Rostock 1807 - Von den Einwohnern - die physische Beschaffenheit der Kinder - Luft und Raum

Aus: Bemerkungen aus dem Gebiete der Heilkunde und Anthropologie in Rostock. Bd 1. Medizinische und anthropologische Bemerkungen über Rostock und seine Bewohner
Autor: Nolde, Adolf Friedrich Dr. (1764-1813) Professor der Medizin, Erscheinungsjahr: 1807

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Erziehung, Kinder, Lebensverhältnisse, Mütter, Säuglinge, Mutterpflicht, Selbststillen, Ammen, Gefühllosigkeit, Gefühl, Gemütsart, Muttermilch, Fütterungsmethode, Ernährungsart, Kinderernährung, Ernährungsfehler, Fehlernährung, Kinderarzt, Kartoffeln, Wein, Bier, Wärterinnen, gesunde Luft, genügend Raum, Heizung, Kinderstube, Kinderzimmer
Ein zweites unentbehrliches Requisit unserer tierischen Organisation ist die Luft, deren Einfluss auf den kindlichen Körper schon in den Schriften der neueren Pädagogen und Diätetiker so bestimmt angegeben ist, dass ich ihn als allgemein bekannt voraussetzen kann. Den Ärzten ist er außerdem schon bekannt. Ich glaube aber, dass man für die ganz kleinen Kinder in dieser Hinsicht bei uns nicht allemal genug Sorge trägt. So lange sie die Kinderstube noch nicht verlassen können, oder sich doch viel in derselben aufhalten müssen, sollten die Eltern vor allen Dingen darauf Rücksicht nehmen, ihnen eine recht gesunde Kinderstube zu geben. Aber daran denkt man in der Tat noch zu wenig. Wenn ich hier auch gar nichts von dem geringen Handwerker oder dem Arbeitsmann sagen wollte, die sich auf eine sehr, kleine und enge Wohnung überhaupt einschränken müssen, folglich auch keine eigene Kinderstube haben können, sondern gewöhnlich ihre Kinder in dem Stübchen bei sich haben, wo sie wachend oder schlafend den größten Teil der Zeit beisammen sind und ihre Geschäfte verrichten: so könnten doch die wohlhabenderen und vornehmeren Einwohner oft weit mehr für die Gesundheit ihrer Kinder in diesem Punkt tun, als wirklich geschieht. Sehr viele Kinderstuben sind vermöge der Einrichtung der hiesigen Giebelhäuser in die Hintergebäude verlegt, wo es freilich immer am ruhigsten und stillsten zu sein pflegt: dagegen aber haben diese Stuben gewöhnlich die Fenster nach einem kleinen engen, auch wohl schmutzigen Hof hin, es fehlt ihnen daher auch mehrenteils an Licht, und wenn die Fenster von Zeit zu Zeit geöffnet werden, so erhalten sie doch auf diesem Wege keine reine und gesunde Luft. Überdem werden die Fenster insgemein nur selten geöffnet, man trocknet zur Winterszeit die feuchte Wäsche der Kinder an dem Ofen, und lässt es geschehen, dass die Luft noch durch den Aufenthalt der übrigen Domestiken in solchen Zimmern, die darin essen, trinken, schlafen und andere Geschäfte verrichten, auf eine wirklich oft unverantwortliche Art verunreinigt und verdorben wird. Andere haben gar nicht einmal eine Kinderstube, sondern begnügen sich mit dem Wohnzimmer, oder stellen auch die Wiege in den angrenzenden Alkoven, welches nicht viel besser ist.

Zur Entschuldigung kann man nun zwar häufig anführen, dass es vielen Eltern, die es sonst besser haben könnten, wirklich an Platz gebricht. Ihrer scheinbar großen und geräumigen Wohnungen ungeachtet, die mehrenteils nur von einer Familie bewohnt werden, haben sie entweder nur so wenige Zimmer, dass ihnen keine sonderliche Wahl übrig bleibt; oder die besseren und gesunderen Zimmer sind alle in dem zweiten Stockwerke, und an das Treppensteigen hier nicht so sehr, als in größeren Städten gewöhnt, haben die Mütter ihre Kinder lieber in der Nähe bei sich, um sie und ihre Ammen, oder Wärterinnen desto besser beobachten zu können, als dass sie sich von ihnen durch eine Treppe sollten trennen lassen, wobei sie ihre Mutterpflicht nicht so vollkommen erfüllen zu können glauben. Es ist also in vielen Fällen wirklich eine sehr gute Absicht, die sie wegen der Anlage ihrer Kinderstuben einigermaßen wohl entschuldigen kann. Dabei darf ich auch nicht übergehen, dass man sich hier im Winter wegen der hohen Holzpreise gern einschränkt, um für diese teure Ware nicht so viel Geld auszugeben; welche Ersparung man vielen Familien wirklich nicht verargen kann.

