Ritter Eber und der alte Grenzstein zwischen Goldenbow und Camin, bei Wittenburg.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 1
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage,
Der von Goldenbow nach dem 1/4 Meile von dort entfernten Kirchdorfe Camin führende Kommunikations- und Kirchweg — Goldenbow ist nämlich nach Camin eingepfarrt und müssen die Bewohner des ersteren Ortes nach dem letzteren zur Kirche, — durchschneidet, etwa in der Mitte zwischen beiden Ortschaften, eine Wiese, die zum Caminer Hofe gehörend sich merkwürdiger Weise gleich einem Vierecke in das Goldenbower Gebiet hinein erstreckt. Während nämlich der nicht weit vom Wege entfernte Grenzgraben sonst in fast grader Linie dahinläuft und so die zu den beiden verschiedenen Höfen gehörenden Felder von einander trennt, macht er nur auf der einen Stelle eine Ausnahme, indem er dort plötzlich seine grade Richtung verlässt und beregte Wiese umfließend, einen auffallend tiefen Einschnitt in das nachbarliche Gebiet macht. Die Sage behauptet nun, dass die Wiese ursprünglich nicht zu Camin gehört hat und dass sie nur durch einen früheren Besitzer von Camin unrechtmäßiger Weise an sich gebracht worden ist, was allerdings dem Anscheine nach viel für sich zu haben scheint.

Ritter Eber, auch Eberhard genannt, ein habsüchtiger, wilder und roher Mensch, der Keinem etwas gönnte und nur Alles für sich haben wollte, war in alten grauen Zeiten der Besitzer von Camin. Obgleich er auch sein gutes Auskommen und reichlich für sich und seine Familie zu leben hatte, so war er doch niemals mit dem zufrieden, was Gott ihm bescheret hatte; auf mehr und immer mehr, nach größerem und immer größerem Besitze war sein ganzes Sinnen und Trachten gerichtet. Zur Erreichung und Befriedigung seiner sündlichen Lüste und Begierden war ihm kein Mittel zu schlecht. Wahres Ehrgefühl regte sich nicht in seiner Brust, und leider auch Glaube an Gott wohnte nicht in seinem verstockten Herzen. Deshalb schreckte er auch vor keiner Schändlichkeit und Missetat, vor keiner Sünde zurück, wenn er nur dadurch seine irdischen Güter und Besitzungen vergrößern und sich somit bereichern konnte.

Lange schon hatte Eber mit schelem, missgünstigem Auge auf seinen Nachbar, den damaligen Besitzer von Goldenbow, Ritter Henrich oder Heinrich, geblickt; derselbe war ja reicher als er, sein Gut war bedeutend größer als das seine und das vermochte er kaum zu ertragen. Tag und Nacht grübelte und sann Ritter Eber darüber nach, wie es am besten anzufangen, sich von Goldenbow Land heranzustehlen und anzueignen, dadurch Camin nach und nach immer mehr zu vergrößern, Goldenbow aber zu verkleinern; ja er ging schon so weit, darüber nachzudenken, sich Goldenbow zuletzt ganz anzueignen und dann aus beiden Gütern ein einziges zu bilden. Allerlei teuflische Pläne hatte er schon im Geheimen geschmiedet, mit brennender Ungeduld dachte er an ihre Ausführung, aber noch immer wollte sich keine passende Gelegenheit dazu finden. Denn der Ritter Heinrich von Goldenbow, der die Gefährlichkeit seines bösen Nachbars wohl kannte und dessen schändliche Absichten schon ahndete, beobachtete ihn mit scharfen Augen und ließ seine Felder gegen jeglichen Raub und Frevel sorgfältig bewachen.

Da kam es, dass Ritter Heinrich, dem Rufe seines Fürsten gehorchend, plötzlich sein Gut verlassen musste, um denselben auf einem längeren Feldzuge zu begleiten.— Heinrich war nämlich ein gar geschickter und tüchtiger Krieger, schon in mancher Schlacht hatte er sich Ruhm und Lorbeeren erworben; dabei war er der gewissenhafteste, strengste und bravste Mann in jeder Beziehung. Der damals regierende Fürst von Mecklenburg schätzte und anerkannte auch im vollsten Grade seine Tugenden und Vorzüge und bediente sich deshalb oft und viel seines weisen Rates und Beistandes in Krieg und Frieden. — Obgleich nun auch wohl Ritter Heinrich, einem solchen Nachbar gegenüber, ungern sein Schloss verließ, und mit Besorgnis seine Besitzungen während seiner Abwesenheit seinen Leuten anvertraute, so folgte er doch sofort ohne Zaudern und Zögern, als treuer Untertan willig dem Rufe seines edlen Kriegs- und Landesherrn.

