Pommern – Die Insel Rügen. Altefähre. Bergen und Rugard.

Aus: Deutschland und die Deutschen. Band 2
Autor: Beurmann, Eduard (1804-1883) deutscher Advokat, Journalist und Redakteur, Erscheinungsjahr: 1839
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Pommern, Landesbeschreibung, Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Kultur-, Sitten- und Sozialgeschichte, Bildung, Lebensverhältnisse, Besitzverhältnisse, Insel Rügen, Bergen, Putbus, Rugard, Altefähre
Der Landungsplatz zu Altefähre ist eben nicht die beste Einleitung der Insel. Aber die Weide, die wir nur im krüppelhaften Zustande kennen, grünt hier stolz und erhaben, sie ist gegen Stürme gepflanzt und muss einen kräftigen Charakter entfalten. Gleich bei Altefähre steigt die Insel, die sich selbst an den ebensten Stellen mehrere Fuß über die Meeresfläche erhebt. Das Fährhaus liegt auf einer Anhöhe, über die eine andere emporragt. Wenn man von hier aus seine Blicke zurückwendet, so scheint Stralsund mit seinen Mauern und Türmen gleichsam im Meere zu schwimmen, die weiten Teiche ringsum umspannen, wie Arme der Ostsee, die stolze Stadt, vor welcher Wallenstein zu Schanden wurde. Nach Bergen hin, das von seiner Lage den Namen trägt, wie es einst zur Slawenzeit Gora, oder Göra hieß, steigt die Insel anfangs, um sich dann allmählich allseits wieder zum Meere zu senken. Und diese wellenförmige Neigung des Bodens ist allenthalben zu gewahren, man fährt bergauf, bergab unter üppigen Saaten und duftigen Hainen, unter Seen, Bächen und Felsen und unter gespenstigen Hünengräbern auf grauen Heidestrecken, die die romantische Färbung erhöhen, besonders wenn Regenschauer rieseln und der kalte Nordost über die Insel streift. Man könnte in solcher Lage an Macbeths Abenteuer erinnert werden. Schon bei dem Dorfe Ramkin gewahren wir sieben von jenen kleinen geheimnisvollen Hügeln, deren die Insel aller Orten so viele bewahrt. Sie liegen in einer fast geraden Linie und sind am Fuße mit Dornengeflecht umwachsen, eine würdige Vegetation des Todes, die hier poetischere Laute vernehmen lässt, als das Leben, denn die Bauern aus Rügen zerschlagen die Totenurnen der Gefährten Odoacers, um zu erfahren: „wat in dem ohlen Pott wol syn mag.“ Das erste Dorf auf dem Wege nach Bergen: Rothenkirchen, ist als oppidum Rodenkerken in christlichen Urkunden erwähnt, aber das Christentum interessiert uns auf Rügen am wenigsten, denn es wurde hier zunächst eine Fettweide des Adels und der Geistlichen; der erstere leidet nur an unverhältnismäßiger Fruchtbarkeit, die letztem, aber mögen nirgends besser fundiert sein, als auf Rügen, wo sie unmittelbar an die Stille der alten Priester Svantevits traten und wie kleine Fürsten walteten über Wiesen, Ländereien und Gärten, beneidet von allen Amtsbrüdern, die eben so sehr mit ihrem Lebensunterhalt an den Taufpfennig unehelicher Geburten verwiesen sind, wie an die Sittsamkeit und Tugend ihrer Gemeinde. Auch