Rachel, Joachim (1618-1669) deutscher Satiriker und Schulreformer. Biographie

Allgemeine Deutsche Biographie Bd 27 (1888)
Autor: Sach, August Prof. Dr. (?) Bibliothekar
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Rachel: Joachim R., der Satiriker, stammt aus einer ursprünglich in Mecklenburg ansässigen und später in Ditmarschen weit verbreiteten Beamtenfamilie. Sein Vater Mauritius R., Sohn eines Senators in Malchow, war durch Verwendung des damaligen schleswiger Dompropsten, des Rostockers Sledanus, im Jahre 1614 Cantor an der gelehrten Schule zu Husum geworden und zwei Jahre darauf als Diakonues nach Lunden in Norderditmarschen berufen, wo er später Hauptpastor wurde. Er nahm tätigen Anteil an den damaligen literarischen Bestrebungen, war strenger Anhänger der Opitzischen Schule und stand als gekrönter Dichter bis an seinen Tod mit Rist in freundschaftlichen Beziehungen. In Lunden vermählte Rachel sich mit Margaretha Tetens aus Husum, und hier ward sein ältester Sohn Joachim am 28. Februar 1618 geboren. In dem einsam gelegenen Lunden, wo die Erinnerung an die vergangene Herrlichkeit des ditmarsischen Freistaats noch besonders rege war und nur niederdeutsche Laute ertönten, verlebte der Knabe seine Jugendzeit; Rachel lernte die alten Lieder von den Siegen und Kämpfen der Ditmarsen und nahm mit der ländlichen Jugend teil an den Reigen und Tänzen des Volkes. Noch in seinem späteren Leben erinnert Rachel sich gern seiner frohverlebten Knabenzeit, der schönen Eiermilch, die Rachel getrunken, der Klüttchen, die er gegessen, und all der lustigen und fröhlichen Hochzeiten und Kindtaufen, wohin sein Vater ihn mitgenommen habe; aber ebenso unvergesslich ist ihm die Angst und Not geblieben, die über seine engere Heimath hereinbrach, als die Scharen Waldsteins die Schutzwehren Ditmarschens erstürmt hatten.
Mit guten Vorkenntnissen ausgerüstet, bezog der vierzehnjährige Knabe die neugeordnete Landesschule zu Husum, wo sein Vater als Cantor gewirkt, versuchte sich auch damals schon unter der Leitung des Rektors Becker in hochdeutschen Versen, um dann das akademische Gymnasium in Hamburg zu beziehen, welches damals J. A. Tasse, J. Junge und H. Vagetius unter seinen Professoren zählte. Am 11. November 1635 ward sein Name in die akademische Matrikel eingetragen. Kaum hatte Rachel hier zwei Jahre den Studien obgelegen, als sein Vater starb (1637); von der Mutter und seinen Vatersbrüdern, die in Ditmarschen gleichfalls als Geistliche eine Stellung gefunden hatten, nach Kräften ausgerüstet, bezog Rachel dann die Universität Rostock, wo er im Oktober 1637 unter die akademischen Bürger aufgenommen ward. Im Verein mit seinen Landsleuten, die damals zahlreich in Rostock studierten, kostete er mit Behagen „die nasse akademische Freundschaft und Bruderschaft“, wovon er später in seiner Satire „der Freund“ eine drastische Schilderung gibt, trieb daneben das Studium der alten Sprachen, Philosophie und Literatur, las mit Vorliebe Juvenal und Persius und versuchte sich vielfach in hochdeutschen und lateinischen Versen nach der Sitte der Zeit, wofür ihm der Sinn durch seinen verstorbenen Vater und seine Husumer Lehrer schon früh geweckt worden war. Ein lateinisches Epigramm auf den Tod eines seiner Freunde, des Flensburger Brandes, erwarb ihm auch die besondere Gunst seines vortrefflichen Lehrers, Peter Laurembergs, des Professors der Poesie. Nach etwa dreijährigem Studium in Rostock wurde Rachel dann durch Familienverhältnisse und kriegerische Unruhen bewogen nach Dorpat zu ziehen, wo er in dem Hause eines befreundeten Landsmanns, des Professors