Gleichwohl entschuldigt der zuletzt angeführte Grund wohlhabende und reiche Eltern gar nicht, wenn sie ohne Rücksicht auf ihre Kinder, ihnen das schlechteste Zimmer im Hause einräumen. Andere weniger wohlhabende Familien könnten wohl eine besondere Kinderstube auch selbst im Winter haben, wenn sie auf andere Art das Holz zu sparen suchten. Was aber die Unbequemlichkeit des Treppensteigens betrifft, so kommt diese gegen den Nutzen, den eine gesunde Luft ihren Kindern gewährt, gar nicht in Betracht. Besonders wichtig scheint es mir aber zu sein, dass man das Gesinde, welches einen so mannigfaltig nachteiligen Einfluss auf die kleineren und größeren Kinder haben kann, aus den Kinderstuben entfernt, und dann auch sich im Ganzen der Reinlichkeit mehr befleißigt. Das letzte möchte insbesondere den Müttern des mittleren und unteren Standes gar sehr zu empfehlen sein. Denn wenn diese auch durch die harte Notwendigkeit gezwungen werden, sich einzuschränken: so können sie den unangenehmen Folgen, welche solche Einschränkung für ihre kleinen Kinder notwendig haben muss, am sichersten durch das Reinhalten ihrer Wohnungen zuvorkommen; und ihnen muss es daher noch eine um so wichtigere Pflicht sein, es hieran nicht fehlen zu lassen.

Bei dieser letzten Klasse von Einwohnern findet man aus dem schon angeführten Grunde die Stuben, worin sie mit ihren Kindern leben, zur Winterszeit nicht selten kalt und feucht. Beides kann den zarten Säuglingen unmöglich wohl bekommen. In den Kinderstuben der Vornehmen ist es dagegen, besonders wenn man sie zu gleicher Zeit dem Gesinde mit einräumt, so heiß und dunstig, dass dieses wieder auf eine ganz verschiedene Art nachteilig werden muss. Gewöhnlich benutzt man hier die sogenannten Windöfen, die auch den Vorteil haben, dass die Luft in den Zimmern durch sie eher verbessert und erneuert wird, als dies bei andern Öfen, die von außen geheizt werden, möglich ist. Aber sie haben auf der andern Seite doch auch manche Unbequemlichkeit und erfordern die größte Vorsicht, wenn sie der Gesundheit und wohl gar dem Leben der Kinder nicht schädlich werden sollen. Man begreift leicht, dass, wenn ein solcher Ofen nicht den gehörigen Zug hat, und das Zimmer mit Rauch erfüllt, dieses unmöglich heilsam sein kann. Aber noch weit bedenklicher ist das frühe Zumachen der Öfen, wegen des aus ihnen sich verbreitenden Kohlendunstes. Ich weiß, dass hiervon wirklich Kinder erstickt sind. Und sehr leicht versehen es die Ammen und Wärterinnen, die immer nicht warm genug sitzen können, hierin, wenn sie nicht unter einer strengen Aufsicht stehen. Noch können Kinder, die nicht mehr in die Klasse der Säuglinge gehören, wenn Kohlen aus einem solchen Windofen abfallen, oder wenn sie, sich selbst überlassen, dem Feuer zu nahe kommen, sich gar leicht beschädigen, wovon mir ein äußerst trauriger Fall, der sich zwar nicht in Rostock, aber doch in der Nähe zugetragen hat, und auch hier wohl sich ereignen könnte, bekannt ist.

Sobald die Kinder so weit gekommen sind, dass sie für sich gehen können, pflegen sie gern die eingeschlossene Stubenluft zu fliehen. Sie laufen dann in den Häusern oder vor den Türen umher, man schickt sie auch wohl in die Luft. Die Kinder der Eltern, welche ich zu der untersten Klasse der Einwohner zähle, auch wohl die der Handwerker, pflegen gemeiniglich den ganzen Tag auf den Straßen zuzubringen, wobei sie sich recht wohl zu befinden scheinen. Aber dessen ungeachtet kann ich dieses Herumliegen auf den Straßen doch nicht billigen, und die Polizei sollte es nicht dulden. Denn nicht einmal zu gedenken, dass die Kinder ohne Aufsicht sind, und von einander allerlei böse Gewohnheiten lernen, kommen sie nur gar zu leicht in Gefahr, zu fallen, getreten, gestoßen und übergefahren zu werden. Es ist in der Tat zu bewundern, dass dieses nicht noch häufiger der Fall ist, als es wirklich geschieht, da besonders die engeren Straßen, welche von dem gemeinen Mann am meisten bewohnt werden, immer mit Kindern angefüllt sind.

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts

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Hansestadt Rostock, Unterwarnow, Pionierschiff mit Blick auf Petrikirche, 1962

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Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche

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Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

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Rostock - Kröpeliner Tor

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Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967

Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967

Rostocker Wallanlagen und Kröpeliner Tor, 1968

Rostocker Wallanlagen und Kröpeliner Tor, 1968