Rostock – Die St. Marien-Kirche – Baubeschreibung 02

Aus: Die Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin. I. Band
Autor: Schlie, Friedrich Dr. (1839-1902) Professor, Archäologe, Kunsthistoriker, Museumsdirektor und Hofrat, Erscheinungsjahr: 1898

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, Amtsgerichtsbezirk Rostock, Hansestadt, Denkmäler, Bauten, Architektur, Kirchen, Kirchenmobiliar, Renaissance, Barock, Rokoko, Klassizismus, Denkmalsschutz, Geschichte, Geschichtsdenkmäler, Regionalgeschichte, Landesgeschichte, Stadtgeschichte, Kirchengeschichte, Marienkirche
Von den sieben Portalen, welche einst die Kirche hatte, sind noch sechs vorhanden, je eines in den beiden Türmen, in den beiden Querschiffen und in den beiden äußersten Chorkapellen. Das große Portal, welches sich einstmals in der Mitte der Westwand befand, ist zugemauert. Die Laibungen dieser Portale zeigen durchweg die herkömmliche Gliederung der Hochgotik, der reichste Zierschmuck aber ist an das Portal des nördlichen Querschiffes gewandt, welches gleich dem des südlichen aus Haustein gebildet ist. Neben dem Nordportal, jederseits in den beiden Strebepfeilern, findet sich eine hübsche Blendnische mit Wimperge und Fialen. Die Nische für das Armen-Seelen-Licht des Friedhofes neben dem Ostportal an der Nordseite ist ohne Schmuck.*) Die Strebepfeiler (s. Grundriss) stellen sich in der bei den Backsteinbauten herkömmlichen einfachen Bildung dar.

Die den Seitenschiffen im Westen vorgelagerten und in ihrem unteren Teil mit dem Innenraum der Kirche verbundenen beiden Türme, welche, der inneren Raumeinteilung entsprechend, außen durch Lisenen gegliedert sind und, ihrer ganzen Erscheinung nach, den ältesten Teil der Kirche darstellen, sind nicht zur Vollendung gelangt.

*) Eine Stütze für den Christus am Kreuz, der einst in dieser Nische war, ist noch vorhanden.

Statt ihrer ist die sie verbindende Mittelwand zu einem höheren Turmhause emporgehoben, dessen Bedachung das Mauerwerk der beiden Türme mit überfasst. Trotz der gewaltigen Breite, die dadurch das vierseitige Turmdach erhalten hat, wird dasselbe zu einer Spitze hinaufgeführt, jedoch findet kurz vorher eine Unterbrechung durch eine Laterne statt, in welcher zwei Stundenglocken hängen. Das Mauerwerk der Seitentürme ist vierstöckig gegliedert und mit gotischen Blenden belebt. Die verbindende Mittelwand ist dreistöckig, jedoch ist das untere Stockwerk so hoch wie das erste und zweite der beiden Seitentürme zusammengenommen, das zweite dem dritten dieser beiden entsprechend, und das dritte wächst über das vierte der beiden letzteren hinaus. Der Turm ist mit Knopf und Hahn verziert. Ein zweiter Turm sitzt als Dachreiter auf der Vierung von Lang- und Querschiff. Außerdem noch drei niedrige Stiegentürme, zwei davon auf der Südseite und einer auf der Nordseite der Kirche. Die Dächer der Schiffe, desgleichen der Dachreiter, auf der Vierung sind mit Kupfer, das des Hauptturmes ist auf drei Seiten, West, Nord, Süd mit Mönch und Nonne, im Osten aber mit Kupfer gedeckt. Die Wendeltreppen, welche zu den Gewölben und zum Turme emporführen, sind in Mauerstein ausgeführt.

Schließlich möge als eine Merkwürdigkeit hervorgehoben werden, dass sich auf der Südseite der Kirche, östlich vom Querschiffe und in Kniehöhe vom Erdboden, drei bronzene, fast handgroße Nagelköpfe vorfinden, von denen der eine einen Greif, der andere einen mecklenburgischen Stierkopf und der dritte den dreigeteilten Bindenschild der Stadt Rostock zeigt.*)

*) Diese drei Bronzenägel sollen einen halben Fuß lang sein. Sie waren bei der letzten Reparatur der Wand herausgenommen. Es hat ganz den Anschein, als ob sie mit dem Umbau der alten Hallenkirche in eine Kreuzkirche während der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts in irgend einem Zusammenhange stehen. Sie entsprechen vollkommen dem Sigillum, Secretum und Signum der Stadt und mögen daher gleichsam eine Art Besiegelung der Hammerschläge bei der Grundsteinlegung des Kreuzbaues darstellen. Dieselben sind bereits in Nettelbladts Abhandlung von dem Ursprung der Stadt Rostock Gerechtsame am Schluss der Beilagen abgebildet und daselbst beschrieben in dem Vorbericht S. 16 u. 17. Vgl. Hofmeister, das Wappen der Stadt Rostock in Beitr. z. Gesch. d. St. R. I, S. 65 ff., 82 ff.