Laurentius Luden, eine Reihe von Jahren Aufnahme fand, um später die Erziehung der Söhne eines livländischen Edelmanns, Leonard Titinghofs, zu übernehmen. In dieser behaglichen Stellung fand Rachel reiche Muße sein poetisches Talent zu üben; er dichtete eine Anzahl lateinischer Epigramme (centuria epigrammatum), die er zweien hochgestellten Beamten der Stadt Reval, Phil. Crusius und Bernhard Rosenbach, widmete, verfasste „epigammata evangelica latino-germanica“ (1648), die später wiederholt gedruckt wurden, studierte daneben mit Vorliebe Sitten, Gebräuche und Eigenheiten des livischen Volkes, wovon er später eine bezeichnende Schilderung gibt. Erst im Frühling des Jahres 1652 schied er aus seiner Stellung, um dem Wunsche der Mutter gemäß in die Heimath zurückzukehren. Der Seeweg führte Rachel über Kopenhagen, wo er die Sommermonate verweilte und Verbindungen anknüpfte, die für seine spätere Dichterlaufbahn bedeutungsvoll werden sollten. Unter der Regierung des Königs Friedrich III. war Kopenhagen fast eine deutsche Stadt; Rachel fand hier manchen Landsmann und Freund von Rostock wieder, manche Verwandte und Bekannte seiner rostockschen Gönner, die durch die Königin Sophia, eine mecklenburgische Prinzessin, herbeigezogen waren, in hoher und einflussreicher Stellung, dieselben Interessen und dieselben literarischen Bestrebungen, da die Opitzische Richtung in der Poesie selbst an den Nationaldänen gelehrige Schüler gefunden hatte. Der Dichter Zacharias Lundt aus dem schleswigschen Nübel war Sekretär des Königs; Paul Tscherning, ein Verwandter des berühmten Rostocker Dichters Andreas Tscherning, hatte als Generalauditeur und Kriegsrat am Hofe eine einflussreiche Stellung inne. Die Professoren der Akademie Thomas Bartholinus und Christian Ostenfeldt, die dänischen Dichter Vitus Viering und der jugendliche Andreas Bording, der Begründer der dänischen Lyrik, sahen in Rachel einen der ihrigen: Opitzische Grundsätze vereinten sie alle zu gemeinsamem Streben und Vertrauter Freundschaft. Um so auffälliger muss der Einfluss erscheinen, den die eben erschienenen vier berühmten Scherzgedichte Joh. Willmsen Laurembergs, des Professors an der Soröer Ritterakademie, und Bruders seines Rostocker Lehrers, mit ihren energischen Angriffen auf die neue hochdeutsche Kunstrichtung auf Rachel machten. Während seines Rektorats in Heide in Ditmarschen, daß er gleich nach seiner Rückkehr in die Heimat übernommen hatte, in angenehmer Häuslichkeit, die Rachel sich durch Vermählung mit der Ditmarserin Dorothea Twachtmanns gegründet, finden wir ihn, den Spuren Laurembergs folgend, mit niederdeutscher Literatur, mit Reineke Vos und ditmarsischen Volksliedern beschäftigt. In diese Zeit fällt jenes berühmte (von Sach p. 46 u. ff. mitgeteilte und kritisch behandelte) Lied „Nu, min dochter, fegg van harten“, das wenig umgedichtet noch heute im Volksmunde lebt und sich ganz dem Tone der alten sächsischen Hochzeitslieder anschließt. Wenn Rachel nun auch später den Einfluss, den das Studium der niederdeutschen Literatur auf ihn ausgeübt, in seinen Satiren nicht ganz verleugnet, so hat er doch bald die alten Bahnen wieder eingeschlagen und die strengen Grundsätze der schlesischen Schule wieder aufgenommen. Fast ausschließlich wandte er sich der Ausbildung der kunstmäßigen hochdeutschen Satire zu, die bis dahin in der Opitzischen Schule nur wenig Vertreter gefunden hatte. Die bezeichnenden Züge der neuen Satire, die in Juvenal und Persius ihre Vorbilder sah, aber statt zu individualisieren sich in bloßen Allgemeinheiten erging und allem, was die Mächtigen und Großen hätte