenn auch die hellen Farben der ersteren der Stadt ein gewisses heiteres und gefälliges Ansehen geben: so kann doch die Art ihrer Verzierung, ihre zu sichtbare Unregelmäßigkeit und rohe Einfachheit, der Mangel eines gefallenden Ebenmaßes, das kleinliche und verworrene Ansehen der meisten, und ihre nur die notwendigsten Bedürfnisse einigermaßen befriedigende Form einem schon an die Regeln der Kunst gewöhnten Auge unmöglich gefallen. Die unsymmetrischen Straßen werden eben so wenig einen angenehmen Eindruck auf den Kenner machen, als die zu künstlichen Anlagen der Gärten, und die noch vor wenig Jahren allgemein eingeführten Verstümmelungen der Bäume auf den Promenaden. Beim Eintritt in die Wohnungen der hiesigen Bürger stößt man gewöhnlich sogleich auf die Produkte eines armseligen Geschmacks, nach welchem man die Hausfluren, und größtenteils die Zimmer zu verzieren pflegt. Findet man in ihnen Gemälde oder Figuren angebracht: so sind diese häufig nichts als Karikaturen, von denen man gern das Auge wegwendet; wenn auch der Geschmack ihrer Besitzer den grellen, bunten Farben dieses Unsinns, und der sie auszeichnenden Geschmacklosigkeit manchmal einen sehr hohen Wert beilegt. Auf Gegenstände der Art stößt man aber sehr häufig, nicht nur in den Wohnungen des sich fühlenden Handwerkers, sondern auch in den Häusern der Schiffer, der Kaufleute, und selbst oft der Gelehrten. Eine Art von völlig geschmacklos ausgeschlagenen und verzierten Bildern, die vor einigen Jahren eine durchreisende Familie mit der größten Leichtigkeit fabrizierte, fand unter anderen so vielen Beifall, dass die Verkäufer mit reicher Beute die Stadt verlassen konnten. Ihre Wohlfeilheit sicherte ihnen eine große Anzahl von Käufern, welche ich oft die große Kunst und das Täuschende in diesen verzerrten Figuren rühmen hörte; und mit diesen Satiren auf den Geschmack ihrer Besitzer sieht man noch immer die Wände in den Häusern der Vornehmen und Geringen verunziert.

Einen ähnlichen Geschmack fand man noch vor wenig Jahren in der Kleidung der Alten und Jungen, und auch noch jetzt sieht man bisweilen Männer in Stiefeln und Haarbeuteln und eine Zusammensetzung in dem Anzug, der wenig Geschmack verrät. Die Mode-Journale haben uns zwar in diesem Stücke etwas aufgeklärt und zur Verbesserung des Geschmacks ein wenig beigetragen: allein man sieht es doch nur zu deutlich, dass man den neuesten Moden nicht gerade wegen ihrer geschmackvolleren Form den Vorzug gibt, sondern nur, weil man gern modern sein will; denn auch sie werden noch so häufig verhunzt, dass man nur selten sich durch sie eine wirklich gefallende Form zu geben weiß. Beispiele einer auf Beifall Anspruch machenden Form des Anzugs findet man nur bei einigen, in denen der verborgene Kunstsinn durch Kultur und Studium vielleicht gebildet werden könnte. Aber diese wenigen haben noch zu wenig Nachfolger, als dass man von ihnen ein allgemeines Unheil über den Geschmack der hiesigen Einwohner ableiten könnte. Und eben dieses gilt von den einzelnen Fällen, wo man geschmackvolle Möbel, Kupferstiche und Gemälde von einem wahren Wert zweckmäßig geordnet und in einer gefallenden Harmonie zusammengestellt findet. Doch erwarte ich von Beispielen der Art und von dem durch die neueren Modeschriften verbreiteten bessern Geschmack, wenn man diesem nur getreu bleibt, und keine Karikaturen, Bizarrerien und ähnliche Fehler substituiert, die allgemeinere Einführung eines richtigem Gefühls für Schönheit und Ebenmaß unter uns.

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

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Hansestadt Rostock - Stadtansicht

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Hansestadt Rostock, Große Wasserstraße mit Kerkhoffhaus (1470) Sommer 1968

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Rostock - Kröpeliner Tor

Rostock - Kröpeliner Tor

Rostock vor dem Steintor

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Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967

Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967