Plattdeutsche Dichtung - Schurr-Murr. Wat tausamen is schrapt ut de hochdütsche Schöttel, Ut den plattdütschen Pott un den messingschen Ketel. Von Fritz Reuter. Rezension

Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. 12ter Jahrgang 1862. Juli-Dezember
Autor: Redaktion - Deutsches Museum, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Fritz Reuter, Plattdeutsch
Ein neues Buch von Fritz Reuter ist für die zahlreichen Verehrer des liebenswürdigen Dichters allemal ein Festtag, um wie viel mehr erst das vor einigen Monaten erschienene Werk desselben: „Schurr-Murr. Wat tausamen is schrapt ut de hochdütsche Schöttel, Ut den plattdütschen Pott un den messingschen Ketek. Von Fritz Reuter“ (Wismar und Ludwigslust, Hinstorff), das uns den Verfasser zum Teil von ganz neuen Seiten kennen lehrt.

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Ein neues Buch von Fritz Reuter ist für die zahlreichen Verehrer des liebenswürdigen Dichters allemal ein Festtag, um wie viel mehr erst das vor einigen Monaten erschienene Werk desselben: „Schurr-Murr. Wat tausamen is schrapt ut de hochdütsche Schöttel, Ut den plattdütschen Pott un den messingschen Ketek. Von Fritz Reuter“ (Wismar und Ludwigslust, Hinstorff), das uns den Verfasser zum Teil von ganz neuen Seiten kennen lehrt.

Zwar dass Fritz Reuter neben seiner unvergleichlichen komischen Laune und seinem alles bewältigenden Humor auch der geheimsten Empfindung fähig ist und dass er mit derselben wunderbaren Macht, mit der er uns zum fröhlichsten Gelächter zwingt, auch die tiefsten Saiten des Herzens anzuschlagen weiß, das konnte niemand unbekannt sein, der z. B. sein „Kein Hüsung“ oder auch nur gewisse Partien in der köstlichen Geschichte „Ut de Franzosentid“ gelesen hat. Es ist eben nicht anders: nur wer des tiefsten Ernstes fähig, der vermag auch recht zu scherzen; nur wer die Wunden der Menschheit kennt und mitempfindet, nur dem ist es geboten, sie mit den Rosen der Freude zu verdecken, und so wird es denn auch niemand, der unfern Dichter wahrhaft kennt und liebt, überraschen, in diesem seinem neuesten Werk wenigstens ein Stück zu finden, das an Tiefe der Empfindung und Zartheit der Darstellung sich dem Vorzüglichsten an die Seite stellt, was unsere moderne Literatur in dieser Hinsicht aufzuweisen hat: „Haunesieken.“ Es ist die Geschichte eines armen Bauernmädchens, dessen Geliebter als Soldat mit nach Russland hat ziehen müssen und dort gleich so vielen verschollen ist; in rührender Treue, durch keine Zweifel entmutigt, harrt das Mädchen viele Jahre seiner Rückkehr, bis endlich ein Zufall, der ihrem liebenden Aberglauben zum Orakel wird, sie von seinem Tode überzeugt und still und lautlos, ohne Klage und Tränen, stirbt sie ihm nach. Eine sehr einfache Geschichte, ohne Zweifel, aber mit der Einfalt und der Wahrheit und Keuschheit der Empfindung erzählt wie hier, wird sie auf niemand der tiefsten Wirkung verfehlen, vielmehr wird jeder sich gedrungen fühlen, mit einzustimmen in die schönen Worte, welche der Dichter dem armen Hühnerhofmädchen in die Gruft nachruft (S. 48):

De Nachtigal, de Lewark singt,
De ganze klore Hewen klingt,
De Bom un Blaum, de bögt dat Knei
Un stimmet in de Melodei:
Ja heilig, heilig ist de Städ,
Wo'n Minschenhart eins breken ded!