verletzen können, ängstlich aus dem Wege ging, treten auch in den ersten hochdeutschen Versuchen Rachel’s in auffälligem Gegensatze zu seinem niederdeutschen Gedichte hervor. Auch darin folgte Rachel, wie in dem letzteren, dem Zuge der Zeit, wo die verschiedensten Formen der Poesie zu Gelegenheitsgedichten benutzt wurden, daß Rachel seine Satiren anfangs in die Form von Hochzeitsgedichten kleidete, wie er selbst von den drei ersten bekennt. In der ersten, die um 1659 entstand und uns in einer etwas umgearbeiteten Form vorliegt, „das poetische Frauenzimmer“ oder „die böse Sieben“, werden die Schwächen und Gebrechen des weiblichen Geschlechts mit wenig Witz und viel Behagen in breiten Alexandrinern ausgeführt. Wie steif und farblos nun auch im ganzen die Darstellung, wie wenig von dichterischer Wärme auch in dem Gedichte zu spüren ist, so wurde es doch von seinen Freunden in Kopenhagen mit großem Beifall aufgenommen. In der ersten Begeisterung für das „neuerstandene Genie“ machte Paul Tscherning Friedrich III. auf daß Hochzeitsgedicht aufmerksam und konnte bald dem Dichter melden, mit wie großem Wohlgefallen der König dasselbe aufgenommen habe. Trotz aller Gunstbezeugungen aus so hohem Munde ward der Dichter indes nicht im Lande festgehalten. Im Jahr 1660 gab er sein Rektorat in Heide auf, um einem Rufe an die Ulrichsschule im ostfriesischen Norden zu folgen. Unter mancherlei Mühen und Sorgen suchte er hier Trost in angestrengter dichterischer Tätigkeit und konnte nach einigen Jahren seinem Freund und Gönner Tscherning „eine recht poetische d. h. armselige Gabe“, fünf neue hochdeutsche Satiren zu Füßen legen. Derselbe übernahm bereitwillig auch die Druckkosten seiner „sechs poetischen Kinder“. In der vom 3. Januar 1664 datierten Widmung an Tscherning spricht Rachel sich über seine Stellung zu den Schlesiern und über die Grundsätze, die ihn bei der Abfassung geleitet, ausführlich aus. In der opitzischen Schule sieht er die höchste Vollendung der „teutschen Tichterkunst“; ihre Vorschriften und Gesetze gelten ihm maßgebend für alle Zeiten. Wenn er zuerst von allen Deutschen mit hochdeutschen satirischen Gedichten vor daß Publikum trete, so hält er den „genausichtigen Aristarchen“ gegenüber ein Wort der Entschuldigung für nötig; offen will er auf scharfen Tadel bestimmter Persönlichkeiten verzichten und nur allerhand im Schwange gehende Laster, jedoch ohne Verletzung eines Menschen Ehren, guten Namen und Leumund durchziehen und mit lachendem Mund die dürre Wahrheit sagen. Er hebt wiederholt seine gute Absicht hervor und hält seine Satire für ein Werk der allerbesten und getreuesten Liebe. Gemäß der ganzen Richtung der Poesie seiner Zeit, die vorwiegend didaktisch war, ist auch für ihn zu belehren und zu bessern der eigentliche Zweck seiner Satire. In dem „vorteiligen Mangel“ und der „gewünschten Hausmutter“ führt er das schon früher behandelte Thema in hausbackenem Sinne wieder aus; die drei folgenden sind nach seiner eigenen Angabe Bearbeitungen römischer Muster. Der „Kinderzucht“ liegt die 14. Satire Juvenals zu Grunde, die fünfte (Vom Gebet) hat die Motive der 2. Satire des Persius, die sechste (Gut und böse) der 10. Satire des Juvenal in sehr freier Weise entlehnt. Die letztere ist gegen die herrschenden Unsitten seiner Zeit gerichtet. Es sind gute, der Beherzigung werte Gedanken, die den verständigen, hin und wieder etwas pedantischen Rachel erfüllen; ein ernster und würdiger Geist leuchtet uns aus ihnen entgegen. Diese Gedichte sind es denn auch, die seinen Namen über ganz Deutschland getragen haben und ihn in den Augen seiner Zeitgenossen