Rostock 1807 - Von den Einwohnern - die physische Beschaffenheit der Kinder - Bekleidung

Aus: Bemerkungen aus dem Gebiete der Heilkunde und Anthropologie in Rostock. Bd 1. Medizinische und anthropologische Bemerkungen über Rostock und seine Bewohner
Autor: Nolde, Adolf Friedrich Dr. (1764-1813) Professor der Medizin, Erscheinungsjahr: 1807

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Kinder, Erziehung, Bekleidung, Windeln, Kleider, Mützen, Strümpfe, Schuhe, Tragekorb, Beinkleider, Kopfbedeckung, Gesundheit
Ich wende mich jetzt von dieser so nötigen Abschweifung zu den übrigen Gegenständen der physischen Erziehung, unter welchen mir die Bekleidung der neugebornen sowohl, als der größeren Kinder jetzt am nächsten zu liegen scheint. Noch vor zehn Jahren behandelte man in dieser Hinsicht ein neugeborenes Kind ganz nach dem alten Schlendrian; den man aber allmählich, durch die Erinnerungen der Ärzte aufmerksam gemacht, beinahe ganz verlassen hat. Man wickelte die Kinder gleich nach ihrer Geburt in Windeln, doch so, dass die Arme frei blieben, und fuhr damit eine geraume Zeit fort; man sorgte für eine warme Kopfbedeckung, auch bei den größeren Kindern; man wusste bald Anstalt zu einem Schnürleibchen zu machen, wenn die Wickelzeit verflossen war; und, beschwerte die Kinder mit so vielen und dicken Kleidern, dass sie kaum die Last tragen konnten; kurz, man verfuhr hier noch ganz nach der alten wohlhergebrachten Methode.

Wo ich nicht irre, so war der Herr Professor Josephi der erste, welcher anstatt der Windeln eine Verbesserung einführte, die mir sehr anpassend scheint. Das neugeborne Kind wird auf eine aus doppeltem Barchent zusammen genähte, und mit einem Kopf - und Fußstück versehene Decke gelegt. Das Mittelstück wird um den Leib des Kindes zusammen gebunden, das Fußstück aber über den Leib des Kindes geschlagen und ebenfalls mit Bändern befestigt. Auf diese Art wird nicht nur der Kopf gehörig unterstützt, sondern man ist auch im Stande, das Kind sehr leicht zu tragen, ohne dass man es so einzwängt, wie es bei den Windeln geschieht. Indessen hat man dieses sehr empfehlungswürdige Substitut der leidigen Windeln doch nur hin und wieder angenommen. Dagegen pflegt man jetzt die neugeborenen Kinder nur etwa die ersten acht Tage zu wickeln, und dann ihnen eine sogenannte Pir zu geben, wobei man durch einen anpassend breiten Gürtel von Hutfilz, oder durch eine Binde aus Barchent dem Kinde eine gewisse Haltung zu geben versucht.

Man lässt auch jetzt die Kinder nicht mehr so lange mit ihren Mützen gehen; sondern gewöhnlich legt man sie ab, sobald der Kopf seinen gehörigen Zusammenhang erhalten hat, auch ziemlich mit Haaren bedeckt ist. An den Füßen tragen die meisten kleinen Kinder hier wollene Strümpfe; auch gibt man ihnen lederne Schuhe oder gewöhnlicher lederne Halbstiefel. Beides finde ich aber nicht anpassend, so lange das Kind noch getragen wird. Wozu will man ihre zarten Füße in solche überwiegend sehr grob gearbeitete Maschinen einzwängen? Mich dünkt, ein warmer Strumpf ist hinreichend, besonders wenn das Kleid so lang gemacht ist, dass man die Füße darein wickeln kann, wenn es nötig sein sollte. Wollte man aber doch Schuhe haben, so ziehe ich die von Tuch oder Filz gearbeiteten ihrer nachgiebigen Biegsamkeit halber vor.