Also diese doppelte Meisterschaft in Erzielung komischer wie tragischer Effekte ist den Verehrern unsers Dichters nichts Neues, neu dagegen wird ihnen die sprachliche Virtuosität sein, welche er in dem vorliegenden Werkchen bekundet. Dasselbe ist nämlich, wie schon der Zusatz auf dem Titel andeutet, sozusagen in drei Sprachen abgefasst: hochdeutsch, plattdeutsch und in jener Mischsprache aus beiden, welche man in Mecklenburg und Vorpommern mit dem Spitznamen „Messing“ (Mischung aus Kupfer und Zink) bezeichnet. Im reinen Plattdeutsch sind von den fünf Nummern der vorliegenden Sammlung nur die erste und vierte abgefasst: „Wat bi 'ne Aewerraschung rute komen kann“ und „Von't Pird up den Esel“, Anekdoten von jener drastischen Beschaffenheit und erzählt mit jener komischen Kraft, wie sie eben nur dem Verfasser der „Läuschen un Riemels“ zu Gebote steht und bei alledem — was besonders von der zweitgenannten Geschichte gilt — doch auch nicht ohne tiefere sittliche Beziehung.

Dagegen überwiegt in dem schon genannten „Haunesieken“ sowie in den Jugenderinnerungen, die der Verfasser am Schluss des Bandes unter der Überschrift „Meine Vaterstadt Stvenhagen“ zusammengestellt hat, das Hochdeutsch. Es sind Skizzen aus dem Leben und Treiben einer kleinen mecklenburgischen Landstadt, aber mit solcher Anmut und Lebendigkeit erzählt und so durchdrungen vom süßesten Hauch der Jugend, dass wir uns unwiderstehlich davon gefesselt fühlen. Was jedoch den Reiz dieser Schilderungen für diejenigen, welche Fritz Reuters übrige Schriften kennen, noch ganz besonders erhöht, das ist der Umstand, dass wir eine Menge von Persönlichkeiten, die uns aus den Schöpfungen des Dichters bekannt und lieb geworden sind, hier nach ihrer geschichtlichen Herkunft kennen lernen; so der Herr Amtshauptmann, der Onkel Herse, Mamsell Westphalen und andere jener köstlichen Figuren, die dem Leser von „Ut de Franzosentid“ unvergesslich sind. Die liebenswürdige Gemütlichkeit des Dichters, sein reiner kindlicher Sinn, sein inniges Anschmiegen an jene kleinen Freuden, an denen das menschliche Leben bei aller Armut so reich ist und die dennoch die meisten von uns nur so wenig achten — das alles, verbunden mit einer entzückenden Behaglichkeit und Naivität der Darstellung, tritt in diesen Jugenderinnerungen aufs anmutigste zu Tage und erfüllt das Herz des Lesers unwillkürlich mit jener aus Freude und Wehmut gemischten Stimmung, mit der wir unserer eigenen Kindheit gedenken.

Die Krone des Buches aber sind doch die „Abendteuer des Entspekter Bräsig, bürtig aus Meckelborg-Schwerin, von ihm selbst erzählt“. Die Geschichte ist im richtigen „Messing“ geschrieben, ja man kann sagen: wenn es noch kein Messing gegeben hätte, so hätte es müssen für diese Geschichte des Herrn „ Entspekter Bräsig“ erfunden werden! Es ist unmöglich, durch ein bloßes trockenes Referat einen Begriff zu geben von dem sprudelnden Witz und der wahrhaft bacchischen Laune, welche sich in dieser Geschichte äußert. Dem Stoffe nach ist sie ebenfalls sehr einfach: der ehemalige „Entspekter Bräsig“, der sich mit „einer kleinen Pangsionierung und 12.000 Torf, die er aber nie kriegt“ zur Ruhe gesetzt hat, ein wahres Musterbild seiner Gattung, ebenso schlau wie bieder, ebenso verschlagen wie einfältig, alles wissend und jedermann seine schwache Seite ablauernd und dabei doch im gewöhnlichen Leben unerfahren und unbeholfen wie ein Kind, dabei unverwüstlicher Zecher und ein Gesellschafter voller Schwänke und Historien wie man ihn sich nur wünschen kann — also dieser alte „immeritierte Entspekter“ lässt sich von einem jüdischen Geschäftsfreunde zu einer ersten Eisenbahnreise nach Berlin verleiten, wo er dann im Gewühl der Hauptstadt unter Freunden und Feinden in allerhand ebenso seltsame wie ergötzliche Situationen gerät. In glücklichster Steigerung häuft sich Abenteuer auf Abenteuer, die Verwirrung wächst, das Schicksal in Gestalt eines Schutzmannes schürt die Flamme und schon hat der biedere „Entspekter“, wiewohl unschuldig wie die Sonne, die Bekanntschaft eines Berliner Polizeigefängnisses machen müssen, bis zuletzt der Humor sein göttliches Recht behauptet und alle Not und Verwirrung sich aufs friedlichste löst. Auch hier wieder ist die Kunst der Darstellung und dieser eigentümliche Zauber, mit welchem der Verfasser die an und für sich einfachsten und unerheblichsten Dinge in einen Quell der reinsten und unverwüstlichsten Komik umzuwandeln versteht, wahrhaft bewundernswert; um denjenigen Lesern, welche den Verfasser noch nicht kennen, einen Begriff von der Art und Weise seiner Darstellung zu geben, sei es uns gestattet, hier eine kurze Probe einzuschalten.