Bergen wird den Reisenden nicht aufhalten, es ist eine kleine manierliche Landstadt mit erträglichen Häusern, unerträglichem Pflaster und unerträglicheren Wirtshäusern, wenn man nämlich nur mit einem vollen Herzen für die Wunder Rügens und nicht mit einem vollen Beutel für jene, die davon leben wollen, hierher kommt. Das slawische Göra ist jetzt so zivilisiert geworden, dass man auch hier die preußischen Taxen in den Gaststuben findet für Getränke und Speisen, aber was sind Taxen allein? Sie sagen nur, dass ich dieses und jenes zahlen muss für dieses und jenes, es müsste aber noch in der Küche eine polizeiliche Beaufsichtigung stattfinden, ein Vorkoster z. B., der über das letztere „dieses und jenes“ zu entscheiden hätte, der darüber zu entscheiden hätte, ob die Speisen und Getränke wirklich nicht vergiftet sind. In Bergen gibt es kein Beefsteak, sondern Kuhsteak, und im Bade Putbus zahlt man fünfzehn Silbergroschen für Suppe, die den Vorzug hat, dass sie aus besserem Wasser gekocht ist, alt die Stralsunder Suppe, die aus den obenerwähnten Teichen geschöpft wird, für gebratene Heringe, die in ganz Pommern für eine Delikatesse gelten, weil man sie sonst nirgends isst, für gekochte Heringe, weil man nicht immer gebratene Heringe essen kann, für Kartoffeln, weil man den Badegästen beweisen will, dass die Kultur von Franz Drake noch über Pommern hinausreicht. Genug, ich habe einen Badegast in Putbus kennen lernen, der behauptete, das Seebad gewähre ihm durchaus keinen Ersatz für die an der Table d'hôte entzogene Kraft, am Ende werde es besser sein, er bade sich in der Suppe und trinke dafür Seewasser, das zum mindesten Geschmack habe. Ich riet ihm, jeden Morgen die Taxe in der Gaststube zu lesen, zu lesen und wieder zu lesen, dass er für 15 — sage fünfzehn Silbergroschen — eine Suppe, drei Gerichte mit Zuspeise und einen Nachtisch erhalten werde, und seine Imagination zu Hilfe zu nehmen; Heringe könne man solcherweise für Forellen halten, und dass auf die Table d'hôte so wenig Rücksicht genommen werde, beweise nur, dass man dem Seebade um so mehr Einfluss zutraue. Der Mann wurde so mager in Putbus, wie man es nur in Kissingen werden mag, aber die Ärzte versicherten ihm, das Fett tue es nicht und nach Putbus dürfe man nicht kommen, um Rindfleisch und Beefsteak zu essen, da es auf Rügen keine Weide gäbe und man alles Fleisch von dem Festlande herbeischaffen müsse, zum mindesten das gute. Ich will darüber nicht rechten, nur muss ich bemerken, dass die preußische Einrichtung, die Gastwirte durch Taxen zu beschränken, in den Gegenden der Mark und Pommerns, wo kein Überfluss vorhanden ist, den Gasthäusern meistens einen dürftigen Anstrich gibt. Die Wirte überschreiten die polizeiliche Vorschrift nicht, aber sie bewegen sich innerhalb derselben mit einer bewundernswürdigen Freiheit, die den Gasten noch weniger konveniert, als höhere Preise und eine bessere Beköstigung.