Mit hämischer Freude sah Eber den Nachbar ziehen; jetzt schien ihm endlich der langersehnte günstige Augenblick gekommen, seinen Haupt- und Lieblingsplan, sich durch Verrücken der Grenzsteine nach und nach das Gut Goldenbow ganz anzueignen, beginnen zu können. Sein Erstes zur Verwirklichung dieses schändlichen Planes war, dass er in einer finsterer Nacht, — wo die goldenbower Wächter an nichts Arges denkend sich sorglos dem Schlafe hingegeben hatten, — mit Hilfe einiger Getreuen eine Strecke des alten Scheidegrabens zuwarf, dafür einen neuen zog, den Grenzstein verrückte und sich so die bereits erwähnte Wiese zueignete. In der folgenden Nacht wollte er sein Länderrauben und Grenzeerweitern fortsetzen, da kam aber schon vorher, ganz unerwartet, sein Nachbar wieder heim. — Der Streit, weshalb dieser an das fürstliche Hoflager gerufen, war auf gütlichem Wege ausgeglichen, die Fehde somit beseitigt und der Ritter wieder von dem Landesfürsten gnädig entlassen worden. —

Heinrich erhielt nun gleich nach seinem Eintreffen Kunde von dem, was während seines Fortseins in der letzten Nacht geschehen war. Sofort begab er sich an den betreffenden Ort und sah hier mit gerechtem Unwillen den schändlichen Diebstahl des Eber, der sich gerade auch zur Stelle befand. Empört hierüber stellte ihn Heinrich zur Rede, mit frechstem Trotze aber behauptete er, dass die Wiese stets sein Eigentum gewesen, es also auch immer bleiben werde. Es kam zum heftigen Wortwechsel zwischen Beiden, doch sah Heinrich nur zu bald ein, dass es unnütz sei, sich mit einem solchen Menschen noch lange herumzustreiten. Deshalb brach er als der Vernünftigere kurz ab und endete dadurch den Streit, dass er den ihm zugefügten Länderraub bei der kompetenten Behörde anzeigte und ihre Hilfe anrufend, Recht und Gerechtigkeit forderte.

Bald darnach wurden Beide vor Gericht gefordert. Beide erschienen auch persönlich zur bestimmten Stunde und das Verhör begann. Ritter Eber behauptete auch hier im Vereine mit seinen gedungenen Helfershelfern auf das Beharrlichste, dass die Wiese sein rechtmäßiges Besitztum sei, weshalb er sich dieselbe auch nie und nimmer nehmen lassen werde. Trotz der augenscheinlichen Unwahrheit des von Eber Behaupteten, trotz den entgegengesetzten Beweisen und Aussagen Heinrichs und seiner Leute, trotz der festen Überzeugung der Richter, dass Eber lüge und Heinrich im Rechte sei, blieb doch schließlich kein anderer Ausweg über, als die Angelegenheit durch einen Eidschwur zu erledigen. Dem Eber stand die Ablegung eines solchen, in seiner Eigenschaft als verklagter Teil, zuerst zu. Und wirklich, er leistete ihn auch sofort, höhnisch dabei lachend. Anstatt die Wahrheit zu gestehen, die doch so sonnenklar vor aller Augen dalag, schwur er mit frecher Stirne den schändlichsten Meineid; er verschwor um den Besitz der Wiese, um eine solche Kleinigkeit lieber Gott und seine Seligkeit und lieferte sich so auf immer der ewigen Verdammung in die Hände. Der Prozess war hiermit beendiget, und Eber von nun an gesetzlich anerkannter Besitzer der Wiese.

Die unerwartet schnelle Rückkunft Ritter Heinrichs, dessen jetzige, durch den bekannten Vorfall noch mehr gesteigerte Wachsamkeit war zwar dem Eber ein großer Strich durch die Rechnung, dennoch aber gab er doch noch lange nicht seine früheren Vorsätze und Absichten auf. Er brütete aufs Neue nur noch ärger über sie nach; schmiedete immer abscheulichere Pläne und als dieselben endlich wieder zur Reife gediehen, als der passende Zeitpunkt ihm dazu gekommen schien und er schon im Begriff stand sie auszuführen, da ereilte ihn Gottes strafender Arm, warf ihn nieder auf ein schmerzhaftes Krankenlager und zerstörte durch seinen bald darauf folgenden Tod alle seine bösen Anschläge und Vorsätze.