als den Begründer einer neuen Kunstrichtung erscheinen ließen; er war seitdem in der kunstmäßig versifizierten Satire der berühmteste Dichter seines Jahrhunderts. Groß war die Anerkennung, die er bei seinen Freunden in Kopenhagen fand. Paul Tscherning sandte ihm 30 gedruckte Exemplare seiner Satiren nebst einem großen silbernen Pokal zum Geschenke, meldete ihm auch die Absicht des Königs, ihn an seinen Hof zu ziehen und mit einem Jahresgehalt auszuzeichnen. Um so eifriger war der Dichter bemüht, die hohen Erwartungen seiner Gönner durch neue Schöpfungen seiner Muse zu befriedigen. Die beiden letzten Satiren, die gleichfalls auf Tschernings Kosten gesondert in Kopenhagen 1666 gedruckt sind, zeigen ihn auf der Höhe seiner Dichterlaufbahn. Während er in der ersten (der Freund) die Gefahren der Freundschaft und der Liebe an Beispielen erläutert, legt er in der anderen (der Poet) seinen Standpunkt zu den verschiedenartigsten poetischen Bestrebungen seiner Zeit klar und bündig dar. Als ein eifriger Schüler Opitzens, für den Poesie ohne Gelehrsamkeit nicht denkbar ist, polemisiert er gegen die ungelehrten Dichter und ihre elenden Reimereien, gegen die Feilheit der Lohn- und Bettelpoeten und den argen Unfug, der mit der Gelegenheitspoesie getrieben wurde. Ebenso scharf wendet er sich gegen die Puristen und Sprachverderber; er ist ebenso ein Feind der puristischen Worterfindungen wie des maßlosen Einmischens fremder Wörter in die deutsche „Haupt- und Heldensprache“. Selbst daß Eindringen niederdeutscher Wörter erscheint ihm von Übel, wie sehr seine eigenen Dichtungen auch seine niederdeutsche Herkunft und ein Studium Laurembergs verraten. Merkwürdig ist es, wie Rachel auch in Norden das Volksleben und die Sprache der Friesen und Holländer, die ihm anfangs böotisch klang, mit Interesse verfolgt, sich selbst in holländischen Versen versucht (Sach p. 27) und über die Aehnlichkeit der niederdeutschen Wörter mit dem Griechischen Vergleiche anstellt.
Mit seiner literarischen Tätigkeit ging seine pädagogische Wirksamkeit in Norden Hand in Hand; ein nach dem Lateinischen des Hugo Grotius entworfener neuer Leitfaden für den Religionsunterricht, der in diese Zeit fällt, brachte ihm freilich mancherlei Widerwärtigkeiten mit dem Konsistorium. Zu allem Streit kam noch seine üble pekuniäre Lage, die ihn nach einer besseren Stellung suchen ließ. Vergeblich bemühte sich jedoch sein als Staatsrechtslehrer berühmter Bruder Samuek ihn zu überreden, an der Kieler Universität, deren Eröffnungsfeier er durch zwei Gedichte verherrlicht hatte, eine gering dotierte Professur der Poesie und Eloquenz anzunehmen; ebensowenig war er geneigt, daß ihm angebotene, wenig einträgliche Rektorat der Schleswiger Domschule anzutreten. Noch ein Jahr weilte er im Norden, als eine Pest ihn mit den Seinen aus dem Lande zu seinen Verwandten nach Holstein trieb. Seinem Freunde Tscherning schüttete er sein Herz aus und schilderte ihm lebhaft in einem (bei Sach p. 29 mitgeteilten) Gedichte die Gefahren, denen er durch Flucht entronnen war. Von neuem begannen mit ihm Unterhandlungen wegen Übernahme des Schleswiger Rektorats, die indes an der Gehaltfrage scheiterten. So kehrte er im Frühling des Jahres 1667 in daß verödete Norden zurück. Damit begann die trübste Zeit seines Lebens. Hab und Gut war aufgezehrt, sein hilfreicher Gönner Tscherning 1666 gestorben. Vergeblich war er bemüht, durch literarische Tätigkeit sich und den Seinen Unterhalt zu verschaffen; seine lateinischen Epigramme, die er während des letzten Jahres verfasst hatte, konnte er nicht unter daß gelehrte Publikum