„Entspekter Bräsig“ ist in einem vornehmen Berliner Hotel abgestiegen; unter andern Merkwürdigkeiten, von denen seine echt mecklenburgische Seele bis dahin keine Ahnung gehabt, steht er hier auch zum ersten male einen doppelten Stiefelknecht, mit dem er nun nachstehendes Abenteuer erlebt (S. 83):

„Es wäre nun schon sehr spät und müde wäre ich; ich denk' also, sollst man gleich zu Bette gehn und suche mich den Stiewelknecht. Dieser Stiewelknecht war ein doppelter, er hatte auf jedem Ende eine Klemme. Ich hatte eine solche Erfindung noch nicht gesehen und denke so bei mir: was sie in die großen Gasthöfe doch all vor Bequemlichkeit haben! Hier kannst du dir die beiden Stiewel mit einmal ausziehen.
„Ich klemme nur also den einen Hacken ein und mit Umstände auch den andern und will nu ziehen; Gott in dem hohen Himmel! ich saß in einen spanschen Buck, ich hatte mir in Fußangeln gelegt. Ich will mir nu losmachen, aber wenn ich mir bückte, verlor ich ümmer die Blansierung und kein Stuhl war in meiner Nachbarschaft, knapp dass ich mich an die Wand halten konnte. Da stand ich nu mit auswärtsige Beine, un was nu? Not kennt kein Gebot; ich kloppe also an die Wand nach Treboniussen und rufe ihm um Hilfe.
„Er kommt denn auch; aber, als er mich da an die Wand genagelt stehen sieht und die natürliche Ursache an meinen Füßen gewahr wird, fängt dieses Undierd aus vollem Hals' an zu lachen und lacht sich aus aller Contenanß. „Dummheit lacht“; sage ich, „machen Sie mir lieber aus diesem Verhältnisse los!“ Er aber läuft hin und holt die andern Ökonomiker, und da stehn sie nu um meiner Person herum in den Hemden und in kurzen Zeuge und lachen und amusieren sich mit meinem Anblick. „Nu haben wir en ollen Voß gefangen“, sagt Trebonius und ich denk': „Komm' mir bloß en Bitschen neger!“ — „Hr. Levi Josephi“, sagt Pistorius, „wollen Sie die Wand umliegen?“ „Er wärmt sich an ihr“, sagt Prätorius; und so machen sie ihre Witzen un danzen un jökeln um mich herum, jeder mit en Licht in der Hand, aber in Armweite, denn sie mussten es mir woll ansehen, dass ich in einen gefährlichen Zustand übergegangen war. Endlich bückte sich Livonius, was der gutmütigste von der Bande war, und machte mir aus die Angeln los; aber so drad ich los war, brach auch bei mich die Wut aus, und indem die andern weggelaufen waren, gab ich Livoniussen ein paar nachdrückliche Maulschellen. Was mir nachher sehr leid war, indem es einen undankbaren Schein auf mich lud, worin ich mir aber in dem Augenblicke nicht helfen konnte.“

Möge Vorstehendes dienen, den liebenswürdigen Dichter in immer weiteren Kreisen bekannt zu machen; kann er auch nur von denjenigen vollständig gewürdigt werden, die des plattdeutschen Idioms mächtig, so ist doch seine komische Kraft so groß und sein Humor so unverwüstlich, dass selbst diejenigen, die mit den Schwierigkeiten der Sprache zu kämpfen haben, sich daran erfreuen werden.

Reuter, Fritz (1810-1874) Mecklenburger, Dichter und Schriftsteller der niederdeutschen Sprache

Reuter, Fritz (1810-1874) Mecklenburger, Dichter und Schriftsteller der niederdeutschen Sprache