Grauenhaft, ja herzerschütternd für den Zuschauer war Ritter Ebers Ende. Bis zum letzten Atemzuge lästerte und verfluchte er Gott und seine Kirche, und erst nach langem, langem fürchterlichen Todeskampfe, bevor er noch den Seinigen, die sein Lager umstanden, das Versprechen abgenommen und das Vermächtnis hinterlassen hatte: stets darüberzumachen, dass der von ihm auf der durch seinen Meineid erworbenen Wiese gesetzte Grenzstein nicht verrückt werde, und nicht eher zu ruhen, bis sie Goldenbow an sich gebracht und dies mit Camin zu einem Gute vereinigt hätten, hauchte er seine schwarze Seele aus.

Tritt oh Leser einmal selbst hinan an das Sterbelager eines Meineidigen, eines Gotteslästerers; siehe seine unsäglichen Qualen, seine Martern und Gewissensbisse; höre seine Lästerungen, seine Flüche und Verwünschungen. Siehe dann wie sich in wilder Verzweiflung sein Haar sträubt; wie ihm der kalte Angstschweiß von der Stirne tropft; wie er ächzend und stöhnend oft stundenlang mit schon gebrochenen Augen mit dem Tode ringt; wie er sich krümmt und windet und doch noch immer und immer nicht sterben kann; wie endlich, unter grausig gellendem, Mark und Bein durchdringendem Angstschrei seine Seele entflieht und zur Hölle, in die ewige Verdammnis fährt, und wie er dann, eine Leiche, kalt und starr daliegt mit grässlich entstellten und verzerrten Gesichtszügen! — — Oh, Du wirst schaudern und mit Entsetzen Dich abwenden. Du wirst dann hinsinken im Staube, wirst Gott auf Deinen Knien bitten, Dich nie Ihn vergessen. Dich nie Seinen Namen missbrauchen zu lassen. Und gewiss niemals wirst Du wieder Gott verspotten, nie wirst Du einen falschen Eid schwören können! —

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Mehrere Jahre darnach starb auch der letzte Nachkomme und Erbe des Ritters Eber, und verlosch mit ihm zugleich dies alte Adelsgeschlecht, ohne dass der Wunsch und das Streben seines Ahns in Erfüllung gegangen war. Denn obgleich beide Güter im Laufe der vielen Jahre, seit Ebers Tode, schon oftmals ihre Besitzer und Herren gewechselt haben und auch schon beide, namentlich Camin, mehrere Male an fremde Familien übergegangen sind, so waren Goldenbow und Camin doch stets getrennt und hatten auch stets ganz andere Besitzer, was auch noch heutigen Tages der Fall ist.

Die von Eber durch einen Meineid an Camin gekommene Wiese gehört auch noch jetzt zu diesem Gute; dem jedesmaligen Kuhhirten von Camin pflegt sie als Deputat überwiesen zu werden. Auch der von Eber dort gesetzte Grenzstein ist ebenfalls noch vorhanden; obgleich schon durch die Länge der Jahre tief hineingesunken in den Erdboden, so ragt er doch noch immer, wohl an anderthalb Fuß, aus demselben hervor. Auch eine alte Inschrift ist am Steine noch sichtbar, jedoch leider schon so verwittert, dass sie nicht mehr ganz zu entziffern ist.

Ritter Ebers Seele soll bis jetzt noch keine Ruhe gefunden haben; man sagt, dass er noch immer umwandele und sich mitunter hier und dort zeige und gesehen werde. Alle Johanni Mittag soll er aber regelmäßig auf der Wiese erscheinen, in der Staatskleidung seiner Zeit, in Barett und blauem Atlasgewande mit langer Schleppe, und gefolgt von den Geistern seiner Familie und deren Nachkommen. Alle umwandeln alsdann zuerst die Wiese, besichtigen darauf den Grenzstein, ob er auch noch unverrückt dasteht und verschwinden dann wieder.

Mecklenburgs Volkssagen - Band 1

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