bringen, da ihn ein Buchhändler unter höhnenden Worten abwies, als er von Honorar zu sprechen wagte. Unterdes ruhte sein Bruder Samuel nicht, ihn in die Heimat zu ziehen. Er hatte den Gedanken gefaßt die gelehrten Schulen des Landes zu reorganisieren und dabei sollte ihm sein Bruder zur Seite stehen. Endlich willfahrte der am Hofe des Gottorper Herzogs einflussreiche Präsident Kielmann v. Kielmannsegge seinen Wünschen. Am 3. Oktober 1667 langte Joachim Rachel in Schletswig’an, um in der Hauptstadt der Gottorper mit 500 Taler Gehalt die Leitung der gänzlich verkommenen Domschule zu übernehmen. Über seine Tätigkeit als Schulmann, von der aus seinen früheren Stellungen wenig bekannt ist, geben die Arten der Domschule ein bezeichnendes Bild. Insbesondere gibt ein von ihm verfasstes Programm über seine reorganisierende Tätigkeit an derselben genauen Ausschluss. Vor allem will er die Winkelschulen beseitigen, die zeitraubenden Leichenaufzüge einschränken, den Sängerchor neu organisieren, von dem nach seiner Meinung der Ruf und die Frequenz einer Domschule abhänge; dann alle halbjährigen Examina abschaffen, nur jährlich Prüfungen und Versetzungen vornehmen. Der Lektionsplan, den er entwirft, zeigt ihn als einen energischen Reformator. Wir finden zum erstenmale eigene Stunden für Geschichte, Geographie und deutsche Poetik angesetzt, worin bis dahin hier wie anderswo nur Privatunterricht erteilt war. Universalgeschichte und Chronologie wurde in wöchentlich 2, deutsche Poetik in 1 Stunde vorgetragen, politische und mathematische Geographie in den beiden oberen Klassen einstündig behandelt. Rachel ist daneben auch der erste Rektor der Domschule, der mit dem öffentlichen Examen auch einen sogenannten Redeactus verband. Seine neue Tätigkeit ließ ihm wenig Zeit seiner dichterischen Neigung nachzugehen, wie sehr auch seine Freunde am Gottorper Hofe, Kielmann, der Historienmaler Ovens, Olearius u. a. ihn mahnen mochten. Der erstere erbot sich auch seine lateinischen Epigramme, die in Norden entstanden waren, drucken zu lassen; dieselben erschienen erst kurz vor seinem Tode. Doch konnte ihm alles nicht hinweghelfen über die widerwärtigen Streitigkeiten, worin er wegen seiner Neuerungen an der Schule mit dem Dompropsten und Inspektor scholae Martini und dem Publikum verwickelt wurde. Sein Programm, welches er nach der Sitte der Zeit an die Tür des Domes hatte heften lassen, wurde auf Befehl des Propsten wieder entfernt. Bei dem öffentlichen Examen kam es zu einem förmlichen Tumult in der Schule. Aus Ärger über alle Anfeindungen erkrankte Rachel und starb schon am 3. Mai 1669. Er hinterließ vier Söhne und eine Tochter, eine zweite ward erst nach seinem Tode geboren.
Wie seine Schulbücher sein Andenken in den gelehrten Schulen noch lange erhielten, so zeigen die vielen Auflagen, die seine Satiren erlebten und zwei gefälschte Gedichte, „die Jungfern-Anatomie“ und „das Jungfern-Lob“, die, wie es scheint, schon bei seinen Lebzeiten unter seinem Namen verbreitet wurden (vgl. Sach, Joach. Rachel, p. S2), wie viel sie gelesen und wie hoch sie von seinen Zeitgenossen und der nächsten Nachwelt geschätzt wurden. Man sah in seinen zahmen Sittenschilderungen juvenalische Satire, nannte ihn den „londinischen teutschen Juvenal“, den neuen Opitz Deutschlands. Und doch erscheint er uns, wenn wir die Literatur des 17. Jahrhunderts überblicken und die Erfolge seiner Bestrebungen nach dem heutigen Maßstabe messen, nur als ein unscheinbares Glied in der langen Reihe der Männer, die in den Bahnen, die Opitz eingeschlagen hatte, fast ohne jegliche Selbständigkeit fortschritten.