Das Tragen der Kinder in dem von Herrn Faust vorgeschlagenen Körbchen, hat man hier noch nicht versucht. Ich verkenne die gute Absicht nicht, welche den edlen Erfinder dieses Körbchens veranlasste, es öffentlich zu empfehlen: aber ich kann mich nicht von den Vorzügen seiner Erfindung überzeugen; vielmehr muss ich aufrichtig gestehen, dass ich es eben so wenig bequem als nützlich finden kann. Ich habe sie daher auch noch nie empfohlen, und schwerlich möchten sich unsere Mütter, noch weniger aber die Ammen und Wärterinnen dazu verstanden haben, ihre Kinder in solchen Körben über die Gasse zu tragen. Auf einen ähnlichen Vorschlag des Herrn Faust, den Gebrauch der Beinkleider bei den Knaben einzuschränken, hat man hier ebenfalls bisher wenig geachtet; und ich glaube auch hier wieder, nicht mit Unrecht. Auf dem platten Lande und in der Entfernung von Städten, wo Kinder sich um die physischen Geschlechts-Geheimnisse in ihrer Unschuld nicht sonderlich bekümmern, möchten dergleichen Sansculottes wohl ohne Anstoß geduldet werden, obgleich gerade da ein solcher Sansculottismus am wenigsten nötig wäre. Hingegen in Städten, wo schon die kleinsten Kinder so vieles hören, sehen und wissen, was sie erst in den Jahren der Mannbarkeit oder noch später erfahren sollten, befürchte ich von den Ohnehosen gerade das, was Herr Faust vermeiden will. Weit zweckmäßiger, glaube ich, würde die allgemeine Verbreitung eines feineren sittlichem Gefühls, wenn man im Stande wäre, es dahin zu bringen, dass Junge und Alte mehr züchtig und vorsichtig in ihren mündlichen und schriftlichen Äußerungen wären, und keine üppigen Gemälde, keine verführerischen Romane oder Schauspiele die Neugier der Kinder reizten, dazu beitragen, die traurigen Folgen zu verhüten, die Herr Faust zu einseitig von den Beinkleidern herleitet. Die weiten Schifferhosen, welche den Knaben so wohl stehen, und wenn sie nur aus einem leichten Zeuge und weit genug gemacht sind, gewiss nicht zu sehr erhitzen, scheinen mir noch immer eben so sichere Verwahrungsmittel zu sein, als jener von Faust empfohlene Sanscülottismus. In solchen Beinkleidern, einer leichten Jacke, Strümpfen und Schuhen, oder Halbstiefeln, gehen hier gewöhnlich die kleinen Knaben; Hals und Brust bleiben frei und unbedeckt; und auf dem Kopfe tragen sie nur einen Hut, um vor dem Sonnenschein oder Regen gesichert zu sein. Diese Mode ist hier schon seit mehreren Jahren eingeführt, und man bleibt ihr aus guten Gründen getreu, weil es wirklich die anpassendste Kleidung ist. Nur pflegt man im Winter, doch auch nicht allgemein, anstatt des leichteren Zeuges ein wärmeres zu wählen, oder noch einen Überrock hinzuzufügen.

Die kleinen Mädchen gehen zwar auch wie die Knaben, mit abgeschnittenen Haaren und auf der Straße mit einem leichten Strohhut bedeckt, übrigens beinahe noch in dünnerem Zeuge, als die Knaben, aber doch schon mehr nach der Modo des erwachsenen Frauenzimmers. Sie werden durchgehende nicht mehr geschnürt, sondern tragen gewöhnlich ein zusammenhängendes Kleid, dass über die Brust durch Bänder befestigt wird. So fand ich es aber nicht, als ich zuerst nach Rostock kam. Indessen mit der Zeit ändert sich alles , und auch hier kann man wohl sagen: semper aliquid haeret. Selbst die kleinen Töchter der Handwerker werden schon nach dem Beispiel der Vornehmeren gekleidet, und von den Knaben gilt dasselbe. Der gemeine Mann kleidet seine Kinder so gut er kann, ohne sich an eine Mode zu binden.

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

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Hansestadt Rostock - Stadtansicht

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Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

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Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche

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Rostock, Neuer Markt mit Ladenzeile 1967

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Rostock - Kröpeliner Tor

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Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts

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Rostock vor dem Steintor

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Rostock - Petrikirche mit Petritor

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Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967

Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967