Ein Glück, dass die Aussicht vom Rugard bei Bergen unentgeltlich genossen werden kann, und ein Glück für Bergen, dass der Rugard in der Nähe dieses Städtchens liegt, dessen wellenförmiges und spitzes Straßenpflaster keinen Fremden anziehen würde. Der Rugard befindet sich nordöstlich von Bergen und die tausend Schritte zischen beiden wird die Erwartung nicht messen; denn von den Wällen, die einst Jaromars Burg *) umschlossen, genießt man die entzückendste Aussicht. Dieser Fürst baute sich hier ums Jahr 1168 ein Schloss, von dessen Zinnen sein wachsames Auge nicht nur den größten Teil der Insel, in deren Mittelpunkt der Rugard liegt, übersehen konnte, sondern auch südlich, süd-östlich und westlich einen großen Teil von Pommern, dem Lande seiner Erzfeinde, von denen freilich das Christentum über Rügen gekommen war, aber nicht die Freundschaft.

*) Rugard (Rugigard) heißt deutsch eine Burg der Rüger, von dem slawischen Gard.

Der Rugard ist, bis auf den Namen und den Wall, der die Burg umgab, verfallen. Dornen und Heidekraut schlingen sich um den letzteren, und wo die Trümmer des Schlosses zu suchen wären, blühen üppige Saaten: Leben und Tod liegen sich in den Armen. Aber der Blick schweift hinaus über die engverschlungenen friedlichen Dörfer von Bergen gen Stralsund, und die pommersche Küste liegt in schwarzen Umrissen jenseits der Meerenge, so dass Städte und Dörfer nicht in dem Ganzen verschwimmen, sondern selbstständig hervortreten aus dem Laube und dem Wiesengrün und dem gelben Strande. Westlich nickt uns Greifswald zu, östlich scherzen Ährenfelder im leichtbewegten Winde zu unseren Füßen, oder die Saaten bilden auch einen buntgewürfelten Teppich von Samet, über welchen die Sonne hinweggleitet und das Kolorit erhöht, je nachdem sie eine strahlende und matte Beleuchtung in die wechselnden Farben wirft, die gelb, dunkelgrün, bläulich, golden und gemischt über dem Boden gestreut sind aus Korn, Gerste, Hafer, Weizen, Wicken und Wucherblumen. Über diesen Teppich hinaus begegnen dem Auge Hügel, Gebüsch und Wälder, über Hügel, Gebüsch und Wälder aber leuchtet der Ozean herüber, das grüne, ewige Meer, eine weite schnurgerade Linie, hier und da mit einigen beweglichen Punkten, mit Schiffen, die gehen und nahen. Und der Anblick Rügens im Ganzen und Großen, wie mannigfaltig und stolz ist diese Insel. Still und erhaben ruht sie im Meere, wie ein verlorener Posten, den Gott selbst in die Wogen stellte und der nicht weichet und wanket, wie sehr auch der Feind gegen ihn anstürmt. Nach allen Seiten hin haben sich die Fluten Bahn gebrochen, nach allen Seiten hin strecken Erdzungen, welche das Meer ausschnitt, ihre Spitzen in den grünen Wellenschlag, aber Rügen blickt verächtlich hernieder auf die grimme Wut des Meeres, das schäumend und brausend ihm nur Kurzweil zu treiben scheint; denn noch ist seine Stunde nicht gekommen, es wird nicht vereinzelt untergehen, sondern nur in einer allgemeinen Umwälzung; selbst jener Meerbusen, den die Gewalt der Gewässer zwischen Rügen und Jasmund riss, ruhet jetzt, wie ein gezähmter Löwe, zu den Füßen der Insel. Alle Erdzungen aber, die dem Untergange zunächst geweiht sind, scheinen sich desselben wenig bewusst, wie zur Freude geschmückt mit Getreide, Waldgrün und Obst stehen sie am Rande des Grabes, sie scherzen mit dem Tode, der sich nachgiebig und schonend zurückzieht. Kurz, der Rugard ist ein Standpunkt für ein Panorama von Rügen, das um so reizender erscheint, als noch kein Maler die Hand darnach ausstreckte und diese Anschauung in das Marktgewühl des Lebens übersiedelte, wie den Rhein und die Elbe, wie die Donau und die Schweiz und die übrigen Lichtpunkte Deutschlands. Wenn man aus dem holprigen Bergen hinansteigt zu Jaromars Wall, dann genießt man die Überraschung aus erster Hand. Doch schauen wir uns weiter um. Hier schlingt sich die schmale Landenge zwischen Rügen und Jasmund wie ein zarter Gürtel um den Riesenleib des ewigschwangeren Meeres, dort flutet der Göllen, dort wallet die Ostsee, dort endlich springt Arkona keck und verwegen in die Brandung, gleich als wolle es sich umsehen, ob Deutschland hier zu Ende sei, und weiter über Land und Meer hinaus „waffeln“ *) untergegangene Städte und die Sage spielt auf den geheimnisvollen Wogen.

*) Synonym mit spuken und vorspuken.

Ich habe schon gesagt, dass Jaromar, der Slawenfürst, den Rugard erbaute. Da aber Rügen durch seine Tapferkeit entvölkert war, so musste er, wie seine Feinde, die Pommern, fremde Kolonisten aus Deutschland unter die slawischen Bestandteile mischen, und Bergen entstand am Fuße der rügischen Burg. Später legte Jaromar hier ein Zisterzienser Nonnenkloster an, aus Dankbarkeit, weil der Christengott seine Waffen gegen die Pommern gesegnet, ein Zisterzienserkloster, das heut zu Tage den armen rügischen Freifräuleins ein Asyl gewährt; denn die Reformation hob die Nonnen auf, aber nicht den Adel, dem sie vielmehr in den in „Stifte“ umgewandelten Klöstern eine neue Hilfsquelle eröffnete.

Stralsund vor der Alten Fähre

Stralsund vor der Alten Fähre

Schloss Puttbus auf Rügen

Schloss Puttbus auf Rügen

Bergen (Rügen), Jagdschloss Granitz

Bergen (Rügen), Jagdschloss Granitz

Bergen (Rügen), Marktplatz 1917

Bergen (Rügen), Marktplatz 1917

Bergen (Rügen), Marktplatz 1921

Bergen (Rügen), Marktplatz 1921