Ausführlichere, für den Zweck des vorliegenden Werkes aber zu weit gehende Beschreibungen mit Berücksichtigung aller Baudetails findet man bei G. Flörke: Die vier Parochialkirchen Rostocks. Ein Beitrag zur Geschichte des Backsteinbaues in der norddeutschen Tiefebene. Rostock, E. Kuhns Verlag, 1871. Ferner bei W. Rogge, Die St. Marienkirche zu Rostock. Ein Beitrag zur Geschichte des mittelalterlichen Backsteinbaues in Norddeutschland. Mit vier Blatt Lithographien. Berlin 1881, Verlag von Th. Prüfer. — Flörke macht den ersten Versuch, die Bauperioden der Marienkirche zu bestimmen, Rogge nimmt die Untersuchungen wieder auf. In den Hauptsachen stimmen beide im Ganzen überein. Der Bau des jetzigen Chors und die gotische Fortführung der noch romanisch angelegten Türme der alten dreischiffigen Hallenkirche fallen in das letzte Viertel des XIII. Jahrhunderts. Ungefähr in die Mitte und in das dritte Viertel des XIV. Jahrhunderts ist dann der weitere Ausbau der Türme zu setzen, von deren Stundenglocken eine die Jahreszahl 1379 aufweist. Unmittelbar am Ende des XIV. Jahrhunderts, wie dies durch Inschriften festgestellt ist, beginnt endlich die Umwandlung der Hallenkirche in eine Kreuzkirche durch Abbruch des alten Mittelbaus und Anfügung des nördlichen und südlichen Querschiffes. Die Vollendung dieses großen Mittelbaus wird durch ein päpstliches Interdikt in der Zeit von 1435 bis 1440 unterbrochen und findet erst um die Mitte des XV. Jahrhunderts statt.

Im großen Fenster des südlichen Querschiffes sieht man fünf innerhalb ornamentalen Schmuckes aufgemalte Jahreszahlen, die sich auf die Restaurationen der Kirche beziehen. Sie sind aber neueren Datums und deshalb nicht als Urkunden anzusehen. Man liest zuerst 1250 (wohl das damit vermutete ungefähre Jahr der ersten Erbauung), dann 1319 (von Schröder, Pap. Mecklenb., irrtümlich statt 1399 in der Urkunde des Henning Wacholt gelesen und somit als Jahr des großen Neubaus der Kirche angenommen), ferner 1398 (Umbau in Kreuzform), 1725 (Herrschaft des Barockstils, vergl. Pfeilerornamente, Altar, Beichtstühle, Kanzeldeckel u. s. w.) und 1843 (angebliches Jubeljahr der Vollendung der Kirche im Jahre 1443, vergl. Rostocker Zeitung vom 2. Nov. 1841).

Nicht uninteressant ist eine aus den östlichen baltischen Landen kommende Entdeckung, nach welcher der Erbauer der Peterskirche zu Riga, Johann Rumescotel[ (Rumeschotel), aus Rostock gebürtig war und 1408 nach Riga gerufen wurde. Sollte er, so ist gefragt worden, in Rostock vorher den Umbau der Marienkirche in Kreuzform geleitet haben? Allerlei Gleichartigkeiten zwischen beiden Bauten, besonders die Art, wie der Oberstock aus dem Chor herauswächst, könnten auf diesen Gedanken bringen. Indessen fehlt es hierfür wie für weitere Annahmen, die bei dieser Gelegenheit zur Aussprache gelangt sind, an zwingenden Beweisen. Vgl. Mitteil. a. d. livländ. Gesch. XIV, S. 180 — 221, 236 — 273, 489 — 496. — Neumann, das mittelalterl. Riga, Berlin, J. Springer, 1892, S. 37 — 40.

Schlie, Friedrich Dr. (1839-1902) Professor, Archäologe und Kunsthistoriker, Direktor der Großherzoglich-Schwerinschen Kunstsammlungen

Schlie, Friedrich Dr. (1839-1902) Professor, Archäologe und Kunsthistoriker, Direktor der Großherzoglich-Schwerinschen Kunstsammlungen

Rostock. 013 Marienkirche, Giebel des südlichen Querschiffs

Rostock. 013 Marienkirche, Giebel des südlichen Querschiffs

Rostock. 014 Marienkirche, Portal des nördlichen Querschiffes

Rostock. 014 Marienkirche, Portal des nördlichen Querschiffes

Rostock. 016 Drei bronzene Nagelköpfe

Rostock. 016 Drei bronzene Nagelköpfe

Rostock. 017 St. Marien-Kirche

Rostock. 017 St. Marien-Kirche